RzF - 33 - zu § 64 FlurbG

Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 05.10.2009 - 13 A 08.1678 = RdL 2010, 188-190 (Leitsatz und Gründe)= KommunalPraxis BY 2010, 29 (Leitsatz) (Lieferung 2011)

Aktenzeichen 13 A 08.1678 Entscheidung Urteil Datum 05.10.2009
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen RdL 2010, 188-190 (Leitsatz und Gründe) = KommunalPraxis BY 2010, 29 (Leitsatz)  Lieferung 2011

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Weder das allgemeine Interesse an der Schaffung von Rechtssicherheit im Verfahrensgebiet noch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfordern eine Planänderung im öffentlichen Interesse gemäß § 64 Satz 1 Alt. 1 FlurbG, mit der vor der (vorzeitigen) Ausführungsanordnung von der Teilnehmergemeinschaft in der Örtlichkeit tatsächlich durchgeführte, aber nicht als rechtlich verbindlich festgestellte und bekannt gemachte Abmarkungen einzelner neuer Grundstücksgrenzen im neuen Rechtszustand förmlich in den Flurbereinigungsplan aufgenommen werden.

Aus den Gründen

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Der Flurbereinigungsplan kann auch wegen der Abmarkung der neuen Grundstücke angefochten werden. Die Abmarkung einschließlich der vorangegangenen Vermessung stellt einen feststellenden Verwaltungsakt des Inhalts dar, dass die in der Natur vermessene und abgemarkte Grenze mit der in der amtlichen Flurkarte festgelegten Flurstücksgrenze übereinstimmt (BVerwG vom 19.8.1970 DÖV 1972, 174; BayVGH vom 27.10.1959 BayVBl 1960, 22; vom 20.12.1972 BayVBl 1974, 45; HessVGH vom 11.4.1973 AgrarR 1974, 106; Schwantag in Schwantag/Wingerter, FlurbG, 8. Aufl. 2008, RdNr. 19 zu § 65; Simmerding, Bayerisches Abmarkungsrecht, 2. Aufl. 1986, RdNr. 7 zu Art. 21). Mit der in einen Flurbereinigungsplan aufgenommenen Feststellung, dass die Grenzen der neuen Grundstücke abgesteckt und abgemarkt wurden, wird die Übereinstimmung der in der Natur vermessenen und abgemarkten Grenzen mit den im Flurbereinigungsplan vorgetragenen Flurstücksgrenzen festgestellt (s. hierzu BayVGH vom 16.10.1986 BayVBl 1988, 89 = RzF 3 zu § 35 <= RzF - 3 - zu § 35 FlurbG>). Im vorliegenden Fall wurde für die konkrete Lage der abgemarkten Grenzen in Nr. 12.3 des Textteils zum Flurbereinigungsplan bestimmt, dass die Festlegung im Grenz- und Flächennachweis (Zuteilungsberechnung, Risse) und die Darstellung in der Abfindungskarte gelten sollen. Durch Nr. 4 des Bescheids zur Änderung des Flurbereinigungsplans vom 18. März 2005 wurde dies auch für die hier streitgegenständlichen Flurstücksgrenzen festgelegt.


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Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass nach Erlass der vorzeitigen Ausführungsanordnung eine Änderung oder Ergänzung des Flurbereinigungsplans nach § 64 FlurbG nur noch von der DLE und nicht mehr von der Beigeladenen zu 1 verfügt werden konnte. Mit der durch Bescheid der DLE vom 5. November 2001 erfolgten Anordnung der Ausführung des Flurbereinigungsplans vor der Unanfechtbarkeit (§ 63 FlurbG) zum 30. November 2001 erlosch die umfassende Kompetenz der Beigeladenen zu 1 für Planänderungen nach § 60 Abs. 1 Satz 2 FlurbG (so z.B. zuletzt OVG MV vom 23.4.2008 RdL 2008, 236; allgemein hierzu Kaiser, RdL 1972, 281). An deren Stelle tritt die inhaltlich weitaus enger gefasste Zuständigkeit der DLE, nunmehr ALE, nach § 64 FlurbG (Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 AGFlurbG).


