Flurbereinigungsgericht Greifswald, Urteil vom 30.08.2005 - 9 K 28/02 = RdL 2006, 216= AUR 2006, 427= DÖV 2007, 84 (amtliche Leitsätze = obige Leitsätze 1 und 2) (Lieferung 2007)

Aktenzeichen 9 K 28/02 Entscheidung Urteil Datum 30.08.2005
Gericht Flurbereinigungsgericht Greifswald Veröffentlichungen RdL 2006, 216 = AUR 2006, 427 = DÖV 2007, 84 (amtliche Leitsätze = obige Leitsätze 1 und 2)  Lieferung 2007

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Widerspruchsbescheid kann im flurbereinigungsrechtlichen Verfahren nicht nach § 79 Abs. 2 VwGO alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein.
2. Die Frage, wo die Flurstücksgrenzen liegen, ist im Bodenordnungsverfahren nicht zu klären.
3. Die Bodenordnungsbehörde hat die im Kataster eingetragenen und durch Grenzsteine markierten Grundstücks- bzw. Flurstücksgrenzen ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen.

Aus den Gründen

Die gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Klage ist bereits unzulässig. Nach § 79 Abs. 2 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift. § 79 Abs. 2 VwGO ist aber nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG nicht anwendbar, weil diese Norm dem in § 144 Satz 1 FlurbG manifestierten Beschleunigungsgrundsatz widerspricht (so wohl auch Seehusen/Schwede, FlurbG 7. Aufl. 1977, § 142 Rn. 2). Die dem Flurbereinigungsgericht in § 144 Satz 1 FlurbG eingeräumte erweiterte Entscheidungsbefugnis dient dem Zweck, das Flurbereinigungsverfahren nicht durch das gerichtliche Verfahren mehr als zwingend zu verzögern. Nach Möglichkeit soll das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu einer möglichst zeitnahen Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.1962 -1C 81.61 -, RdL 1962, 328; <= RzF - 5 - zu § 144 FlurbG>). Dem Flurbereinigungsgericht ist daher durch § 144 Satz 1 FlurbG die Möglichkeit eingeräumt worden, durch die selbstständige Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes eine unmittelbare Sachentscheidung zu treffen und damit eine erneute Befassung der Behörde im Interesse der Verfahrensbeschleunigung zu vermeiden. Fände § 79 Abs. 2 VwGO im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren Anwendung, wäre das Gericht jedenfalls in dieser Fallkonstellation der Möglichkeit der selbstständigen Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes beraubt, da der Klagegegenstand ausschließlich der Widerspruchsbescheid wäre, nicht aber zugleich auch der Ausgangsbescheid, der seinerseits aber Gegenstand und Auslöser des Widerspruchs war. Daraus ergibt sich, dass die allein gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Klage im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung (Eyermann/Happ, VwGO 11. Aufl. 2000, § 79 Rn. 4) unzulässig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 79 Rn. l a).


Selbst wenn die Klageschrift der nicht rechtskundig vertretenen Klägerin unter Berücksichtigung der später eingereichten Klagebegründung und des Interesses der Klägerin an einer Entscheidung in der Sache so ausgelegt wird, dass Gegenstand der Klage entgegen dem klaren Wortlaut der Klageschrift nicht allein der Widerspruchsbescheid sondern auch die Entscheidung im Bodenordnungsverfahren über die Gesamtheit der Neugestaltungsmaßnahmen ist, soweit es um das der Klägerin zugewiesene Abfindungsgrundstück geht, ist die Klage mangels eines ordnungsgemäß durchgeführten Widerspruchsverfahrens unzulässig.


Der Widerspruch gegen den bekannt gegebenen Bodenordnungsplan ist in einem Anhörungstermin vorzubringen (§ 59 Abs. 2 Satz 1 FlurbG). Dieser Anhörungstermin fand am 28.09.2000 statt. Die Klägerin hat an diesem Termin teilgenommen. Ausweislich der Niederschrift über den Anhörungstermin hat die Klägerin aber keinen Widerspruch eingelegt. Die Verhandlungsniederschrift beweist die Beobachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 131 Satz 1 FlubG); die Niederschrift über die Anhörung beweist die Einlegung des Widerspruchs (§ 59 Abs. 4 FlurbG). Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein Widerspruch nicht erhoben ist, wenn er nicht in der Verhandlungsniederschrift dokumentiert ist (BVerwG, Urt. v. 06.05.1970 - FV C 59.69 -, RdL 1970, 214; <= RzF - 7 - zu § 59 Abs. 2 FlurbG>). Gegen diese Beweiskraft der Verhandlungsniederschrift ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig § 131 Satz 2 FlurbG). Dafür hat die Klägerin nichts vorgetragen.


