Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 22.07.2008 - 7 S 1428/06 (Lieferung 2009)

Aktenzeichen 7 S 1428/06 Entscheidung Urteil Datum 22.07.2008
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen Lieferung 2009

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine Selbstbindung der Verwaltung durch Ausschreibungsbedingungen bei der Vergabe von Masseland kommt nur dann in Betracht, wenn die Ausschreibungsbedingungen ihrerseits als vorweggenommener Teil der Ermessensausübung im Einzelfall rechtmäßig sind.

Aus den Gründen

Der Kläger wendet sich gegen eine vom Landratsamt H. <Anm. d. Redaktion: als untere Flurbereinigungsbehörde> getroffene Vergabeentscheidung iSv. § 54 Abs. 2 FlurbG.


Die zulässige Klage ist nicht begründet. ...


I. Rechtsgrundlage für die Zuteilung von sogenanntem Masseland ist § 54 Abs. 2 Satz 1 FlurbG. Danach ist das infolge von Geldabfindungen und nach § 46 FlurbG zur Abfindung der Teilnehmer nicht benötigte Land in einer dem Zweck der Flurbereinigung entsprechenden Weise oder für Siedlungszwecke zu verwenden. Das bedeutet, dass das übrig gebliebene Land nach pflichtgemäßem Ermessen an interessierte Bewerber so zu verteilen ist, dass die Zuteilung den in § 1 und § 37 Abs. 1 FlurbG umschriebenen Zielsetzungen entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.9.1978 - V B 7.76 -, Buchholz 424.01 § 54 FlurbG Nr. 2).


Dem entsprechen die angefochtenen Verfügungen. Insbesondere war das Landratsamt H. als untere Flurbereinigungsbehörde zuständig für die Verteilung der Massegrundstücke (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 1.4.1970 - 3 C 75/69 - <= RzF - 4 - zu § 18 Abs. 1 FlurbG>).


Es gibt auch keinen Anhaltspunkt für materielle Rechtsmängel. Die Zuteilung der streitigen Grundstücke an die Beigeladenen entspricht den in § 1 und § 37 Abs. 1 FlurbG umschriebenen Zielsetzungen. In diesem Sinne soll die Vergabe von Masseland zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie zur Förderung der allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung beitragen (vgl. § 1 FlurbG). Zu den agrarstrukturellen Zielen des Flurbereinigungsgesetzes heißt es in § 37 Abs. 1 FlurbG u. a., dass zersplitterter oder unwirtschaftlich geformter Grundbesitz nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammenzulegen und nach Lage, Form und Größe zweckmäßig zu gestalten ist. Außerdem sind alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, durch welche die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert werden.


Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechen die Vergabeentscheidungen zugunsten der Beigeladenen. Insbesondere gibt es keinen Anhaltspunkt für einen der gerichtlichen Beanstandung zugänglichen Ermessensfehler. Das Landratsamt hat bei den angefochtenen Vergabeentscheidungen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens weder überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist dabei auf die Ermessenserwägungen abzustellen, wie sie im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 16.5.2006 wiedergegeben sind (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.9.1993 - 14 S 1946/93 -, NVwZ-RR 1994, 363). Das Regierungspräsidium hat der Abrundung der von den Beigeladenen bewirtschafteten Flächen gegenüber dem Interesse des Klägers am Erhalt getrennt liegender Grundstücke den Vorrang eingeräumt. Das ist nicht zu beanstanden. Durch die Zusammenlegung wird betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen und der vorhandene Grundbesitz zweckmäßig gestaltet. Die Bewirtschaftung der Flächen wird erleichtert, was zu einem verminderten Arbeitsaufwand und insgesamt zu einer Verbesserung der Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe der Beigeladenen führt. Demgegenüber schlagen die Zweifel des Klägers daran, dass es sich bei den Beigeladenen um Landwirte handelt, die auf die Grundstücke und die Einkünfte aus ihrem landwirtschaftlichen Betrieb angewiesen seien, nicht durch. Denn auf daraus möglicherweise resultierende Unterschiede zwischen dem Kläger und den Beigeladenen hat das Regierungspräsidium nicht entscheidend abgestellt: Es hat vielmehr zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass es sich bei allen Betriebsinhabern und auch bei ihm, dem Kläger, um Nebenerwerbslandwirte handelt und ist damit auch bei ihm nicht von einem reinen Hobby, sondern von der den landwirtschaftlichen Obstbau kennzeichnenden Erwerbsmäßigkeit (vgl. § 201 BauGB) ausgegangen. Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt aus betrachtet ergeben sich aber keine Gesichtspunkte, die zwingend zu einer Zuteilung der Grundstücke an den Kläger führen müssten: Nach den von ihm vorgetragenen Zielen sollen die Grundstücke im wesentlichen als - räumlich getrennte - Standplätze für seine Bienenvölker dienen und um eine Feldscheune zu errichten. Dies mag zumindest funktional eine sinnvolle Ergänzung seiner bereits vorhandenen Betriebsflächen sein und auch eine Verbesserung der Grundlage seines Wirtschaftsbetriebs darstellen, ebenso mögen Aspekte der Landschaftspflege positiv betroffen sein; ob daneben auch der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert wird, erscheint offen. Der Kläger hat allerdings innerhalb der Angebotsfrist unstreitig das höchste Angebot abgegeben. Dagegen steht, dass alle Vergabegrundstücke neben Grundstücken liegen, die entweder den Beigeladenen gehören oder von diesen bewirtschaftet werden. Im Fall der Beigeladenen zu 1 wird sogar das streitige Grundstück selbst seit 40 Jahren von ihnen bewirtschaftet. Die streitigen Flächen führen daher zu einer Abrundung der vorhandenen Grundstücksflächen, einer nach Lage und Größe zweckmäßigen Gestaltung, verbessern die Grundlage der Wirtschaftsbetriebe und vermindern den Arbeitsaufwand bzw. erleichtern die Bewirtschaftung. Die Zuteilung der Massegrundstücke entspricht daher den agrarstrukturellen Zielen des Flurbereinigungsgesetzes.


