Flurbereinigungsgericht Weimar, Urteil vom 18.10.2006 - 7 F 465/04 (Lieferung 2008)

Aktenzeichen 7 F 465/04 Entscheidung Urteil Datum 18.10.2006
Gericht Flurbereinigungsgericht Weimar Veröffentlichungen Lieferung 2008

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für eine dem Bodenordnungsplan vorausgehende Wertermittlung ist nicht der (erst in der Zukunft liegende) Zeitpunkt der wertgleichen Abfindung, sondern der Zeitpunkt, auf den sich die Wertermittlung bezieht.
2. Bei der Klärung der Frage, ob eine Nutzung sich noch als Teil der am 30. Juni 1990 bereits ausgeübten landwirtschaftlichen Nutzung oder als Umnutzung zu gewerblichen Zwecken im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG darstellt, bietet sich ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB privilegiert zulässigen landwirtschaftlichen Betrieb in Fällen "gemischter" Tätigkeit an. Danach können dann, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden ist, einzelne Betätigungen, die bei isolierter Betrachtung - landwirtschaftsfremd sind, in gewissem Umfang von dessen Privilegierung "mitgezogen" werden. Voraussetzung ist, dass es sich bei der landwirtschaftsfremden Tätigkeit um eine gegenüber dem landwirtschaftlichen Betrieb "bodenrechtliche Nebensache" handelt, d.h. der landwirtschaftsfremde Betriebsteil darf seinem Umfang und seiner Bedeutung nach lediglich ein Anhängsel zur Landwirtschaft sein und muss in einem betrieblichen Zusammenhang mit der unmittelbaren Bodenertragsnutzung stehen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage hat in der Sache weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag Erfolg. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das damalige Flurneuordnungsamt (heute Amt für Landentwicklung und Flurneuordnung) Gera ist bei der angegriffenen Wertermittlung nicht zu einer zu niedrigen Bewertung der allein im Streit befindlichen Gebäude- und Freifläche Land- und Forstwirtschaft (GFLF) gelangt.


Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) muss jeder Teilnehmer im Bodenordnungsverfahren für die von ihm abzutretenden Grundstücke durch Land von gleichem Wert abgefunden werden; nach § 58 Abs. 1 Satz 2 LwAnpG soll die Landabfindung in der Nutzungsart, Beschaffenheit, Bodengüte und Lage den alten Grundstücken entsprechen (s. auch die vergleichbare Regelung in § 44 Abs. 4 FlurbG). Weitere Bestimmungen über die wertgleiche Abfindung und die zu diesem Zweck vorzunehmende Wertermittlung der jeweiligen Grundstücke enthält das Landwirtschaftsanpassungsgesetz selbst nicht, so dass gem. § 63 Abs. 2 LwAnpG die Vorschriften des Flurbereinigungsgesetzes sinngemäß anzuwenden sind. Für die Wertermittlung folgt hieraus gemäß § 44 Abs. 1 FlurbG, dass die Werte der Grundstücke nach den §§ 27 bis § 33 FlurbG zu ermitteln sind (vgl. etwa OVG Greifswald, Urteil vom 16.04.1998 - 9 K 28/97-, AgrarR 1999, 257 = VIZ 1999, 553; OVG Magdeburg, Urteil vom 13.08.1996 - 8 K 2/95 -, AgrarR 1997, 297 = RdL 1997, 296 <= RzF - 1 - zu § 58 Abs. 1 LwAnpG; OVG Frankfurt/Oder>, Urteil vom 25.01.2001 - 8 D 12/98.G -; Senatsurteil vom 17.12.2003 - 7 F 884/01 -<= RzF - 9 - zu § 63 Abs. 2 LwAnpG>).


Bei dem als GFLF eingeordneten Teil des Grundstücks des Klägers handelt es sich ungeachtet seiner zwischen den Beteiligten nicht umstrittenen Lage im Außenbereich um Bauland im Sinne des § 29 Abs. 1 FlurbG, da er mit Gebäuden bebaut und weiter bebaubar ist, die einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen; dies hat zur Folge, dass sein Verkehrswert für die Wertermittlung maßgebend ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25.07.1991 - 5 B 46.91 -, Buchholz 424.01 § 134 FlurbG Nr. 16). Der Verkehrswert wird nach § 29 Abs. 2 FlurbG durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.


Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der fragliche Grundstücksteil zur Zeit der DDR mit landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäuden bebaut wurde, an denen nach dem Recht der DDR selbständiges Gebäudeeigentum begründet worden ist. In derartigen Fällen ist für die Wertermittlung auf die Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes - SachenRBerG - vom 21.09.1994 (BGBl. I S. 2457) zurückzugreifen, das in § 19 eine Regelung zur Bodenwertbestimmung bereit hält, die gerade die Interessenlage mit Gebäudeeigentum belasteter Grundstücke zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.2003 - 9 C 5.02 -, VIZ 2003, 438 = NJ 2003, 491) <= RzF - 37 - zu § 64 LwAnpG>. Sie betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten auch Sachverhalte wie den vorliegenden, in denen Grundstücke durch eine ehemalige LPG mit landwirtschaftlichen Gebäuden bebaut worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1999 - LWZR 9/99 -, AgrarR2000, 230 = VIZ 2000, 112; davon ausgehend auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem vom Beklagten erwähnten Beschluss vom 03.07.2003 - 9 B 58.03 - juris).


Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SachenRBerG bestimmt sich der Bodenwert nach dem um die Abzüge nach Satz 3 verminderten Wert eines baureifen Grundstücks. Dies ist gem. § 19 Abs. 2 Satz 2 der Verkehrswert im Sinne des § 194 BauGB, der sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre. Soweit für das Grundstück Bodenrichtwerte nach § 196 BauGB vorliegen, soll der Wert des baureifen Grundstücks gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 SachenRBerG hiernach bestimmt werden. Nach Satz 2 der Regelung kann jeder Beteiligte eine hiervon abweichende Bestimmung verlangen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bodenrichtwerte nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen (Nr. 1), oder wenn aufgrund untypischer Lage oder Beschaffenheit die Bodenrichtwerte als Ermittlungsgrundlage ungeeignet sind (Nr. 2).


Ein in dieser Weise ermittelter Bodenwert enthält jedoch wegen der in § 19 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG vorgesehenen fiktiven Nichtberücksichtigung des Gebäudeeigentums eine Erhöhung des Grundstückswertes; deshalb ist die tatsächliche Wertminderung des Grundstücks wegen der Bebauung mit einem fremden Gebäude durch eine entsprechende Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes nach § 68 Abs. 1 SachenRBerG zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.2003 - 9 C 5.02-, a. a. O.; SächsOVG, Urteil vom 27.07.2006 - F 7 D 27/04 - juris).


Maßgeblicher Zeitpunkt für eine dem Bodenordnungsplan vorausgehende Wertermittlung ist dabei nicht der (erst in der Zukunft liegende) Zeitpunkt der wertgleichen Abfindung, sondern der Zeitpunkt, auf den sich die Wertermittlung bezieht (vgl. dazu SächsOVG, Urteil vom 27.07.2006 - F 7 D 27/04 - juris; in diesem Sinne wohl auch schon BVerwG, Beschluss vom 10.05.1996 - 11 B 33.96 - juris); das ist hier der für die 1. Änderung zu den Ergebnissen der Wertermittlung angegebene Wertermittlungsstichtag 01.06.2002.


Nach diesen Maßstäben bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Flurneuordnungsamt den Bodenwert der Grundstücke zu Lasten des Klägers zu niedrig angesetzt hätte.


...


Der Wert der GFLF-Flächen war auch nicht deshalb nach dem ungeteilten Bodenwert zu bemessen, weil die landwirtschaftliche Nutzung des betreffenden Grundstücksteils inzwischen aufgegeben worden wäre. Nach der auf die Wertermittlung im Bodenordnungsverfahren entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 70 Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG ist der Kaufpreis dann - ausnahmsweise - nach dem ungeteilten Bodenwert zu bemessen, wenn die Nutzung des Grundstücks geändert wird. Eine Nutzungsänderung in diesem Sinne liegt nach Satz 2 Nr. 2 der Bestimmung dann vor, wenn ein Gebäude oder eine bauliche Anlage gewerblichen Zwecken dient und das Gebäude auf den dem gesetzlichen Nutzungsrecht der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unterliegenden Flächen errichtet und am 30.06.1990 land- oder forstwirtschaftlich genutzt wurde. Dies lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers hier nicht feststellen. Die von ihm im Verhandlungstermin vom 07.12.2004 unter Hinweis auf einen Zeitungsartikel in der Ostthüringer Zeitung als Beleg dafür angeführte teilweise Nutzung eines der Gebäude als Kühl- und Schlachtraum sowie als Räucherkammer stellt sich nicht als gewerbliche Nutzung in diesem Sinne dar. Hierzu gilt im Einzelnen Folgendes:

