Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.09.1992 - 11 C 8.92 = RdL 1993 S. 13

Aktenzeichen 11 C 8.92 Entscheidung Urteil Datum 30.09.1992
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1993 S. 13  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Das Zugänglichmachen im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 3 erster Halbsatz FlurbG ist auch bei forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken nicht darauf beschränkt, die wirtschaftliche Grundstücksnutzung zu ermöglichen. "Zugänglich" sein soll der Neubesitz dem Teilnehmer vielmehr für jede dort mögliche und erlaubte funktionsgerechte Benutzung.

Aus den Gründen

Zuzustimmen ist dem Flurbereinigungsgericht auch darin, daß die aus § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG folgende Pflicht zur Grundstückserschließung (dazu s. BVerwGE 64, 232 <236>) nicht nur durch die Anbindung der den Teilnehmern gegebenen Ersatzgrundstücke an von diesen aus unmittelbar erreichbare, sei es von Anfang bestehende, sei es nach § 37 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit den § 39 und § 42 FlurbG neu geschaffene, Wege erfüllt werden kann. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Erschließungspflicht auch in der Weise genügt werden, daß die Flurbereinigungsbehörde, in Bayern also gemäß Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.03.1977 (GVBl. S. 104) mit späteren, hier nicht interessierenden Änderungen die Teilnehmergemeinschaft, zugunsten des erschließungsbedürftigen Grundstücks, wie hier geschehen, eine Wegedienstbarkeit begründet (s. Urteile vom 19.08.1970 - BVerwG 4 C 61.67 - <Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 5>, vom 25.04.1985 - BVerwG 5 C 49.82 - <Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 17 S. 5> und vom 25.04.1989 - BVerwG 5 C 41.84 - <Buchholz 424.01 § 64 FlurbG Nr. 6 S. 2>). Dies setzt allerdings voraus, daß die Dienstbarkeit die Zugänglichkeit des zu erschließenden Grundstücks ebenso sichert wie ein natürlicher Zugang zu einem von diesem Grundstück aus ohne besondere Schwierigkeiten erreichbaren Weg. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Anders als dies das Flurbereinigungsgericht anzunehmen scheint, enthält § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG nicht nur einen Planungsgrundsatz, der im Rahmen des der Flurbereinigungsbehörde eingeräumten Gestaltungsermessens (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 23.06.1959 - BVerwG 1 C 78.58 <Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 2 S. 7 f.> und vom 05.06.1961 - BVerwG 1 C 231.58 - <RdL 1961, 240/242> sowie BVerwGE 85, 129 <131>) zurückgestellt werden kann, sofern dafür zwingende sachliche Gründe angeführt werden können. Denn im Gegensatz zu anderen Regelungen des § 44 FlurbG (s. etwa Absatz 3 Satz 1: "müssen ... möglichst"; Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 2: "ist, soweit möglich"; Absatz 4: "soll ..., soweit ... mit ... vereinbar") weist Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift ("müssen") die Flurbereinigungsbehörde strikt und ohne jeden einschränkenden Zusatz an, die Abfindungsgrundstücke zu erschließen. Jeder Teilnehmer hat deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich einen Anspruch (Beschlüsse vom 20.08.1958 und vom 08.07.1968 <jeweils a.a.O.>) auf eine Erschließung, die ihm die Benutzung seiner Abfindungsflurstücke jederzeit (Beschluß vom 20.03.1975 <a.a.O.>) ohne besondere Schwierigkeiten (Urteil vom 25.11.1970 - BVerwG 4 C 80.66 - <RdL 1971, 97/100>) ermöglicht. Im Vordergrund steht dabei bei land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken deren wirtschaftliche Nutzung (s. BVerwG, Beschluß vom 08.07.1968 und Urteil vom 25.11.1970 <jeweils a.a.O.> sowie Beschlüsse vom 26.03.1973 - BVerwG 5 CB 13.72 - <Buchholz 424.01 § 59 FlurbG Nr. 3 S. 4> und vom 07.07.1977 - BVerwG 5 B 1.76 - <Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 35 S. 10>). Doch ist das Zugänglichmachen im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG nicht auf die Ermöglichung derartiger Nutzungen beschränkt. "Zugänglich" sein soll der Neubesitz dem Teilnehmer vielmehr für jede dort mögliche und erlaubte funktionsgerechte Benutzung.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es vor diesem Hintergrund im Einzelfall ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, die Grundstückserschließung im Flurbereinigungsplan in der Weise zu regeln, daß das konkret betroffene Grundstück während bestimmter Zeiträume nicht oder nur mit einschränkenden Maßgaben erreicht werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn unabhängig davon kann jedenfalls die für das Waldflurstück 1041 der Kläger im Flurbereinigungsplan vorgesehene Zugangsregelung auch in der Fassung keinen Bestand haben, die ihr das angefochtene Urteil gegeben hat. Uneingeschränkter Zugang zu diesem Grundstück ist danach nur in der Zeit vom 02.11. bis zum 31.03. möglich. In der übrigen Zeit soll das zugunsten der Kläger festgesetzte Geh- und Fahrtrecht dagegen nur genutzt werden dürfen für unerläßliche und unaufschiebbare Maßnahmen mit dem Ziel, das begünstigte Grundstück vor Schaden im Sinne des Art. 14 Abs. 1 BayWaldG zu bewahren.