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Ob vor Erlass des Bescheids vom 18. März 2005, mit dem die streitgegenständlichen Abmarkungen in der Form verbindlicher Festlegungen in den Flurbereinigungsplan aufgenommen wurden, eine Anhörung der Betroffenen hätte erfolgen müssen, wie die Klägerin vorträgt, kann dahinstehen, da sie im Widerspruchsverfahren in ausreichendem Umfang Gelegenheit zur Äußerung hatte und damit ein möglicher Verfahrensfehler gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG jedenfalls geheilt wäre (s. hierzu Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, RdNrn. 70 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, RdNr. 26 zu § 45).


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Die Änderung oder Ergänzung des Flurbereinigungsplans im neuen Rechtszustand ist der Flurbereinigungsbehörde lediglich unter ganz bestimmten – sachlich eng begrenzten – Voraussetzungen gestattet. § 64 Satz 1 FlurbG erlaubt dies nur, wenn öffentliche Interessen oder wichtige, nicht vorherzusehende wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten die Änderung oder Ergänzung erfordern oder wenn ihr eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird (vgl. zum Ganzen Mayr, Nachträgliche Änderungen des Flurbereinigungsplanes nach § 64 FlurbG, AgrarR 2001, 201). Da hier keine dieser drei – alternativ zu prüfenden – Voraussetzungen vorliegt und der DLE damit gesetzlich auch keine Handlungsbefugnis zugewiesen war, ist die streitgegenständliche Änderung bzw. Ergänzung des Flurbereinigungsplans – ohne dass es eines Eingehens auf die materielle Rechtslage bedarf – bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig.


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Öffentliche Interessen im Sinn von § 64 Satz 1 Alt. 1 FlurbG erfordern die unter Nr. 4 des Bescheids vom 18. März 2005 erfolgte Modifizierung des Textteils zum Flurbereinigungsplan nicht. Solche liegen vor, wenn nicht Individualinteressen eines Beteiligten, sondern die Belange der Allgemeinheit berührt sind (BayVGH vom 21.5.2007 RdL 2008, 191/192 <= RzF - 31 - zu § 64 FlurbG>). Sie ergeben sich in der Regel aus dem Verfassungsrecht, gesetzlichen Bestimmungen oder sonstigem untergesetzlichen Recht und korrespondieren mit dem Sinn und Zweck der jeweiligen Norm (s. zum Begriff des öffentlichen Interesses z.B. VGH BW vom 9.10.1989 DVBl 1990, 60; Reiling, DÖV 2004, 181/185 ff.; Mayr, a.a.O., S. 201).


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Die streitgegenständliche Planänderung wird vom Beklagten hier damit begründet, dass es im öffentlichen Interesse liege, die tatsächlich durchgeführten Abmarkungen nunmehr in rechtlich verbindlicher Form bekanntzugeben und damit Rechtssicherheit im Verfahrensgebiet herzustellen. Zutreffend ist zunächst zwar, dass es das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (auch) gebietet, im Gesetzesvollzug für erforderlich gehaltene hoheitliche Einzelfallentscheidungen durch Verwaltungsakt (Art. 35 BayVwVfG) zu regeln. Auch wohnt der Schaffung von Rechtssicherheit in Bezug auf die Grenzen der neuen Grundstücke ein öffentliches Interesse allgemeiner Art inne (vgl. z.B. § 37 Abs. 1 Satz 4 FlurbG).