Bei der Klärung der Frage, ob die angesprochene Nutzung sich noch als Teil der am 30.06.1990 bereits ausgeübten landwirtschaftlichen Nutzung oder als Nutzung zu gewerblichen Zwecken im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG darstellt, bietet sich ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB privilegiert zulässigen landwirtschaftlichen Betrieb in Fällen "gemischter Tätigkeit" an. Danach können dann, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden ist, einzelne Bestätigungen, die - bei isolierter Betrachtung - landwirtschaftsfremd sind, in gewissem Umfang von dessen Privilegierung "mitgezogen" werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.11.1984 - 4 C 27.81-, DVBl. 1985, 395 = UPR 1985, 295 = NVwZ 1986, 203 = BRS 42 Nr. 81; aus der neueren Rechtsprechung vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 07.07.2005 - 26 ZB 04.2503 - juris). Voraussetzung ist, dass es sich bei der landwirtschaftsfremden Tätigkeit um eine gegenüber dem landwirtschaftlichen Betrieb "bodenrechtliche Nebensache" handelt, d.h. der landwirtschaftsfremde Betriebsteil darf seinem Umfang und seiner Bedeutung nach lediglich ein Anhängsel zur Landwirtschaft sein und muss in einem betrieblichen Zusammenhang mit der unmittelbaren Bodenertragsnutzung stehen (vgl. BayVGH, a. a. O.). Dient etwa eine betriebliche Erweiterung dem Ziel, den Absatz zu fördern oder diese Güter durch eine weitere Verarbeitung zu verbessern und damit ihre Marktfähigkeit zu steigern, wird dies häufig ein Indiz dafür sein, dass der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur auch diese an sich nicht landwirtschaftlichen Betriebsteile zuzuordnen sind (vgl. BVerwG, a. a. O.). Entsprechendes muss auch gelten, wenn ein neuer landwirtschaftsfremder Betriebsteil in bestehenden Gebäuden des landwirtschaftlichen Betriebs untergebracht wird. Stellt sich eine landwirtschaftsfremde Nutzung danach noch als Teil des landwirtschaftlichen Betriebs dar, die von dessen Privilegierung "mitgezogen" wird, kann sie auch nicht als gewerbliche Nutzung im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SachenRBerG angesehen werden, die eine Preisbemessung nach dem ungeteilten Bodenwert rechtfertigt.


Nach diesen Kriterien stellt sich die "landwirtschaftsfremde" Nutzung auf dem Flurstück X noch als Teil des landwirtschaftlichen Betriebes des Beigeladenen dar. Sie steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Bodennutzung und ist dem Rinderzuchtbetrieb deutlich untergeordnet. Die im Verhandlungstermin vom 18.10.2006 durchgeführte Augenscheineinnahme des Senats auf dem Betriebsgelände des Beigeladenen in T hat ergeben, dass sich hier in einem langgestreckten, eingeschossigen Gebäude die für die Direktvermarktung von Fleischprodukten notwendigen Auslagen befinden. Bei den in Augenschein genommenen Räumen handelt es sich nach Angaben des Vertreters des Beigeladenen um einen Schlachtraum, einen Kühlraum, einen Zerlegeraum sowie einen zum Räuchern und zur Lufttrocknung von Dauerwurst genutzten Raum; daneben gibt es hier einen Sozialraum. Im östlichen Gebäudeteil finden sich ehemals als "Weißbereich" (Sozialtrakt) genutzte Räume, in denen derzeit Rekonstruktionsarbeiten durchgeführt werden und deren genaue Zweckbestimmung noch nicht feststeht. Ausweislich des vom Betrieb geführten Schlachtbuchs, das in der mündlichen Verhandlung eingesehen werden konnte, wurden im Jahr 2006 bis Mitte Oktober zwischen drei und fünf Rinder pro Woche geschlachtet. Daneben werden nach Angaben des Vertreters der Beigeladenen Schweine zugekauft, die bereits geschlachtet sind. Insgesamt handelt es sich bei den vorgefundenen Räumlichkeiten auch unter Berücksichtigung der geplanten Erweiterung der Schlachtkapazität um einen Betriebsteil, der seinem Umfang und seiner Bedeutung nach lediglich ein "Anhängsel" des landwirtschaftlichen Betriebs des Beklagten ist. Die in den Räumen betriebenen Einrichtungen dienen der Vermarktung des im Betrieb erzeugten Rindfleischs; dies bestätigt auch der vom Kläger eingereichte Zeitungsartikel aus der OTZ vom 03.12.2004. Dass in geringem Umfang Schweine zugekauft werden, um die Produktpalette erweitern zu können, ist unschädlich, da der Einsatz der selbst erzeugten Produkte, nämlich der auf dem Grünland gehaltenen Rinder, deutlich überwiegt (darauf abstellend etwa BVerwG, Urteil vom 30.11.1984, a. a. O.). Die in dem Zeitungsartikel aus der OTZ angesprochenen Ladengeschäfte, in denen weitere nicht im landwirtschaftlichen Betrieb selbst erzeugte Produkte verkauft werden, befinden sich nicht auf dem Flurstück X, sondern an anderer Stelle. Unerheblich für die rechtliche Beurteilung ist auch, dass die Direktvermarktung nicht durch den Beigeladenen selbst, sondern durch eine GmbH als Tochtergesellschaft betrieben wird.

Anmerkung

Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2007 über die Nichtzulassungsbeschwerde ist abgedruckt unter RzF - 61 - zu § 64 LwAnpG.