Flurbereinigungsgericht Magdeburg, Urteil vom 02.09.1998 - C 8 S 5.98 = RdL 1999, S. 247= AgrarR 2000, 133= VIZ 1999, 551= NL-BzAR 1998, 499
Aktenzeichen | C 8 S 5.98 | Entscheidung | Urteil | Datum | 02.09.1998 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Magdeburg | Veröffentlichungen | = RdL 1999, S. 247 = AgrarR 2000, 133 = VIZ 1999, 551 = NL-BzAR 1998, 499 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine Nutzungsänderung des Grundstücks im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sachenrechtsbereinigungsgesetz - SachenRBerG - tritt dann ein, wenn ein vormals landwirtschaftlich genutztes Gebäude als Abstellplatz für Kraftfahrzeuge eines nichtlandwirtschaftlichen Unternehmens verwendet wird. |
2. | Eine vorübergehende gewerbliche Nutzung des Gebäudes, die inzwischen wieder aufgegeben wurde, führt nicht zur Anwendung des § 70 Abs. 1 SachenRBerG. Maßgeblich ist in einem Bodenordnungsverfahren nach § 64 Landwirtschaftsanpassungsgesetz - LwAnpG - die aktuelle Nutzung im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Bodenordnungsplanes. |
3. | Eine Anhebung des Kaufpreises wegen kurzer Restnutzungsdauer des Gebäudes nach Maßgabe des § 69 SachenRBerG setzt einen dementsprechenden Antrag des Gründstückseigentümers voraus. |
4. | Erweist sich ein Bodenordnungsplan nur deshalb als rechtswidrig, weil die Abfindungssumme nach dem ungeteilten Bodenwert errechnet wurde, ist das Flurbereinigungsgericht nach § 63 Abs. 2 LwAnpG in Verbindung mit § 144 Satz 1 1. Alt. FlurbG befugt, den Bodenordnungsplan dahin abzuändern, dass die Abfindungssumme nach dem geteilten Bodenwert zu berechnen ist. |
Aus den Gründen
1. Die Klage ist zulässig.
Die Zuständigkeit des erkennenden Senates zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren folgt aus § 60 LwAnpG i.V.m. § 138 FlurbG und des § 1 des Gesetzes zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes vom 13. Juni 1995 (GVBl. S. 175).
2. Die Klage ist auch begründet. Der Bodenordnungsplan des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er den Kläger verpflichtet, den Beigeladenen eine Abfindungssumme von 37 787,40 DM für den Zugang einer Fläche von 5 998 qm zu zahlen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bodenordnungsplan durfte zwar für die Bereitstellung von Land an den Kläger eine Abfindung in Geld vorsehen, weil eine entsprechende Zustimmung der Beigeladenen gemäß § 58 Abs. 2 LwAnpG vorliegt. Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass die Abfindungssumme nach dem Bodenwert ermittelt und dieser entsprechend dem im Gutachten des öffentlichen bestellten und vereidigten Sachverständigen M. S. dargestellten Rechenwerk festgelegt wurde. Rechtsfehlerhaft hat der Beklagte aber bei der Abfindungssumme nicht den halben Bodenwert von 3,15 DM/qm, sondern den vollen Bodenwert von 6,30 DM zugrundegelegt. Insoweit ist der Bodenordnungsplan abzuändern.
a) Nach der Rechtssprechung des Senats bestimmt sich im Bodenordnungsverfahren der Bodenwert für ein Grundstück, auf dem sich baulichen Anlagen in selbständigem Gebäudeeigentum befinden, nach den Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes. Weder das Landwirtschaftsanpassungsgesetz noch das Flurbereinigungsgesetz enthalten Regelungen über den Wert eines mit einem landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude in selbständigem Gebäudeeigentum bebauten Grundstücks und über das Verhältnis, in dem dieser Wert dem Grundstücks- bzw. dem Gebäudeeigentum zuzurechnen ist. Diese Regelungslücke ist durch entsprechende Anwendung der Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes zu schließen (OVG LSA Urteil vom 13.08.1996 - 8 K 2.95 RzF - 1 - zu § 58 Abs. 1 LwAnpG = AgrarR 1997, 57 ff. = RdL 1997, 296).