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Bereits dem Wortlaut von § 64 Satz 1 FlurbG lässt sich jedoch entnehmen, dass das bloße Berührtsein eines öffentlichen Interesses allein nicht genügt. Vielmehr muss dieses die Planänderung "erfordern". Dem (vorzeitig) ausgeführten Flurbereinigungsplan, der in seinem Regelungsbereich die Privatrechtsverhältnisse der Teilnehmer neu gestaltet, wurde dadurch, dass im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Modifizierungen nur unter engen Voraussetzungen möglich sind, vom Gesetzgeber ein erhöhtes Maß an Änderungsfestigkeit zuerkannt. Dementsprechend wird allgemein davon ausgegangen, dass § 64 FlurbG eng auszulegen ist und nur die Plankorrekturen in Betracht kommen, die unumgänglich erscheinen (vgl. BVerwG vom 16.7.1975 BVerwGE 49, 176/181 ff.; vom 10.11.1993 RdL 1994, 35 <= RzF - 8 - zu § 13 Abs. 2 FlurbG>; BayVGH vom 28.11.1974 = RzF - 13 - zu § 64 FlurbG; Schwantag, a.a.O., RdNr. 2 zu § 64). Aus der dritten Alternative der Tatbestandsvoraussetzungen des § 64 FlurbG, nämlich das Bekanntwerden einer rechtskräftigen, die Plangestaltung berührenden gerichtlichen Entscheidung, wird in Bezug auf das notwendige Gewicht des öffentlichen Interesses ersichtlich, "wie intensiv das Korrekturerfordernis sein muss, um einem gerichtlichen Verpflichtungsausspruch gleichgesetzt zu werden" (BVerwG vom 16.7.1975 a.a.O.). Hieraus folgt, dass bei den beiden erstgenannten Alternativen eine Änderung oder Ergänzung des Flurbereinigungsplans nur in Erwägung gezogen werden darf, wenn die in § 64 FlurbG angeführten, als besonders wichtig anzusehenden Interessen eine solche Plankorrektur erfordern, sie also unumgänglich notwendig erscheinen lassen, "um die Neugestaltung so zu bewirken, wie es den gegeneinander abzuwägenden Interessen der Beteiligten entspricht und wie es das Wohl der Allgemeinheit erfordert" (BVerwG vom 16.7.1975 a.a.O.; vom 29.4.1976 BVerwGE 49, 3 = RzF 11 zu § 60 Abs. 1 <= RzF - 11 - zu § 60 Abs. 1 FlurbG>; vom 26.3.1981 RdL 1981, 180; = RzF - 6 - zu § 13 Abs. 2 FlurbG vom 24.5.1989 RdL 1989, 183; vom 10.11.1993 a.a.O.).


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Ob den betroffenen Allgemeininteressen ein derartiges Gewicht zukommt, kann nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Vorschrift entschieden werden und hängt von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Dementsprechend hat sich eine Verallgemeinerungen kaum zulassende ausdifferenzierte Kasuistik entwickelt (s. hierzu z.B. Schwantag, a.a.O., RdNrn. 2 ff. zu § 64; Mayr a.a.O.).


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Im vorliegenden Fall zielte die unter Nr. 4 des Bescheids vom 18. März 2005 vorgenommene Ergänzung von Nr. 12.2 des Textteils darauf, die im Jahr 2000 vor Ort durchgeführte Abmarkung der im einzelnen beschriebenen Grenzen als rechtlich verbindlich festzustellen und rechtsmittelfähig bekannt zu machen, um den beteiligten Grundstückseigentümern Rechtssicherheit bezüglich des Verlaufs dieser Grenzen zu verschaffen. Diese Interessen begründen jedoch kein ausreichendes öffentliches Interesse im Sinn von § 64 Satz 1 Alt. 1 FlurbG. Weder die Gewährleistung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch das Ziel, im Verfahrensgebiet Rechtssicherheit in Bezug auf die Grenzen (einzelner) neuer Grundstücke zu schaffen, machen die vorgenommene Änderung des Flurbereinigungsplans nach Anordnung der (vorzeitigen) Ausführungsanordnung notwendig. Die damit verfolgten Interessen genügen den gesetzlichen Anforderungen nicht. Im Vordergrund stehen hier nämlich eindeutig die privaten Interessen der beteiligten Grundstückseigentümer an der rechtlich verbindlichen Regelung des Grenzverlaufs. Die vom Beklagten in diesem Zusammenhang dargestellten öffentlichen Interessen sind lediglich genereller Art und erfordern die getroffene Regelung nicht. Sie sind als allgemeine Handlungsprämissen bzw. Verfahrensziele stets zu beachten, können aber hier die nachträglichen Planänderungen nicht rechtfertigen, da ein Vorgehen nach § 64 FlurbG sonst praktisch einschränkungslos zulässig wäre.


