Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 12.03.2009 - 13 A 08.2738 = RdL 2009, 322-323 (Leitsatz und Gründe)= KommunalPraxis BY 2009, 260 (Leitsatz) (Lieferung 2010)

Aktenzeichen 13 A 08.2738 Entscheidung Urteil Datum 12.03.2009
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen RdL 2009, 322-323 (Leitsatz und Gründe) = KommunalPraxis BY 2009, 260 (Leitsatz)  Lieferung 2010

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Zweck der Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer über das geplante Flurbereinigungsverfahren nach § 5 Abs. 1 FlurbG wird nicht erreicht, wenn diesem Personenkreis in einer Aufklärungsversammlung mitgeteilt wird, es werde von einer Verfahrensanordnung abgesehen, dann aber doch ein Flurbereinigungsbeschluss ergeht.
2. Verwaltungsvorschriften (hier: bayerische AVLE), die darauf abzielen, die Ermessensausübung der Flurbereinigungsbehörden vereinheitlichend zu steuern, bewirken eine rechtliche Bindung des Ermessens und lassen ein Abweichen von der dadurch vorgegebenen Verfahrensweise nur noch in besonderen atypischen Ausnahmefällen zu.

Aus den Gründen

20    Der Flurbereinigungsbeschluss des ALE vom 27. September 2007 betreffend das Flurbereinigungsverfahren K.-O. in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da der Verfahrensanordnung keine ausreichende Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer über das geplante Flurbereinigungsverfahren gemäß § 5 Abs. 1 FlurbG vorausgegangen ist (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).


21    Nach § 4 FlurbG kann die zuständige Flurbereinigungsbehörde die Flurbereinigung durch einen zu begründenden Flurbereinigungsbeschluss anordnen und das Flurbereinigungsgebiet feststellen, wenn sie das Verfahren für erforderlich und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält. Vor der Anordnung der Flurbereinigung sind die voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer in geeigneter Weise eingehend über das geplante Flurbereinigungsverfahren einschließlich der voraussichtlich entstehenden Kosten aufzuklären (§ 5 Abs. 1 FlurbG). Die Form der Aufklärung steht im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde und hängt weitgehend von den örtlichen Verhältnissen und den Umständen des geplanten Flurbereinigungsverfahrens ab (BVerwG vom 28.12.1959 RdL 1960, 166 = RzF - 2 - zu § 4 FlurbG; vom 15.12.1983 BVerwGE 68, 290 = RdL 1984, 67 = RzF - 16 - zu § 5 Abs. 1 FlurbG; Wingerter in Schwantag/Wingerter, FlurbG, 8. Aufl. 2008, RdNr. 2 zu § 5).


22    In den Bestimmungen der Arbeitshilfen und Vorschriften für die Ländliche Entwicklung in Bayern – AVLE – (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 11.1.1994, AllMBl 1994, S. 150; siehe auch LMS vom 18.3.2004, E 4/R 3-7500-1230), Nr. 5.22 der ALVE IV – Verfahrensrechtliche Vorschriften – (2. Aufl. 1981) bzw. Nr. 3.3 der AVLE I – Flurbereinigungsverfahren – (4. Aufl. 1990) ist hierzu vorgesehen, dass die Flurbereinigungsbehörde zur Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer in den zur Flurbereinigung heranstehenden Gemeinden eine Aufklärungsversammlung veranstaltet, zu der zwei Wochen vorher durch öffentliche Bekanntmachung einzuladen ist. Zum Ablauf der Versammlung ist bestimmt, dass die voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer in dieser Veranstaltung eingehend über Ziel und Zweck der geplanten Flurbereinigung, über die Begrenzung des Flurbereinigungsgebiets, über den zeitlichen und verfahrenstechnischen Ablauf sowie anhand eines vorläufigen Finanzierungsplans über die voraussichtlich anfallenden Kosten und deren Finanzierung informiert werden. Speziell zu Dorferneuerungsverfahren sehen die Dorferneuerungsrichtlinien (DorfR) zum Vollzug des Bayerischen Dorfentwicklungsprogramms (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Landwirtschaft und Forsten vom 29.4.2005 Nr. E5-7516-4000, AllMBl 2005 S. 193) u.a. in Nr. 7.4 Absatz 4 vor, dass die Flurbereinigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde – das hier vorliegt – das Dorferneuerungsverfahren einleitet, wenn die Projektvorbereitung (Nr. 7.4 Absatz 1) dessen erfolgreichen Verlauf erwarten lässt. Diese Verwaltungsvorschriften, die darauf abzielen, die Ermessensausübung der Flurbereinigungsbehörden im Freistaat Bayern vereinheitlichend zu steuern, bewirken eine rechtliche Bindung des Ermessens (s. hierzu BVerwG vom 10.12.2008 BVerwG 9 C 1.08 – juris Rn. 15; BayVGH vom 28.1.2008 Az. 13 AS 07.2268 – juris Rn. 26 und vom 5.6.2002 Az. 13 AS 02.864 = RzF - 37 - zu § 4 FlurbG, insoweit nicht wiedergegeben; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 28 zu § 114) und lassen ein Abweichen von der dadurch vorgegebenen Verfahrensweise nur noch in besonderen atypischen Ausnahmefällen zu (so z.B. Rennert a.a.O.).


