Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 19.09.2011 - 13 A 10.2440/13 A 10.2469 = KommunalPraxis BY 2012, 32 (Leitsatz) (Lieferung 2013)

Aktenzeichen 13 A 10.2440/13 A 10.2469 Entscheidung Urteil Datum 19.09.2011
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen = KommunalPraxis BY 2012, 32 (Leitsatz)  Lieferung 2013

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Im Ausnahmefall kann ein Anspruch auf mehrere Zuwegungen bestehen, wenn eine Zufahrt aufgrund der topographischen Gegebenheiten unzureichend ist. Eine durch eine Senke hervorgerufene faktische Trennung eines großen Abfindungsflurstücks in zwei Teile rechtfertigt es, aufgrund der Bewirtschaftungsschwierigkeiten das Erfordernis einer weiteren Zuwegung zum jenseits der Senke gelegenen Grundstücksteil anzunehmen.

Aus den Gründen

31    a) Der Zusammenlegungsplan in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2010 wird den für die Abfindung eines Teilnehmers geltenden gesetzlichen Grundsätzen nicht in vollem Umfang gerecht. Nicht ausreichend beachtet ist der Grundsatz des § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG, dass die neuen Grundstücke durch Wege zugänglich zu machen sind, die eine ortsübliche Benutzung ermöglichen.


32    Hierauf hat der Teilnehmer - gleichgültig, ob seine alten Grundstücke durch Wege erschlossen waren oder nicht - einen Anspruch, weil er am entschädigungslosen Wegeabzug gemäß § 47 FlurbG teilnimmt (BVerwG vom 8.7.1968 RzF 6 zu § 44 III 3 <Anm. d. Red.: jetzt = RzF - 6 - zu § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG>). Die Beschaffenheit der Erschließung, z.B. Breite und Art des Ausbaues, muss der Nutzung der neuen Grundstücke entsprechen (Schwantag in Schwantag/Wingerter, FlurbG, 8. Aufl. 2008, RdNr. 61 zu § 44). Der einzelne Teilnehmer kann nur den Anschluss seiner Grundstücke an das Wegenetz fordern, nicht aber mehrere Zuwegungen (BVerwG vom 20.8.1958 RdL 1959, 27; vom 20.3.1975 RdL 1975, 271 = RzF 62 zu § 44 I <Anm. d. Red.: jetzt = RzF - 62 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG>; vom 30.9.1992 RdL 1993, 13). Für den Verkehr innerhalb eines Grundstückes kann allerdings niemand Wege, Brücken oder Rampen fordern (NdsOVG vom 5./6.11.1968 RzF 7 zu § 44 III 3 <Anm. d. Red.: jetzt = RzF - 7 - zu § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG>). Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Verkehr innerhalb eines beitragspflichtigen, neu zusammengefügten Grundstücks durch natürliche Hindernisse, wie Böschungen oder Wasserläufe, unterbrochen ist und dadurch die Nutzung der Abfindungsteile zu dem angerechneten Wert erschwert wird (Schwantag, a.a.O., RdNr. 67 zu § 44).


33    Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Abfindungsflurstück 2932 des Klägers S. nicht ausreichend erschlossen, auch wenn dieses im Norden bei der Hofstelle an das öffentliche Wegenetz angeschlossen ist.


34    § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG enthält nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30.9.1992 RdL 1993, 13 <= RzF - 28 - zu § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG>) nicht nur einen Planungsgrundsatz, der im Rahmen des behördlichen Gestaltungsermessens zurückgestellt werden könnte, sofern dafür zwingende sachliche Gründe angeführt werden können. Denn im Gegensatz zu anderen Regelungen des § 44 FlurbG (s. etwa Absatz 3 Satz 1: "müssen ... möglichst"; Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 2: "ist, soweit möglich"; Absatz 4: "soll ... , soweit ... mit ... vereinbar") weist Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift ("müssen") die Flurbereinigungsbehörde strikt und ohne jeden einschränkenden Zusatz an, die Abfindungsgrundstücke zu erschließen. Jeder Teilnehmer hat deshalb grundsätzlich einen Anspruch auf eine Erschließung, die ihm die Benutzung seiner Abfindungsflurstücke j e d e r z e i t ohne besondere Schwierigkeiten ermöglicht.


