Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 25.09.2017 - 15 KF 19/16 (Lieferung 2020)

Aktenzeichen 15 KF 19/16 Entscheidung Urteil Datum 25.09.2017
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen Lieferung 2020

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Anordnung eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens nach § 86 Abs. 1 FlurbG setzt voraus, dass das Verfahren in erster Linie privatnützigen Zwecken dient, hinter denen fremdnützige Zwecke im Konfliktfall zurücktreten. (Redaktioneller Leitsatz)
2. Die Privatnützigkeit eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens beantwortet sich ausschließlich nach den mit dem Flurbereinigungsverfahren verfolgten Zielen. Die Ziele, die mit einem Naturschutzprojekt verbunden sind, das das vereinfachte Flurbereinigungsverfahren (mit) ausgelöst hat, sind unerheblich. (Redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich für die Beurteilung, welche Zwecke mit einer angeordneten Flurbereinigung vorrangig verfolgt werden sollen, ist in erster Linie das, was die Flurbereinigungsbehörde im Flurbereinigungsbeschluss in Gestalt des Widerspruchsbescheids als Zwecke angegeben hat. (Redaktioneller Leitsatz)
4. Die Ziele dürfen von der Flurbereinigungsbehörde nicht bloß "vorgeschoben" sein. (Redaktioneller Leitsatz)
5. Eine vereinfachte Flurbereinigung darf bezwecken, dem Staat das Eigentum in einem feuchten Naturschutzgebiet zuzuteilen und die bisherigen Eigentümer im landwirtschaftlich besseren Umland wertgleich zu arrondieren; letzteres ist dann das privatnützige Hauptziel des Verfahrens. (Redaktioneller Leitsatz)
6. Mit dem Privatnützigkeitserfordernis ist es nicht vereinbar, eine vereinfachte Flurbereinigung anzuordnen, um in erster Linie Land für ein im Interesse der Allgemeinheit liegendes Vorhaben zu beschaffen. Dieses Anliegen ist der fremdnützigen Unternehmensflurbereinigung vorbehalten. (Redaktioneller Leitsatz)

Aus den Gründen

Gemäß § 86 Abs. 1 FlurbG kann ein vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren u. a. eingeleitet werden, um Maßnahmen der Landentwicklung, insbesondere Maßnahmen der Agrarstrukturverbesserung (dazu gehört die Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft, vgl. BVerwG, Beschluss v. 18.6.1998 - 11 B 28.98 - RdL 1998, 209 = juris Rn. 8 <= RzF - 14 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>), der Siedlung, der Dorferneuerung, städtebauliche Maßnahmen, Maßnahmen des Umweltschutzes, der naturnahen Entwicklung von Gewässern, des Naturschutzes und der Landschaftspflege oder der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes zu ermöglichen oder auszuführen (Nr. 1), oder um Landnutzungskonflikte aufzulösen (Nr. 3). Nicht entscheidend ist, welcher der Zwecke die Anordnung des Verfahrens auslöst (vgl. Senatsurteil v. 5.3.1998 - 15 K 2819/96 - RdL 1999, 320 = juris Rn. 18; Senatsbeschluss v. 14.10.2016 - 15 MF 8/16 - RdL 2017, 46 = juris Rn. 22 m. w. N. <= RzF - 52 - zu § 4 FlurbG>). Die Anordnung einer vereinfachten Flurbereinigung setzt allerdings - ebenso wie die Anordnung einer Regelflurbereinigung - voraus, dass das Verfahren in erster Linie privatnützigen Zwecken dient, hinter denen fremdnützige Zwecke im Konfliktfall zurücktreten, und dass ein objektives Interesse der Teilnehmer im Sinne des § 4 Halbsatz 1 FlurbG besteht (BVerwG, Urteil v. 13.4.2011 - 9 C 1.10 - NVwZ-RR 2011, 882 = juris Rn. 13 <= RzF - 21 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>; Beschlüsse v. 18.11.2014 - 9 B 30.14 - ZUR 2015, 290 = juris Rn. 4 <= RzF - 24 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>; - 9 B 31.14 - Buchholz 424.01 § 86 FlurbG Nr. 4 = juris Rn. 4; Senatsbeschluss v. 14.10.2016, a. a. O., Rn. 22 ff. <= RzF - 52 - zu § 4 FlurbG>).


Dem wird die Anordnung der vereinfachten Flurbereinigung D. gerecht:


a) Sie dient primär privatnützigen Zwecken.


