Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 09.03.1978 - 9 C 20/77
Aktenzeichen | 9 C 20/77 | Entscheidung | Urteil | Datum | 09.03.1978 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Soll mit einer vorläufigen Anordnung der vorzeitige Ausbau eines Wirtschaftsweges ermöglicht werden, so muß für eine solche vorweggenommene Baumaßnahme der Teilnehmergemeinschaft eine rechtmäßige Planungsgrundlage gegeben sein. |
2. | Dringende Gründe für einen vorzeitigen Ausbau eines Wirtschaftsweges liegen vor, wenn damit die tatsächlichen Voraussetzungen für einen frühzeitigen Besitzübergang in einem Weinbergsverfahren geschaffen werden. |
3. | § 36 FlurbG verstößt nicht gegen Art. 14 GG. |
Aus den Gründen
Der neu vorgesehene Wirtschaftsweg Nr. 6 südöstlich des Grundbesitzes der Klägerinnen hat seine rechtliche Grundlage in dem von der Flurbereinigungsbehörde für das Flurbereinigungsgebiet W. aufgestellten Wege- und Gewässerplan, der durch die obere Flurbereinigungsbehörde gemäß § 41 Abs. 3 FlurbG am 22. Dezember 1976 festgestellt worden ist. Weder sind von den Klägerinnen Umstände vorgetragen noch sonst ersichtlich, aus denen auf die Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften bei der Aufstellung und Feststellung des Planes geschlossen werden könnte. Mit der Klage machen die Klägerinnen im wesentlichen geltend, daß der geplante Weg Nr. 6 weder notwendig noch zweckmäßig sei und daher zumindest in der Lage ihres Altbesitzes entfallen müsse. Hierbei verkennen sie offensichtlich, daß die Gestaltung des Wege- und Gewässerplanes im Sinne des § 41 FlurbG in das Ermessen der Behörde gestellt ist. Der gesetzliche Auftrag zur Neuordnung des Verfahrensgebietes nach § 37 Abs. 1 FlurbG kann in verschiedenster Weise verwirklicht werden. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine geplante Maßnahme der Flurbereinigungsbehörde die einzig richtige Lösung darstellt. Denn die Behörde ist im Rahmen ihres Gestaltungsermessens berechtigt, sich bei mehreren denkbaren Lösungsmöglichkeiten für eine ganz bestimmte Neuordnungsmaßnahme zu entscheiden. Maßgebend ist daher, ob ihre im Wege- und Gewässerplan vorgesehenen Maßnahmen dem Zweck der Flurbereinigung entsprechen und auf sachgerechten Erwägungen beruhen. Diesen Anforderungen wird der im Wege- und Gewässerplan vorgesehene Wirtschaftsweg Nr. 6 gerecht. Erweist sich somit der Wege- und Gewässerplan als rechtmäßig, so ist der vorzeitige Ausbau der in ihm vorgesehenen Anlagen nach der getroffenen Planfeststellung durch die obere Flurbereinigungsbehörde zulässig (§ 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Der vorzeitige Ausbau des Wirtschaftsweges Nr. 6 und die damit verbundene Besitz- und Nutzungsregelung zugunsten der Teilnehmergemeinschaft als Ausbauträgerin waren auch aus dringenden Gründen erforderlich. Ob und wann eine Regelung im Sinne des § 36 Abs. 1 FlurbG aus "dringenden Gründen erforderlich" ist, kann nicht allgemein, sondern nur nach den Besonderheiten des Einzelfalles beantwortet werden. Dabei sind die Bedürfnisse der Verfahrensbeteiligten, die Art und der Ablauf des Verfahrens sowie auch die Frage, ob durch die vorläufige Regelung bei vorweggenommenen Baumaßnahmen ein nicht mehr zu behebender Zustand im Hinblick auf die gesetzlich gebotene wertgleiche Landabfindung herbeigeführt wird (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 25. März 1971 - VII 81/71 - in RzF - 14 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG), im einzelnen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sieht der Senat die dringenden Gründe für den vorzeitigen Wegeausbau darin, daß in der Flurbereinigung W. die neuen Weinbergsgrundstücke den Teilnehmern bereits im Frühjahr 1977 zugeteilt werden konnten und damit die tatsächlichen Voraussetzungen für den Besitzübergang geschaffen werden mußten.
