Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 08.07.2015 - 15 KF 6/13 = Entscheidungsdatenbank der Niedersächsischen Rechtsprechung: www.rechtsprechung.niedersachsen.de= LSK 2015, 460236 (Leitsatz)= Recht der Landwirtschaft (RdL) 2015, 302 ff. (Lieferung 2017)

Aktenzeichen 15 KF 6/13 Entscheidung Urteil Datum 08.07.2015
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen = Entscheidungsdatenbank der Niedersächsischen Rechtsprechung: www.rechtsprechung.niedersachsen.de = LSK 2015, 460236 (Leitsatz) = Recht der Landwirtschaft (RdL) 2015, 302 ff.  Lieferung 2017

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Auch wenn von der Flurbereinigungsbehörde (dem Grunde nach) bestandskräftig eine Entschädigung für ein unternehmensbedingtes Abfindungsdefizit festgesetzt worden ist, so ist durch das Flurbereinigungsgericht im Unternehmensflurbereinigungsverfahren noch über die Wertgleichheit einer zugeteilten Landabfindung zu entscheiden.
2. Ist bei der Feststellung der Wertermittlungsergebnisse nach § 32 FlurbG eine Bewertung von Einlageflächen als Bauerwartungsland generell unterblieben, so kann ein Teilnehmer trotz bestandskräftiger Wertermittlung auch noch im Verfahren gegen den Flurbereinigungsplan einwenden, seine Einlageflächen seien zu Unrecht nicht als Bauerwartungsland bewertet worden.
3. Maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der Qualität von Einlageflächen, die für ein Unternehmen i. S. d. § 87 FlurbG benötigt werden, ist (abweichend von § 44 Abs. 1 Satz 3 und 4 FlurbG) wegen der enteignungsrechtlichen Vorwirkung der frühere Zeitpunkt, in dem sie endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurden.
4. Zur näheren Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem eine spätere Trassenfläche endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen worden ist.

Aus den Gründen

Vorliegend ist allerdings insoweit eine andere Fallkonstellation gegeben, als von der Klägerin eingebrachte Flächen für die Straßentrasse, d.h. für das "Unternehmen", in Anspruch genommen worden sind und hierauf beruhend das LGLN als Funktionsvorgänger des Beklagten mit Bescheid vom 9. April 2014 festgestellt hat, dass wegen der auch durch die Flurbereinigung nicht behobenen Beeinträchtigungen des klägerischen Eigentums - ihre bislang zusammenhängend bewirtschaftbaren Flächen werden nunmehr durch die Straßentrasse durchschnitten und in einen West- und Ostteil getrennt - ein "betrieblicher Restschaden und Jagdwertminderungen" verblieben sind; dieser Bescheid vom 9. April 2014 ist dem Grunde nach bestandskräftig. Damit steht fest, dass die Abfindung der Klägerin hinsichtlich der o. a. zusätzlichen wertbildenden Faktoren i. S. d. § 44 Abs. 2 FlurbG nicht wertgleich, sondern ein Abfindungsdefizit (vgl. Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl., 2013, § 88, Rn. 41, m. w. N.; Bayr. VGH, Urt. v. 23.5.2011 - 13 A 10.1273 -, juris; Haselhoff, RdL 1989, 281 f.) verblieben ist bzw. dass der Klägerin unternehmensbedingte Nachteile i. S. d. § 88 Nr. 5 FlurbG entstanden sind (vgl. zur sog. Doppelgleisigkeit BVerwG, Urt. v. 24.4.1970 - 4 C 47/66 - Buchholz 424.01 § 88 FlurbG Nr. 1 <= RzF - 1 - zu § 88 Nr. 4 FlurbG>). In der Bewilligung einer Entschädigung nach § 88 Nr. 6 Nr. 1 FlurbG für diese Nachteile ist zugleich die Feststellung enthalten, dass eine Behebung dieser verbliebenen Nachteile i. S. d. § 88 Nr. 5 FlurbG nicht möglich bzw. nicht zweckmäßig ist. Hiergegen hat sich die Klägerin in diesem Verfahren nicht ausdrücklich gewandt. Im Übrigen besteht weder ein Anspruch auf Behebung solcher Nachteile durch eine Landabfindung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.5.1988 - 5 B 129/86 -, RdL 1988, 328 ff.; juris, Rn. 10, m. w. N. <= RzF - 7 - zu § 88 Nr. 7 FlurbG>) noch sind sie beim Zuschnitt des Verfahrensgebiets hier überhaupt vermeidbar. Denn die von der Klägerin nachvollziehbar als Nachteilsausgleich gewünschte (zusätzliche) Abfindung nordwestlich bzw. südöstlich ihrer Einlageflächen liegt außerhalb des Verfahrensgebiets. Die damit für eine anderweitige Abfindung notwendige Erweiterung des Verfahrensgebiets kann aber nicht inzident in diesem gegen den Flurbereinigungsplan gerichteten Verfahren erfolgen, sondern bedürfte eines gesonderten Verfahrens zur Gebietsänderung, und zwar je nach Umfang der Gebietsänderung gemäß §§ 4 bis § 6 oder § 8 FlurbG.


