Flurbereinigungsgericht Magdeburg, Urteil vom 04.02.1999 - C 8 S 3.98 = RdL 1999, 214 = BzAR 1999, 329

Aktenzeichen C 8 S 3.98 Entscheidung Urteil Datum 04.02.1999
Gericht Flurbereinigungsgericht Magdeburg Veröffentlichungen RdL 1999, 214 = BzAR 1999, 329  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Errechnung des Bodenwertes ist der Zeitpunkt, zu dem der Bodenordnungsplan den Beteiligten bekanntgegeben worden ist.
2. Im Bodenordnungsverfahren bestimmt sich der Wert eines mit einem Wohngebäude in selbstständigen Gebäudeeigentum bebauten Grundstücks und das Verhältnis, in dem dieser Wert dem Grundstücks- bzw. dem Gebäudeeigentum zuzurechnen ist, nach § 19 Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) in Verbindung mit den Vorschriften des BauGB und der Wertermittlungsverordnung (WertV).
3. Die Bodenrichtwerte für erschließungsbeitragspflichtige Grundstücke sind als Ansatz für die Ermittlung des Bodenwertes eines Grundstücks ungeeignet, wenn das mit einem Wohngebäude bebaute Grundstück bereits erstmalig erschlossen ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Erschließung nach dem im BauGB vorgesehenen Standard erfolgt ist.

Aus den Gründen

3. Die im Nachtrag zum Bodenordnungsplan vom 3. November 1997 zugunsten der Klägerin erfolgte und im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums M. vom 16. Januar 1998 bestätigte Festsetzung der Abfindungssumme konnte keinen Bestand haben, da sie von einem mit den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht im Einklang stehenden Wert der Grundstücke ausgeht.

a) Weder das Landwirtschaftsanpassungsgesetz noch das Flurbereinigungsgesetz enthalten Regelungen über die Bestimmung des Wertes eines mit einem Wohngebäude in selbständigen Gebäudeeigentum bebauten Grundstücks und über das Verhältnis, in dem dieser Wert dem Grundstücks- bzw. dem Gebäudeeigentum zuzurechnen ist. Diese Regelungslücke ist nach der Rechtsprechung des Senats durch entsprechende Anwendung der Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes zu schließen (OVG LSA Urteil vom 13.08.1996 - 8 K 2.95 - RzF - 1 - zu § 58 Abs. 1 LwAnpG AgrarR 1997, 57 ff. = RdL 1997, 296; Urteil vom 02.09.1998 - C 8 S 5.98 RzF - 20 - zu § 64 LwAnpG, ebenso OVG Greifswald Urteil vom 16.04.1998 - 9 K 28.97 mit weiteren Nachweisen).

b) Nach § 19 Abs. 1 SachenRBerG sind Erbbauzins und Ankaufspreis nach dem Bodenwert in dem Zeitpunkt zu bestimmen, in dem ein Angebot zum Vertragsschluss abgegeben wird. Nach der Rechtssprechung des Senats entspricht im Bodenordnungsverfahren dem Vertragsangebot die Bekanntgabe des Bodenordnungsplans mit den vorgesehenen Abfindungssummen (Urteil vom 02.09.1998 a.a.O.; Thöne/Knauber, Boden- und Gebäudeeigentum in den neuen Bundesländern, 2. Aufl. 1995 RN. 260). Daraus folgt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Errechnung des Bodenwertes der Zeitpunkt ist, zu dem der Bodenordnungsplan den Beteiligten bekannt gegeben worden ist.

