Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 14.12.2004 - 23 F 2316/04 (Lieferung 2006)

Aktenzeichen 23 F 2316/04 Entscheidung Urteil Datum 14.12.2004
Gericht Flurbereinigungsgericht Kassel Veröffentlichungen Lieferung 2006

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine Vergrößerung des Verfahrensgebietes um etwa 20 Prozent des bisherigen ist nicht mehr geringfügig.
2. Der Anordnungsbeschluss kann nur mit Erfolg angefochten werden, wenn die sachlichen Voraussetzungen der § 1,§ 4 FlurbG nicht vorliegen, die Anordnung fehlerhaft ist und die Abgrenzung des Verfahrensgebietes gegen die Ermessensrichtlinien, die sich aus § 7 FlurbG ergeben, verstößt.
3. Durch schuldrechtliche Vereinbarungen wird eine dauerhaft rechtlich gesicherte Bodenordnung nicht gewährleistet. Denn es ist nicht auszuschließen, dass Eigentümer ihre Pachtflächen kündigen und dadurch rationelle Wirtschaftseinheiten aufgelöst werden.
4. Bei der Anlegung des neuen Wegenetzes im Rahmen der Aufgaben aus § 37 Abs. 1 und 2 FlurbG ist auch der Erholungswert zu fördern, z. B. durch Reit- und Fahrradwegen.

Aus den Gründen

Eine eine Unternehmensflurbereinigung nach § 87 FlurbG ergänzende Regelflurbereinigung lässt das Flurbereinigungsgesetz zu. Anlass und Hauptzweck der Unternehmensflurbereinigung ist die Bewältigung der Folgen eines im öffentlichen Interesse liegenden, fremdnützigen Unternehmens im ländlichen Raum, hier des Neubaus der Ortsumgehung von H… im Zuge der Bundesstraße 253. Anlass und Hauptzweck des Verfahrens nach § 1 FlurbG ist die Förderung des privaten Nutzens der Gesamtheit der in einem bestimmten Gebiet Land- und Forstwirtschaft betreibenden Grundeigentümer. Bei einem kombinierten Verfahren bedarf es einer jeweils eigenständigen Begründung, dass der im einzelnen verfolgte, im Gesetz abschließend genannte Zweck die Anordnung rechtfertigt (Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 15.03.1984 - 7 S 2985/83 - RzF - 25 - zu § 4 FlurbG).

Bei der Aufstockung einer Unternehmensflurbereinigung mit etwa 264 ha durch eine Regelflurbereinigung mit etwa 57 ha handelt es sich um eine erhebliche Änderung im Sinne des § 8 Abs. 2 FlurbG, für die die Vorschriften der § 4, § 5 und § 6 FlurbG gelten. Eine Vergrößerung des Verfahrensgebietes um etwa 20 Prozent des bisherigen ist nicht mehr geringfügig (Flurbereinigungsgericht Koblenz, Beschluss vom 14.10.1988 - 9 B 5/88 - RzF - 15 - zu § 8 Abs. 1 FlurbG = RdL 1989, 217).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, kann der Anordnungsbeschluss mit Erfolg nur mit der Begründung angefochten werden, die sachlichen Voraussetzungen der § 1, § 4 FlurbG lägen nicht vor, die Anordnung sei fehlerhaft und die Abgrenzung des Verfahrensgebietes verstoße gegen die Ermessensrichtlinien, die sich aus § 7 FlurbG ergeben (BVerwG, Beschluss vom 26.03.1974 - V B 14.72 - RzF - 16 - zu § 4 FlurbG = RdL 1975, 81).

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Die klägerischen Bedenken sind nicht gerechtfertigt. Nach § 4 FlurbG kann die obere Flurbereinigungsbehörde die Flurbereinigung anordnen und das Verfahrensgebiet feststellen, wenn sie eine Flurbereinigung für erforderlich und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält. Ob eine Flurbereinigung "erforderlich" ist, richtet sich nach den Zielen der Flurbereinigung gemäß den § 1 und § 37 FlurbG. Durch die Flurbereinigung sollen die Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft verbessert, sowie die allgemeine Landeskultur und die Landesentwicklung gefördert werden. Das "Interesse der Beteiligten" ist das sich bei objektiver Beurteilung ergebende wirtschaftliche Interesse der Teilnehmer.