Die Widerspruchsbehörde hat der Klägerin auch zu Recht Nachsicht gemäß § 134 Abs. 3, 2 FlurbG verweigert. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nachsichtgewährung (§ 134 Abs. 3, 2 Satz 2 FlurbG), da die Versäumung des Termins zur Einlegung des Widerspruchs nicht unverschuldet war. Durch die öffentlich bekannt gemachte Ladung zum Anhörungstermin, in der ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Einlegung des Widerspruchs im Anhörungstermin und den anderenfalls eintretenden Ausschluss des Widerspruchsrechts hingewiesen wurde, war der Klägerin bekannt bzw. hätte ihr bekannt sein müssen, dass sie den Widerspruch nur im Anhörungstermin einlegen konnte. Die Klägerin trägt zwar in der Klagebegründung vor, Herr S. (vom Amt für Landwirtschaft P.) habe ihren Widerspruch als nichtig abgetan und nicht entgegengenommen. Das könnte so verstanden werden, dass die Klägerin vorträgt, im Anhörungstermin vom 18.09.2000 habe sie versucht, Widerspruch einzulegen. Im Widerspruchsschreiben vom 06.02.2002 hat die Klägerin vorgetragen "im Anhörungsverfahren am 05.09.2001" habe sie gegenüber Herrn S. zum Ausdruck gebracht, mit der Veränderung der Grundstücksgrenze durch das Bodenordnungsverfahren sei sie nicht einverstanden. Damit wird deutlich, dass die Klägerin nur am 05.09.2000, nicht aber im Anhörungstermin vom 18.09.2000 versucht hat Widerspruch einzulegen. Selbst wenn aber zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, dass sie auch im Anhörungstermin vom 18.09.2000 versucht hat Widerspruch einzulegen, dies aber auf Grund der Äußerung des Herrn S. vom Amt für Landwirtschaft P. unterlassen hat, führt das nicht dazu, dass die Klägerin einen Anspruch auf Nachsichtgewährung gehabt hätte. Denn die Klägerin hat den Widerspruch nicht unverzüglich nach Behebung des Hindernisses eingelegt, was nach § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG erforderlich gewesen wäre. Der Widerspruch ist vielmehr erst 15 Monate nach dem Anhörungstermin eingelegt worden, ohne dass ersichtlich ist, aus welchem Grund die Klägerin an einer früheren nachträglichen Einlegung des Widerspruchs gehindert war. Ersichtlich hat vielmehr die Klägerin die aus ihrer Sicht ihr nachteilige Neugestaltungsentscheidung betreffend die Größe ihres Grundstücks zunächst hingenommen.


Die Widerspruchsbehörde hat ermessensfehlerfrei die Zulassung des Widerspruchs nach § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG abgelehnt. Voraussetzung einer solchen ermessensgeleiteten Zulassung des Widerspruchs wäre das Vorliegen einer offenbaren Härte (Seehusen/Schwede, a.a.O., § 134 Rn. 6). Eine solche liegt ersichtlich nicht vor. Die Klägerin begehrt bei erfolgter Abfindung in gleicher Lage die Änderung der Abfindungsentscheidung wegen eines aus ihrer Sicht bei der Grundstücksgröße fehlenden einen einzigen Quadratmeters. Eine offenbare Härte ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin dargestellten Auswirkung dieses fehlenden einen Quadratmeters. Dass die Beigeladenen unter Berufung auf die festgesetzten und abgemarkten Grundstücksgrenzen, die im Bodenordnungsverfahren bestätigt worden sind, aus Eigentumsrecht eine Hecke und einen Maschendrahtzaun von einer Fläche entfernt haben, die die Klägerin unter Berufung auf einer fehlerhaften Abmarkung und Grenzfeststellung für sich beansprucht, begründet keine offenbare Härte im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG.


Selbst bei unterstellter Zulässigkeit der Klage bliebe die Klage ohne Erfolg, da sie unbegründet wäre. Die Abfindungsentscheidung im Bodenordnungsverfahren betreffend die Klägerin ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Frage, wo die Flurstücksgrenzen liegen, ist im Bodenordnungsverfahren nicht zu klären (vgl. OVG Koblenz, U. v. 17.12.1968 - 3 C 43/68 -, RdL 1969, 213, <= RzF - 4 - zu § 13 Abs. 2 FlurbG>; Seehusen/Schwede, a.a.O., § 13 Rn. 5). Dies ist Aufgabe der Vermessungsbehörden. Die Bodenordnungsbehörde hat die im Kataster eingetragenen und durch Grenzsteine markierten Grundstücks- bzw. Flurstücksgrenzen ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen. Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass dies die Behörde getan hat und sie alt wie neu abgefunden hat. Es ist daher nicht erkennbar, dass die Klägerin in irgend einer Weise durch die Abfindungsentscheidung in ihren Rechten verletzt sein könnte. Dass die festgestellten und durch Grenzsteine markierten Grundstücksgrenzen ihres Grundstücks nach Sicht der Klägerin an einer Stelle fehlerhaft festgestellt und abgemarkt wurden, ist kein Fehler des Bodenordnungsverfahrens. Die nominelle Differenz von einem Quadratmeter hat die Bodenordnungsbehörde nachvollziehbar mit Rundungsabweichungen erklärt.