Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 14.10.2016 - 15 MF 8/16 = RdL 2017, 46-49= NordÖR 2017, 68= NuR 2017, 121= NvwZ-RR 2017, 140= LSK 2016, 53455 (Ls.)= AUR 2017, 29-33 (Lieferung 2018)

Aktenzeichen 15 MF 8/16 Entscheidung Beschluss Datum 14.10.2016
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen RdL 2017, 46-49 = NordÖR 2017, 68 = NuR 2017, 121 = NvwZ-RR 2017, 140 = LSK 2016, 53455 (Ls.) = AUR 2017, 29-33  Lieferung 2018

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine (vereinfachte) Flurbereinigung darf auch eingeleitet werden, wenn anlässlich einer fremdnützigen naturschutzrechtlichen Maßnahme - hier der Schaffung einer Flusstalaue - entstehende Konflikte zwischen dem Naturschutz und den Interessen an einer landwirtschaftlichen Bodennutzung durch eine Abfindung der bisherigen Eigentümer in zusammenhängenden, nicht von Überschwemmung bedrohten Besitzstücken aufgelöst werden sollen.
2. Die Einleitung der Flurbereinigung stellt keine raumbedeutsame Planung i. S. d. § 50 BImSchG dar.
3. Auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Einleitungsbeschlusses in der Flurbereinigung gilt, dass ein. begrenzter Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO grundsätzlich zulässig ist. Voraussetzung für die teilweise Anordnung der sofortigen Vollziehung ist, dass der Verwaltungsakt insoweit teilbar und der Umfang des Sofortvollzuges - hier Vorstandswahl und Wertermittlung - erkennbar ist.

Aus den Gründen

II. Der nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag der Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 6. September 2016 gegen den Einleitungsbeschluss in vereinfachten Flurbereinigungsverfahren C. vom 5. August 2016 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.


Dabei kann offen bleiben, ob der Antrag überhaupt zulässig ist. Bedenken ergeben sich unter dem Blickwinkel des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses. Denn auch im vorliegenden Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, in dem ausschließlich die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts (hier: des Einleitungsbeschlusses) Gegenstand des Antragsbegehrens ist, ist das Vorliegen eines rechtlich schutzwürdigen Interesses an dem erstrebten Rechtsschutzziel Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn durch die erstrebte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs - vorläufig - ein rechtlicher oder tatsächlicher Vorteil für den Antragsteller eintreten kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.11.1991 - 11 S 1157/91 -, juris, Rn. 2). Dies ist unter den hier gegebenen Umständen jedoch fraglich. Denn der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung des Einleitungsbeschlusses nicht umfassend, sondern nur "hinsichtlich Vorstandswahl und Wertermittlung" angeordnet. Ein begrenzter Sofortvollzug ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO grundsätzlich zulässig (vgl. allgemein Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., 2015, § 80, Rn. 104, m. w. N.). Dies gilt auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Einleitungsbeschlusses in der Flurbereinigung (vgl. Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl., 2013, § 4, Rn. 13). Voraussetzung für die teilweise Anordnung der sofortigen Vollziehung ist allerdings, dass der Verwaltungsakt insoweit teilbar und der Umfang des Sofortvollzuges erkennbar ist. Diesen Voraussetzungen ist hier noch genügt. Denn die Anordnung ist so zu verstehen, dass weitere als die genannten, der "Beweissicherung" dienenden Verfahrensschritte im Flurbereinigungsverfahren C. zunächst nicht erfolgen sollen und dürfen, also weder vorläufige Änderungen der Besitzverhältnisse (§§ 36, § 65 FlurbG) noch der Nutzung von Grundstücken (§§ 34, § 36 FlurbG). Erst recht ermöglicht die so begrenzte Anordnung der sofortigen Vollziehung des Einleitungsbeschlusses noch nicht den Erlass eines Flurbereinigungsplanes einschließlich Wege- und Gewässerplan. Es ist jedoch nicht ersichtlich und wird auch von dem Antragsteller nicht geltend gemacht, dass das vorläufige Unterlassen der Vorstandswahl (§ 21 FlurbG) und der Wertermittlung (§ 27 FlurbG) für ihn vorteilhaft wären.


...


Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung des Einleitungsbeschlusses gesondert angeordnet (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung in dem o. a. begrenzten Umfang in einem ausreichenden Maße und in nachvollziehbarer Weise schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Er hat dazu ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im überwiegenden Interesse der Beteiligten und auch im öffentlichen Interesse geboten. Sie diene der Beweissicherung. Denn die Stadt A-Stadt wolle (nunmehr) demnächst mit den Bauarbeiten zur Schaffung der neuen Flusstalaue beginnen; für die wertgleiche Abfindung nach § 44 FlurbG sei der Wert der durch die Bauarbeiten umgestalteten Einlageflurstücke zu ermitteln. Diese Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil sie einzelfallbezogen die maßgeblichen Gründe für die (begrenzte) Anordnung der sofortigen Vollziehung des Einleitungsbeschlusses angibt und es damit dem Antragsteller ermöglicht, seine Rechte wahrzunehmen.


...


a)    Grundvoraussetzung für die Anordnung eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens nach § 86 Abs. 1 FlurbG ist, ebenso wie bei der Anordnung eines Verfahrens nach §§ 1, § 37 FlurbG (vgl. Wingerter/Mayr, a.a.O., § 86, Rn. 1, m. w. N.), dass die Anordnung und Durchführung des Verfahrens in erster Linie privatnützigen Zwecken dient, hinter denen ein etwaiger fremdnütziger Zweck im Konfliktfall zurücktritt. Demzufolge darf auch ein vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren nicht ausschließlich zu dem Zweck angeordnet werden, um eine Maßnahme des Naturschutzes zu ermöglichen, wenn dafür privatnützige Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer im Verfahrensgebiet nicht in gleicher Weise erkennbar sind. Nicht entscheidend ist jedoch, welcher der Zwecke die Anordnung des Verfahrens auslöst (vgl. bereits Senatsurt. v. 5.3.1998, a.a.O., juris, Rn. 18, sowie Senatsbeschl. v. 4.7.2008 - 15 MF 6/08 -, = RzF - 42 - zu § 4 FlurbG) bzw. veranlasst (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.11.2014 - 9 B 30/14 -, juris, auch zum Folgenden). Dem Privatnützigkeitserfordernis wird danach u.a. entsprochen, wenn durch das (vereinfachte) Flurbereinigungsverfahren Maßnahmen der Landschaftspflege i. S. d. § 86 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG ermöglicht werden sollen, um eine konfliktfreie Neuordnung der Grundstücksnutzung zu schaffen und damit zugleich Landnutzungskonflikte i. S. d. Nr. 3 des § 86 Abs. 1 FlurbG aufzulösen. Die Frage der Privatnützigkeit beantwortet sich dann nicht nach den mit dem Naturschutzprojekt verfolgten Zielen, sondern nach den mit dem Flurbereinigungsverfahren verfolgten Zielen, mit dem Maßnahmen des Naturschutzes erleichtert oder unterstützend begleitet werden. So darf eine Flurbereinigung auch bezwecken, einem Hoheitsträger Eigentum in einem feuchten Naturschutzgebiet zuzuteilen und die bisherigen Eigentümer stattdessen im landwirtschaftlich besseren Umland wertgleich abzufinden (vgl. Wingerter/Mayr, a.a.O., § 86, Rn. 2).


b)    Hieran gemessen dient das vereinfachte Flurbereinigungsverfahren C. privatnützigen Zwecken. Denn dadurch sollen nicht die rechtlichen Voraussetzungen für die Herstellung einer neuen "Flusstalaue" des C. Mühlenbaches als fremdnütziges Unternehmen geschaffen werden; sie sind - wie der bevorstehende Beginn der Bauarbeiten zeigt - bereits unabhängig von der Einleitung der Flurbereinigung gegeben. Die Flurbereinigung dient vielmehr begleitend und unterstützend dazu, die Landnutzungskonflikte aufzulösen, die im Verfahrensgebiet durch den von der Stadt A-Stadt im Hinblick auf den neuen Verlauf des C. Mühlenbaches bereits weitgehend erfolgten Landerwerb entstanden sind und mit der Verwirklichung dieses Vorhabens noch entstehen werden. Dass die Verlegung des C. Mühlenbaches selbst nicht privatnützig ist, ist nach den vorherigen Ausführungen unerheblich.


