Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.11.1954 - I B 145.53 = BVerwGE 1, 225= NJW 1955 S. 155= RdL 1955 S. 52
Aktenzeichen | I B 145.53 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 09.11.1954 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = BVerwGE 1, 225 = NJW 1955 S. 155 = RdL 1955 S. 52 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Umlegung (Flurbereinigung) ist grundsätzlich keine Enteignung im Sinne von Art. 14 GG. |
Aus den Gründen
Die Klägerin ist Beteiligte an einem Umlegungsverfahren nach der Reichsumlegungsordnung vom 16. Juni 1937 (RGBl. I S. 629) - RUO -. Im Umlegungsplan wurde ihr für zwei räumlich getrennt liegende Flurstücke ein Flurstück in anderer Lage zugewiesen. Die Klägerin ist mit dieser Neuaufteilung der Grundflächen nicht einverstanden. Ihre Beschwerde, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Die hiergegen von der Klägerin erhobene Beschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Die Revision ist nach § 53 Abs. 2 BVerwGG nur dann zuzulassen, wenn eine der dort genannten Voraussetzungen vorliegt. Von diesen kann hier nur die des Abs. 2 Buchst. a, nämlich daß die Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu erwarten sei, oder die des Buchst. c in Betracht gezogen werden, nämlich daß die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines obersten allgemeinen Verwaltungsgerichts eines Landes abweiche. Beide Voraussetzungen sind indessen nicht gegeben. Dabei ist, wie der erkennende Senat in seinem Beschluß vom 21. Januar 1954 - BVerwGE 1, 67 - ausgesprochen hat, das Bundesverwaltungsgericht auch beim Vorliegen einer klärungsfähigen grundsätzlichen Rechtsfrage nicht verpflichtet, die Revision zuzulassen, wenn bereits im Beschwerdeverfahren offenbar ist, daß die Berufungsentscheidung sich im Revisionsverfahren als im Ergebnis richtig erweisen würde.
Der Ansicht der Klägerin, die Reichsumlegungsordnung enthalte typisch nationalsozialistisches Recht, und in der Klärung dieser Frage sei eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des § 53 Abs. 2 Buchst. a BVerwGG zu sehen, kann nicht beigetreten werden. Die Flurbereinigung ist keine Erfindung des "Dritten Reiches", sondern ein in der deutschen Rechtsgeschichte seit Jahrhunderten bekanntes Rechtsinstitut, freilich in verschiedenen Ausgestaltungen und unter verschiedenen Bezeichnungen (wie z.B. Separation, Vereinödung, Verkoppelung, Konsolidation, Zusammenlegung). Die Reichsumlegungsordnung enthält zwar einige Vorschriften, in denen sich nationalsozialistische Ausdrucksweise findet (z.B. § 42 RUO), doch sind dies nur nationalsozialistisch verkleidete Formulierungen von Gedanken, die seit jeher in verschiedener Gestaltung für die Flurbereinigung Geltung gehabt haben und auch in dem neuen Flurbereinigungsgesetz des Bundes vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591) wiederkehren. Diese Auffassung von der auch der erkennende Senat in seinen Beschlüssen vom 19. Mai 1954 - BVerwG I B 167.53 - und vom 24. Mai 1954 - BVerwG I B 107.53 - ausgegangen ist, entspricht der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung, die heute auch keinen ernstlichen Widerspruch mehr findet. Insofern liegt danach keine der Klärung fähige Rechtsfrage vor.
Die Flurbereinigung nach der Reichsumlegungsordnung ist auch keine Enteignung im Sinne des Art. 14 GG, so daß die Vorschrift des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG, wonach für einen Streit über die Höhe der Entschädigung stets die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben sein muß, nicht Platz greift. Es handelt sich hierbei allerdings um eine grundsätzliche Frage, die in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet wird, dem Bundesrecht angehört und daher als der Klärung fähig im Sinne des § 53 Abs. 2 Buchst. a BVerwGG anzusehen ist. Allein der hierzu vom Berufungsgericht eingenommene Standpunkt würde vom Senat in einem etwaigen Revisionsverfahren gebilligt werden. Der Senat sieht daher von einer Zulassung der Revision zwecks Klärung dieser Frage ab.
Da die Ansichten über das Wesen der Enteignung im Sinne der Verfassung nicht einheitlich waren und sind, wurde und wird auch die Frage nach dem Verhältnis der Flurbereinigung zur Enteignung verschieden beantwortet, wobei oft die Flurbereinigung und die städtebauliche Umlegung nicht gesondert behandelt werden.
