Flurbereinigungsgericht Münster, Bescheid vom 13.01.2020 - 9a D 28/17.G (Lieferung 2021)
Aktenzeichen | 9a D 28/17.G | Entscheidung | Bescheid | Datum | 13.01.2020 |
---|---|---|---|---|---|
Gericht | Flurbereinigungsgericht Münster | Veröffentlichungen | Lieferung | 2021 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Mit Abschluss eines Bodenordnungsverfahrens unterliegen allein zivilrechtliche Rechtspositionen keinem flurbereinigungsrechtlichen bzw. entsprechenden altrechtlichen Sonderregime mehr. (Redaktioneller Leitsatz) |
2. | Zur Aufhebung eines durch einen Rezess im Jahr 1931 hoheitlich begründeten Wegerechts ist die Flurbereinigungsbehörde daher nicht befugt. (Redaktioneller Leitsatz) |
Aus den Gründen
2. ... Die Klage ist aber unbegründet. Die Rechtsgrundlagen, die für das gegen den Beklagten als Flurbereinigungsbehörde gerichtete Klagebegehren auf Aufhebung des streitbefangenen Wegerechts in Betracht kommen, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
a) Die vom Kläger angeführte Regelung in § 64 Satz 1 FlurbG, wonach die Flurbereinigungsbehörde den Flurbereinigungsplan auch nach der Ausführungsanordnung (§§ 61, § 63) ändern oder ergänzen kann, wenn öffentliche Interessen oder wichtige, nicht vorherzusehende wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten es erfordern oder wenn ihr eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird, ist hier nicht anwendbar. Sie ist schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich um einen nach altem Recht durchgeführten Rezess handelt (dazu aa); im Übrigen würde selbst dann nichts anderes gelten, wenn das Flurbereinigungsgesetz hier anwendbar wäre (dazu bb).
aa) Das erst am 1.1.1954 in Kraft getretene Flurbereinigungsgesetz enthält keine Regelung, unter welchen Voraussetzungen die in Umlegungsplänen nach früherem Recht enthaltenen Festsetzungen - also auch das hier streitbefangene Wegerecht, das auf dem nach Maßgabe der Preußischen Umlegungsordnung erfolgten Rezess aus dem Jahr 1931 beruht - geändert werden können. Seinem zeitlichen Geltungswillen nach will das Flurbereinigungsgesetz nur solche Tatbestände erfassen, die nach seinem Inkrafttreten entstanden sind. Das gilt insbesondere für § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG, der sich mit der Änderung von Festsetzungen in Flurbereinigungsplänen, die im gemeinschaftlichen Interessen der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getroffen worden sind, nach Beendigung des Verfahrens befasst. Unter "Flurbereinigungsverfahren" sind solche Verfahren zu verstehen, die nach Maßgabe des Flurbereinigungsgesetzes abgeschlossen worden sind.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.8.1976 - V C 41.75 -, BVerwGE 51, 104, juris Rn. 13 ff. <= RzF - 8 - zu § 58 Abs. 4 FlurbG>
Nichts anderes gilt für die vom Kläger angesprochene Befugnis der Flurbereinigungsbehörde nach § 64 Satz 1 FlurbG, den "Flurbereinigungsplan" auch nach der Ausführungsanordnung (§§ 61 und § 63) zu ändern oder zu ergänzen. Auch diese Vorschrift regelt nur Änderungen eines nach Maßgabe des Flurbereinigungsgesetzes erlassenen Flurbereinigungsplans.
Aus den Übergangsregelungen des Flurbereinigungsgesetzes ergibt sich nichts Gegenteiliges. Vielmehr ist die Rechtswirksamkeit von Anordnungen, Festsetzungen und Entscheidungen der Behörden und Spruchstellen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorbehaltlich hier ersichtlich nicht einschlägiger Ausnahmen nach dem bisherigen Recht zu beurteilen (vgl. § 156 Satz 3 FlurbG). Die Fragen, ob ein Umlegungsplan rechtswirksam erlassen worden ist und welche rechtlichen Wirkungen er hat, sind daher nach altem Recht zu beurteilen. Da das hier in Rede stehende Wegerecht sogar aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der Reichsumlegungsordnung vom 16.6.1937 stammt, ist preußisches bzw. dieses ablösende Landesrecht maßgeblich.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.8.1976 - V C 41.75 -, BVerwGE 51, 104, juris Rn. 14 und 16 <= RzF - 8 - zu § 58 Abs. 4 FlurbG>, und vom 9.12.2015 - 9 C 28.14 -, RdL 2016, 286, juris Rn. 29, sowie Beschluss vom 14.8.2018 - 9 B 18.17 -, juris Rn. 7 f.; zum Fortgelten derartiger landesrechtlichen Vorschriften vgl. Art. 113 EGBGB.
