Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 12.09.2005 - 13 A 04.890 = VGH n. F. 58, 239= RdL 2006, 101 (Lieferung 2007)

Aktenzeichen 13 A 04.890 Entscheidung Urteil Datum 12.09.2005
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen VGH n. F. 58, 239 = RdL 2006, 101  Lieferung 2007

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Ein Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren hat einen Anspruch darauf, dass ein dem bisher ausgeübten landwirtschaftlichen Betrieb adäquater Aussiedlungsstandort ausgewiesen wird, wenn er ein entsprechend geeignetes Flurstück eingelegt hat. Die Wahrung der Aussiedlungsmöglichkeit ist auch dann zu beachten, wenn die geplante (Teil-) Aussiedlung noch nicht in allen Punkten geklärt ist.

Aus den Gründen

Die Klage ist zulässig und begründet, weil die beklagte Teilnehmergemeinschaft in Ausübung des ihr im Flurbereinigungsgesetz eingeräumten planerischen Gestaltungsermessens die bei der Abfindung eines Teilnehmers zu beachtenden gesetzlichen Grundsätze bei der klägerischen Abfindung nicht ausreichend berücksichtigt hat (§§ 113, 114 VwGO, §§ § 144, § 146 Nr. 2 FlurbG).


Der für jede Landabfindung zwingend vorgeschriebene Gestaltungsgrundsatz, den Teilnehmer für seine in die Flurbereinigung eingebrachten Grundstücke unter Berücksichtigung der nach § 47 FlurbG vorgenommenen Abzüge mit Land von gleichem Wert abzufinden (§ 44 Abs. 1 FlurbG), ist zwar rechnerisch beachtet, wie sich aus der Gegenüberstellung von Einlage und Abfindung ergibt:


. . .


Neben dieser rechnerischen Wertgleichheit (Summe der Wertverhältniszahlen) sind aber auch die in § 44 Abs. 2 und 4 FlurbG aufgeführten gleichwertigkeitsbestimmenden Umstände und Faktoren zu beachten (BVerwG vom 10.5.1990 BVerwGE 85, 129/131 <= RzF - 90 - zu § 44 Abs. 2 FlurbG>). Im vorliegenden Fall widerspricht die Gestaltung der Abfindung dem Gebot, alle Umstände zu berücksichtigen, die u.a. auf die Benutzung und die Verwertung der Grundstücke wesentlichen Einfluss haben (§ 44 Abs. 2 Alt. 2 FlurbG).


Die Kläger hatten unstreitig ein nach Größe und Beschaffenheit für eine Betriebsaussiedlung geeignetes Flurstück in das Verfahren eingebracht (Einlageflurstück 507 in Gewanne 1012 mit Größe von 105 m x 260 m), haben aber insoweit keine adäquate Abfindung erhalten. Das 3,4276 ha große Abfindungsflurstück 971/1 ist aus mehreren Gründen für die Errichtung von nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen konzipierten und entwicklungsfähigen Stallungen ungeeignet. Das nördliche, zum Teil nur ca. 65 m breite Drittel des Abfindungsflurstücks 971/1 wäre als Teilaussiedlungsstandort für den Betriebszweig Milchviehhaltung zu schmal. Zur Errichtung eines Stalles für 60 bis 80 Kühe, eines Fahrsilos, einer Maschinen- und Lagerhalle sowie einer Güllegrube wäre gemäß der gutachtlichen Stellungnahme des Amts für Landwirtschaft und Ernährung W. vom 22. November 2000 unter angemessener Berücksichtigung von Abstell-, Rangier- und Erweiterungsflächen ein Standort von ca. 100 m Breite optimal; die tatsächlich gegebene Grundstücksbreite entspreche nicht den Kriterien, die an einen entwicklungsfähigen Aussiedlungsstandort zu stellen seien. Die Feststellungen des sachverständig besetzten Gerichts (vgl. BVerwG vom 17.7.1973 AgrarR 1974, 53 <= RzF - 7 - zu § 27 FlurbG>) anlässlich des Augenscheins vom 12. September 2005 tragen dieses Ergebnis.