Die Umlegung betrachten als Enteignung: Otto Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1 S. 597; Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, 4. Aufl. S. 244; Martin Wolff, Sachenrecht, 8. Bearbeitung, S. 381 Anm. 23, und "Reichsverfassung und Eigentum" in der Festschrift für Kahl, IV S. 20; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., 2. Band, S. 47, 80 und 81; Bayer. VerfGH, VGHE Neue Folge Bd. 5 II. Teil S. 235. - Den Charakter der Umlegung als Enteignung leugnen: Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. S. 408, 413; Reinhardt-Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 38; Quecke-Bußmann, Reichsenteignungsrecht, 2. Aufl. S. 341; Schwamberger, DÖV 1954, S. 396; Mang, Verwaltungsrecht in Bayern, Bd. 2 S. 369; Grauvogel, DVBl. 1950 S. 765; Ernst, Kommentar zum Aufbaugesetz für Nordrhein-Westfalen, S. 219; Rechtsausschuß des Bundesrates, 79. Sitzung vom 17. Januar 1952, Kurzprotokoll S. 7 und Anlage 1 zu diesem Protokoll; Württ. VGH vom 4. Dezember 1930 (RuPrVBl. Bd. 52 S. 371); unter ausdrücklicher Beschränkung auf die eigentliche Umlegung auch: v. Spreckelsen, Deutsches Bundesrecht, IV B 10 S. 64/65, Erläuterung 2 zu § 140 des Flurbereinigungsgesetzes, und Schütz, Deutsche Wohnungswirtschaft 1953, S. 195.
Es braucht jedoch hier auf den Streit der Meinungen über das Wesen der Enteignung nicht eingegangen zu werden; denn gleichviel welcher Ansicht man sich anschließt, in keinem Fall umfaßt die grundgesetzliche Eigentumsgarantie einschließlich der von ihr vorgeschriebenen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach Sinn und Zweck auch die Umlegung.
Die Enteignung ist, wie immer auch ihre Merkmale im einzelnen bestimmt werden mögen, nach dem Sinn der vom Grundgesetz vorgenommenen Wertung dadurch gekennzeichnet, daß sie einem dem Betroffenen gegenüber selbständigen fremden Interesse dient, sei es eines bestimmten Unternehmers oder der Allgemeinheit als solcher. Die Flurbereinigung stellt zwar mit ihrer auf die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung und der allgemeinen Landeskultur gerichteten Zielsetzung auch Interessen der Allgemeinheit in Rücksicht, doch sind diese denen der Betroffenen nicht entgegengesetzt, ihnen gegenüber nicht fremd; vielmehr liegen diese Ziele in gleicher Weise auch im Interesse der Betroffenen, denen durch die Umlegung unter Zuteilung gleichwertiger Grundflächen eine wirtschaftlichere Betriebsführung ermöglicht werden soll. Der für die Enteignung kennzeichnende Gegensatz der Interessen fehlt hier also. Das wird auch dadurch nicht geändert, daß in der Flurbereinigung im allgemeinen bei der Abfindung gewisse Landabzüge gemacht werden können; denn diese Abzüge sind grundsätzlich nur zur Bereitstellung von Land für gemeinschaftliche und öffentliche Anlagen möglich, die zugleich den Interessen der Betroffenen dienen (§ 51 RUO). Diese Abzüge bleiben also im Rahmen der die Umlegung kennzeichnenden Interessenrichtung. Die Verschiedenartigkeit der Interessenlage bei der Enteignung und bei der Umlegung läßt somit eine Übertragung der für die Enteignung geltenden grundgesetzlichen Vorschriften auf die Umlegung nicht zu.
