Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 05.08.1976 - III F 10/74 = RdL 1977 S. 92
Aktenzeichen | III F 10/74 | Entscheidung | Urteil | Datum | 05.08.1976 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = RdL 1977 S. 92 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Werterhöhungen, die der Altbesitz eines Teilnehmers im Außengebiet einer Gemeinde erst durch die Verwendung des Landes für eine städtische Kläranlage erhält, sind bei der Bewertung des Altbesitzes und bei der Bemessung der Abfindung nicht zu berücksichtigen, wenn es sich nicht schon vorher um Land mit einem über den landwirtschaftlichen Nutzwert hinausgehenden Verkehrswert gehandelt hat. |
Aus den Gründen
Der Kläger behauptet nun, das ihm zugeteilte Abfindungsgrundstück Flur 11 Nr. 115 entspreche hinsichtlich seiner Benutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten nicht seinem Einlagegrundstück. Durch die Verwendung seines Altbesitzes für die Errichtung der städtischen Entwässerungsanlage komme zum Ausdruck, daß ihm ein höherer als der landwirtschaftliche Nutzwert zugerechnet werden müsse, der dem Abfindungsgrundstück aber nicht zukomme.
Diese Ansicht des Klägers ist nicht richtig. Ob ein Grundstück einen über den landwirtschaftlichen Nutzwert hinausgehenden Verkehrswert hat, hängt von den örtlichen Verhältnissen ab. Einen erhöhten Verkehrswert werden regelmäßig solche Grundstücke haben, die nach ihrer Lage wahrscheinlich in absehbarer Zeit bebaut werden. Je nach dem Grad der Baureife ist dabei baureifes Land oder Rohbauland und Bauerwartungsland zu unterscheiden. Baureifes Land ist nach seinen tatsächlichen erkennbaren Merkmalen festzustellen, z. B. nach seiner Erschließung für Wohn- und Industriezwecke, der Festsetzung von Baulinien, Anlagen von Straßen oder Errichtung von Bauten auf nächstgelegenen Grundstücken. Bei unerschlossenem Baugelände wird es darauf ankommen, ob für Grundstücke gleicher oder ähnlicher Art über den landwirtschaftlichen Nutzungswert hinausgehende Kaufpreise allgemein und nicht nur im einzelnen Falle gezahlt werden. Dabei müssen Spekulationsgesichtspunkte außer Betracht bleiben (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 9.6.1959, - BVerwG I C B 27/58 - NJW 59, 1649 = RdL 59, 308). Ferner müssen auch Nutzungsmöglichkeiten außer Betracht bleiben, deren Verwirklichung nicht in greifbarer Nähe liegt, und die mithin den Verkehrswert nicht beeinflussen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.9.1958 - BGHZ Bd. 28, 160; Urteil vom 9.11.1959 = RdL 60, 49). Die Tatsache, daß ein Grundstück außerhalb der Bebauungsgrenze oder außerhalb eines durch einen Bauleitplan ausgewiesenen Gebietes liegt, besagt allerdings noch keineswegs, daß es in absehbarer Zeit nicht Bauland werden kann und daher nicht bereits heute einen entsprechenden Verkehrswert hat, wenn andere Umstände die Bejahung eines erhöhten Verkehrswertes notwendig erscheinen lassen. Die Planung ist zwar ein wesentliches Indiz, für sich allein aber noch nicht entscheidend. Auch Grundstücke außerhalb einer Baugebietsgrenze können daher in absehbarer Zeit Bauland werden und schon jetzt einen entsprechenden Verkehrswert haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.6.1959 s. o.). Dafür ist insbesondere die Lage des Grundstücks von entscheidender Bedeutung. Es müssen in diesen Fällen aber konkrete Umstände dafür sprechen. Die Ortsnähe eines Grundstücks reicht allein nicht aus. Die Entwicklungstendenzen sind deshalb über Jahre hinaus zu verfolgen (vgl. Schütz- Frohberg, BBauG 1960 zu § 93 Anm. 7). Als Bauerwartungsland muß daher solches Land angesehen werden, das in absehbarer Zeit Verwendung zur Bebauung finden wird. Diese künftige Zweckbestimmung muß, wenn nicht durch die Planung, dann aus äußeren Umständen erkennbar sein (vgl. OLG Celle, Urteil vom 1.2.1963, RdL 64, 50).