Ob die Höhe der für dieses verbliebene Abfindungsdefizit bzw. die verbliebenen Nachteile festgesetzten Entschädigung zutreffend bemessen worden ist, haben nach § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG nur die ordentlichen Gerichte zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1988 - 5 C 18/85 -, BVerwGE 80, 340 ff.; juris, Rn. 25, m. w. N.; Beschl. v. 11.5.1988 <= RzF - 16 - zu § 88 Nr. 4 FlurbG>, a. a. O.; Urt. v. 24.4.1970, a.a.O.). Das entsprechende Verfahren ist nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch vor dem Landgericht Oldenburg - Kammer für Baulandsachen - anhängig.


Gleichwohl verbleibt noch eine Entscheidungskompetenz des Flurbereinigungsgerichts, und zwar hinsichtlich der Wertgleichheit der Abfindung im Übrigen, d.h. im Hinblick darauf, ob die zugeteilte Landabfindung i.S.d. § 44 Abs. 1 FlurbG dem Wert der Einlage entspricht oder dahinter zurückbleibt bzw. hinsichtlich der Prüfung, "ob die Neuzuteilung des Teilnehmers ohne Berücksichtigung der ihm durch das Unternehmen entstandenen Nachteile dem Grundsatz des § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG entspricht" (BVerwG, Urt. v. 24.4.1970, a.a.O.). Denn wenn der Teilnehmer mit der ihm im Unternehmensflurbereinigungsverfahren zugewiesenen Landabfindung nicht zufrieden ist, ist für deren Überprüfung am Maßstab des Flurbereinigungsgesetzes weiterhin die Zuständigkeit der Flurbereinigungsgerichte gegeben (BVerwG, Urt. v. 3.11.1988, a. a. O). Nur das Flurbereinigungsgericht - also nicht die ordentlichen Gerichte - kann nämlich jedenfalls die Einzelheiten der Wertgleichheit von landwirtschaftlich genutzten Flächen als Einlage und Abfindung überprüfen. Ebenfalls kann, auch wenn insoweit kein Anspruch besteht, grundsätzlich nur im Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG "zur Minimierung der Unternehmensfolgen und der Enteignungsbetroffenheit" (Haselhoff, a. a. O., S. 283) eine andere Abfindung insbesondere "mit Land von gleichem Wert" erreicht werden, während die vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzende Entschädigung grundsätzlich nur auf Geld gerichtet ist (vgl. vorliegend § 19a FStrG).


...


a) Aus den folgenden Gründen ist vorliegend allerdings ein Ausnahmefall gegeben, der bezogen auf die Einordnung der streitigen Einlageflurstücke der Klägerin als etwaiges Bauerwartungsland eine inhaltliche Prüfung der Wertermittlung ermöglicht.


Denn der maßgebende Wertermittlungsrahmen enthält hinsichtlich der Eigenschaft u. a. als Bauerwartungsland einen Vorbehalt. Es wird danach "in die entsprechende Acker- bzw. Grünlandklasse eingestuft und bleibt bei einem Tausch der Grundstücke einer besonderen Wertermittlung nach dem Verkehrswert vorbehalten".


