Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 24.03.1999 - 7 S 597.97

Aktenzeichen 7 S 597.97 Entscheidung Urteil Datum 24.03.1999
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zu einem Verwaltungsstreit gegen die Einstellung eines Flurbereinigungsverfahrens sind weder die Teilnehmergemeinschaft noch alle Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens notwendig beizuladen.
2. Die Bemessung der Abfindung muss grundsätzlich den konkreten Wertverlust, den der abgebende Eigentümer erfährt, ausgleichen. Maßgeblich sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelfall.
3. Der abgebende Teilnehmer ist auf Grund seiner Mitwirkungspflicht gehalten, zur Schadensminderung alsbald nachzupflanzen und gegebenenfalls auch auf schnellwachsende Gehölze umzustellen.
4. Eine Kürzung der derart ermittelten angemessenen Geldabfindung kommt nicht in Betracht. Eine solche Kürzung ist insbesondere auch nicht wegen einer (angeblich) besonders hochwertigen Landabfindung zulässig.
5. Der Begriff "angemessen" (in § 50) räumt der Flurbereinigungsbehörde kein Ermessen ein.

Aus den Gründen

aa) Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG steht den Klägern für die abgegebenen Obstbäume eine Abfindung zu. Diese muss angemessen sein (§ 54 Abs. 1 Satz 1 FlurbG); diese Bestimmung gilt auch für die Abfindung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG (BVerwG, Beschl. v. 3.9.1992 RzF - 15 - zu § 50 Abs. 2 FlurbG, Buchholz 424.01 § 50 Nr. 6). Die Abfindung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG steht nicht dem Wiederherstellungswert gleich, auf den die Zivilgerichte (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.12.1996, Agrarrecht 1997, S. 188) abstellen. Denn bei Veränderungen im Rahmen der Flurbereinigung geht es nicht um die Wiederherstellung eines vorigen, durch ein schädigendes Ereignis beseitigten Zustandes. Der Verlust von Obstbäumen im Rahmen der Flurbereinigung stellt keinen Vorgang dar, der einem schädigenden Ereignis im Sinne des Schadensersatzrechtes entspricht. Dem Teilnehmer wird vielmehr zeitgleich mit dem Verlust Ersatzland zur Verfügung gestellt, auf dem er neu pflanzen kann und zur Minderung des drohenden Verlustes auch nachpflanzen muss. Aus § 54 Abs. 1 Satz 1 FlurbG folgt auch, dass als Abfindung nicht notwendigerweise der Verkehrswert anzusetzen ist (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urt. v. 25.4.1963 RzF - 15 - zu § 50 Abs. 2 FlurbG = RdL 1964, S. 84; VGH Kassel Urt. v. 10.3.1966 RzF - 3 - zu § 49 Abs. 1 FlurbG = ESVGH 16, S. 147 <150>), wobei dahinstehen kann, ob es für Obstbaumkulturen überhaupt einen Verkehrswert im Sinne eines objektiven, gleichbleibenden Wertes gibt (kritisch hierzu: Koch, Die Entschädigung von Dauerkulturen in der Praxis, Agrarrecht 1981, S. 156 <157>). Nach Auffassung des Senats ist bei der Bemessung der Abfindung für abgegebene Obstbäume immer auf die konkrete erwerbsmäßige Nutzung im konkreten Betrieb abzustellen. Dies verlangt die Feststellung, was der betroffene Teilnehmer - bei Beachtung seiner Mitwirkungspflichten - verliert, wenn die bewirtschafteten Flächen durch die Flurbereinigung in Anspruch genommen werden und er zur Anpflanzung einer Ersatzanlage gezwungen ist. Kommt der Teilnehmer seinen Mitwirkungspflichten nicht in gehöriger Weise nach, ist dies bei der Angemessenheit der Abfindung zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch die Verpflichtung, zur Schadensminderung alsbald nachzupflanzen und hierbei auch auf schnellwachsende Gehölze umzustellen (vgl. hierzu OVG Koblenz RzF - 4 - zu § 50 Abs. 2 FlurbG = RdL 1964, S. 84; VGH München, Urt. v. 1.8.1991 = Agrarrecht 1991, S. 319 <320>).