Ein Standort im südlichen, ca. 80 m breiten Drittel des Abfindungsflurstücks 971/1 wäre nach (realistischer) Einschätzung der Landwirtschaftsverwaltung im Fachstellen-Ortstermin vom 11. Februar 2003 zwar beengt, aber von der Ausdehnung her noch geeignet. Dieser Grundstücksbereich ist allerdings wegen der eingeschränkten Tragfähigkeit des Baugrundes für eine Bebauung nicht ohne weiteres geeignet (s. Art. 13 BayBO). Gemäß dem eingehenden und einleuchtenden privaten Sachverständigengutachten des Baugrundinstituts K. Consult in K. vom 17. Dezember 2004 ist in einem mindestens 40 m x 40 m großen Teilbereich entlang der östlichen Grundstücksgrenze eine flächenhafte, heterogen ausgebildete Auffüllung vorhanden, die auf ein nach dem ersten Weltkrieg abgerissenes Gehöft zurückzuführen sein dürfte. Von einer Bauwerksgründung innerhalb der Auffüllungen sei abzuraten. Es empfehle sich, unter den Fundamenten der tragenden Teile einen vollständigen Bodenaustausch bis auf die quartären Kiese vorzunehmen oder die Fundamente über Magerbetonpfeiler direkt innerhalb der tragfähigen Kiese zu gründen. Der Bodenaustausch sollte vorzugsweise mit gut abgestuftem Kiessand in Lagen von mehr als 30 cm Dicke auf zumindest mitteldichter Lagerung erfolgen. Unterhalb der Bodenplatte des Gebäudes empfehle sich ein Bodenaustausch von mindestens 0,5 m Dicke. Zusätzlich sollte zwischen der Austauschschicht und dem anstehenden Untergrund ein zugfähiges Geotextil eingebaut werden. Gemäß dem von den Klägern eingeholten Kostenvoranschlag des Ingenieurbüros L. in Donauwörth vom 11. April 2005 würde ein Bodenaustausch bis in etwa 2,7 m Tiefe ca. 126.000 Euro kosten, was nach den Erfahrungen des Gerichts realistisch erscheint, zumal sich schon der frühere Kostenvoranschlag desselben Ingenieurbüros vom 11. November 2003 für einen Bodenaustausch bis in 0,8 m Tiefe auf ca. 40.000 Euro belief. Gemäß den Erkenntnissen, die das fachmännisch zusammengesetzte Gericht durch den Augenschein vor Ort gewonnen hat, ließe sich die Auffüllungsfläche nicht etwa durch geschickte Platzierung der Gebäude aussparen. Da der kritische Bereich ungefähr bis zur Grundstücksmitte reicht, verbliebe für eine entsprechend angepasste Gebäudekonstellation kein ausreichender Spielraum. Wie der Vorstandsvorsitzende in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wäre die Beklagte außer Stande, den erforderlichen Bodenaustausch in einem erheblichen Umfang zu finanzieren, so dass sich das Abfindungsdefizit nicht durch nachträgliche Verbesserungsmaßnahmen seitens der Beklagten beheben ließe. Es wäre dem Kläger auch nicht zumutbar, den geplanten Milchviehlaufstall im mittleren Drittel des Abfindungsflurstücks 971/1 zu platzieren. In diesem Fall würde das Flurstück zerstückelt werden, so dass es wegen der dann zu kurzen Schlaglängen zu einem unwirtschaftlich geformten Grundbesitz käme (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). In jedem Fall müssten zur Gewährleistung der Standsicherheit landwirtschaftlicher Gebäude hohe Kosten aufgewendet werden. Damit fehlt es derzeit an einem zur (Teil-)Aussiedlung geeigneten Grundstück.


Die Möglichkeit der Teilaussiedlung, die vor der Flurbereinigung durch das ca. 105 m breite Einlageflurstück 507 gegeben war, bildete für den von den Klägern ausgeübten landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb, der in Person des Sohnes als künftiger Betriebsinhaber und Hoferbe auf Generationen angelegt ist, ein wertbildendes Merkmal. Die beabsichtigte Betriebsentwicklung hatten die Kläger dadurch hinreichend dokumentiert, dass sie bereits Ende 1998 einen Antrag auf Förderung einer Betriebszweigaussiedlung (Milchviehstall mit Nebenanlagen) beim zuständigen Amt für Landwirtschaft und Ernährung stellten und den Aussiedlungswunsch unstreitig schon vor dem sog. Wunschtermin gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Teilnehmergemeinschaft äußerten. Dass dieser Wunsch nicht nur als vage Option gemeint war, ergibt sich vor allem daraus, dass die beengte Hofstelle der Kläger bis in den letzten Winkel für die Rinderhaltung ausgenutzt wird und eine Erweiterung des Viehbestandes dort ausgeschlossen ist. Die Tatsache, dass die Teilaussiedlung noch nicht in allen Punkten wie z.B. genaue Tierzahl, Finanzierung, Milchkontingent und Standort geklärt ist, steht hier der Annahme, dass die Möglichkeit der Teilaussiedlung ein wertbildendes Merkmal des dafür geeigneten Flurstücks bildet, nicht entgegen. Soweit in der höchstrichterlichen und der obergerichtlichen Rechtsprechung darauf abgestellt wird, dass der Belang der künftigen Betriebsentwicklung in die Abwägung nach § 44 Abs. 2 Alt. 1 FlurbG einzustellen und angemessen zu würdigen ist, wenn für den neuen Standort hinreichend konkrete Pläne vorliegen und das Projekt auch betriebswirtschaftlich und baurechtlich realistisch erscheint (BVerwG vom 28.1.1960 RdL 1960, 190 <= RzF - 6 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG> und vom 16.5.2000 Az. 11 B 50.997; BayVGH vom 26.3.2001 = RzF - 98 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG; OVG RhPf vom 16.2.2005 RdL 2005, 151), betrifft dies diejenigen Fallkonstellationen, in denen die Teilnehmer kein entsprechend geeignetes Flurstück in das Flurbereinigungsverfahren eingebracht haben und die Aussiedlungsmöglichkeit erst durch ziel- und zweckgerichtete Zusammenlegung geschaffen werden soll. Da die Schaffung einer Aussiedlungsmöglichkeit voraussetzt, dass der Standortfrage bei der Planaufstellung und -ausarbeitung Priorität eingeräumt wird, müsste dem Belang der angemessenen Betriebsentwicklung ein besonderes Gewicht beikommen. Folglich ist dieser Belang nur dann vorrangig berücksichtigungsfähig, wenn das Aussiedlungsprojekt wahrscheinlich realisiert werden könnte.


