Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 19.09.1985 - 7 S 2935/83

Aktenzeichen 7 S 2935/83 Entscheidung Urteil Datum 19.09.1985
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die unmittelbar nach der Anordnung des Verfahrens anstehende Bestellung des Vorstands der Teilnehmergemeinschaft ist in die originäre Verantwortung der Teilnehmer gestellt. Eine Vorstandswahl, die in einer ordnungsgemäß einberufenen und geleiteten Wahlversammlung stattfand, in der die anwesenden Teilnehmer zur Selbstkontrolle ihrer Wahlberechtigung aufgerufen waren, kann nicht nachträglich mit der Behauptung erfolgreich angegriffen werden, die Selbstkontrolle sei unzureichend und habe nicht gegriffen.
2. Die Aufgabe der Flurbereinigungsbehörde, die Vorstandswahl zu leiten, beinhaltet auch die Befugnis, durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der Wahlvorbereitung und Wahldurchführung die notwendige Selbstkontrolle bei der Zulassung zur Wahl zu erleichtern, erforderlichenfalls die Selbstkontrolle zu ergänzen.
3. Es ist ausnahmsweise nach § 21 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz FlurbG nur dann gerechtfertigt, einen Teilnehmer von der Wahl auszuschließen, wenn anderenfalls eine gemeinschaftliche Eigentümerposition, die sich auf ein und denselben Grundbesitz bezieht, durch zwei oder mehrere Stimmen bei der Wahl vertreten wäre.

Aus den Gründen

Die Klagen sind als Feststellungsklagen zulässig (§ 43 VwGO).
Jeder Teilnehmer einer Flurbereinigung hat ein offenkundiges Interesse daran, daß der Vorstand, der die Teilnehmergemeinschaft und damit vielfach mittelbar auch ihn im Verfahren vertritt, ordnungsgemäß und wirksam bestellt ist. Ob dies der Fall ist, läßt sich nicht stets und abschließend bereits am Wahltag beurteilen, so daß das Feststellungsinteresse jedenfalls im Sinne der hier gesetzlich konkretisierten Klagebefugnis nicht bereits entfällt, wenn dort keine Beanstandungen vorgebracht werden.

Das Flurbereinigungsgesetz, das auch die Organisation der Teilnehmergemeinschaft eigenständig und abschließend regelt, enthält keine Normen über bestimmte Wahlfehler und ihre Folgen für die Gültigkeit der Wahl des Vorstands der Teilnehmergemeinschaft. Aus § 21 Abs. 3 FlurbG ergibt sich, daß der Vorstand durch demokratische und in besonderer Weise personenbezogene Wahl zu bestellen ist. Das demokratische Prinzip erfordert aber ein Eingreifen der Wahlprüfung dann, wenn das festgestellte Wahlergebnis infolge von Rechtsverstößen den für maßgeblich erklärten Wählerwillen anders zum Ausdruck bringt als bei gesetzmäßigem Wahlablauf. Nach diesem allgemein anerkannten Grundsatz des materiellen Wahlprüfungsrechts ist also eine demokratische Wahl nur gültig, wenn eine gesetzeswidrige Verfälschung des Wählerwillens auszuschließen ist (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl., S. 400). Im vorliegenden Fall hat ein Wahlverfahrensfehler dazu geführt, daß ein nicht zur Wahl Berechtigter mit abgestimmt hat. Dies hat sich auf das Wahlergebnis möglicherweise ausgewirkt.