bb) Zur Bemessung des für die Nachpflanzung erforderlichen Aufwands geht der Senat von dem Gutachten des Sachverständigen M. vom 27.1.1994 aus, der die fraglichen Obstbäume aufgrund eines am 13.11.1993 durchgeführten Ortstermins bewertet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schreibt das FlurbG keine bestimmte Wertermittlungsmethode vor (vgl. z.B. Beschluss vom 23.10.1979, Buchholz 424.01 § 28 Nr. 4; Beschl. v. 3.9.1992 RzF - 15 - zu § 50 Abs. 2 FlurbG = Buchholz 424.01 § 50 Nr. 6). Ebenso wie die Beteiligten ist auch der Senat der Auffassung, dass die vom Sachverständigen M. angewandte Methode grundsätzlich sachgerecht ist und der zu bewertenden Interessenlage ausreichend Rechnung trägt (Nachpflanzfall vgl. hierzu: Koch, Agrarrecht 1981, S. 156 <160>). Der Sachverständige stellt zunächst eine Substanzentschädigung fest, wobei er von den Kosten der Pflanze zuzüglich der Pflanzkosten und der Anwachspflege eine Wertminderung wegen Alters absetzt. Dies entspricht dem Substanzverlust, den die Kläger erleiden und zugleich dem Aufwand, der mit einer Neupflanzung verbunden ist. Grundsätzlich kann auch die Nutzungsentschädigung in der vom Sachverständigen praktizierten Weise ermittelt werden. Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass die vom Sachverständigen angesetzte Alterswertminderung im vorliegenden Gutachten abweichend von der Methode Koch nur beim Substanzwert, nicht aber beim Nutzungsentgang berücksichtigt worden ist (siehe unten).

cc) Der Beklagte kann von dem vom Sachverständigen ermittelten Betrag von 21.093,-- DM nicht aufgrund einer Ermessensentscheidung abweichen. Mit der Bestimmung, dass die Abfindung angemessen zu sein habe, ist zum Ausdruck gebracht, dass der Flurbereinigungsbehörde insoweit kein Ermessen eingeräumt ist. Dies würde auch im Widerspruch zur Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG stehen (BverwG, Beschl. vom 6.3.1961 RzF - 2 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG = RdL 1961, S. 136 <137> - zur Entschädigung nach § 36 FlurbG).

dd) Im vorliegenden Fall kann der Beklagte die vorgenommene pauschale Kürzung des Abfindungsbetrages auch nicht mit der Höherwertigkeit der gewährten Landabfindung rechtfertigen.

Die Abfindungsregelungen des § 50 FlurbG betreffen wesentliche Bestandteile der in das Flurbereinigungsverfahren einbezogenen Grundstücke, die gesondert von der Landabfindung festzustellen und zu entschädigen sind (§ 28 Abs. 2 FlurbG). Hierzu gehören unzweifelhaft auch Obstbäume (BVerwG, Beschl. v. 23.10.1979, Buchholz 424.01 § 28 Nr. 4). Aus dieser Regelung ist zu folgern, dass der Wert dieser Grundstücksbestandteile gerade nicht in die allgemeine Wertermittlung eingeht, mithin nicht Teil des festgestellten Bodenwerts ist (Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl., § 50 RdNr. 4) und demzufolge auch nicht bei der Landabfindung (§ 44 FlurbG) Berücksichtigung finden kann. Dem Beklagten kann daher nicht hinsichtlich der Argumentation gefolgt werden, die nach § 50 FlurbG zu gewährende Abfindung könne wegen einer höherwertigen Landabfindung pauschal gekürzt werden. Die Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens haben vielmehr einen Anspruch auf wertgleiche Abfindung (§ 44 Abs. 1 FlurbG), wobei diese Abfindung grundsätzlich in Land zu erfolgen hat. Demgegenüber ist der Anspruch auf Baumentschädigung ein Abfindungsanspruch eigener Art, der neben dem Anspruch auf gleichwertige Landabfindung steht und nicht aus der Verteilungsmasse, sondern über die Ausführungskosten zu befriedigen ist (Seehusen/Schwede, § 50 RdNr. 4). Dieser Anspruch richtet sich auch nur auf Abfindung in Geld, nicht auf Land mit Bäumen oder Bäume von gleichem Wert (BVerwG, Beschluss vom 20.08.1958 RzF - 2 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG = RdL 1959, S. 27) oder auf andere geldwerte Vorteile. Insbesondere kann ein Teilnehmer für überlassenen Baumbestand nicht eine wertentsprechende Mehrabfindung in Land verlangen (BVerwG, Beschl. v. 30.12.1985, RzF - 2 - zu § 50 Abs. 1 FlurbG = Buchholz 424.01 § 50 Nr. 4); dann kann umgekehrt aber auch der abgebende Teilnehmer nicht auf eine (angeblich oder tatsächlich) höherwertigere Landabfindung verwiesen werden, bei entsprechender Kürzung der nach § 50 Abs. 2 FlurbG zustehenden Geldabfindung. Dieses Ergebnis folgt zwangsläufig aus dem System der Wertermittlung sowie der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung. Da der Wert der Bäume nicht in die Gesamtbilanz eingeht, also insoweit keine "(Land-)Einlage" vorhanden ist, kann konsequenterweise auch keine entsprechende "Abfindung" vorhanden sein. Die Abfindung nach § 50 Abs. 2 FlurbG ist vielmehr eine Abfindung eigener Art, die von der Landabfindung völlig unabhängig ist (BVerwG, Beschl. v. 30.12.1985 RzF - 2 - zu § 50 Abs. 1 FlurbG = Buchholz 424.01 § 50 Nr. 4).