Wird - wie im vorliegenden Fall - auf den Widerspruch eines Beteiligten der Bodenordnungsplan durch einen Nachtrag geändert, so ist maßgeblich der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Nachtrags an die Beteiligten. Dies gilt auch dann, wenn der Bodenwert im Nachtrag des Bodenordnungsplans zu Lasten dessen geändert worden ist, der Widerspruch eingelegt hat. Denn die getroffene Regelung kann im Widerspruchsverfahren ebenso wie im Flurbereinigungsverfahren zu Lasten eines Beteiligten verschlechtert werden (reformatio in peius), selbst wenn dieser hierfür die Ursache durch seinen Widerspruch gesetzt hat. Insoweit wird das staatliche Interesse an der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustands höher bewertet (so BayVGH DöV 1972, 318 RzF - 5 - zu § 141 Abs. 2 FlurbG; Seehusen/Schwede FlurbG 2. Aufl. 1997, § 141 RN. 13). Es ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte bei der Berechnung des Bodenwertes im Nachtrag des Bodenordnungsplans eine zwischenzeitlich bis zum Bekanntgabetermin eingetretene Wertminderung mit der Folge berücksichtigt hat, dass sich die von den Beigeladenen an die Klägerin zu zahlende Abfindungssummen verringern. Auf der anderen Seite erweisen sich damit Hinweise der Klägerin auf die nach diesem Zeitpunkt im Jahre 1998 eingetretene oder für 1999 zu erwartende Entwicklung der Baulandpreise als irrelevant.

c) Im einzelnen bestimmt sich der Bodenwert gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SachenRBerG nach dem um Abzugsbeträge nach Satz 3 verminderten Wert eines baureifen Grundstücks. Der Wert eines baureifen Grundstücks ist grundsätzlich der Verkehrswert im Sinne des § 194 BauGB, der sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre. Ein Abzug erfolgt u.a. nach Satz 3 Nr. 1 für die Erhöhung des Wertes des baureifen Grundstücks durch Aufwendungen zur Erschließung, zur Vermessung und für andere Kosten zur Baureifmachung des Grundstücks, es sei denn, dass der Grundstückseigentümer diese Kosten getragen hat oder das Grundstück bereits während der Dauer seines Besitzes erschlossen und vermessen war. Diese Regelung setzt voraus, dass eine durch Erschließung zum Bewertungsstichtag eingetretene Wertsteigerung des Grundstücks auch dann zugunsten des Grundstückseigentümers zu berücksichtigen ist, wenn die Erschließung nicht durch ihn, sondern durch Dritte, auch durch die Gebäudeeigentümer selbst erfolgt ist. Denn der für diesen Fall vorgesehene Abzug der Erschließungsaufwandkosten macht nur einen Sinn, wenn sich zuvor die Erschließung wertsteigernd auf das Grundstück auswirkt.

d) Soweit für das Grundstück Bodenrichtwerte nach § 196 BauGB vorliegen, soll gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 SachenRBerG vorbehaltlich der in Satz 2 vorgesehenen Ausnahmen der Wert des baureifen Grundstücks nach den Bodenrichtwerten bestimmt werden. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass durch das dort vorgesehene Verfahren die Wertermittlung auch im Interesse der Beteiligten vereinfacht und beschleunigt werden kann. Vor allem der Beschleunigungsgedanke gilt auch im Bodenordnungsverfahren nach § 64 und rechtfertigt daher die Anwendbarkeit der Bestimmung im Bodenordnungsverfahren (OVG Greifswald Urteil vom 16.04.1998 a.a.O.).

e) Nach § 196 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind die Bodenrichtwerte als durchschnittliche Lagewerte für den Boden aufgrund der Kaufpreissammlung für jedes Gemeindegebiet unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Entwicklungszustandes, mindestens jedoch für erschließungsbeitragspflichtiges oder erschließungsbeitragsfreies Bauland zu ermitteln.