Insoweit kommt es entgegen der Annahme des Klägers nicht darauf an, welche Ziele mit der Wiedervernässung des Mittleren W.moores verfolgt werden, insbesondere, ob sie mit finanziellen Förderungen verbunden ist. Denn die Frage der Privatnützigkeit eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens beantwortet sich ausschließlich nach den mit dem Flurbereinigungsverfahren verfolgten Zielen. Die Ziele, die mit einem Naturschutzprojekt verbunden sind, das gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG das vereinfachte Flurbereinigungsverfahren (mit) ausgelöst hat, sind insoweit unerheblich (vgl. BVerwG, Beschluss v. 18.11.2014 - 9 B 30.14 - juris Rn. 5 <= RzF - 24 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>; Senatsbeschluss v. 14.10.2016, a. a. O., Rn. 22 <= RzF - 52 - zu § 4 FlurbG>). Ebenso wenig kommt es für die Feststellung der Privatnützigkeit auf Ausführungen in Zeitschriften und Zeitungsartikeln an. Maßgeblich für die Beurteilung, welche Zwecke mit einer angeordneten Flurbereinigung vorrangig verfolgt werden sollen, ist vielmehr in erster Linie das, was die zuständigen Behörden in Erfüllung ihrer Begründungspflicht im Flurbereinigungsbeschluss in Gestalt des Widerspruchsbescheids als Zwecke angegeben haben (BVerwG, Urteil v. 13.4.2011, a. a. O., Rn. 20).
Laut Einleitungsbeschluss in der Fassung des Widerspruchsbescheids werden mit der vereinfachten Flurbereinigung D. mehrere Zwecke verfolgt:

Zum einen sind Agrarstrukturverbesserungsmaßnahmen im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG in Form einer allgemeinen Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft beabsichtigt. Dazu sollen der ländliche Grundbesitz zusammengelegt und die landwirtschaftlichen Bewirtschaftungseinheiten günstig ausgestaltet sowie die Erschließungsverhältnisse durch eine Neuordnung und einen Ausbau des Wegenetzes für den modernen landwirtschaftlichen Verkehr verbessert werden. Dies sind privatnützige Zwecke.


Ferner sollen Landnutzungskonflikte im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 3 FlurbG aufgelöst werden. Konkurrierende Nutzungsansprüche zwischen Landwirtschaft und Natur- und Landschaftsschutz sollen entflechtet werden. Dieser Zweck ist privat- und fremdnützig.


Schließlich sollen Maßnahmen der Wiedervernässung von Hochmoorbereichen sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG ermöglicht und ausgeführt werden. Das Verfahrensgebiet soll durch Maßnahmen zur Sicherung eines leistungsfähigen Naturhaushalts im Einklang mit landwirtschaftlichen und ökologischen Belangen gestaltet werden. Das Verfahren soll zur Wiedervernässung und Renaturierung des Mittleren W.moores durch Zurückhalten des Oberflächenwassers und Herstellung einer nassen Halboffen- bzw. Offenlandschaft als Lebensraum für hochmoortypische Pflanzen und Tiere, sowie zur Gestaltung von Natur und Landschaft durch linienhafte und flächige Landschaftselemente wie Baumreihen, Gehölz- und Sukzessionsstreifen beitragen. Hierbei handelt es sich um fremdnützige Ziele.


Im Vordergrund der angeordneten vereinfachten Flurbereinigung D. stehen die erläuterten privatnützigen Agrarstrukturverbesserungsmaßnahmen in Form einer allgemeinen Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. Dieses Ziel wird im Einleitungsbeschluss an erster Stelle genannt. Auch im Widerspruchsbescheid wird hervorgehoben, dass die agrarstrukturellen Ziele eindeutig im Vordergrund stünden. Dieses Ziel ist auch nicht bloß vom Beklagten "vorgeschoben". Denn das vorgelegte Kartenmaterial lässt erkennen, dass der ländliche Grundbesitz im ganz überwiegenden Teil des Flurbereinigungsgebiets - und zwar einschließlich des ca. 56 ha großen Teils des Mittleren W.moores - bei vielen Grundeigentümern zersplittert ist. Der Zusammenlegungsgrad kann im Flurbereinigungsverfahren verbessert werden. Zwar sind teilweise Arrondierungen erkennbar. Jedoch ist es für die Anordnung einer Flurbereinigung nicht erforderlich, dass der Grundbesitz bei jedem einzelnen Grundeigentümer zersplittert ist (vgl. BVerwG, Beschluss v. 26.3.1974 - V B 14.72 - juris Rn. 3). Darüber hinaus belegen das Wegekonzept und die Karte zu den Neugestaltungsgrundsätzen, dass im Großteil des Verfahrensgebiets eine Verbesserung der Erschließungssituation für die landwirtschaftlich genutzten Flächen - teilweise durch Bau auf vorhandenen Trassen, teilweise durch neue Trassen, verbunden mit dem Wegfall vorhandener Anlagen - geplant und möglich ist. Das Wegenetz soll und kann auf einer Länge von mehr als 13 km ausgebaut werden.


Demgegenüber tritt die beabsichtigte Gestaltung von Natur und Landschaft durch linienhafte und flächige Landschaftselemente wie Baumreihen, Gehölz- und Sukzessionsstreifen in den Hintergrund. Denn sie orientiert sich - wie sich aus der Karte zu den Neugestaltungsgrundsätzen und der Karte auf Seite 24 der Gerichtsakte ergibt - hauptsächlich an den geplanten Erschließungsmaßnahmen und hat insoweit im Wesentlichen einen begleitenden Charakter.