35    Diese Voraussetzungen sind zwar grundsätzlich dann erfüllt, wenn das Grundstück – wie hier – im grundbuchrechtlichen Sinne erschlossen ist. Der Verkehr innerhalb des Grundstücks liegt in der Regel im Verantwortungsbereich des jeweiligen Teilnehmers.


36    Allerdings ist dem Kläger S. vorliegend die Bewirtschaftung des gesamten ca. 7,3 ha großen Abfindungsflurstücks 2932, insbesondere der südlich neu zugeteilten Fläche, aufgrund der vorhandenen topographischen Situation nicht möglich. Seine Einlageflurstücke 2956 und 2957 konnte er über die dortige westlich gelegene Fahrspur auf Einlageflurstück 2930/2 mit dem erforderlichen landwirtschaftlichen Gerät bewirtschaften. Diese endet jedoch an der Nordgrenze von Einlageflurstück 2956 und ca. 60 Meter vor der südlichen Grenze des Einlageflurstücks 2957. Der sachverständig besetzte Senat (vgl. BVerwG vom 29.9.2003 RdL 2004, 19 <= RzF - 5 - zu § 139 Abs. 3 FlurbG> und vom 18.12.1990 NVwZ-RR 1991, 389 <= RzF - 3 - zu § 139 Abs. 3 FlurbG>) konnte sich beim Augenschein davon überzeugen, dass die Bewirtschaftung der neu hinzu gekommenen südlichen Fläche des Abfindungsflurstücks 2932 nur bei einem Ausbau und einer Befestigung der vorhandenen Fahrspur möglich wäre. Ob eine solche Binnenerschließung wie im Regelfall vom Kläger S. selbst vorzunehmen ist, kann allerdings dahingestellt bleiben, denn der Augenschein hat weiter gezeigt, dass das Gelände zunächst ansteigt und am Ende der Einlagefläche in Verlängerung der dortigen Fahrspur in Nord-Süd-Richtung ein Gefälle von 20% vorhanden ist. In diesem Bereich verläuft zudem in Ost-West-Richtung eine Mulde, in der sich Staunässe bildet. Durch diese topographischen Gegebenheiten ist die Fläche jenseits der Mulde vom nördlichen Grundstücksteil getrennt. Wegen der Senke mit entsprechender Nässe ist auch die Errichtung einer Überfahrt problematisch, jedenfalls unzumutbar aufwendig. Damit vermag der Senat die Zuwegung des Abfindungsflurstücks 2932 von der Hofstelle nicht als hinreichende Erschließung der gesamten Grundstücksfläche anzusehen. Zum einen ist lediglich eine teilweise Fahrspur vorhanden, zum anderen verhindern die Geländeformen eine Verlängerung. Wenn ein Grundstück wie hier mit einer sehr großen Fläche der landwirtschaftlichen Nutzung zu dienen bestimmt ist, ist es nur dann hinreichend erschlossen, wenn die Bewirtschaftung des gesamten Grundstücks ohne besondere Schwierigkeiten durchgeführt werden kann. Ist dies nur durch mehrere Erschließungen des Buchgrundstücks möglich, muss der Grundsatz, dass kein Anspruch auf mehrere Erschließungen besteht, im Einzelfall hintanstehen (OVG MV vom 24.6.2009 RdL 2009, 323 zu verschiedenen Nutzungsarten auf großen Teilflächen). Vorliegend erfordert der Zweck der Flurbereinigung die Annahme eines solchen Ausnahmefalls, weil die Bewirtschaftung des neu gebildeten Abfindungsflurstücks im südlichen Teil, der durch die Senke abgegrenzt ist, nur durch eine gesonderte Zuwegung möglich ist. Eine Zuwegung alleine ist für das Abfindungsflurstück unzureichend. Die durch die Senke hervorgerufene faktische Trennung des Abfindungsflurstücks 2932 in zwei Teile rechtfertigt es, aufgrund der Bewirtschaftungsschwierigkeiten ausnahmsweise das Erfordernis einer weiteren Zuwegung zum südlich der Senke gelegenen Grundstücksteil anzunehmen.