aa) Die Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie des Baulandes hängt davon ab, ob das Bauland ordnungsgemäß erschlossen ist oder nicht. Das Baugesetzbuch verwendet keinen einheitlichen Begriff der Erschließung, sondern stellt auf die unterschiedliche Bedeutung nach der jeweils getroffenen Regelung ab. Für die Erschließungsbeitragspflicht ist zu berücksichtigen, dass Erschließungsbeiträge nur für die in § 127 Abs. 2 BauGB genannten Erschließungsanlagen erhoben werden, der Erschließungsaufwand nach § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur die Kosten für die "erstmalige" Herstellung der Erschließungsanlagen einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und ihre Beleuchtung umfasst und die Erschließungsanlagen nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderlich sein müssen, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften nutzen zu können (Battis/Krautzberger/Löhr BauGB 5. Aufl. 1996 Vorbem. § 123 RN. 4). Maßgeblich ist, ob die Erschließungsanlagen "endgültig" hergestellt sind (BVerwGE 64, 186 <188>; 78, 266 <270>). Kosten für Unterhalt, Erweiterung oder Verbesserung von Erschließungsanlagen können zwar gemäß §§ 123 Abs. 4, 128 Abs. 2 Satz 1 BauGB nach Landesrecht ebenfalls von den Gemeinde erhoben werden, führen aber nicht zu einer Perpetuierung der Erschließungsbeitragspflicht eines Grundstücks.

bb) Da grundsätzlich von der Ordnungsgemäßheit der erstmaligen Erschließung nach den zur Zeit der Herstellung geltenden Normen, einschließlich altem DDR-Recht, auszugehen ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand März 1998 § 128 RN. 42), kommt es nicht darauf an, ob die (Alt)erschließung heutigem Standard entspricht oder nach dem Baugesetzbuch eine weitere Erschließung geboten ist und insoweit auf die Gebäude- und zukünftigen Grundstückseigentümer möglicherweise Kosten für deren Realisierung zukommen werden. Entscheidend ist nur, ob die o.g. Mindestanforderungen an eine Erschließung erfüllt sind.

f) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte einen falschen Maßstab für die Errechnung des Bodenwertes zugrunde gelegt.

aa) Der Beklagte ist in seiner dem Nachtrag zum Bodenordnungsplan zugrunde liegenden Wertermittlung für das Grundstück der Klägerin vom 24. Juni 1997 von einem Bodenrichtwert für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland in R. ausgegangen, obwohl es dort ausdrücklich heißt, dass "eine ortsübliche Alterschließung vorhanden" ist.

bb) Der Bodenrichtwert für erschließungsbeitragspflichtige Grundstücke bleibt auch dann ein falscher Ansatz, wenn man ihm einen "Teilerschließungsanteil" hinzufügt, wie es in der Wertermittlung des Sachverständigen unter Berücksichtigung des Zustandes der Grundstücke und vergleichbarer Kauffälle aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses geschehen ist. Für eine derartige Korrektur fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Aus § 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG ergibt sich vielmehr, dass Bodenrichtwerte wegen atypischer Lage oder Beschaffenheit des Grundstücks als Ermittlungsgrundlage ungeeignet sein können. Davon ist bei alterschlossenen Grundstücken auszugehen, da sie sich von erschließungsbeitragspflichtigen Grundstücken wesentlich unterscheiden. Dementsprechend hatte auch das Regierungspräsidium M. zuvor in einem verwaltungsinternen Schreiben an den Beklagten vom 13. März 1997 es als Fehler bezeichnet, von einer Teilerschlossenheit des Grundstücks auszugehen, "obwohl feststeht, dass nach Lage des Falles eine Vollerschlossenheit vorliegt". Bei dieser Ausgangslage durfte aber nicht der Bodenrichtwert für erschließungsbeitragspflichtige Grundstücke der Ermittlung des Bodenwertes für das Grundstück der Klägerin zugrunde gelegt werden.

cc) Bodenrichtwerte für erschließungsbeitragsfreie Grundstücke liegen für die Gemeinde R. nach Auskunft des Vorsitzenden des Gutachterausschusses nicht vor und wären im übrigen zur Wertermittlung auch ungeeignet, weil sie eine Erschließung nach dem Baugesetzbuch zugrunde legen, die im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist.

g) Unter diesen Umständen lässt sich der Bodenwert nicht durch Rückgriff auf Bodenrichtwerte ermitteln. Die zum Bodenordnungsplan und seinem Nachtrag erfolgte Wertermittlung der Abfindungssumme nach dem Bodenrichtwert kann keinen Bestand haben, so dass sich die Klage insoweit als begründet erweist. Bei Begründetheit der Klage kann der Senat die Abfindungssumme selbst errechnen und den Nachtrag zum Bodenordnungsplan entsprechend ändern (§ 63 i.V.m. § 144 Satz 1 1. Alt. FlurbG).