Nach § 21 Abs. 3 Satz 1 FlurbG werden die Mitglieder des Vorstands von den im Wahltermin anwesenden Teilnehmern oder Bevollmächtigten gewählt. Damit wird der Kreis der Wahlberechtigten bestimmt. Allerdings ermöglicht diese Vorschrift eine Vorstandswahl nicht erst dann, wenn die Teilnehmer der Flurbereinigung nach § 11 ff. FlurbG behördlich ermittelt sind. Eine Flurbereinigung ist nach § 2 Abs. 1 FlurbG kein behördliches Verfahren, es ist nur ein behördlich geleitetes Verfahren. Es erfordert die aktive und konstruktive Mitwirkung der Gesamtheit der beteiligten Grundeigentümer. Um diese Mitwirkung sicherzustellen hat das Gesetz (§ 16 FlurbG) die Teilnehmergemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts geschaffen, die mit dem Flurbereinigungsbeschluß, also mit der Anordnung des Verfahrens entsteht. Die Teilnehmergemeinschaft kann jedoch ihre Aufgabe als wesentliche Trägerin des Verfahrens nur dann von Anfang an erfüllen, wenn sie handlungsfähig ist. Die Wahl des Vorstands ist damit eine vorrangige Maßnahme, mit der nicht gewartet werden kann, bis die Beteiligtenermittlung nach § 12 bis § 14 FlurbG abgeschlossen ist. Diese Vorschriften (vgl. insb. § 13 Abs. 2 und 3, § 14 FlurbG) wollen u. a. sicherstellen, daß die weitere Durchführung des vorher angeordneten Verfahrens durch die Beteiligtenermittlung nicht verzögert wird. Auch hier wird deutlich, daß die Flurbereinigung nach dem Willen des Gesetzes unter dem Gebot größtmöglicher Beschleunigung des Verfahrens steht (vgl. § 2 Abs. 2 FlurbG, BVerwGE 42, 92/96).

Die nach alledem vorangestellte Bestellung des Vorstands der Teilnehmergemeinschaft ist damit maßgeblich in die originäre Verantwortung der Teilnehmer gestellt. Ganz in diesem Sinne ist den Teilnehmern die Kompetenz eingeräumt, "ihre Angelegenheiten", also auch "das Verfahren bei den Wahlen", durch Satzung zu regeln (§ 18 Abs. 3 FlurbG). Aus diesen Gründen kann dann nicht zweifelhaft sein (vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 22.01.1976, RzF - 4 - zu § 21 Abs. 2 FlurbG und OVG Koblenz vom 06.07.1977, RzF - 5 - zu § 21 Abs. 2 FlurbG), daß hier die Kontrolle der Wahlberechtigung ebenfalls den Teilnehmern selbst obliegt. Der Flurbereinigungsbehörde fehlt dafür die andernfalls erforderliche besondere Kompetenzzuweisung durch das Gesetz.

Die Teilnehmer sind auch in diesem Verfahrensstand am besten in der Lage, ihre Teilnehmereigenschaft und gegebenenfalls die ihrer Nachbarn und Berufskollegen zu beurteilen. Daraus folgt, daß eine Vorstandswahl, die in einer ordnungsgemäß einberufenen und geleiteten Wahlversammlung stattfand, in der die anwesenden Teilnehmer zur Selbstkontrolle aufgerufen waren, nicht nachträglich mit der Behauptung erfolgreich angegriffen werden kann, die Selbstkontrolle sei unzureichend und habe nicht gegriffen. Selbst wenn in diesem Fall später festgestellt wird, daß unbeanstandet einzelne Nichtteilnehmer zu Unrecht ihre Stimme abgegeben haben, so kann das nichts an der Tatsache ändern, daß die Wahl gesetzmäßig abgelaufen ist. Dem steht auch § 21 Abs. 3 Satz 1 FlurbG nicht entgegen, denn die notwendige Kontrolle der Wahlberechtigung ist - wie ausgeführt - gerade nicht Regelungsinhalt dieser Vorschrift. Das Gesetz nimmt wegen der naturgemäß lückenhaften Selbstkontrolle auch einen gegebenenfalls durch Nichtteilnehmer mitgewählten Vorstand als wirksam bestellt hin. Dies führt nicht zu unhaltbaren Ergebnissen, denn der Vorstand ist nach § 23 Abs. 1 FlurbG jederzeit abwählbar. Anlaß eines solchen "konstruktiven Mißtrauensvotums" könnte sein, daß sich die "Verfälschung" des Wahlergebnisses durch Nichtteilnehmer nachträglich herausstellt.