Die Ermessensentscheidungen sind auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Flurbereinigungsbehörden ohne rechtfertigenden Grund von selbstgewählten ermessensbindenden Maßgaben abgewichen wären. Als solche Maßgaben kommen vorliegend die öffentlich bekannt gemachten Vergabebedingungen in Betracht. Die Flurbereinigungsbehörde ist im Rahmen ihrer gesetzlichen Ermächtigung nach § 54 Absatz 2 Satz 1 FlurbG befugt, für die jeweilige Flurbereinigung allgemeine Bestimmungen über das Antrags- und Auswahlverfahren bei der Landvergabe zu treffen, um dadurch das Restmasseland in angemessener Zeit unter Abwägung der für die Landvergabe maßgeblichen Umstände einer zweckmäßigen Verwendung zuführen zu können. Das von der Behörde verfügte Verfahren kann sich in der Aufforderung an interessierte Landbewerber, Angebote abzugeben, und in der Festsetzung einer Angebotsfrist erschöpfen. Es kann aber darüber hinaus - wie im vorliegenden Fall - auch darin bestehen, dass bereits mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe Festsetzungen getroffen werden, die mit der - zukünftigen - konkreten Ermessensentscheidung der Behörde unmittelbar in sachlichem Zusammenhang stehen (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 4.6.1980 - 9 C 3/79 -, RdL 1980, 293 <= RzF - 18 - zu § 54 Abs. 2 FlurbG>). Bei der Ausübung des Ermessens im Einzelfall ist dann die Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen im Sinne einer behördlichen Selbstbindung zu beachten (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, a.a.O.).


