Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 20.08.2015 - 9a D 29/14.G (Lieferung 2017)
Aktenzeichen | 9a D 29/14.G | Entscheidung | Urteil | Datum | 20.08.2015 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Münster | Veröffentlichungen | Lieferung | 2017 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Entscheidung über die Nichtigkeitsfeststellungsklage obliegt auch bei einem abgeschlossenen flurbereinigungsrechtlichen Verfahren nach § 138 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 153 Abs. 1 VwGO dem Flurbereinigungsgericht.
Dass § 140 Satz 1 FlurbG die Feststellungsklage wie z. B. auch die Wiederaufnahmeklage nicht erwähnt, steht der Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts nicht entgegen, weil die Vorschrift keine abschließende Regelung über die zulässigen Prozessarten trifft. |
2. | Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 FlurbG können u. a. die in § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG bezeichneten Grundstücke nur "verlegt oder einem anderen gegeben werden", wenn der Zweck der Flurbereinigung in anderer Weise nicht erreicht werden kann. Bei Wohngebäuden ist die Zustimmung des Eigentümers erforderlich (§ 45 Abs. 2 Satz 2 FlurbG). Dieses Erfordernis gilt aber nur dann, wenn das Wohngrundstück in seiner Gesamtheit "verlegt oder einem anderen gegeben" wird, nicht für den hier vorliegenden Fall, dass das Grundstück lediglich durch eine auf Teile der Hoffläche beschränkte Maßnahme "verändert" wird... |
3. | In der Flurbereinigung hat die Möglichkeit des Wiederaufgreifens unanfechtbar gewordener Verwaltungsentscheidungen (vgl. etwa § 51 VwVfG und § 48 VwVfG) eine aus der Eigenart der Verwaltungsentscheidungen sich ergebende besondere Ausprägung dergestalt erfahren, dass die in § 64 Satz 1 FlurbG der Flurbereinigungsbehörde eingeräumte Befugnis, den Plan auch nach dessen Unanfechtbarkeit noch zu ändern und zu ergänzen, an die dort angeführten konkreten Voraussetzungen gebunden, damit sachlich begrenzt ist und im Hinblick auf § 149 Abs. 2 FlurbG auch einer zeitlichen Begrenzung unterliegt. |
Aus den Gründen
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1. Die Klage auf Feststellung, dass der Flurbereinigungsplan in Bezug auf den Grenzverlauf zwischen dem Hausgrundstück des Klägers Gemarkung , Flur , Flurstück , und dem benachbarten Grundstück Gemarkung , Flur , Flurstück , nichtig ist, hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über diese Nichtigkeitsfeststellungsklage obliegt auch bei einem abgeschlossenen flurbereinigungsrechtlichen Verfahren nach § 138 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 153 Abs. 1 VwGO dem Flurbereinigungsgericht. Es geht um die Frage, ob noch Raum für eine Änderung des Grenzverlaufs im Rahmen des - im Falle einer (Teil)-Nichtigkeit noch nicht vollständig abgeschlossenen - flurbereinigungsrechtlichen Verfahrens bestehen könnte. Dass § 140 Satz 1 FlurbG die Feststellungsklage wie z. B. auch die Wiederaufnahmeklage,
vgl. BVerwG Beschluss vom 29. August 1986 - 5 B 49.84 -, NVwZ 1987, 218,
nicht erwähnt, steht der Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts nicht entgegen, weil die Vorschrift keine abschließende Regelung über die zulässigen Prozessarten trifft.
Vgl. auch Wingerter/Mayr, FlurbG, Kommentar, 9. Auflage 2013, § 140 Rn. 3.
Es kann dahinstehen, ob die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 140 FlurbG in Verbindung mit § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG und § 43 VwGO zulässig ist, auch wenn der Kläger seine Rechte als Teilnehmer an der Flurbereinigung durch Gestaltungs- oder Leistungsklage hätte geltend machen können und nunmehr die Ausschlusswirkung des § 140 FlurbG greift. Jedenfalls hat die Klage schon deshalb keinen Erfolg, weil der Flurbereinigungsplan hinsichtlich der Verschiebung der Grenze zwischen den Abfindungsflurstücken und unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nichtig ist.