Dieser Regelungsvorbehalt erscheint zwar nicht bedenkenfrei. Denn er wird in Fallgestaltungen - wie hier -, in denen anlässlich der im Flurbereinigungsplan festgesetzten Abfindung Streit über die Frage entsteht, ob Einlageflächen Bauerwartungsland darstell(t)en, der gesetzlichen Zielsetzung nicht gerecht, als Grundlage für eine wertgleiche Abfindung durch den Flurbereinigungsplan vorab die Werte der zu verteilenden Grundstücke verbindlich festzulegen. Dies gilt auch für das Wertverhältnis von Verkehrs- zu Ertragswertflächen (vgl. Wingerter/Mayr, a. a. O., § 29, Rn. 30). Das aus Praktikabilitätsgründen, anzuerkennende Ziel, nicht unnötig - für den Fall der Wiederzuteilung - ein Gutachten über den Wert von Bauerwartungsland im späteren maßgebenden Stichtag (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 FlurbG) einholen zu müssen, rechtfertigt es nicht, bereits die Qualität als Acker- oder Bauerwartungsland bei der Wertermittlung offen zu lassen. Wie in anderen dem Senat bekannten Verfahren - und nach dem hier angewandten Wertermittlungsrahmen hinsichtlich von Sonderkulturen erfolgt - bietet es sich stattdessen vielmehr an, schon bei der Wertermittlung Bauerwartungsland im Gegensatz zu rein landwirtschaftlich zu nutzender Fläche zumindest als solches mit einem Hinweis zu kennzeichnen und entsprechend § 29 Abs. 4 FlurbG lediglich die Ermittlung seines Wertes für den Fall einer späteren Zuteilung zu einem anderen Teilnehmer einem späteren Gutachten vorzubehalten.


Ungeachtet dieser Einwände hat die generell unterbliebene Einstufung als Bauerwartungsland zur Folge, dass dem Teilnehmer die vermeintlich bestandskräftige Regelung in der Wertermittlung, es handele sich bei seinen Einlageflächen nicht um Bauerwartungsland, nicht entgegengehalten werden kann.


Die dürfte schon deshalb geboten sein, weil der Wertermittlung insofern der Regelungsgehalt fehlen könnte. Denn bei der gebotenen Auslegung der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung i. S. d. § 32 FlurbG als Verwaltungsakt (vgl. Wingerter/Mayr, a. a. O., § 32, Rn. 2 f.) ist nach dem Empfängerhorizont unter Berücksichtigung der Gesamtumständen (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 29.4.2015 - 6 C 39/13 -, juris, Rn. 36) auch die o.a. Regelung im Wertermittlungsrahmen zu beachten; er nimmt "einen rechtlich erheblichen Teil des anfechtbaren Verwaltungsaktes "Wertermittlung" vorweg" (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.8.1962 - 1 C 130.56 -, RdL 1963, 107 <= RzF - 5 - zu § 28 Abs. 1 FlurbG>) sowie dabei die Einstufung oder Verneinung als etwaiges Bauerwartungsland gerade vom Entscheidungsprogramm der folgenden Wertermittlung aus. Damit wird insoweit auch die Regelungswirkung der darauf beruhenden Wertermittlungsergebnisse im Einzelfall begrenzt.


Folgt man dieser Ansicht nicht, so ist dem Betroffenen insoweit zumindest aber Nachsicht gemäß § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG zu gewähren. Denn nach dem hier angewandten Wertermittlungsrahmen konnte von den Teilnehmern nicht erwartet werden, bereits im Stadium der Wertermittlung Einwände gegen die Qualität von Einlageflächen als etwaiges Bauerwartungsland zu erheben.


...