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Das Gewicht der vom Beklagten dargestellten öffentlichen Interessen wird zudem auch dadurch relativiert, dass die Abmarkung nur für weitere acht Grenzen als rechtlich verbindlich festgestellt wurde. Für alle anderen von Nr. 12.2 des Textteils erfassten Abfindungsflurstücke wurde hiervon jedoch – unter Verzicht auf die Schaffung von Rechtssicherheit – abgesehen.


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Gegen die Erforderlichkeit der angegriffenen Planergänzung spricht auch, dass von den betroffenen Grundstückseigentümern eine verbindliche Entscheidung über den Verlauf der Grundstücksgrenzen im Sinn von Art. 2 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über die Abmarkung der Grundstücke (Abmarkungsgesetz – AbmG) bzw. eine Abmarkung gemäß Art. 1 AbmG auch außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens erlangt werden kann. Da die Abmarkung von Grundstücksgrenzen nicht nur von Amts wegen, sondern nach Art. 14 Abs. 2 AbmG auch auf Antrag eines Grundstückseigentümers vorgenommen werden kann, sind insbesondere die Beigeladenen zu 2 bis 4 auf ein Tätigwerden der Flurbereinigungsbehörde nicht zwingend angewiesen, um abgemarkte Grundstücksgrenzen zu erhalten.


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Im Übrigen hätten aus der Sicht betroffener Teilnehmer möglicherweise noch bestehende Ansprüche auf die Abmarkung der neuen Grundstücke durch Widerspruch gegen den Flurbereinigungsplan geltend gemacht werden müssen. Soweit ersichtlich wurden aber diesbezügliche Rechtsbehelfe nicht erhoben, so dass der Flurbereinigungsplan insoweit Bestandskraft erlangt hat. Im Ergebnis ist die Planänderung also nicht von einem öffentlichen Interesse gefordert und von § 64 Satz 1 Alt. 1 FlurbG nicht gedeckt.


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Auf § 64 Satz 1 Alt. 2 FlurbG vermag der Beklagte die Planänderung ebenfalls nicht zu stützen, da etwaige wichtige wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten, z.B. im Hinblick auf die Veräußerungsmöglichkeiten der Grundstücke, jedenfalls vorhersehbar waren.


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Soweit die Beigeladene zu 1 geltend macht, die Hinweise des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2003 seien dem Bekanntwerden einer gerichtlichen Entscheidung im Sinn von § 64 Satz 1 Alt. 3 FlurbG gleichzusetzen, kann auch dies die Planänderung nicht rechtfertigen, da dieser Sichtweise der insoweit eindeutige Wortlaut der – eng auszulegenden (s. oben) – Bestimmung entgegen steht und eine auf der Grundlage des Hinweises getroffene gerichtliche Entscheidung jedenfalls nicht die Regelung der fraglichen Grenzen, wie sie im Flurbereinigungsplan erfolgt ist, zum Gegenstand hätte haben können.

Anmerkung

Anermkung:

Zum Wesen der in einen Flurbereinigungsplan aufgenommenen Feststellung, dass die Grenzen der neuen Grundstücke abgesteckt und abgemarkt wurden, als Feststellung der Übereinstimmung der in der Natur vermessenen und abgemarkten Grenzen mit den im Flurbereinigungsplan vorgetragenen Flurstücksgrenzen siehe BayVGH vom 16.10.1986 BayVBl 1988, 89 = RzF - 3 - zu § 35 FlurbG.