Flurbereinigungsgericht Greifswald, Urteil vom 27.05.2009 - 9 K 28/07 (Lieferung 2011)

Aktenzeichen 9 K 28/07 Entscheidung Urteil Datum 27.05.2009
Gericht Flurbereinigungsgericht Greifswald Veröffentlichungen Lieferung 2011

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine Veränderung der Hof- und Gebäudeflächen ist auf Ausnahmefälle beschränkt. Sie bedarf einer Einzelprüfung. Der Zweck der Flurbereinigung muss eine Flächenveränderung erfordern.
2. Jedenfalls eine Überbauung mit einem Gebäude lässt eine Flächenveränderung zu, um die Grundstücksgrenze mit den tatsächlichen Besitzverhältnissen in Einklang zu bringen. Für bauliche Anlagen, denen die Gebäudeeigenschaft fehlt, kann abhängig vom Einzelfall Entsprechendes gelten.

Aus den Gründen

Die im Nachtrag III verfügte Grenzziehung zwischen den Abfindungsflurstücken von Kläger und Beigeladenen zu 1. und 2 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Kein Teilnehmer hat einen Anspruch auf Zuteilung von Grundstücken mit bestimmten Eigenschaften, geschweige denn auf Zuteilung seines Altbesitzes oder sonst auf Zuteilung bestimmter Grundstücke. Durch welche Gestaltung erreicht wird, dass die Landabfindung dem Gebot der Wertgleichheit gerecht wird, ist der - außer durch das Willkürverbot - nicht weiter gebundenen Gestaltungsfreiheit der Flurbereinigungsbehörden überantwortet. Soweit der Teilnehmer nicht einen "qualifizierten" Planwunsch anmeldet, der mit einem Anspruch auf eine bestimmte Abfindungsgestaltung einhergeht, versagt ihm das Flurbereinigungsrecht auch unter dem Aspekt der zweckmäßigen Gestaltung seiner Abfindung einen subjektivrechtlichen Schutz, der über den strikten Anspruch auf wertgleiche Abfindung hinausreicht. Von einem "qualifizierten Planwunsch" kann hier keine Rede sein (vgl. zu den Voraussetzungen einer solchen Fallgestaltung: BVerwG, 23.08.2006 – 10 C 4/05 -, BVerwGE 126, 303 = NVwZ-RR 2007, 85, juris, Rn. 27 ff. <= RzF - 102 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG>).


Ein Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Fläche in bestimmter Lage, d.h. mit einem ganz bestimmten Grenzverlauf, könnte sich allenfalls aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG ergeben. Danach dürfen Hof- und Gebäudeflächen nur verändert werden, wenn der Zweck der Flurbereinigung es erfordert. Diese Voraussetzung ist vorliegend aber jedenfalls erfüllt. Ein Anspruch auf Abfindung in den von dem Kläger beantragten Grenzen besteht daher auf keinen Fall, selbst dann nicht, wenn der von ihm begehrte Grenzverlauf mit der alten Grenze des Einlageflurstücks 32 identisch wäre.


Der Senat sieht das Abfindungsflurstück Nr. 16 des Klägers zunächst zwar nicht als Hoffläche, aber als Gebäudefläche i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG an. Die Gebäudefläche ist das außerhalb eines Hofraumes liegende mit Gebäuden bebaute Grundstück (BVerwG 19.04.1963 -1 B 151.61 -, RdL 1963, 166 <= RzF - 6 - zu § 45 Abs. 1 FlurbG>; VGH München, 19.07.1974 - 43 XII 73 -,= RzF - 15 - zu § 45 Abs. 1 FlurbG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Eigenschaft einer solchen Fläche als Gebäudefläche ist der des Eintritts der Rechtsänderung (BVerwG, 11.01.1990 - 5 B 103.89 -, Buchholz 424.01 § 45 FlurbG), hier also der 01.06.2007. Den Schutz des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG genießen die Flächen, die im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsänderung in der bezeichneten Art genutzt werden oder die dort angeführten Anlagen aufweisen. Nach dem Protokoll über die Widerspruchsverhandlung vom 25.07.2007 befanden sich auf dem Abfindungsflurstück 16 zwei Gebäude bzw. bauliche Anlagen. Das straßenseitige Gebäude sei früher als Wohnhaus genutzt worden und diene dem Kläger derzeit als Lagerstätte für Holz und ähnliches. Das Gebäude solle abgerissen werden und an seiner Stelle ein Neubau entstehen. Der rückwärtige Stall solle rekonstruiert werden. Diese Feststellungen haben sich im vor Ort durchgeführten gerichtlichen Erörterungstermin bestätigt. Danach ist das Abfindungsflurstück 16 jedenfalls im Zeitpunkt des Eintritts des neuen Rechtszustandes zwar nicht als Hoffläche, aber als Gebäudefläche anzusehen gewesen. Darauf, dass der Kläger das straßenseitige Gebäude beabsichtigt (hat) abzureißen, kommt es nicht an. Außerdem reicht die Eignung des Gebäudes als Berge- oder Unterstellraum aus (VGH München, 19.07.1974, a.a.O.).


Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG für eine zulässige Veränderung dieser Fläche liegen jedoch vor. Eine solche Veränderung - hier geringfügige Änderung des südlichen Grenzverlaufs des Einlageflurstücks 32 unter der Annahme, dass der von dem Kläger vorausgesetzte Grenzverlauf zutrifft - ist vom Zweck der Flurbereinigung gefordert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, 24.11.1977 - V C 80.74 -, juris <= RzF - 24 - zu § 45 Abs. 1 FlurbG>), der sich der Senat anschließt, ist Voraussetzung dafür, dass der Zweck der Flurbereinigung eine Flächenveränderung erfordert, eine Einzelfallprüfung. Diese hat dahin zu erfolgen, ob dem mit der Änderung der Gebäudefläche angestrebten Zweck Vorrang gegenüber dem besonderen Interesse des Eigentümers an der Wiederzuteilung der Gebäudefläche in den alten Grenzen zukommt. Eine bloße Übereinstimmung mit dem Zweck der Flurbereinigung reicht dafür nicht aus. Der erhöhte Schutz, der dem Eigentümer von Hof- und Gebäudeflächen zukommt, erfordert eine Beschränkung auf Ausnahmefälle. Die für notwendig gehaltenen Änderungen der bestehenden Verhältnisse dürfen nicht durch eigene Maßnahmen ausgeglichen werden können. Eine Rolle kann spielen, ob nur eine Fläche geringer Größe abgetreten werden soll und ob der verfolgte Zweck auf andere Weise nur unter Aufwendung unverhältnismäßiger Mehrkosten erreicht werden kann.


Eine Anwendung dieser Maßstäbe ergibt hier folgendes:

Der Beklagte hat unzweifelhaft eine Einzelfallprüfung der widerstreitenden Interessen vorgenommen. Diese kommt insbesondere in den Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2007 zum Ausdruck, aber auch in der Stellungnahme des Beklagten (05.01.2007) zum Widerspruch des Klägers. Der Beklagte hat die widerstreitenden Interessen von Kläger und Beigeladenen zu 1. und 2. auch zum Anlass genommen, den Bodenordnungsplan durch verschiedene Nachträge zu ändern, zuletzt mit Blick auf den umstrittenen Grenzverlauf zugunsten der Beigeladenen zu 1. und 2. Der Beklagte hat bei Änderung des Nachtrages II darauf abgestellt, der von dem Kläger erstrebte Grenzverlauf führe dazu, dass sich die Ziegelmauer ebenso wie der an der Nordseite des Schuppens befindliche Kamin auf dessen Grundstück befanden. Dabei ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die Ziegelmauer unstreitig im Eigentum der Beigeladenen stehe. Die gewünschte Grenzverlegung hätte wegen der den Hofraum abschirmenden Mauer und des Kamins für das südlich gelegene Flurstück erhebliche Nachteile. Für das Abfindungsflurstück seien keine nennbaren und nennenswerten Vorteile ersichtlich.