bb) Selbst wenn die beklagte Flurbereinigungsbehörde als Rechtsnachfolgerin des seinerzeit zuständigen Kulturamtes heute aufgrund von Regelungen des Flurbereinigungsgesetzes tätig werden könnte, wäre sie zu einer Aufhebung des Wegerechts nicht befugt. Die durch § 64 Satz 1 FlurbG eröffnete Änderungsbefugnis ist sachlich begrenzt und unterliegt im Hinblick auf § 149 Abs. 2 FlurbG auch einer zeitlichen Begrenzung.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1975 - V C 44.75, BVerwGE 49, 176-184, juris Rn. 21 - <= RzF - 8 - zu § 149 Abs. 1 FlurbG>, und OVG NRW, Urteil vom 20.8.2015 - 9a D 29/14.G -, juris Rn. 39 f. <= RzF - 3 - zu § 149 FlurbG>
Nur im Rahmen eines laufenden Flurbereinigungsverfahren können nach § 49 Abs. 1 und 2 FlurbG Dienstbarkeiten, Reallasten und Erwerbsrechte an einem Grundstück sowie persönliche Rechte, die zum Besitz oder zur Nutzung eines Grundstücks berechtigen oder die Benutzung eines Grundstücks beschränken, aufgehoben werden, wenn es der Zweck der Flurbereinigung erfordert. Ein laufendes Flurbereinigungsverfahren für die Gemarkung B. gibt es aber nicht.
In der Flurbereinigung hat die Möglichkeit des Wiederaufgreifens unanfechtbar gewordener Verwaltungsentscheidungen (vgl. etwa § 51 VwVfG und § 48 VwVfG) eine aus der Eigenart der Verfahrensgestaltung sich ergebende besondere Ausprägung dergestalt erfahren, dass die in § 64 Satz 1 FlurbG der Flurbereinigungsbehörde eingeräumte Befugnis, den Plan auch nach dessen Unanfechtbarkeit noch zu ändern und zu ergänzen, an die oben angeführten konkreten Voraussetzungen gebunden sind.
Vgl. schon BVerwG Urteil vom 16.6.1975 - V C 44.75 - , BVerwGE 49, 176, juris Rn. 21 <= RzF - 8 - zu § 149 Abs. 1 FlurbG>; Beschluss vom 12.6.1986 - 5 CB 140.83 -, Buchholz 424.01 § 64 FlurbG Nr. 5, juris Rn. 10; Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 64 Rn. 1.
Einen Anspruch auf Einleitung eines neuen Flurbereinigungsverfahrens für diesen Bereich macht der Kläger - zu Recht - nicht geltend. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines solchen Verfahrens zu dem alleinigen Zweck, das Wegerecht aufzuheben, sind ersichtlich nicht gegeben.
b) Auch ist keine andere Rechtsgrundlage gegenüber der Flurbereinigungsbehörde auf Verpflichtung (bzw. hilfsweise auf Neubescheidung) zur Löschung der Wegedienstbarkeit erkennbar.
Der Senat geht davon aus, dass das Auseinandersetzungsverfahren, in dem die hier streitige Wegedienstbarkeit begründet worden ist ausweislich der Niederschrift vom 14.6.1935, sein Ende gefunden hat. Die von der Flurbereinigungsbehörde mit Schriftsatz vom 11.7.2019 vorgelegten Unterlagen sind eindeutig und lassen mit hinreichender Klarheit erkennen, dass das Verfahren nach dem seinerzeit geltenden Recht beendet worden ist. Daher bedarf hier keiner Prüfung, ob der Kläger etwaige formelle Fehler nach inzwischen über 80 Jahren, in denen die jeweiligen Rechtsvorgänger das aufgrund des Rezesses in das Grundbuch eingetragene Wegerecht hingenommen haben, unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben überhaupt noch rügen könnte.
Der Kläger stellt die Aussagekraft dieser Unterlagen nicht substantiiert in Frage. Mit Schriftsatz vom 16.12.2019 hat er vielmehr deutlich gemacht, dass er mit der Klage eine nachträgliche Änderung des Rezesses auf Grund von Umständen geltend machen will, "die erst nach Rechtskraft des Rezesses eingetreten sind."