Im vorliegenden Fall sieht sich der Senat zu einer Abänderung des Nachtrages zum Bodenordnungsplan, insbesondere zur Neufestsetzung der der Klägerin durch die Beigeladenen zu zahlenden Abfindungssumme, außerstande. Ohne Bodenrichtwerte ist maßgeblich zur Wertermittlung der Verkehrswert eines baureifen unbebauten Grundstücks. Dessen Kriterien sind im einzelnen in § 194 BauGB und in der nach § 199 BauGB erlassenen Wertermittlungsverordnung vom 6. Dezember 1988 (BGBl I S. 2209), geändert durch Art. 3 des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081) - WertV - niedergelegt. Die vom Leiter des Gutacherausschusses genannten 14 Kauffälle in den Jahren 1992 - 1997 für alterschlossene Grundstücke in R. mit erzielten Kaufpreisen zwischen 4,00 - 36,00 DM/qm bieten keine hinreichend sichere Grundlage zur Ermittlung des Bodenwertes. Auch die von ihm in der mündlichen Verhandlung anhand der Kaufpreisliste erfolgte Einschätzung des Bodenwertes des klägerischen Grundsücks mit 20,00 - 25,00 DM/qm ist nicht zwingend, da in dieser Kaufpreisliste nicht die von der Klägerin unwidersprochen genannten Kaufpreise von 35,00 DM/qm für Nachbargrundstücke aus dem Jahre 1992 enthalten sind und die Frage der Zu- oder Abschläge für das klägerische Grundstück durch ihn abweichend von den vorangegangenen Wertermittlungen beurteilt werden. Der von der Klägerin geltend gemachte Bodenwert von 50,00 DM/qm ist ebenfalls ungeeignet, weil die von ihr angesetzten Kosten für die Baureifmachung von 45,00 DM/qm unsubstantiiert bleiben und von ihr im übrigen Vergleichspreise zu anderen Zeiten und in anderen Ortschaften zugrunde gelegt werden, die nicht ohne weiteres verwertbar sind.

h) Ist eine Abänderung des Bodenordnungsplans und seines Nachtrags nach den Gegebenheiten des Falles durch den Senat ausgeschlossen, so ist nach § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 144 Satz 1 2. Alt. FlurbG der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums M. aufzuheben und die Sache an das Regierungspräsidium zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine Zurückverweisung an den Beklagten ist nach dem Gesetz ausgeschlossen (vgl. zuletzt BVerwG Urteil vom 17. Dezember 1998 - BVerwG 11 C 5.97 UA S. 10 f. mit weiteren Nachweisen).

i) Das Regierungspräsidium M. als obere Flurbereinigungsbehörde wird an Hand der in §§ 19 SachenRBerG, 194 BauGB genannten Kriterien den Bodenwert für das klägerische Grundstück zu ermitteln haben. Geht es bei Vorliegen geeigneter Vergleichsobjekte vom Vergleichswertverfahren aus, das die Wertermittlungsverordnung gleichrangig neben dem Ertragswert- und dem Sachwertverfahren vorsieht (§ 7 WertV; vgl. zur Auswahl der Verfahren Dippold RdL 1999, 29 ff.), so hat es insbesondere die Bestimmungen der §§ 13 f. WertV zu beachten, wobei aufgrund der vorstehenden Ausführungen ein Rückgriff auf die Bodenrichtwerte ausgeschlossen ist. Gegebenenfalls sind mit Rücksicht auf das selbständige Gebäudeeigentum der Beigeladenen neben oder anstelle von Preisen für Vergleichsgrundstücke die Vergleichsfaktoren für bebaute Grundstücke nach § 12 WertV heranzuziehen (§ 13 Abs. 3 WertV). Zu- oder Abschläge erfolgen nach Maßgabe des § 14 WertV; der bisher vorgesehene Zuschlag von 25 % ist deshalb überholt, weil er vom Bodenrichtwert ausgeht.