Flurbereinigungsgericht Mannheim, Beschluss vom 15.11.2018 - 7 S 2342/18 (Lieferung 2020)
Aktenzeichen | 7 S 2342/18 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 15.11.2018 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Mannheim | Veröffentlichungen | Lieferung | 2020 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Das Begründungserfordernis zum Sofortvollzug dient dazu, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Dem Betroffenen sollen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Außerdem soll die Begründung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Sofortvollzugsanordnung sein. (Redaktioneller Leitsatz) |
2. | Der Einzelfallbezogenheit der Begründung steht nicht entgegen, dass die gegebene Begründung jeder Flurbereinigung immanent ist. Denn wenn spezielle Fallgruppen (hier: vorläufige Besitzeinweisungen) eine typischerweise übereinstimmende Interessenlage aufweisen, können auch typisierende Argumentationsmuster Verwendung finden bilden. (Redaktioneller Leitsatz) |
3. | Es ist kein erheblicher Mangel der Besitzeinweisung, wenn im Zeitpunkt der Bekanntmachung der Besitzeinweisung nicht auch die Überleitungsbestimmungen bekanntgemacht sind. (Redaktioneller Leitsatz) |
Aus den Gründen
1.
Die Antragstellerin begehrt die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen den Sofortvollzug der mit Bescheid des Landratsamts G. (Landratsamt) vom 1.10.2018 angeordneten vorläufigen Besitzeinweisung für das Gebiet der Flurbereinigung "D. (Nordumfahrung)".
...
II.
Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Landratsamt hat den nicht kraft Gesetzes bestehenden Sofortvollzug der vorläufigen Besitzeinweisung sowie der hierzu getroffenen Überleitungsbestimmungen i. S. des § 80 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO formell ordnungsgemäß angeordnet (1.). Auch liegt ein nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für diese Anordnung erforderlicher Dringlichkeitsgrund vor (2.). Schließlich ergibt die auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung, dass das Teilnehmerinteresse am Sofortvollzug der im Widerspruchsverfahren angegriffenen Bescheide das gegenläufige Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt (3.).
1. Das formelle Begründungserfordernis § 80 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO dient dazu, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Dem Betroffenen sollen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Außerdem soll die Begründung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Sofortvollzugsanordnung bilden. Aus ihr muss hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden öffentlichen oder im Interesse eines Beteiligten liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden vorläufigen Rechtsschutz einstweilen zurückzustellen. Ob und inwieweit die von der Behörde dargelegten Gründe inhaltlich zutreffen, ist dagegen für die Einhaltung des Begründungserfordernisses nicht von Bedeutung. Auch einer Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Interessen der Antragstellerin bedarf es im Rahmen der Begründung der Sofortvollzugsanordnung nicht. Diese Abwägung ist der gerichtlichen Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vorbehalten (vgl. VGH Baden-Württ., Beschl. v. 25.9.2012 - 10 S 731/12 - DVBI. 2012, 1506, m. w. N.).
Nach diesem rechtlichen Maßstab ist die schriftliche Begründung der Sofortvollzugsanordnung bezüglich der vorläufigen Besitzeinweisung sowie der hierzu getroffenen Überleitungsbestimmungen nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat insoweit auf erhebliche Nachteile infolge eines längeren Aufschubs des Besitzübergangs für einen großen Teil der Beteiligten und für die Teilnehmergemeinschaft abgestellt. Hierzu hat es einerseits auf eine unwirtschaftliche Durchschneidung bzw. Inanspruchnahme vieler in die Flurbereinigung eingebrachter Grundstücke durch die Herstellung der K xxxx sowie von Wegen und Wassergräben im Flurbereinigungsgebiet abgehoben und andererseits auf einen durch Verzögerungen drohenden Zeitverlust von mindestens einem Jahr verwiesen, da der Besitzübergang wirtschaftlich sinnvoll nur im Herbst stattfinden könne.