Steht der Wertverlust und hieraus folgend die angemessene Abfindung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG fest, darf ein Teilnehmer nicht unter diesem Wert abgefunden werden. Auch die Abfindungsregelung des § 50 FlurbG ist letztlich nur Ausdruck des Prinzips der Gleichheit von Einlage und Abfindung, die das gesamte Flurbereinigungsrecht beherrscht: Wesentliche (werterhöhende) Bestandteile eines Grundstücks gehen nicht in die Gesamtberechnung bei der Landabfindung ein. Der Empfänger der Landabfindung ist zur angemessenen Erstattung verpflichtet (§ 50 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. FlurbG); der abgebende Teilnehmer ist in Geld abzufinden (§ 50 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. FlurbG). Sind die übernommenen wesentlichen Bestandteile für Abgeber und Empfänger gleich wertvoll, kann ein gerechter Ausgleich ohne Belastung der Gemeinschaft herbeigeführt werden. Andererseits folgt hieraus, dass der abgebende Teilnehmer wertentsprechend abzufinden ist. Denn anderenfalls würde die Flurbereinigung dazu dienen, dem einen Teilnehmer Vermögenswerte (ohne entsprechende Entschädigung) zu nehmen und diese einem anderen Teilnehmer (ohne entsprechende Gegenleistung) zuzuwenden. Dies ist nicht Sinn der Flurbereinigung. Stellen die Grundstücksbestandteile für den Empfänger hingegen keinen Vorteil dar oder sind diese sogar eine Belastung, gibt es keinen Grund, dem Empfänger eine Ausgleichszahlung aufzuerlegen. Der Begriff "angemessene Erstattung" trägt damit dem Umstand Rechnung, dass dem Empfänger der Landabfindung ein zusätzlicher Wert aufgedrängt wird, den er unter Umständen überhaupt nicht oder nicht in vollem Umfang nutzen kann oder der ihm schlimmstenfalls zum Nachteil gereicht. Erstattungspflichtig kann der Empfänger der Landabfindung deshalb nur im Rahmen der ihm zusätzlich eröffneten Nutzungsmöglichkeit sein.

Völlig anders stellt sich die Situation des abgebenden Teilnehmers dar. Dieser hat in der Regel Geld und Arbeit investiert und bewusst Nutzen aus den Obstbäumen gezogen. Der Entzug dieser vermögenswerten Position ist abzufinden, und zwar grundsätzlich wertentsprechend. Die Abfindungspflicht wird hier nur durch § 50 Abs. 2 Satz 3, § 51 Abs. 1 FlurbG begrenzt, wenn die Pflanzen nichts wert sind, der Eigentümer den Wert durch Verpflanzung erhalten kann oder wenn es sich nur um vorübergehende Nachteile handelt. Die Flurbereinigung ist keine Enteignung, weil sie den Teilnehmern nützt. Umteilung und Lasten (Abzüge und Beiträge) rechtfertigen sich gerade aus den Vorteilen, die allen Teilnehmern zugute kommen. Dieses Modell funktioniert nur bei grundsätzlicher Verteilungs- und Lastengleichheit. Wenn einzelnen Teilnehmern Sonderlasten auferlegt werden könnten (im Sinne einer nicht wertgerechten Abfindung), würde dieses Modell verlassen. Für eine solche ungleiche Behandlung von Teilnehmern bietet das FlurbG keine Grundlage.