b) Nach § 68 Abs. 1 SachenRBerG bemisst sich der Kaufpreis regelmäßig nach der Hälfte des Bodenwertes. Diesem Teilungsmodell liegt die Überlegung zugrunde, dass der Bodenwert nach §§ 19 f. SachenRBerG als Wert des unbebauten Grundstücks mit Baulandqualität ermittelt wird, tatsächlich das Grundstück aber bebaut ist, so dass einem Grundstückseigentümer der unbebaute Grund und Boden erst nach Abriss oder Ablauf der Nutzungsdauer des Gebäudes zur Verfügung steht. Dies mindert den Wert des bebauten Bodens. Auf der anderen Seite gehört zu dem untrennbar mit dem Grund und Boden verbundenen Gebäude ein Bodenwertanteil. Mit der Halbierung des Bodenwertes wird diesen unterschiedlichen Gesichtspunkten im Sinne einer marktgerechten Lösung Rechnung getragen (vgl. Eickmann/Bischoff § 68 SachenRBerG RN. 5).
Eine Preisbemessung nach dem vollen Bodenwert sieht § 70 Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG vor, wenn die Nutzung des Grundstücks geändert wird. Rechtsgrund für diese Preisanpassung ist, dass die vorgefundenen Nutzungsrechte am Grundstück auf planwirtschaftlicher Lenkung beruhten und daher an eine bestimmte Nutzungsart gebunden waren (vgl. für genossenschaftlich genutzten Boden § 292 Abs. 1 ZGB-DDR). Eine Veränderung der Nutzungsart war unzulässig. Auch wenn diese Bindungen nicht fortbestehen, so entfällt bei einer Nutzungsänderung der Gebäude der Bezug zu der früher in der DDR begründeten Nutzung. Diese lässt sich dann nicht mehr auf ein in der DDR begründetes Recht zurückführen, so dass kein sachlicher Grund mehr besteht, dem Nutzer die Vorteile aus einer früher erworbenen Rechtsposition zu belassen. Er steht jedem anderen Investor gleich, der seine Betriebsmittel in vollem Umfang zu finanzieren hat. Die der Trennung von Gebäude- und Grundstückseigentum nach altem DDR-Recht zugrunde liegende besondere Interessenlage ist weggefallen, so dass für die Halbierung des Bodenwertes nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 SachenRBerG kein Anlass mehr besteht (vgl. dazu Czub, Sachenrechtsbereinigung, 1994 S. 177 ff. RN. 534, 537, 539).
c) Die Fälle der Nutzungsänderung des Grundstücks werden in § 70 Abs. 1 Satz 2 SachenRBerG im einzelnen umschrieben:
aa) Der Beklagte beruft sich für das Vorliegen einer Nutzungsänderung in erster Linie auf § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG. Danach liegt eine Nutzungsänderung vor, wenn ein Gebäude oder eine bauliche Anlage gewerblichen Zwecken dient und das Gebäude auf den dem gesetzlichen Nutzungsrecht der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft unterliegenden Flächen errichtet und am 30. Juni 1990 land- oder forstwirtschaftlich genutzt wurde. Die Nutzungsänderung des Grundstücks bestimmt sich mithin nach der Nutzung der Gebäude. Es kommt nicht darauf an, ob und wie das Grundstück selbst genutzt worden ist bzw. jetzt genutzt wird.
(1) Das Gebäude muss auf den dem gesetzlichen Nutzungsrecht der LPG unterliegenden Flächen errichtet und am 30. Juni 1990 im weiteren Sinne (vgl. Thöne/Knauber, Boden- und Gebäudeeigentum in den neuen Bundesländern, 2. Aufl. 1995 RN. 760) land- oder forstwirtschaftlich genutzt worden sein. Von einer derartigen Nutzung zum Stichtag ist bei den Stallgebäuden auszugehen.