Diese Grundsätze finden auf die Frage, ob der Altbesitz des Klägers als Industrieland oder sonstiges Bauland einen höheren Wert hat, entsprechende Anwendung. Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung und damit für die Feststellung der Wertgleichheit von Einlage und Abfindung ist, wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt ausgeführt hat (siehe Urteile vom 3.6.1966 - BVerwG IV C 7.66 = Buchholz, BVerwG 424.01 § 44 FlurbG Nr. 6 = RdL 1966, 268 = RzF - 26 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG und vom 15.3.1973- BVerwG V C 4.72 in RzF - 54 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG) und § 44 Abs. 1 Satz 3 FlurbG n. F. ausdrücklich bestimmt, der Eintritt des neuen Rechtszustandes (§ 61 Satz 2, § 63 Abs. 1 FlurbG). Demnach ist die Frage, ob ein Grundstück einen über den landwirtschaftlichen Nutzwert hinausgehenden Verkehrswert hat, nach dem Zeitpunkt der Ausführungsanordnung bzw. der vorzeitigen Ausführungsanordnung zu beantworten. Denn in dem so festgesetzten Termin treten die rechtlichen Wirkungen der Flurbereinigung ein. Maßgeblich ist hiernach für das Flurbereinigungsverfahren O. der 15.11.1973. Mit Wirkung von diesem Tag an wurde nämlich die vorzeitige Ausführung des Flurbereinigungsplanes von der Flurbereinigungsbehörde angeordnet.
Am 15.11.1973 handelte es sich bei dem klägerischen Altbesitz aber um Flächen, die weder bebaubar waren noch deren Bebauung in absehbarer Zeit in Betracht kam.
Schon aus dem von der Stadt O. in den Jahren 1965/66 erstellten Flächennutzungsplan ergibt sich nämlich, daß die Flächen in denen auch das klägerische Grundstück alte Flur 5 Nr. 412 gelegen ist, für die Erstellung der Städtischen Kläranlage vorgesehen waren. Diesem Umstand steht auch nicht entgegen, daß in der zeichnerischen Darstellung des Flächennutzungsplanes die hier in Rede stehenden Flächen mit der für Gewerbegebiete vorgesehenen (grauen) Farbe gefärbt sind, denn die Flächen sind in derselben Darstellung zugleich unmißverständlich mit "Kläranlage" beschriftet. Darüber hinaus sieht der aus diesem Flächennutzungsplan entwickelte "Bebauungsplan Nr. 87 der Stadt O. für den Nordost- und Ostteil der Gemarkung B. und Teile des L.-Waldes", der am 8.2.1968 als Satzung beschlossen, vom 26.6.1968 bis 24.7.1968 abschließend offengelegt wurde und heute wie im Zeitpunkt der vorzeitigen Ausführungsanordnung unverändert gültig ist, sodann für die hier fraglichen Flächen eindeutig "Gemeinbedarfsfläche (Stadtentwässerung)" vor. Dementsprechend wurde auch der klägerische Altbesitz bereits im Jahre 1962 aufgrund der am 12.3.1962 von der Flurbereinigungsbehörde erlassenen vorläufigen Anordnung in Anspruch genommen. Dies alles läßt erkennen, daß das Vorhaben der Stadt O., im Bereich des klägerischen Altbesitzes städtische Entwässerungsanlagen herzustellen, schon in einem früheren Stadium des Flurbereinigungsverfahrens nicht nur bekannt war, sondern bereits konkrete Formen annahm. Der vom Kläger daraus gezogene Schluß, daß dadurch eine Erhöhung des Wertes seines Altbesitzes eingetreten sei, und daß diese Werterhöhung bei der Bemessung seiner Landabfindung berücksichtigt werden müsse, ist jedoch unrichtig. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Altbesitz des Klägers unabhängig von dem Vorhaben der Stadt O. eine werterhöhende Qualität als Gewerbe- oder Industrieerwartungsland innegewohnt hat. Werterhöhungen, die wie im vorliegenden Fall infolge des Bekanntwerdens des städtischen Vorhabens eingetreten sein sollten, müssen bei der Bewertung außer Betracht bleiben. Insoweit kommt nämlich der im Enteignungsrecht allgemein geltende Grundsatz, wonach die Enteignung dem Betroffenen keinen Schaden, aber auch keine ungerechtfertigten Gewinne bringen soll (vgl. Schütz-Frohberg, BBauG, Anm. 8 zu § 95; Meyer-Thiel-Frohberg, Enteignung von Grundeigentum, 5. Aufl. 1959, S. 97), auch hier zur Anwendung (vgl. Urteil des Senats vom 14.4.1966 - F III 96 - 103/64 = ESVGH 16, 229 = RdL 1966, 306 = RzF - 9 - zu § 28 Abs. 1 FlurbG sowie BayVGH, Urteil vom 19.7.1974 - 100 XII 72 - RzF - 8 - zu § 27 FlurbG). Maßgeblich ist bei alledem der objektive Wert, d. h. hier der Wert, den das Grundstück am 15.11.1973 für jedermann hatte, (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.2.1963 - I C 56.61 = Buchholz, BVerwG 424.01, § 44 FlurbG Nr. 14 = RdL 1963; 249). Der Kläger kann im Flurbereinigungsverfahren mithin auch keine höhere Abfindung für seinen Altbesitz fordern, als wenn man seinen innerhalb des neuen Flurstücks Flur 11 Nr. 103 liegenden Altbesitz - was möglich gewesen wäre - aufgrund §§ 85 bis 87, 95 BBauG enteignet und ihn dafür entschädigt hätte. Für den Fall der Enteignung bestimmt aber § 95 Abs. 1 BBauG: "Die Entschädigung für den durch die Enteignung eintretenden Rechtsverlust bemißt sich nach dem Verkehrswert des zu enteignenden Grundstücks oder sonstigen Gegenstandes der Enteignung. Maßgebend ist der Verkehrswert in dem Zeitpunkt, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet". Abs. 2 Nr. 1 dieser Bestimmung lautet: "Bei der Festsetzung der Entschädigung bleiben unberücksichtigt: 1. Wertänderungen, die infolge der bevorstehenden Enteignung eingetreten sind".
Bei alledem ist bei der Ermittlung des klägerischen Abfindungsanspruchs davon auszugehen, daß das Einlagegrundstück des Klägers keinen über den landwirtschaftlichen Nutzwert hinausgehenden Verkehrswert hatte, denn das Grundstück Flur 5 Nr. 412 hätte ohne seine Einbeziehung in die städtischen Entwässerungsanlagen das Schicksal der umliegenden Grundstücke geteilt. Diese wurden aber und werden noch - wie es der Bebauungsplan Nr. 87 der Stadt O. festsetzt - landwirtschaftlich genutzt. Eine Änderung dieser Nutzung ist auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die Auskunft des Vermessungsingenieurs Sch. vermittelte dem Senat die Überzeugung, daß insbesondere eine wie auch immer geartete bauliche Nutzung der fraglichen Fläche von der Stadt O. nicht erwogen werde und auch zukünftig nicht ins Auge gefaßt werden könne. Der vom Senat eingenommene Augenschein hat darüber hinaus den Eindruck vermittelt, daß die westlich des klägerischen Altbesitzes verlaufende Bundesstraße in der Tat eine Ausweitung des Stadtgebietes in die nordwestlich von ihr gelegenen Flächen, in denen auch der Altbesitz des Klägers liegt, verbietet, weil sonst eine Splittersiedlung entstehen und den Straßenverkehr behindern würde.