Abgesehen von den hier ersichtlich nicht einschlägigen Fallgruppen des § 44 Abs. 2 VwVfG NRW ist ein Verwaltungsakt nach § 44 Abs. 1 VwVfG NRW nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegendem Fehler leidet und diese bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Besonders schwerwiegende Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG NRW sind solche, die in einem so schwerwiegendem Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den in ihr verkörperten Wertvorstellungen stehen, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten Rechtswirkungen entfalten würde.
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 44 Rn. 8 m.w.N.
Letzteres ist namentlich dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt tragenden Verfassungsprinzipien widerspicht oder es sich um einen offensichtlichen "Gefälligkeits-Verwaltungsakt" handelt, dem keinerlei rechtfertigender Sachverhalt zugrunde liegt.
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., 2014, § 44 Rn. 10.
Gemessen an diesen Maßstäben ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu erkennen, dass der Zuschnitt des Abfindungsflurstücks an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 VwVfG NRW leidet.
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Durch den Wegfall der Wegefläche konnte die Flurbereinigungsbehörde gleichzeitig die Nachbargrenze zum Abfindungsflurstück begradigen. Auch wenn sich die Grenze dadurch etwas verschoben hat, vermag der sachverständig besetzte Senat bei einem solchen Zuschnitt des Abfindungsflurstücks unter Berücksichtigung der anzuhaltenden Wertzahlen keinen, jedenfalls keinen besonders schwerwiegenden Fehler zu erkennen. Zwar sind die Erwägungen, die dem im Jahr 1983 in Aussicht genommenen und schließlich auch umgesetzten Flächenzuschnitt zugrunde gelegen haben, nicht mehr in allen Einzelheiten nachvollziehbar, mit Blick auf das seinerzeitige Verhalten der Rechtsvorgängerin des Klägers, die nicht nur von einem Widerspruch abgesehen, sondern auch ausdrücklich ihre Zufriedenheit mit der geplanten Regelung zu Protokoll der Flurbereinigungsbehörde erklärt hat, bedurfte es im Rahmen des Flurbereinigungsplans auch keiner schriftlichen Begründung. Gleichwohl erweist sich die Flächenzuteilung schon bei objektiver Betrachtung im Vergleich zu dem Zuschnitt der Einlageflächen so erkennbar als sinnvoll, dass die Nachteile der geringfügigen Verschiebung der Grenze zum Nachbargrundstück keinesfalls von einem solchen Gewicht sind, das die Regelung als grob fehlerhaft oder willkürlich erscheinen lässt.
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Auf eine angeblich fehlende Zustimmung seiner Rechtsvorgängerin zur Grenzänderung kann sich der Kläger nicht berufen. Ungeachtet der Frage, ob das Fehlen einer nach dem Flurbereinigungsgesetz erforderlichen Zustimmung anders als das Fehlen sonstiger Mitwirkungshandlungen,
vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15, Aufl., 214, § 44 Rn. 21,
überhaupt zur Nichtigkeit einer Regelung im Flurbereinigungsplan führen kann, ist die diesbezügliche Rüge des Klägers unbegründet. Abgesehen davon, dass die Rechtsvorgängerin die Aufhebung des Weges zwischen ihrer Einlagefläche Gemarkung, Flur, Flurstück, und den Gartengrundstücken Flur, Flurstücke und, begrüßt hat, bedurfte die Änderung des Grenzverlaufs nicht ihrer Zustimmung. Dabei geht der Senat entgegen den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken zugunsten des Klägers davon aus, dass das hier in Rede stehende Gartenland eine Hof- und Gebäudefläche im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG ist und deshalb nach Maßgabe des § 45 FlurbG grundsätzlich einen besonderen Schutz genießt. Das für Veränderungen geltende Zustimmungserfordernis nach § 45 Abs. 1 Satz 2 FlurbG erfasst indessen nur die hier nicht einschlägigen Fälle des § 45 Abs. 1 Nr. 9 bis Nr. 11. Auch das Zustimmungserfordernis nach § 45 Abs. 2 FlurbG galt hier nicht. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 FlurbG können u. a. die in § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG bezeichneten Grundstücke nur "verlegt oder einem anderen gegeben werden", wenn der Zweck der Flurbereinigung in anderer Weise nicht erreicht werden kann. Bei Wohngebäuden ist die Zustimmung des Eigentümers erforderlich (§ 45 Abs. 2 Satz 2 FlurbG). Dieses Erfordernis gilt aber nur dann, wenn das Wohngrundstück in seiner Gesamtheit "verlegt oder einem anderen gegeben" wird, nicht für den hier vorliegenden Fall, dass das Grundstück lediglich durch eine auf Teile der Hoffläche beschränkte Maßnahme "verändert" wird.