(2) Eine Nutzungsänderung des Grundstücks tritt dann ein, wenn das Gebäude gewerblichen Zwecken dient. Davon ist auszugehen, wenn das Gebäude als Abstellplatz für Kraftfahrzeuge eines nicht-landwirtschaftlichen Unternehmens verwendet wird, wie dies vorliegend bei der Nutzung der Gebäude in der Zeit vom Oktober 1991 bis Ende 1995 durch die Firma A. der Fall war.
(3) Fraglich ist, ob entsprechend der Ansicht des Beklagten eine in diesem Sinne einmal eingetretene gewerbliche Nutzung auch dann zur Anwendung des § 70 Abs. 1 SachenRBerG führt, wenn die gewerbliche Nutzung inzwischen wieder aufgegeben wurde, oder ob es entsprechend der Ansicht des Klägers allein auf die aktuelle Nutzung des Gebäudes ankommt.
Für die aktuelle Nutzungsart des Gebäudes als maßgebliches Kriterium spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung, der darauf abstellt, ob das Gebäude gewerblichen Zwecken "dient" und nicht lediglich gedient hat. Dies steht auch mit der Systematik des Sachenbereinigungsgesetzes im Einklang, das allgemein für die Bodenwertermittlung auf den Zeitpunkt abstellt, in dem ein Angebot zum Vertragsabschluss abgegeben wird (vgl. § 19 Abs. 1 SachenRBerG), wobei im Bodenordnungsverfahren dem Vertragsangebot die Bekanntgabe des Bodenordnungsplans mit den vorgesehenen Abfindungssummen entspricht (Thöne/Knauber, Boden- und Gebäudeeigentum in den neuen Bundesländern, 2. Aufl. 1995 RN. 260). Sinn und Zweck der Ausnahmebestimmung des § 70 Abs. 1 SachenRBerG sprechen ebenfalls dafür, auf die aktuelle Nutzung der Gebäude abzustellen. Der Erwerber des Grundstücks darf nicht bereits dann mit der nach dem ungeteilten Bodenwert bemessenen Abfindungssumme belastet werden, wenn eine gewerbliche Nutzung nur vorübergehend erfolgt und zwischenzeitlich wieder eingestellt worden ist. Denn in diesem Fall ist die in der DDR begründete landwirtschaftliche Nutzungsart gerade nicht aufgegeben worden und eine Gleichstellung mit einem gewerblichen Investor nicht gerechtfertigt. Die vorübergehende gewerbliche Nutzung diente vielmehr lediglich dazu, das Gebäude in einer Phase der Umstellung optimal auszunutzen. Das gilt in besonderem Maße dann, wenn das Gebäude vor der Veräußerung an einen Landwirt vorübergehend zu gewerblichen Zwecken verpachtet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass es für die Anwendung des § 70 Abs. 1 SachenRBerG auf die aktuelle Nutzung des Gebäudes ankommt (so auch Eickmann/Bischoff SachenRBerG § 70 RN. 10).
Im vorliegenden Fall ist die Ermittlung des Bodenwertes allgemein zeitnah zum Zeitpunkt der Eröffnung des Bodenordnungsplans erfolgt. Es ist daher nur konsequent, wenn auch bei der Berechnung der Abfindungssumme auf die aktuelle Nutzung abgestellt wird. Die Annahme des Beklagten, mit der gewerblichen Nutzung der Gebäude trete eine Wertsteigerung des Grundstücks ein, ist weder zwingend noch entscheidend, solange nicht gewährleistet ist, dass diese Wertsteigerung auch erhalten bleibt, wenn die Gebäude wieder einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden; davon kann aber weder allgemein noch im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Die Gefahr, dass der Gebäudeeigentümer die Nutzung des Gebäudes manipuliert, um eine Minderung des Kaufpreises für das Grundstück zu erreichen, ist gerade im Bodenordnungsverfahren gering zu veranschlagen, weil die Vorbereitung und Bekanntgabe des Bodenordnungsplans in der Hand der Behörde liegt.