Eine solche Selbstbindung kommt aber nur dann in Betracht, wenn die Ausschreibungsbedingungen ihrerseits als vorweggenommener Teil der Ermessensausübung im Einzelfall rechtmäßig sind. Insoweit bestehen vorliegend zwar nicht schon deshalb Bedenken, weil über die Ausschreibungsbedingungen vom Vorstand der Teilnehmergemeinschaft diskutiert und abgestimmt worden ist. Das ändert nämlich nichts daran, dass letztlich das zuständige Landratsamt den Ausschreibungstext formuliert und bekannt gemacht hat. Dass es sich dabei im wesentlichen an der Willensäußerung des Vorstands der Teilnehmergemeinschaft orientiert hat, ist für sich genommen unschädlich. Nicht zulässig wäre es jedoch, wenn in der Ausschreibung das Höchstgebot als das allein entscheidende Kriterium herausgestellt worden wäre. Eine Zuteilung nach der Höhe des Geldangebots ist zwar nicht von vorneherein unzulässig; sie setzt aber gleichgelagerte Verhältnisse - was die Zwecke des Flurbereinigungsverfahrens betrifft - bei den betreffenden Teilnehmern voraus (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.6.1985 - 7 S 3005/84 - RdL 1986, 12 = AgrarR 1986, 268; Bay.VGH, Urteil vom 7.5.2002 - 13 A 99.3722 -, RdL 2003, 266 = AUR 2003, 285 <= RzF - 28 - zu § 54 Abs. 2 FlurbG> ). Daher dürfte die Vergabe allein nach der Höhe des Angebots ohne Rücksicht auf die sonstigen - agrarstrukturellen - Verhältnisse unzulässig sein, da es nicht in erster Linie auf die Erzielung eines möglichst hohen Preises, sondern vielmehr auf die Erreichung agrarstruktureller Zielsetzungen ankommt (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 4.6.1980 a.a.O.; s. a. Urteil vom 31.8.1961 - 3 C 21/61 - RdL 1962, 216 <= RzF - 1 - zu § 54 Abs. 2 FlurbG> ). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich auch das Landratsamt dieser Maßgabe bewusst war, als es die Vergabebedingungen formulierte, denn Nebenlieger wurden besonders zur Abgabe eines Angebots aufgefordert und es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Vergabe unter Beachtung der Zwecke der Flurbereinigung erfolgen sollte. Gleichwohl ist nachvollziehbar, dass der Kläger als unvoreingenommener Leser des Ausschreibungstextes die Höhe des abgegebenen Gebots als - ähnlich einer Versteigerung - entscheidendes Kriterium im Vordergrund gesehen hat. Mit einem solchen Inhalt würde der Ausschreibungstext jedoch gegen die genannte gesetzliche Vorgabe des § 54 Abs. 2 FlurbG verstoßen. Die Flurbereinigungsbehörde kann aber bei der Ausübung ihres Ermessens, die sich wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung an Recht und Gesetz zu orientieren hat, nicht an Vergabebedingungen gebunden sein, die ihrerseits gegen das Gesetz verstoßen und daher rechtswidrig sind.


All dies schließt nicht aus, dass die streitigen Grundstücke hätten ermessensfehlerfrei auch dem Kläger zugeteilt werden können. Dies wäre insbesondere im Hinblick darauf nicht fernliegend gewesen, dass das Interesse des Klägers im Zusammenhang mit der Bienenhaltung eine Zuteilung gesondert liegender Grundstücke gerechtfertigt hätte. Dementsprechend ist das Regierungspräsidium im Widerspruchsbescheid auch nicht davon ausgegangen, dass eine Zuteilung an den Kläger den agrarstrukturellen Zielsetzungen des Flurbereinigungsgesetzes widersprechen würde; es hat lediglich angenommen, dass der agrarstrukturellen Zielsetzung durch die Zuteilung an die Beigeladenen besser entsprochen werde als durch die Zuteilung an den Kläger. Dem braucht der Senat jedoch nicht weiter nachzugehen, denn bei der Überprüfung der vom Landratsamt getroffenen Entscheidungen ist der Senat - wie ausgeführt - an § 114 Satz 1 VwGO gebunden. Es gehört zum Wesen behördlicher Ermessensentscheidungen, dass in zahlreichen Fällen bei einem gegebenen Tatbestand als Rechtsfolge mehrere unterschiedliche Entscheidungen in Betracht kommen, die jeweils für sich genommen gerichtlich nicht zu beanstanden sind.


Der Senat ist auch nicht ausnahmsweise befugt, den Ermessenserwägungen der Flurbereinigungsbehörden eigene abweichende Ermessenserwägungen entgegenzustellen. Zwar hat gemäß § 146 Nr. 2 FlurbG das Flurbereinigungsgericht auch zu prüfen, ob die Flurbereinigungsbehörden in zweckmäßiger Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht haben. Jedoch gilt dies auch im Fall des § 59 Abs. 2 FlurbG nur dann, wenn der Flurbereinigungsplan - in dem bzw. in dessen Nachtrag die Masselandzuteilung letztlich erfolgt - rechtswidrig ist und es gilt, eine Zurückverweisung an die Flurbereinigungsbehörde zu vermeiden (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 4.6.1980 a.a.O.; Seehusen/Schwede, FlurbG, Kommentar, 7. Aufl., § 54 Rn. 16). So verhält es sich vorliegend aber - wie ausgeführt - nicht.


Vertrauensschutzgesichtspunkte spielen im vorliegenden Fall keine Rolle, da dem Kläger nicht - wie beispielsweise in § 48 Abs. 2 L VwVfG vorausgesetzt - eine Rechtsposition entzogen worden ist. Der Kläger konnte zu keinem Zeitpunkt des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens darauf vertrauen, dass ihm die Grundstücke endgültig zugeteilt worden sind. Es ist auch nicht erkennbar, dass er im Vertrauen auf die endgültige Zuteilung bereits Dispositionen getroffen hat.