Dem Antragsteller kann auch nicht in der Annahme gefolgt werden, dass diese privatnützigen Zwecke in der Begründung des Einleitungsbeschlusses (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung: BVerwG, Beschl. v. 25.11.1988 - 5 B 164/88 - = RzF - 32 - zu § 4 FlurbG) nicht hinreichend deutlich würden. Vielmehr wird bereits im Eingangssatz des Einleitungsbeschlusses zutreffend darauf verwiesen, dass konkurrierende Nutzungsansprüche (i. S. d. einleitend genannten § 86 Abs. 1 Nr. 3 FlurbG) aufgelöst werden sollen, und zwar durch ein "vorausschauendes Flächen- und Bodenmanagement". Mit der "konfliktreduzierten Umsetzung der außerlandwirtschaftlichen Planungen", dem gleichzeitigen "Tausch landwirtschaftlicher Nutzflächen aus dem Überschwemmungsgebiet" und der beabsichtigten Zusammenlegung "zerstreut liegender Besitzstücke" soll die "Wirtschaftskraft und die Entwicklungsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe" verbessert werden; damit werden ersichtlich privatnützige, der landwirtschaftlichen Flächennutzung im Verfahrensgebiet dienende Ziele bezeichnet. Der Verweis auf die mit der Neugestaltung des C. Mühlenbaches verfolgten (fremdnützigen) Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie beschreibt den Anlass, nicht aber das rechtliche Ziel des Flurbereinigungsverfahrens. Dies wird auch dadurch deutlich, dass in dem Flurbereinigungsverfahren die Aufstellung eines Wege- und Gewässerplanes nach § 41 FlurbG nicht vorgesehen ist. Ein solcher Plan wäre aber erforderlich, wenn der C. Mühlenbach einschließlich seiner Randbereiche auf der Grundlage des Flurbereinigungsrechts umgestaltet werden sollte. Schließlich vermindert sich nach der Begründung des Einleitungsbeschlusses durch den naturschutzrechtlich hohen Wert der neu zu gestaltenden städtischen Flächen im Flurbereinigungsgebiet ihr Bedarf an anderweitig gelegenen (bislang landwirtschaftlich genutzten) Kompensationsflächen, so dass der Druck, landwirtschaftliche Flächen abzugeben, im Interesse landwirtschaftlicher Betriebe insgesamt abnimmt. Damit werden zwar auch insoweit privatnützige Zwecke verfolgt, allerdings nicht bzw. jedenfalls nicht vorrangig für die Eigentümer von Flächen im Flurbereinigungsgebiet. Das ist jedoch unschädlich, weil es sich nur um eine insoweit unschädliche positive Nebenfolge des Flurbereinigungsverfahrens handelt.


...


d)    Die vom Antragsteller in seiner Antragsschrift unter der Überschrift "Gebietsabgrenzung" vorgetragenen grundsätzlichen Einwände gegen die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens richten sich stattdessen gegen die Entstehung eines naturschutzrechtlichen Biotops, dessen Schutz wiederum zu Einschränkungen seines emittierenden Betriebes führen, zumindest aber einer Betriebserweiterung entgegenstehen könnte. Diese Einwände sind jedoch gegenüber dem hier maßgebenden sofort vollziehbaren Einleitungsbeschluss unerheblich.


Geht man von dem Wortlaut des Beschlusses aus, so richtet er sich nur auf die umgehende Verwirklichung der Vorstandswahl und der Wertermittlung. Beide Regelungen betreffen ersichtlich nicht die Entstehung eines naturschutzrechtlichen Biotops. Gleiches gilt, wenn man von einer weitergehenden Wirksamkeit des Einleitungsbeschlusses ausgeht und darin auch noch die Wirkungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 (i. V. m. § 86) FlurbG einbezieht. Denn dann hat die Einleitung des vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens gerade zur Folge, dass "in der Nutzungsart der Grundstücke ohne Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde nur Änderungen vorgenommen werden können, die zum ordnungsgemäßen Wirtschaftsbetrieb gehören". Der gegenständliche Einleitungsbeschluss stellt damit keine raumbedeutsame Planung i. S. d. vom Antragsteller herangezogenen § 50 BImSchG dar. Im Übrigen dürfte dies selbst für den nachfolgenden Flurbereinigungsplan nach § 58 FlurbG gelten, soweit - wie angekündigt - auf die Aufstellung und Einbeziehung eines Wege- und Gewässerplanes mit landschaftspflegerischem Begleitplan verzichtet wird. Beruhen die Umgestaltung des C. Mühlenbaches und die geplante Herstellung einer Auenlandschaft damit rechtlich nicht auf dem Flurbereinigungsverfahren, so muss der Antragsteller seine hierauf bezogenen Einwände gegen die maßgebende (wasserrechtliche) Genehmigung richten.