Zur Abgrenzung von § 45 Abs. 1 und Abs. 2 FlurbG so schon BVerwG, Beschluss vom 19. April 1963 - I B 151.61 -, RdL 1963, 166; Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl., 2013, § 45 Rn. 20 f.
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2. Der Hilfsantrag hat ebenfalls keinen Erfolg.
Der Kläger kann mit seinem Klagebegehren, den Beklagten dazu verpflichten, das Flurbereinigungsverfahren wiederaufzunehmen und die im Flurbereinigungsplan vorgenommene Änderung der Grenze seines Hausgrundstücks Gemarkung , Flur , Flurstück , zum benachbarten Grundstück Gemarkung , Flur , Flurstück , wieder rückgängig zu machen, nicht mehr gehört werden.
Es kann dahinstehen, ob eine Wiederaufnahme des behördlichen Verfahrens schon deswegen unzulässig ist, weil sie nicht bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist gegen die Schlussfeststellung - hier im Jahre 2005 - beantragt worden ist (vgl. § 149 Abs. 2 FlurbG). Dieser Frage des Wiederaufgreifens unanfechtbar gewordener Verwaltungsentscheidungen musste der Senat nicht weiter nachgehen. Denn jedenfalls die Ausschlusswirkung der Schlussfeststellung steht dem Begehren des Klägers nach Änderung des Flurbereinigungsplans entgegen. Für ein Tätigwerden des Beklagten als Flurbereinigungsbehörde ist kein Raum mehr.
In der Flurbereinigung hat die Möglichkeit des Wiederaufgreifens unanfechtbar gewordener Verwaltungsentscheidungen (vgl. etwa § 51 VwVfG und § 48 VwVfG) eine aus der Eigenart der Verfahrensgestaltung sich ergebende besondere Ausprägung dergestalt erfahren, dass die in § 64 Satz 1 FlurbG der Flurbereinigungsbehörde eigeräumte Befugnis, den Plan auch nach dessen Unanfechtbarkeit noch zu ändern und zu ergänzen, an die dort angeführten konkreten Voraussetzungen gebunden, damit sachlich begrenzt ist und im Hinblick auf § 149 Abs. 2 FlurbG auch einer zeitlichen Begrenzung unterliegt.
Vgl. so schon BVerwG Urteil vom 16. Juni 1975 - V C 44.75 -, BVerwGE 49, 176, juris Rn. 21; Beschluss vom 12. Juni 1986 - 5 CB 140.83 -, Buchh 424.01 § 64 FlurbG Nr. 5, juris Rn. 10; Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl., 2013, § 64 Rn. 1.
Nach § 149 Abs. 2 FlurbG ist die Schlussfeststellung der Teilnehmergemeinschaft zuzustellen, nachdem sie unanfechtbar geworden ist und nachdem über Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens, die bis zum Ablauf der Frist für Widersprüche gegen die Schlussfeststellung gestellt worden sind, entschieden ist. Mit der Zustellung an die Teilnehmergemeinschaft ist gemäß § 149 Abs. 3 FlurbG das Flurbereinigungsverfahren beendet.
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