Die Bereinigungsbedürftigkeit des Verfahrensgebietes ergibt sich hier schon aus der Zersplitterung des Eigentums. So zeigt die Gebietsübersichtskarte (Bl. 186 VA, Bd. II) vielfach handtuchartig geschnittene Grundstücksflächen als Streueigentum, was der Kläger nicht in Frage gestellt hat. Die feststellbaren Schlaggrößen sind für eine rationelle Produktion nicht geeignet. Dabei ist die Neuordnung des Verfahrensgebietes nicht schon durch vorgenommene Zupachtungen und den Austausch von Nutzungsflächen zwischen den Teilnehmen entbehrlich geworden. Es ist zu berücksichtigen, dass durch Hinzupachtung oder Tausch eine einheitliche Bewirtschaftung bestimmter landwirtschaftlich genutzter Flächen nur für eine gewisse Dauer erreicht werden kann. Durch schuldrechtliche Vereinbarungen wird ein dauerhaft rechtlich gesicherte Bodenordnung nicht gewährleistet. Denn es ist nicht auszuschließen, dass Eigentümer ihre Pachtflächen kündigen und dadurch rationelle Wirtschaftseinheiten aufgelöst werden.

Bei alledem ist auch die Überarbeitung des in seinen Grundzügen aus dem 19. Jahrhundert stammenden Wegenetzes vernünftigerweise geboten, um etwa durch den Wegfall von Wegen zu größeren Schlägen und verbesserten Schlagzuschnitten zu kommen. Daneben geht es um einen verbesserten Wegeausbau, um eine möglichst ganzjährige Befahrbarkeit mit schwereren und größeren Fahrzeugen zu sichern, die in der heutigen Landwirtschaft das Erntegut unmittelbar am Feld aufnehmen.

Dabei wird sich die Flurbereinigung im Zugangsgebiet auch insofern positiv auf das Gesamtgebiet auswirken, als die Abwicklung der noch in Gang befindlichen Unternehmensflurbereinigung durch die Hinzunahme weiterer 57 ha flexibler gehandhabt und abgewickelt werden kann. Es ist auch zu berücksichtigen, dass nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung der Kreisbauernverband ursprünglich für ein größeres Unternehmensflurbereinigungsgebiet eintrat und die Hinzunahme der jetzigen Erweiterung vor allem deshalb unterblieben war, weil die Finanzierung der Flurbereinigungsmaßnahmen im jetzt streitbefangenen Änderungsbereich damals nicht gesichert war und dem Unternehmensträger nicht auferlegt werden konnte. Mit der inzwischen erteilten Finanzierungszusage der Gemeinde Wabern liegt insoweit ein neuer Sachverhalt vor, der jetzt eine planerisch angemessene Vergrößerung zulässt. Im Übrigen dient auch der vorgesehene Ausbau des Hauptwirtschaftsweges 65 der Gesamtmaßnahme, weil die Herbeiführung der möglichst ganzjährigen Befahrbarkeit geeignet ist, die Nutzung der viel befahrenen Bundesstraße B 253 zu mindern und gewisse Teilverkehre, auch landwirtschaftlicher Art aufzunehmen.