Im vorliegenden Fall hingegen geht es nicht um die Schaffung, sondern um die Wahrung einer Aussiedlungsmöglichkeit. Ohne das Flurbereinigungsverfahren hätten die Kläger mit dem Einlageflurstück 507 einen von den Grundstücks- und Bodenverhältnissen her geeigneten Standort für ihr Projekt gehabt. Dieser schutzwürdige Standortvorteil als Wertfaktor muss den Klägern bei der Landabfindung wieder eingeräumt werden. Zwar kann niemand verlangen, mit einem bestimmten Grundstück oder mit einem Grundstück in bestimmter Lage abgefunden zu werden (Schwantag in: Seehusen/Schwede, Flurbereinigungsgesetz, 7. Aufl. 1997, RdNr. 40 zu § 44 m.w.N.). Hier aber besteht ein Anspruch darauf, dass ein dem bisher ausgeübten landwirtschaftlichen Betrieb adäquater Aussiedlungsstandort in angemessener Größe, Beschaffenheit und Lage ausgewiesen wird (ebenso: OVG RhPf vom 15.2.1968 RdL 1968, 165 <= RzF - 23 - zu § 44 Abs. 2 FlurbG>). Der von den Klägern im sog. Wunschtermin nach § 57 FlurbG am 22. November 1999 geäußerte Abfindungswunsch steht dem Anspruch auf wertgleiche Abfindung nicht entgegen. Zwar haben die Kläger in diesem Termin den Wunsch geäußert, eine zusammenhängende Abfindung von 3,5 ha mit ca. 80.000 WVZ zu erhalten, wobei sie zur Lokalisierung die Gewanne 1017 westlicher Teil, die Gewanne 1011 Ost oder die Gewanne 1012 alte Lage angaben; ein Verzicht auf einen geeigneten Teilaussiedlungsstandort ist in dieser Erklärung aber nicht enthalten. Abgesehen davon, dass sich der Abfindungswunsch nicht auf die Gewanne 1011 (Abfindungsflurstück 971/1) beschränkte, ist die Wunschangabe ohnehin nur eine Anregung für die weitere Durchführung des Verfahrens, nicht aber eine mit zwingenden Rechtsfolgen verbundene Zustimmung zu einer bestimmten Lösung der Abfindungsfrage (BVerwG vom 3.2.1960 RdL 1960, 189 <= RzF - 5 - zu § 44 Abs. 4 FlurbG>). Aus diesem Grunde kann es dahingestellt bleiben, ob die Kläger ihren Abfindungswunsch bezüglich Flurstück 971/1 bereits am 22. November 1999 widerriefen oder, wie aus der Verhandlungsniederschrift vom 5. Juni 2000 hervorgeht, erst ein halbes Jahr später.


Die konkrete Lokalisierung des potentiellen Teilaussiedlungsstandorts liegt dabei im Planungsermessen der Beklagten. Der Belang des Aussiedlungsstandorts könnte nur dann hintangestellt werden, wenn eine Betriebserweiterung unwahrscheinlich wäre, sei es, dass der bisherige Betriebsinhaber hieran kein Interesse bekundete, sei es, dass er nicht über die finanziellen Mittel für einen Ausbau des Hofes, den Erwerb zusätzlicher Milchkontingente oder für die Zupacht von Gülleflächen verfügte. Diese Einschränkungen kommen im vorliegenden Fall aber nicht zum Tragen.