(4) Bei Bekanntgabe des Bodenordnungsplans am 23. Oktober 1997 lag keine Nutzungsänderung im Sinne des § 70 Abs. 1 SachenRBerG vor. Seit Oktober 1991 wurden zwar Grundstück und Gebäude durch die Firma A. gepachtet und gewerblich genutzt. Dieser Vertrag wurde aber nach Mitteilung des Klägers zum 31. Dezember 1995 gekündigt. Daher dienten die Gebäude am 23. Oktober 1997 nicht (mehr) gewerblichen Zwecken der Firma A., so dass die Voraussetzungen einer Nutzungsänderung nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG nicht erfüllt sind und der volle Bodenwert nicht zugrundegelegt werden darf.
bb) In Betracht kommt des Weiteren eine Nutzungsänderung nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SachenRBerG, wenn das Gebäude abweichend von der nach dem Inhalt des Nutzungsrechts vorgesehenen oder der am Ablauf des 3. Oktober 1990 ausgeübten Nutzungsart genutzt wird. Dabei sind lediglich wesentliche Änderungen der landwirtschaftlichen Nutzung relevant (Eickmann/Bischoff a.a.O. § 70 RN. 11). Nach Erwerb der Gebäude beabsichtigte der Kläger, der selbst Landwirt ist, diese zu Geflügelställen umzubauen und im Rahmen seiner Land- und Forstwirtschaft zu nutzen. Die Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens ergibt sich daraus, dass der Kläger eine entsprechende Nutzungsänderung der Gebäude bei der zuständigen Baubehörde beantragt hat, auch wenn über diesen Antrag noch nicht abschließend entschieden ist. Im übrigen hat der Kläger die Gebäude zum maßgeblichen Zeitpunkt als Strohlager und Abstellplatz für landwirtschaftliche Maschinen und damit landwirtschaftlich genutzt. Dass diese Nutzung, wie die Beigeladenen geltend machen, möglicherweise nur "gelegentlich" erfolgt, ändert an ihrer landwirtschaftlichen Prägung nichts und erfordert daher keine weitere Aufklärung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SachenRBerG sind nicht erfüllt. Damit entfällt eine Bemessung des Kaufpreises nach dem ungeteilten Bodenwert infolge Nutzungsänderung nach § 70 Abs. 1 SachenRBerG.
cc) Eine Bemessung des Kaufpreises nach dem ungeteilten Bodenwert nach § 70 Abs. 4 i.V.m. § 29 Abs. 3 SachenRBerG kommt deshalb nicht in Betracht, weil die Gebäude noch nutzbar waren (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 SachenRBerG).
Entfällt die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 70 SachenRBerG, ist gemäß § 68 SachenRBerG für die Abfindungssumme grundsätzlich die Hälfte des Bodenwertes zugrunde zu legen. Eine Preisanhebung wegen kurzer Restnutzungsdauer des Gebäudes nach Maßgabe des § 69 SachenRBerG scheidet im vorliegenden Fall aus, weil die Beigeladenen trotz Hinweises in der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Antrag gestellt haben. Eine Abweichung vom halben Bodenwert als Bemessungsgrundlage ist auch nicht aus anderen Gesichtspunkten geboten. Unter diesen Umständen erweist sich die Anfechtungsklage gegen den Bodenordnungsplan insoweit als begründet, als dieser für die vom Kläger an die Beigeladenen zu zahlende Abfindungssumme den vollen Bodenwert von 6,30 DM/qm zugrunde legt. Der Senat macht von der ihm nach § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 144 Satz 1 1. Alt. FlurbG eröffneten Befugnis Gebrauch, den Bodenordnungsplan dahin abzuändern, dass der Kläger an die Beigeladenen lediglich eine Abfindungssumme berechnet nach dem halben Bodenwert von 3,15 DM/qm zu zahlen hat.Anmerkung
Zur "Nutzungsänderung" siehe auch RzF - 25 - zu § 64 LwAnpG.