23    Die AVLE waren – unabhängig davon, ob sie derzeit im Einzelnen noch Geltung besitzen – jedenfalls zum Zeitpunkt der Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens K.-O. für die Flurbereinigungsbehörde verbindlich. § 7a der Bekanntmachung der Staatsregierung über die amtliche Veröffentlichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Staatsregierung und der Staatsministerien (VeröffBek) vom 6. November 2001 (GVBl S. 730, BayRS 1140-1-S), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 4. Dezember 2007 (GVBl S. 860), der regelt, dass alle bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 erlassenen veröffentlichten Verwaltungsvorschriften außer Kraft treten, sofern sie nicht in der "Datenbank Bayern-Recht" digital erfasst sind, trat erst am 1. Januar 2008 in Kraft.


24    Die am 18. Juni 2007 durchgeführte Aufklärungsversammlung entsprach nicht den Anforderungen von § 5 Abs. 1 FlurbG i.V.m. Nr. 5.22 AVLE IV bzw. Nr. 3.3 AVLE I, da mit dieser Veranstaltung in Bezug auf das Verfahren K.-O. der Zweck der gesetzlich vorgesehenen Aufklärungsverpflichtung verfehlt wurde. Der Zweck der Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer liegt nicht nur darin, diese Beteiligten für das geplante Verfahren zu gewinnen, weil nach § 2 Abs. 1 FlurbG die Durchführung eines Flurbereinigungsverfahrens unter Mitwirkung der Gesamtheit der beteiligten Grundeigentümer erfolgt (BVerwG vom 15.12.1983 a.a.O.). Sie zielt ebenso darauf ab, durch Erörterung mit den Betroffenen die notwendigen Grundlagen für die Beurteilung ihres Interesses zu erhalten (BVerwG a.a.O.), das Für und Wider einer Verfahrensanordnung darzustellen, Informationen zu sammeln, Probleme zu erkennen sowie über Rechte, insbesondere Fördermöglichkeiten, aufzuklären. Wird – wie hier – den Versammlungsteilnehmern von dem Vertreter der zuständigen Flurbereinigungsbehörde zu Beginn der Aufklärungsversammlung mitgeteilt, dass eine Verfahrensanordnung nicht beabsichtigt ist, kann diese ihren Aufklärungszweck nicht mehr erfüllen, da dann die Anordnung eines Flurbereinigungsverfahrens von der Flurbereinigungsbehörde gerade nicht gewollt ist und die Versammlungsteilnehmer deshalb davon ausgehen müssen, dass sich z.B. Fragen oder Interessebekundungen zu dem nicht mehr zur Anordnung vorgesehenen Flurbereinigungsverfahren erübrigen. Die Aufklärungsversammlung vom 18. Juni 2007 richtete sich in Bezug auf die Grundstückseigentümer in den Ortsteilen K. und O. deshalb nicht (mehr) auf den späteren Erlass eines Flurbereinigungsbeschlusses und war damit nicht mehr Teil des an sich von § 4, § 5 FlurbG vorgesehenen Entscheidungsfindungsprozesses der Flurbereinigungsbehörde, sondern diente nach dem Inhalt des Versammlungsprotokolls nur noch dazu, die betroffenen Grundstückseigentümer von der zu diesem Zeitpunkt aufgegebenen Absicht, ein Verfahren anzuordnen, in Kenntnis zu setzen.


25    Vor diesem Hintergrund konnte der Aufklärungszweck in Bezug auf das vorliegende Verfahren auch nicht dadurch erreicht werden, dass die anwesenden Grundstückseigentümer aus K. und O. in der Aufklärungsversammlung sowohl allgemein über den Ablauf von Verfahren nach dem FlurbG, als auch speziell über das geplante Verfahren R.-S. informiert wurden, selbst wenn einzelne Aspekte des Verfahrens K.-O. dort mit berücksichtigt wurden (z.B. Nennung der Förderhöchstsumme unter Einschluss des auf K. und O. entfallenden Betrags).


26    Die Mitteilung des Bayerischen Staatsministers für Landwirtschaft und Forsten an den Kläger im Schreiben vom 19. Juli 2007, dass beabsichtigt sei, das Dorferneuerungsverfahren K.-O. nunmehr doch anzuordnen, stellt ebenfalls keine ausreichende Aufklärung im Sinn von § 5 Abs. 1 FlurbG dar. Es handelt sich lediglich um eine schriftliche Antwort auf die Eingaben vom 1. Juni und 5. Juli 2007, die aber den Anforderungen von § 5 Abs. 1 FlurbG und den Vorgaben der AVLE für die Aufklärung der voraussichtlich betroffenen Grundstückseigentümer weder formell noch inhaltlich genügt.


27    Damit ist der Flurbereinigungsbeschluss vom 27. September 2007 zwar nicht nichtig, aber rechtswidrig (vgl. HessVGH vom 19.11.1961 <= RzF - 3 - zu § 5 Abs. 1 FlurbG> Wingerter, a.a.O., RdNr. 6 zu § 5). Er verletzt den Kläger in seinen Rechten aus § 5 Abs. 1 FlurbG und war daher aufzuheben (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).