Zudem fehlt für den vom Beklagten vorgenommenen pauschalen Abzug von einem Drittel eine plausible Begründung. Weder besteht eine rechtliche Grundlage, auf die die Kürzung gestützt werden kann, noch sind Erfahrungssätze erkennbar, die einen solchen Abzug rechtfertigen. Besonderes Gewicht würde pauschalen Abzügen zukommen, wenn ein Teilnehmer schwerpunktmäßig oder ausschließlich Obstbau betreibt. Die Abfindung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG stellt dann nicht eine untergeordnete Größe dar, sondern bestimmt über die Wirtschaftlichkeit, wenn nicht den Fortbestand des Betriebs entscheidend mit. Den Obstbaubetrieb treffen nicht nur die Nachteile der Flurbereinigung, die typischerweise alle anderen Teilnehmer auch treffen und von allen gleichermaßen zu tragen sind. Verliert der Obstbaubetrieb im großen Umfang Grundstücke mit Anlagen, bedarf er schon entsprechender Vorlaufzeiten, um neu anpflanzen zu können. Allein hierdurch ist er erheblich stärker belastet als andere landwirtschaftliche Betriebe, die mit deutlich geringeren zeitlichen Verzögerungen umstellen können. Der Obstbaubetrieb wäre aber zusätzlich durch den Entzug der Obstbäume in besonderem Maße betroffen, wenn er keine wertentsprechende, sondern nur eine geschmälerte Baumabfindung erhalten würde. Zum einen stellte sich die Frage, wie die Ersatzinvestitionen finanziert werden sollten, wenn die Geldabfindung nicht wertgerecht wäre. Entweder müsste der Betrieb schrumpfen oder Eigenmittel zuschießen, wofür es keine Rechtfertigung gibt. Selbst wenn mittelfristig eine bessere Betriebsstruktur erzielt werden könnte, würde dies an den zwischenzeitlich auftretenden Finanzierungsproblemen nichts ändern. Zum anderen ist festzustellen, dass diese Probleme um so gewichtiger werden, je mehr der Betrieb auf Obstbau spezialisiert ist. Geht es nur um den Ersatz einzelner Bäume oder einer kleineren Anlage, kann ein landwirtschaftlicher Betrieb möglicherweise eine Minderabfindung ertragen. Ein spezialisierter Obstbaubetrieb würde aber durch eine verminderte Abfindung existenziell betroffen werden. Ihm würde ein Großteil des Betriebsvermögens entschädigungslos weggenommen, ohne dass hierfür eine Rechtfertigung ersichtlich wäre.

ee) Im Ergebnis ist die letztlich gewährte Geldabfindung in Höhe von insgesamt 19.100,-- DM aber angemessen im Sinne von § 50 Abs. 2 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 FlurbG:

Wie oben bereits dargestellt wurde, unterliegen die Teilnehmer Mitwirkungspflichten, wodurch sie insbesondere auch dazu angehalten sind, Ersatzpflanzungen alsbald vorzunehmen und zur Schadensminderung hierbei auch schnellwachsende Sorten zu wählen. Geht man davon aus, dass die Abfindung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 FlurbG entgangene Substanz und Nutzungsmöglichkeiten entschädigen soll, kommt ein solcher Ausgleich nur in dem Rahmen in Betracht, den die Mitwirkungspflicht des Teilnehmers zieht. Als Nutzungsentschädigung ausgleichspflichtig und -fähig ist damit lediglich der Zeitraum, der im Nachpflanzfall bis zum Vollertrag der Ersatzpflanzung verstreicht. Nach Auffassung des sachkundig besetzten Senats kann hierfür allenfalls ein Zeitraum bis zu vier Jahren veranschlagt werden.