Es darf nun andererseits nicht verkannt werden, daß nach § 21 Abs. 2 FlurbG die Flurbereinigungsbehörde die Vorstandswahl leitet. Sie hat damit sicherzustellen, daß Verfahrensmängel bei der Wahlvorbereitung und Wahlhandlung vermieden werden und daß das Wahlergebnis ordnungsgemäß ermittelt und festgestellt wird. Im vorliegenden Fall ist dies weitestgehend geschehen. Die Wahl wurde am 07.10.1983 aufgrund einer mit dem Gesetz in Einklang stehenden Satzung ordnungsgemäß durchgeführt. Es wurden nach der offengelegten Absicht des Wahlleiters zu Recht auch diejenigen Miteigentümer von im Verfahrensgebiet gelegenen Grundstücken zur Abstimmung zugelassen, die sich darauf beriefen, das Eigentum, an dem sie beteiligt sind, allein zu vertreten. Darauf können sie sich auch dann berufen, wenn ihr Miteigentümer ebenfalls wählt, dieser seine Berechtigung jedoch auf eine Eigentümerstellung gründet, die sich auf anderen Grundbesitz bezieht. Es darf in diesem Zusammenhang unausgesprochen davon ausgegangen werden, daß etwa ein Alleineigentümer sein Stimmrecht nur auf dieses Alleineigentum bezieht. So wie ihm das darauf gegründete Stimmrecht billigerweise nicht dadurch genommen werden kann, daß er zusätzlich noch Miteigentümer an anderem Grundbesitz ist, ist es auch im Fall bloßen Miteigentums nicht gerechtfertigt, ohne zwingenden gesetzlichen Grund einen Teilnehmer von der Wahl auszuschließen. Nach § 21 Abs. 3 Satz 2 FlurbG soll möglichst jeder Teilnehmer unabhängig vom Umfang seines im Verfahrensgebiet liegenden Grundbesitzes das Recht haben, mit seiner "gleichwertigen" Stimme einen Vorstand seines Vertrauens zu wählen. Es ist als gesetzliche Ausnahme davon nur dann gerechtfertigt, einen Teilnehmer von der Wahl auszuschließen, wenn andernfalls eine gemeinschaftliche Eigentümerposition, die sich auf ein und denselben Grundbesitz bezieht, durch zwei oder mehrere Stimmen bei der Wahl vertreten wäre. § 21 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz FlurbG kann nicht anders, also nicht extensiv zum Nachteil der Stimmberechtigung einzelner Teilnehmer ausgelegt werden.

Schließlich darf die Flurbereinigungsbehörde aus ihrer Leitungsaufgabe auch die Befugnis ableiten, durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der Wahlvorbereitung und Wahldurchführung die notwendige Selbstkontrolle bei der Zulassung zur Wahl zu erleichtern, erforderlichenfalls die Kontrolle zu ergänzen. Dies ist insbesondere dann angebracht, wenn die Eigenart des Verfahrens und die Zahl der Teilnehmer die Selbstkontrolle erschwert. Das Flurbereinigungsamt B. hatte im Flurbereinigungsverfahren Anlaß, solche Maßnahmen zu treffen und es hat sich dieser Aufgabe auch gestellt. Der Senat ist der Auffassung, daß die hier konkret getroffenen, von der Beklagten oben geschilderten Maßnahmen geeignet und auch grundsätzlich ausreichend waren, einen gesetzmäßigen Wahlablauf zu ermöglichen. Von besonderer Schwierigkeit ist in diesem Zusammenhang die Kontrolle der Wahl durch Bevollmächtigte, die das Gesetz ausdrücklich zuläßt. Der Vollmachtgeber ist regelmäßig im Wahltermin nicht anwesend und Vollmacht kann er jedermann erteilen. Die übliche und in den meisten Fällen ausreichende Kontrolle durch gegenseitigen Augenschein ist nicht möglich, wenn die Zahl der Bevollmächtigten groß ist und sie nicht ohne weiteres - etwa aufgrund bekannter Verwandtschaftsverhältnisse - bestimmten Teilnehmern zugeordnet werden können.