Der Einwand der Antragstellerin, die gegebene Begründung sei jeder Flurbereinigung immanent, steht der Einzelfallbezogenheit nicht entgegen. Denn wenn spezielle Fallgruppen (hier: vorläufige Besitzeinweisungen in Flurbereinigungsverfahren) eine typischerweise übereinstimmende Interessenlage aufweisen, können auch typisierende Argumentationsmuster Verwendung finden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.7.2015 - 8 S 534/15 - juris, m. w. N.). Auch begegnet es angesichts des einer vorläufigen Besitzeinweisung immanenten besonderen Vollzugsinteresses keinen Bedenken, dass hier die Gründe für die vorläufige Besitzeinweisung nebst Überleitungsbestimmungen und die angeführten Dringlichkeitsgründe für die Anordnung des Sofortvollzuges dieser Grundverfügungen im Wesentlichen übereinstimmen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 24.6.2014 - 13 AS 14.717 - juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.2.2009 - 15 MF 06/09 - = RzF - 67 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG; Beschl. v. 26.8.2008 - 15 MF 15/08 - = RzF - 40 - zu § 65 FlurbG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass an die zusätzliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Falle einer vorläufigen Besitzeinweisung ohnehin keine übermäßig strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.10.1980 - 2 BvR 1068/80 - = RzF - 20 - zu § 65 FlurbG) und sich die Begründung nicht mit jedem einzelnen Einlageflurstück gesondert auseinandersetzen muss (vgl. auch hierzu Bayerischer VGH, Beschl. v. 24.6.2014, a. a. O.).
2. In materiell-rechtlicher Hinsicht geht der im Rahmen der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen - an der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des streitigen Verwaltungsakts orientierten - Abwägung der widerstreitenden Interessen (vgl. hierzu die Ausführungen unter 3.) die Prüfung voraus, ob überhaupt ein besonderes Interesse am Sofortvollzug gegeben ist. Ein solches Dringlichkeitsinteresse liegt hier vor.
Dies ergibt sich mit Blick auf die allein umstrittene vorläufige Besitzeinweisung nebst Überleitungsbestimmungen betreffend das Altgrundstück Flst.Nr. xxxxx hinreichend deutlich aus dem Wege- und Gewässerplan mit landschaftspflegerischem Begleitplan in der Fassung vom 13.6.2018, dessen alsbaldige Umsetzung auch im hier fraglichen Bereich im besonderen Teilnehmerinteresse liegt.
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Schließlich steht auch die Dauer des Flurbereinigungsverfahrens der Annahme eines nunmehr vorliegenden Dringlichkeitsgrundes nicht entgegen (vgl. zur Anordnung des Sofortvollzuges erst Jahre nach Erlass eines Verwaltungsakts W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, RdNr. 96 zu § 80).
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aa) Das Landratsamt hat die im Widerspruchsverfahren angegriffenen Bescheide und deren Auslegung bei der Gemeindeverwaltung D. am 5.10.2018 öffentlich bekannt gemacht (§ 65 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs., Abs. 2 Satz 3 FlurbG i. V. mit § 62 Abs. 3 Satz 3 FlurbG). Auch ist die Auslegung der vorläufigen Besitzeinweisung ab dem öffentlich bekannt gemachten Zeitpunkt erfolgt (§ 65 Abs. 2 Satz 3 i. V. mit § 62 Abs. 3 Satz 2 FlurbG). Soweit die Überleitungsbestimmungen nicht bereits am 5.10.2018 bei der Gemeindeverwaltung auslagen, ist damit kein hier erheblicher Mangel verbunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1982 - 5 C 46.81 -, RdL 1983, 69 <= RzF - 3 - zu § 6 Abs. 2 FlurbG>). Denn dem gesetzlich bezweckten Informationsbedürfnis des jeweiligen Teilnehmers ist schon dann entsprochen, wenn ihm von Seiten der Flurbereinigungsbehörde die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den Überleitungsbestimmungen verschafft wurde (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.11.1993 - 15 M 4469/93 - = RzF - 1 - zu § 62 Abs. 3 FlurbG). Davon ist hier auch deshalb auszugehen, weil die Antragstellerin die Überleitungsbestimmungen am 13.10.2018 als Anlage ihrer Antragsschrift vorgelegt hat.
bb) Für ein Unternehmensflurbereinigungsverfahren - wie hier - knüpft § 87 Abs. 2 Satz FlurbG die vorläufige Besitzeinweisung ferner an die Voraussetzung, dass die Planfeststellung für das Unternehmen oder der entsprechende Verwaltungsakt unanfechtbar geworden oder für vollziehbar erklärt worden ist. Ist Grundlage des - wie vorliegend auf Antrag der Gemeinde mit Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde und nach Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch die Enteignungsbehörde eingeleiteten (Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, RdNr. 17 zu § 87) - Flurbereinigungsverfahrens ein Bebauungsplan (§ 190 BauGB i. V. mit § 87 FlurbG), so muss dieser vor einer vorläufigen Besitzeinweisung in Kraft getreten sein (vgl. auch hierzu Wingerter/Mayr, a. a. 0., RdNr. 23). Bedenken hiergegen bestehen nicht.