Die nach der Begründung des Einleitungsbeschlusses in Gestalt des Widerspruchsbescheids mit der Flurbereinigung ferner angestrebte Wiedervernässung des im Flurbereinigungsgebiet befindlichen Teils des Mittleren W.moores, der nur etwa drei Prozent des Flurbereinigungsgebiets ausmacht, steht der Annahme einer primären Privatnützigkeit der vereinfachten Flurbereinigung D. nicht entgegen.


Ein Verfahren, das - wie es insoweit der Fall ist - Maßnahmen der Landschaftspflege bzw. des Naturschutzes im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG ermöglichen soll, entspricht dem Privatnützigkeitserfordernis, wenn es insoweit vorrangig darum geht, bestehende Konflikte zwischen sich wechselseitig störenden Nutzungen aufzulösen oder eine konfliktfreie Neuordnung der Grundstücksnutzung im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 3 FlurbG zu schaffen (vgl. BVerwG, Urteil v. 13.4.2011, a. a. O., Rn. 21 <= RzF - 21 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>; Beschluss v. 18.11.2014, a. a. O. <= RzF - 24 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>, Rn. 4; Senatsurteil v. 5.3.1998, a. a. O., Rn. 18 ff.; Senatsbeschluss v. 14.10.2016, a. a. O. <= RzF - 52 - zu § 4 FlurbG>, Rn. 22). Eine Flurbereinigung darf bezwecken, dem Staat das Eigentum in einem feuchten Naturschutzgebiet zuzuteilen und die bisherigen Eigentümer im landwirtschaftlich besseren Umland wertgleich zu arrondieren; letzteres ist dann das privatnützige Hauptziel des Verfahrens (vgl. Wingerter/Mayer, Flurbereinigungsgesetz, 9. Aufl. 2013, § 86 Rn. 2). Dagegen ist es mit dem Privatnützigkeitserfordernis nicht vereinbar, eine vereinfachte Flurbereinigung anzuordnen, um in erster Linie Land für ein im Interesse der Allgemeinheit liegendes Vorhaben zu beschaffen. Dieses Anliegen ist vielmehr Ziel der fremdnützigen Unternehmensflurbereinigung vorbehalten, die eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG darstellt (vgl. BVerwG, Urteil v. 13.4.2011, a. a. O., Rn. 21 <= RzF - 21 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>; Beschluss v. 18.11.2014, a. a. O., Rn. 4 <= RzF - 24 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>).


Zwar soll durch die vereinfachte Flurbereinigung D. für das im Interesse der Allgemeinheit liegende Projekt "Mittleres W.moor" Land beschafft werden. Denn auf Seite 17 der PowerPoint-Unterlagen vom 26. Mai 2015 heißt es, dass die Maßnahmen ausschließlich auf öffentlichen Flächen stattfinden. Da bislang in dem ca. 56 ha großen Teil des Mittleren W.moores im Flurbereinigungsgebiet fast alle Flächen im Privateigentum stehen, ist davon auszugehen, dass diese Flächen durch einen Ankauf oder durch ein "Heraustauschen" aus dem Moorbereich - hierfür stehen bislang öffentliche Flächen im Umfang von ca. 15 ha zur Verfügung - zu öffentlichen Flächen werden sollen.


Soweit die vereinfachte Flurbereinigung angeordnet wurde, um eine Wiedervernässung des betreffenden Teils des Mittleren W.moores durch Landbeschaffung zu ermöglichen, geht es aber vorrangig darum, eine konfliktfreie Neuordnung der Grundstücksnutzung im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 3 FlurbG zu schaffen. Der betreffende Bereich ist nach dem Schreiben der Arbeitsgruppe für Naturschutz und Landschaftspflege vom 2. Februar 2017 durch ehemalige maschinelle Abtorfung und Entwässerungsmaßnahmen geprägt. Dass dort Landnutzungskonflikte bestehen, zeigt sich bereits daran, dass der Landkreis D. mit einer naturschutzfachlichen Anordnung vom 22. September 2015 einen Moorumbruch nebst Feldeinsaat auf dem Grundstück des Klägers wegen vorhandener geschützter Biotoptypen im Sinne des § 30 Abs. 1 BNatSchG für unzulässig erklärt hat, wogegen der Kläger ein Klageverfahren führt. Die Flurbereinigung dient in diesem Bereich dazu, derartige Landnutzungskonflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz aufzulösen und dabei zugleich die privaten Eigentümer von Flächen in diesem Bereich im landwirtschaftlich besseren Umland wertgleich zu arrondieren. Dort verfügt nämlich der überwiegende Teil der betroffenen Eigentümer nach dem vorliegenden Kartenmaterial ebenfalls über Flächen.


...


Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 147 Abs. 1, § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 5112 der Anlage 1 zum GKG ist eine Gerichtsgebühr mit vier Gebührensätzen anzusetzen. Der zugrunde gelegte Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG und orientiert sich an der Empfehlung unter der lfd. Ziffer 13.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (NordÖR 2014, 11).

Anmerkung

Bestätigt durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2018 Az.: 9 B 40.17 = RzF - 57 - zu § 4 FlurbG