Für die Beurteilung (auch) der Qualität eines Grundstücks ist nach § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG im Ausgangspunkt der Zeitpunkt maßgebend, in dem die vorläufige Besitzeinweisung wirksam wird (vgl. Wingerter/Mayr, a. a. O., § 29, Rn. 1). Bei der Ausweisung öffentlicher Anlagen insbesondere für das Unternehmen i. S. d. § 87 FlurbG kommt es allerdings zur Vorverlagerung dieses Zeitpunktes (vgl. zum Folgenden: BVerwG, Beschl. v. 6.3.2006 - 10 B 80/05 -, RdL 2006, 139 f.; juris, Rn. 6; Urt. v. 17.5.1995 - 11 C 15/94 -, BVerwGE 98, 230 ff.; juris, Rn. 29; Wingerter/Mayr, a. a. O., § 29, Rn. 27, § 88, Rn. 29, jeweils m. w. N.). Denn anderenfalls wären die etwa für Straßentrassen benötigten Einlageflächen regelmäßig im maßgeblichen Zeitpunkt als Straßenland zu bewerten. Eine Verlängerung des Stichtages beruht auf der Vorwirkung einer zwecks Verwirklichung des Unternehmens möglichen Enteignung (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Außerdem mangelt es für Grundstücksflächen, die in einem Bebauungsplan als Flächen für den Gemeinbedarf, z.B. als Straßenverkehrsflächen, ausgewiesen sind, an einem grundsätzlich für die Wertermittlung erforderlichen "freien Markt". Maßgebend ist daher stattdessen die Qualität, die das betreffende Grundstück zu dem Zeitpunkt hatte, als es endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde, also bevor es etwa - wie hier die streitigen Einlageflächen der Klägerin - als Straßenfläche "ausgewiesen" wurde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.3.2006, a. a. O.). Zur genaueren Bestimmung dieses vorgelagerten sog. Qualitätsstichtages kann wegen der vergleichbaren Regelungen auch im flurbereinigungsrechtlichen Verfahren auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Bewertung von Grundstücken im Rahmen der Enteignungsentschädigung zurückgegriffen werden (BVerwG, Beschl. v. 6.3.2006, a. a. O., Leitsatz 2). Danach (vgl. zum Folgenden: BGH, Beschl. v. 27.5.2009 - III ZR 285/08 -, NVwZ 2009, 1184; juris, sowie allgemein Linke, zfv (Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement (früher: Zeitschrift für Vermessungswesen)) 2014, 8, 10 f. zur Wertermittlung im Unternehmensflurbereinigungsverfahren) "können auch vorbereitende unverbindliche Planungen, die noch keinen Eingriff in das Eigentum bilden, Vorwirkungen einer späteren Enteignung auslösen, indem sie Grundstücke von der konjunkturellen Weiterentwicklung ausschließen. Voraussetzung hierfür ist, dass die (unverbindliche) Planung ursächlich für die spätere Enteignung war, eine hinreichende Bestimmtheit hatte und die spätere verbindliche Planung, die dann zur Enteignung führte, mit Sicherheit erwarten ließ; ob diese Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind, ist dabei weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung.
... für die Qualitätsbestimmung von für Zwecke des Straßenbaus benötigter Grundstücke wurde der Erlass eines Flächennutzungsplans für maßgeblich erachtet, in dem der Trassenverlauf dargestellt worden war ... . Hinzugekommen war, dass für das betreffende Gebiet praktisch keine Planungsalternativen mehr bestanden hatten bzw. dass die verbindliche Planung der endgültigen Lage der Straßentrasse zügig und folgerichtig aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden war ... . In letzterem Fall war ... das Merkmal der "hinreichenden Bestimmtheit" der Planung nicht schon deshalb zu verneinen, weil der endgültige Verlauf der Straße teilweise (um bis zu 100 m) gegenüber der Darstellung im Flächennutzungsplan verschwenkt worden war.


Die Bestimmung der Linienführung der Bundesfernstraßen nach § 16 Abs. 1 FStrG (bzw. - wie hier - § 2 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes) hat den Charakter einer vorbereitenden Grundentscheidung mit verwaltungsinterner Bedeutung ... . Das Verhältnis zwischen Linienführung und Planfeststellung bzw. Plangenehmigung lässt sich mit dem zwischen Flächennutzungsplan und Bebauungsplan vergleichen.


Es ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht, sachverständig beraten, aufgrund der Würdigung der tatsächlichen Umstände zu der Überzeugung gelangt ist, dass bereits mit der Bekanntgabe der Linienführung praktisch die genaue Lage der Autobahnführung sowie die Lage der Anschlussstellen an das nachgeordnete Wegenetz ... festgelegt waren.