Mit Abschluss des Bodenordnungsverfahrens unterliegen allein zivilrechtliche Rechtspositionen keinem flurbereinigungsrechtlichen bzw. entsprechenden altrechtlichen Sonderregime mehr. Etwas anderes gilt für Festsetzungen, die im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getroffen werden (vgl. § 58 Abs. 4 FlurbG; § 61 Abs. 4 Reichsumlegungsordnung; § 2 des Gesetzes über die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten vom 9.4.1956 - AusVfG NRW -). Diese Festsetzungen, die insbesondere das gemeinschaftliche Wegenetz betreffen und zugleich einen gewissen Ausgleich für den im Flurbereinigungs- bzw. Umlegungsverfahren erfolgten Landabzug darstellen, gelten als Gemeindesatzungen fort und können nur mit Zustimmung der Gemeindeaufsichtsbehörde geändert werden. Auf diese Weise sollen die flurbereinigungs- bzw. umlegungsrechtlich geschaffenen Ergebnisse im Interesse der Nachhaltigkeit der Flurbereinigung gesichert werden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2002 - 9 CN 1.02 -, BVerwGE 117, 209, juris Rn. 57 f. <= RzF - 14 - zu § 58 Abs. 4 FlurbG>
Um eine solche im gemeinschaftlichen oder öffentlichen Interesse erfolgte Festsetzung handelt es sich hier indessen nicht. Die mit dem Wegerecht belastete Fläche ist nicht dem öffentlichen oder dem gemeinschaftlichen Verkehr zugänglich zu machen. Die Dienstbarkeit besteht nur zugunsten des jeweiligen Eigentümers und damit allein im Verhältnis der beiden beteiligten Grundstücksnachbarn. Darauf hat bereits das VG M. in dem rechtskräftigen Urteil vom 17.12.2013 - 1 K 1969/10 - zutreffend abgestellt.
Eine dem § 58 Abs. 4 FlurbG vergleichbare Regelung für - wie hier - allein im privaten Interessen eines Beteiligten geregelte und in das Grundbuch eingetragene Dienstbarkeiten hat der Kläger nicht benannt; eine solche ist auch nicht ersichtlich. Zudem besteht für den Gesetzgeber insoweit auch kein erkennbarer Regelungsbedarf, mithin auch keine Regelungslücke.
Denn derartige Dienstbarkeiten sind, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, mit Berichtigung der öffentlichen Bücher - hier: Eintragung des Wegerechts in das Grundbuch im Jahr 1934 - und damit dem Abschluss des Verfahrens in das alleinige Regime des Privatrechts entlassen.
Vgl. Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 79 Rn. 11.
Dadurch wird dem Kläger entgegen seiner Auffassung effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht verwehrt. Für dessen Gewährung sind vielmehr die Zivilgerichte zuständig. Dass der Kläger dort bislang in der Sache - wie er meint: rechtsfehlerhaft - keinen Erfolg hatte, stellt die Rechtsschutzgewährleistung als solche nicht in Frage.
Aus dem vom Kläger angeführten Urteil des Hessischen VGH vom 6.7.1988 - 5 OE 48/83 - ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dort ist ausdrücklich hervorgehoben, dass die streitbefangenen Reglungen in dem in jenem Verfahren maßgeblichen Rezess ausdrücklich als öffentlich-rechtlich bezeichnet und - anders als hier - nicht in das Grundbuch eingetragen worden sind (juris Rn. 40). Ferner wird ausgeführt, dass Rechte, die in einem Rezess (wie hier) auf der Grundlage alten Rechts begründet worden sind, nicht für alle Zeiten unverändert fortbestehen, sondern abgeändert werden können, weil die Umstände, die die Begründung solcher Rechte notwendig erscheinen lassen, ihrerseits wegfallen können. Wörtlich heißt es: "Wenn im Rezess (Flurbereinigungsplan) privatrechtliche Grunddienstbarkeiten begründet worden sind, wird sich aus einer solchen Änderung der Umstände ein Anspruch des Eigentümers des belasteten Grundstücks auf vertragliche Aufhebung der Dienstbarkeit ergeben. Im Falle öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkungen ist eine behördliche Entscheidung notwendig. Deshalb sieht heute § 58 Abs. 4 FlurbG und sah vorher ... § 61 Abs. 4 der Reichsumlegungsordnung vom 16.6.1937 (RGBl.I S.629) vor, dass die Festsetzungen des Flurbereinigungsplans (Umlegungsplans), die im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getroffen werden, die Wirkung von Gemeindesatzungen haben und nach Beendigung des Umlegungsverfahrens mit Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörde durch Gemeindesatzung geändert oder aufgehoben werden können; auch für die Zeit vor der Reichsumlegungsordnung wurde in Preußen angenommen, das solche im öffentlichen Interesse ergangenen Regelungen in Rezessen oder Auseinandersetzungsplänen Teil des Ortsrechts würden (vgl. Hillebrandt/Engels/Geith, Reichsumlegungsordnung, 1938, Anm. 7 zu § 61)".
Hess. VGH, Urteil vom 6.7.1988 - 5 OE 48/83 -, juris Rn. 45.