Wenn das Grundgesetz das Eigentum schützen will, so muß es der Enteignung Grenzen setzen; denn die unbeschränkte Möglichkeit, eine Enteignung durchzuführen, würde das Eigentum als Rechtsinstitut illusorisch machen, weil die der Enteignung zugrunde liegenden Interessen grundsätzlich gegen die betreffenden Eigentümer gerichtet sind. Die Enteignung trägt auch keine Schranken in sich selbst; denn auch eine schrankenlos zulässige Enteignung ohne Entschädigung wäre immer noch eine Enteignung. Die Flurbereinigung dagegen gefährdet das Eigentum der Betroffenen nicht; sie dient vielmehr, wie oben dargelegt, - wenn auch nicht ausschließlich - ihren Interessen. Sie trägt auch wegen dieser ihrer Zielsetzung ihre Schranken in sich selbst. Eine Bodenordnungsmaßnahme etwa, die den Grundsatz der Zuteilung gleichwertiger Grundflächen verließe, indem sie eine Landzuweisung nur an einzelne wenige Beteiligte und für die übrigen lediglich Geldabfindung vorsähe oder Landabzüge für Anlagen ohne Rücksicht darauf zuließe, ob diese Anlagen den Interessen der Betroffenen dienen oder nicht, wäre keine Umlegung mehr, weil in ihr die mehrfach erwähnte, für die Umlegung kennzeichnende Interessenrichtung nicht mehr vorhanden wäre. Das Eigentum im Rahmen der Grundrechtsgarantien gegen eine Umlegung zu schützen, besteht daher kein Anlaß.
Man kann gegen diese Anschauung auch nicht den Einwand erheben, daß das Eigentum dann jeder gleichwie gearteten Umlegung preisgegeben sei und so auf dem Umwege über die Umlegung das Eigentum im Enderfolg allen den Eingriffen unterworfen werden könnte, gegen die es durch die grundgesetzliche Beschränkung der Enteignung geschützt werden sollte. Denn die in dieser Hinsicht notwendigen Begrenzungen ergeben sich, wie eben gezeigt, aus dem Begriff und Wesen der Umlegung selbst.
Der Standpunkt des erkennenden Senats wird auch nicht durch den Hinweis darauf widerlegt, daß während der Beratungen des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rates zu Art. 14 GG von mehreren Abgeordneten ausdrücklich bemerkt worden ist, daß in den Begriff der Enteignung im Sinne des Art. 14 GG auch die Flurbereinigung einbezogen werden solle (vgl. "Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes", Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Neue Folge, Bd. 1 S. 150). Dabei braucht die Frage nicht erörtert zu werden, inwieweit überhaupt für die Auslegung eines Gesetzes der Wille der gesetzgebenden Körperschaften entscheidend ist; denn aus den erwähnten Bemerkungen läßt sich nicht entnehmen, inwieweit bei den späteren entscheidenden Beratungen des Art. 14 im Plenum des Parlamentarischen Rates ein gleicher Wille zur Einbeziehung der Flurbereinigung in die Enteignungsvorschrift des Art. 14 GG vorhanden war. Zum anderen war in dem Zeitpunkt, als im Grundsatzausschuß der erwähnte Hinweis von einigen Abgeordneten gemacht wurde, die Vorschrift über die ausschließliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für den Streit über die Höhe der Entschädigung in der den Beratungen zugrunde liegenden Fassung des Art. 14 gar nicht enthalten (vgl. Jahrbuch des öffentlichen Rechts, a.a.O., S. 153), so daß, selbst wenn diese Äußerung einiger Abgeordneter für die Auslegung Bedeutung hätte, daraus nichts für die hier allein interessierende Frage zu folgern wäre, welche gerichtliche Zuständigkeit für einen Streit über die Höhe der Abfindung gegeben ist. Da gerade im Flurbereinigungsverfahren die Zuständigkeit besonderer Verwaltungsgerichte hergebracht war, kann nicht angenommen werden, daß hier von dem Grundgesetzgeber eine Änderung beabsichtigt war, wenn dieser Gedanke in den Gesetzesmaterialien nicht einmal erwähnt ist. Dem Gedanken, daß sachlich die Umlegung keine weiter gehenden Eingriffe in das Eigentum bringen darf als die Enteignung, trägt die hier vertretene Auffassung insofern Rechnung, als sie die in dieser Hinsicht erforderlichen Grenzen dem Wesen der Umlegung selbst entnimmt.
Ob die vorstehenden Ausführungen, nach denen die Flurbereinigung keine Enteignung im Sinne des Art. 14 GG ist, auch für diejenigen Vorschriften der Reichsumlegungsordnung zutreffen, nach denen Entschädigung zu leisten ist für Land, das für bestimmte Unternehmungen großen Umfanges in Anspruch genommen wird (§ 57 RUO), kann unerörtert bleiben, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt.Anmerkung
Vgl. Bauschke und Kloepfer, Enteignung, enteignungsgleicher Eingriff, Aufopferung, NJW 1971 S. 1233; Weyreuther, Probleme der Rechtsprechung zum Enteignungsverfahren, DVBl. 1972 S. 93