Der Beklagte hat damit zwar Gesichtspunkte allein im Rahmen der beiderseitigen privaten Grundstücksinteressen als maßgeblich angesehen und nicht ausdrücklich auf Zwecke der Flurbereinigung abgestellt, die die angegriffene Grenzziehung erforderten. Die zugunsten des südlichen Flurstücks der Beigeladenen (Abfindungsflurstück 15) angenommene Interessenlage deckt sich aber in der Sache mit den Zwecken der Flurbereinigung. Es entspricht einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Ziel der Neuordnung des Verfahrensgebietes, wenn der Flurbereinigungsplan die rechtlichen Grenzen zwischen Grundstücken mit den tatsächlichen Besitzverhältnissen in Einklang bringt (BVerwG, 18.10.1974 - V CI 37.73 - BVerwGE 47, 133, 136 <= RzF - 23 - zu § 37 Abs. 1 FlurbG>). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Aussage zwar für den Fall eines Überbaus nach § 912 BGB getroffen. Sie gilt aber gleichermaßen für die vorliegende Problematik, bei der die Ziegelmauer mangels Gebäudeeigenschaft (vgl. § 912 BGB) kein Überbau im Rechtssinne ist. Ein unzweckmäßiges Auseinanderfallen von tatsächlichen (Besitz-) Verhältnissen und Eigentumslage würde insbesondere deutlich bei der Frage des für die Zentralheizung bedeutsamen Kamins der Beigeladenen. Dieser befände sich bei der hier von dem Kläger favorisierten Grenzziehung auf dessen Grundstück und nicht mehr auf dem der Beigeladenen. Gleiches würde für die Ziegelmauer gelten, die seit ihrer Errichtung vor 60 Jahren unstreitig im "Eigentum" der Beigeladenen stehen soll und deren Hofraum abschließt. Eine Grenzziehung in dem von dem Kläger begehrten Sinne führte dazu, dass er Eigentümer der Mauer und auch des Kamins würde. Gründe dafür, beide baulichen Einrichtungen in das Eigentum des Klägers gelangen zu lassen, sind nicht vorgetragen und auch in keiner Weise ersichtlich. Auch das Klagevorbringen macht solche nicht deutlich.


Schließlich handelt es sich bei der streitigen Grenze um eine Frage weniger Dezimeter (vgl. die Stellungnahme des Beklagten vom 05.01.2007). Auch dies konnte der Beklagte im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des Abfindungsflurstücks der Beigeladenen berücksichtigen. Dass der verfolgte Zweck auf andere Weise unter Vermeidung unverhältnismäßiger Mehrkosten erreicht werden könnte, scheidet aus. Ein Umsetzen von Kamin und Ziegelmauer erforderte tatsächlich und finanziell umfangreiche Baumaßnahmen.


Danach kommt es für den - hier abzulehnenden - Anspruch des Klägers auf Abfindung (Flurstück 16) in ganz bestimmten Grenzen nicht auf den genauen Verlauf der alten Grenze an. Der Senat lässt daher die Frage offen, wie man hätte nach § 13 Abs. 2 und 3 FlurbG verfahren müssen, wenn es auf den exakten Verlauf der alten Grundstücksgrenze entscheidend angekommen wäre (vgl. dazu BVerwG, 09.07.1999, - BVerwG 11 B 12.99 -, RdL 1999, 237 <= RzF - 9 - zu § 13 Abs. 2 FlurbG>; 28.05.1969 - BVerwG IV B 46.69, RdL 1969, 296; BVerwG, 10.11.1993 - 11 C 21.92 -, = RzF - 8 - zu § 13 Abs. 2 FlurbG; BVerwG, 21.12.2000 - 11 C 8.00 -, RdL 2001, 96, 97 <= RzF - 40 - zu § 45 Abs. 1 FlurbG>; 04.12.1970 - BVerwG IV B 15.69 -, RdL 1971, 112; OVG Koblenz, 17.12.1968 - 3 C 43/68 -, RdL 1969, 213). Eine Klärung der den Kläger zuvorderst interessierenden Frage nach dem Verlauf der alten Grenze des Einlageflurstücks 32 geschieht nach allem im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren nicht. Darauf hat der Senat den Kläger bereits im Termin vom 27.05.2009 hingewiesen.

Anmerkung


Nachgehend Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juni 2010, Az. 9 B 88/09 = RzF - 45 - zu § 45 Abs. 1 FlurbG