Von diesem Tatbestand ist im vorliegenden Fall auch die Flurbereinigungsbehörde ausgegangen. In der öffentlich bekanntgemachten Ladung zur Wahl verlangte sie daher, daß der Bevollmächtigte sich durch Vollmacht mit öffentlich beglaubigter Unterschrift auszuweisen habe. Sie bereitete speziell für die Wahl Vollmachtsformulare vor und gab sie - wie sie vorträgt - an die beteiligten Gemeinden mit dem Auftrag weiter, die Wahlberechtigung der Vollmachtgeber aufgrund der dort vorhandenen Ortskundigkeit soweit wie möglich zu überprüfen. Infolgedessen glaubte man, sich eine weitere Überprüfung in der Wahlversammlung sparen zu können. Die Bevollmächtigten mit der entsprechenden Vollmachtsurkunde wurden gesondert zu einem Tisch ohne ortskundigen Wahlhelfer beordert und erhielten dort eine Stimmkarte, nachdem die Namen der Vollmachtgeber registriert worden waren, allerdings lediglich um Doppelvollmachten auszuschließen. Bei dieser für sie erkennbaren Sachlage durften auch die in der Versammlung anwesenden Teilnehmer davon ausgehen, daß die Aufforderung zur Selbstkontrolle sich nicht auf eine - für sie hier auch kaum durchführbare - Überprüfung der Bevollmächtigten bezog. Sie konnten nach dem ihnen gegebenen Anschein darauf vertrauen, daß die Berechtigung der Vollmachtgeber und nicht nur die ordnungsgemäße Vollmachtserteilung bereits geprüft war.

Die in die Obhut der Flurbereinigungsbehörde gegebene Kontrolle der Wahlberechtigung der Bevollmächtigten wurde jedoch nicht ausreichend durchgeführt.

B hat somit unberechtigt und insoweit ohne Not unkontrolliert an der Vorstandswahl am 07.10.1983 als Bevollmächtigter teilgenommen. Darin liegt ein Wahlverfahrensfehler, der vermeidbar war, auch wenn die die Wahl leitende Flurbereinigungsbehörde hier unmittelbar kein Vorwurf trifft. Wenn sie im Rahmen der Wahlvorbereitung die erforderliche Kontrolle der Wahlberechtigung der Bevollmächtigten übernimmt, dann muß sie sich auch das Versagen derjenigen Personen zurechnen lassen, die sie mit dieser Kontrolle betraut hat.

Der Einfluß dieses Wahlfehlers auf das Wahlergebnis ist im vorliegenden Fall nicht auszuschließen. Dabei ist zu beachten, daß es nach dem in der Rechtsprechung zur Wahlprüfung (vgl. BVerwG, Urteile vom 08.11.1957 und vom 09.02.1967, RdL 1967, 137 und VerwRspr. 10, S. 553; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.09.1965, ESVGH 17, 46) allgemein anerkannten Prinzip der potentiellen Kausalität nur darauf ankommt, daß die Möglichkeit eines Einflusses besteht. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wären einem Ortskundigen, der bei der Unterschriftsbeglaubigung sich gegebenenfalls nach der Lage des Grundeigentums der Vollmachtgeberin erkundigt hätte, Zweifel gekommen, ob er noch im Verfahrensgebiet liegt. Dies hätte dann unschwer anhand der vorhandenen Gebietskarten geprüft werden können.

Aufgrund des für die Vorstandswahl am 07.10.1983 potentiell kausalen Wahlfehlers bei der Kontrolle der Wahlberechtigung im Falle ist die gesamte Wahl ungültig. Eine Nachwahl nur eines Vorstandsmitglieds und eines Stellvertreters kommt nicht in Betracht. Das Gesetz sieht nur einen einheitlichen Wahlvorgang vor. Nach § 21 Abs. 3 Satz 3 FlurbG steht mit der Reihenfolge der Anzahl der auf die Wahlvorschläge entfallenden Stimmen auch die Reihenfolge der Gewählten fest. Dies erfordert zur Wiederherstellung gleicher Wahlchancen eine Wiederholung der gesamten Wahl.