Das hinreichende Interesse der Teilnehmer an der Anordnung und den dadurch eingeleiteten Flurbereinigungsmaßnahmen bemisst sich nach dem wohlverstandenen, auf sachlichen Erwägungen beruhenden Interesse der Mehrheit der Teilnehmer aufgrund einer objektiven Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte und Gegebenheiten (vgl. BVerwG, B. v. 28.12.1960 - RdL 1961, 80 = RzF - 2 - zu § 1 FlurbG). Auf das Individualinteresse einzelner Teilnehmer allein, deren Flurstücke etwa im Verhältnis zu anderen Besitzständen großflächig, teilweise gut geschnitten oder nicht all zu weit auseinander liegend sind, kommt es nicht entscheidend an (vgl. Flurbereinigungsgericht Baden-Württemberg, U. v. 07.03.1994 - 7 S 1429/93 - ESVGH 44, 314). Hier konnte die zuständige Flurbereinigungsbehörde angesichts der geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur, des ursprünglich bereits größer gewünschten Zuschnitts des Flurbereinigungsgebiets, der gemeindlichen Finanzierungszusage und des Umstands, dass die Anhörungen im Vorfeld des Änderungsbescheids keine kritischen Einwendungen dagegen erkennen ließen, beanstandungsfrei von einem überwiegenden objektiven Teilnehmerinteresse im Sinne des § 4 FlurbG ausgehen.

Die im angefochtenen Änderungsbescheid Nr. 1 vorgenommene Abgrenzung des Flurbereinigungsgebiets entspricht den gesetzlichen Vorgaben des § 7 Abs. 1 FlurbG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift ist das Flurbereinigungsgebiet so zu begrenzen, dass der Zweck der Flurbereinigung möglichst vollkommen erreicht wird. Dabei ist in den Blick zunehmen, dass es nicht allein um den Ausbau des Hauptwirtschaftswegs Nr. 65 auf einer Länge von 1,2 km geht, sondern auch um Ausgleichsmaßnahmen, bodenordnende Maßnahmen, die Einziehung von Wendewegen und sonstige Maßnahme zur Verbesserung der Agrarstruktur.

Bei alledem ist der geplante asphaltierte Ausbau des in Ost-West-Richtung von der Ortslage H… bis zur Gemarkungsgrenze von R… verlaufenden Weges Nr. 65, wie er im Entwurf des Wege- und Gewässerplans vorgesehen und von den konkreten Einzelheiten der Ausbaumaßnahme her nicht Streitgegenstand ist, planerisch nicht unangemessen. Dabei kommt es im Rahmen dieses Verfahrens nicht auf eine abschließende rechtliche Bewertung der noch nicht endgültig festgestellten Maßnahme an. Hier genügt es, dass sich ein Hauptwirtschaftsweg zur Erschließung der Feldmark und zur Verbindung zweier Ortslagen, auch wenn er als kombinierter Rad- und Wirtschaftsweg angesprochen worden ist, im Rahmen der Aufgaben der Flurbereinigung nach § 37 Abs.1 und 2 FlurbG hält, wo auch die Erholung in Abs.2 ausdrücklich genannt ist.

Wie der Senat bereits in seinem Bescheid vom 11.09.1974 - Ill F 301/74 - RzF - 12 - zu § 7 Abs. 1 FlurbG , S. 31 ausgeführt hat, kann bei Bestimmung des Zweckes der Flurbereinigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG die ins Einzelne gehende Ausgestaltung von Aufgaben, wie sie die speziellen Abschnitte der Dritten Teils des Flurbereinigungsgesetzes vornehmen, nicht außer Acht gelassen werden, so dass auch die Schaffung von Wegen im Flurbereinigungsgebiet (§ 39 Abs. 1 FlurbG) zu berücksichtigen ist. Bei der Anlage des neuen Wegenetzes ist auch der Erholungsverkehr zu fördern, z.B. durch Wander-, Reit- und Radfahrwege (vgl. Seehusen-Schwede, FlurbG, Kommentar, 7. Aufl. 1997, § 7 Rn. 50). Dabei ist der Vortrag des Klägers, es finde lediglich an sechs Tagen im Jahr eine landwirtschaftliche Nutzung für wenige Grundstücke statt, nicht glaubhaft und vom Beklagten plausibel und in sich widerspruchsfrei zurückgewiesen worden, ohne dass es darauf im Rahmen der Anfechtung des Flurbereinigungsbeschlusses entscheidend ankommt.