Damit bleibt den Klägern in der Zeit vom 01.04. bis 01.11. nicht nur die Möglichkeit vorenthalten, ihr Eigentum zu anderen als forstwirtschaftlichen Zwecken, etwa zu Erholungszwecken, zu nutzen. Auch die forstwirtschaftliche Nutzung selbst wird vielmehr nicht unerheblichen Beschränkungen unterworfen. Dies gilt einmal insoweit, als den Klägern die Möglichkeit, disponible Bewirtschaftungsmaßnahmen nicht im Herbst oder Winter, sondern im Frühjahr oder Sommer durchzuführen, abgeschnitten wird. Es gilt auch und erst recht in bezug auf Bewirtschaftungsmaßnahmen, die zwischen dem 01.04. und dem 01.11. notwendig werden, ohne den Charakter von "Notfall"-Maßnahmen im Sinne des flurbereinigungsgerichtlichen Urteils zu haben.

Entgegen der Annahme des Flurbereinigungsgerichts lassen sich diese Beschränkungen nicht damit rechtfertigen, daß die Nutzung (Holzeinschlag und Pflegemaßnahmen) von Waldgrundstücken der hier vorliegenden Art "im wesentlichen" in der Zeit zwischen der Aberntung der landwirtschaftlich genutzten Flächen und der Neuaussaat auf diesen ausgeübt werde und dieser für die Bewirtschaftung des Bauernwaldes "herkömmliche" Zeitraum "grundsätzlich" auch das Erschließungsbedürfnis dieser Grundstücke bestimme. Abgesehen davon, daß dieser Ansatz zu Unrecht allein auf die forstwirtschaftliche Nutzung abstellt, wird er auch insoweit den Anforderungen des § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG nicht gerecht. Denn diese Vorschrift gibt der Flurbereinigungsbehörde keine Ermächtigung dazu, die Abfindungsgrundstücke der Teilnehmer in zeitlicher Hinsicht - unter Außerachtlassung untypischer oder nur im Einzelfall erforderlich werdender Nutzungsbedürfnisse - lediglich im Rahmen des Herkömmlichen und Üblichen zu erschließen. "Zugänglich" zielt vielmehr insoweit, wie ausgeführt, auf einen grundsätzlich uneingeschränkten Zugang.

Die "Notfall"-Regelung, um die das Flurbereinigungsgericht das den Klägern im Flurbereinigungsplan eingeräumte Geh- und Fahrtrecht erweitert hat, entspricht aber auch wegen ihrer geringen Präzision nicht dem Zugänglichkeitsgebot des § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG. Was unter "unerläßlichen und unaufschiebbaren Maßnahmen" zu verstehen ist, zu deren Durchführung im Interesse der Schadensabwehr nach Art. 14 Abs. 1 BayWaldG das Geh- und Fahrtrecht von den Klägern allein soll benutzt werden dürfen, ist - jedenfalls in der Feinabgrenzung - derart ungewiß, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen den aus dem Geh- und Fahrtrecht berechtigten Klägern und dem daraus verpflichteten Beigeladenen geradezu vorprogrammiert sind, mindestens aber nicht ausgeschlossen werden können. Auch wenn sie im Einzelfall nicht zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, werden sich solche Meinungsverschiedenheiten in aller Regel als beschwerliches, u. U. auch langwieriges Zugangshindernis erweisen. Mit einer funktionsgerechten, den Zugang zum Neubesitz jederzeit ohne besondere Schwierigkeiten ermöglichenden Erschließung, wie sie § 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG sicherstellen will, ist auch das nicht vereinbar.