Die Überleitung des Weinbergsbesitzes setzt voraus, daß die Abfindungsgrundstücke schon zu dieser Zeit bearbeitet werden können und durch neue Wege zugänglich sind. Jeder Weinbergseigentümer hat ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse daran, seinen Neubesitz möglichst nach der Zuweisung herzurichten und gegebenenfalls mit neuen Rebstöcken anzupflanzen, um den durch den verfahrensbedingten Grundstückswechsel ohnehin entstehenden Ertragsausfall in möglichst tragbaren Grenzen zu halten. Die alten Wegestrecken liegen, sofern sie nicht ausnahmsweise mit dem Verlauf der neuen Wege identisch sind, durchweg in neuzugeteilten Teilnehmergrundstücken. Fehlt es bei der Besitzüberleitung an neuen befahrbaren Wegen, so müssen die alten Anlagen unter Beeinträchtigung des neuzugeteilten Eigentums weiter benutzt werden, abgesehen davon, daß alte Zuwegungen Unzulänglichkeiten verschiedenster Art aufweisen. Dem Beklagten ist daher zuzustimmen, daß die Bearbeitung der neuen Weinbergsgrundstücke, insbesondere der Rebenwiederaufbau, ohne den vorzeitigen Ausbau des Erschließungsweges Nr. 6 nicht nur erheblich behindert, sondern auch in einem für die betroffenen Winzerbetriebe unzumutbaren Maße verzögert worden wäre. Zutreffend hat die Flurbereinigungsbehörde auch nicht etwa den nördlichen Teil des Weges Nr. 6 in Lage des Grundbesitzes der Klägerinnen von dem Vorwegausbau ausgenommen. Eine solche abschnittsweise Ausführung der Baumaßnahme bringt erfahrungsgemäß Mehrkosten mit sich, mit denen alle Verfahrensbeteiligten belastet würden. Der vorzeitige Ausbau der nördlichen Wegestrecke war aber auch geboten, um die Bearbeitung der neuzugeteilten Grundstücke westlich und östlich von ihr zu ermöglichen und außerdem die Fortführung des in dem neuen Weg angesammelten Oberflächenwassers in nordöstlicher Richtung sicherzustellen.
Gegenüber diesen dringenden Bedürfnissen einer Vielzahl von Teilnehmern wurde der Grundbesitz der Klägerinnen durch die vorläufige Besitzregelung nur in geringem Ausmaß betroffen. Der vorzeitige Ausbau des Wirtschaftsweges, mit dem ihnen ein Teil Gartenfläche entzogen wird, schafft im übrigen keinen Zustand, der die Zuteilung einer wertgleichen Landabfindung vereitelt. Es ist nämlich durchaus möglich, daß ihnen im Flurbereinigungsplan im Anschluß an ihren Haus- und Gartenbesitz eine entsprechend gleichwertige Fläche zugewiesen wird. Eine solche dem Gesetz entsprechende Eigentumsregelung ist jedoch dem Flurbereinigungsplan vorbehalten und kann daher nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites sein.
Schließlich können die Klägerinnen ihrer Klage nicht mit dem Vorbringen zum Erfolge verhelfen, die gesetzliche Regelung des § 36 FlurbG verstoße gegen Art. 14 des Grundgesetzes - GG -. Anerkanntermaßen stellen sich weder die Einbeziehung von Grundbesitz in ein Flurbereinigungsverfahren noch die Besitzzusammenlegung an sich als Enteignung im Sinne des Art. 14 GG dar. Die Einbeziehung von Grundflächen in ein Flurbereinigungsverfahren bedeutet noch keinen Rechtsverlust; sie ist aus der Sozialgebundenheit des Eigentums gerechtfertigt. Aber auch die Besitzneuordnung an sich charakterisiert sich nicht als Enteignung, da sie nicht fremden, sondern eigenen Interessen der betroffenen Eigentümer dient und außerdem von dem Prinzip der Surrogation nach § 68 Abs. 1 FlurbG bestimmt wird (vgl. BVerwG, Beschluß vom 9. November 1954 - BVerwG I B 145. 53 in RzF - 1 - zu § 68 Abs. 1 Satz 1 FlurbG; = RdL 1955, 52; Urteil vom 29. März 1969 - IV C 104.65 - in NJW 1968, 1737 = MDR 1968, 787 = RdL 1968, 164). Im Rahmen dieser rechtlichen Einordnung kann der - lediglich vorübergehende - Besitz- und Nutzungsentzug nach § 36 FlurbG nicht anders gewertet werden, da er nur einen Teil der im Flurbereinigungsplan vorgesehenen Eigentumsregelungen darstellt und nicht selbständigen fremden Interessen - wie etwa einem Unternehmen oder der Allgemeinheit -, sondern in erster Linie den Interessen der Gemeinschaft der Grundstückseigentümer dient.