Flurbereinigungsgericht Greifswald, Urteil vom 19.02.2002 - 9 K 27/00 = RdL 2003, 303= AUR 2003, 385 (Lieferung 2005)
Aktenzeichen | 9 K 27/00 | Entscheidung | Urteil | Datum | 19.02.2002 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Greifswald | Veröffentlichungen | = RdL 2003, 303 = AUR 2003, 385 | Lieferung | 2005 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | § 459 Absatz 1 ZGB-DDR findet mit der in § 295 Absatz 2 ZGB-DDR geregelten Folge Anwendung, wenn zugunsten der LPG ein vertragliches Nutzungsrecht an dem Flurstück bestand, auf dem die baulichen Anlagen errichtet wurden. Ein besonderer Nutzungsvertrag zwischen Grundstückseigentümer und -nutzer wird nicht vorausgesetzt. |
2. | Die Einstellung eines Verfahrens kann nicht unter Berufung auf Umstände verlangt werden, die im Widerspruchsverfahren gegen den Anordnungsbeschluss hätten vorgetragen werden können. |
3. | Die von Amts wegen erfolgende Feststellung des Kreises der Beteiligten am Bodenordnungsverfahren liegt allein im öffentlichen Interesse und entwickelt keine drittschützende Wirkung. |
4. | Ein Notwegerecht ist keine dem § 44 Absatz 3 Satz 3 FlurbG genügende Erschließung; der Bodenordnungsplan darf zur Erschließung keinen Notweg über Flächen außerhalb der Gebietsgrenze des Bodenordnungsverfahrens erfordern. |
Aus den Gründen
1. Die Klage des Klägers zu 1) auf Verpflichtung des Beklagten, das mit Bescheid vom 28. April 1993 eingeleitete Bodenordnungsverfahren einzustellen, ist unbegründet. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf wenigstens fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich der Entscheidung über die Einstellung sind nicht gegeben; noch weniger liegen die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vor.
Die Einstellung des Bodenordnungsverfahrens kann von der oberen Flurbereinigungsbehörde angeordnet werden, wenn die Bodenordnung in Folge nachträglich eingetretener Umstände nicht zweckmäßig erscheint (§ 64 Satz 1, § 63 Abs. 2 LwAnpG; § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Das Tatbestandsmerkmal "nachträglich" in § 9 Abs. 1 Satz 1 FlurbG macht deutlich, dass die Einstellung des Verfahrens nicht unter Berufung auf Umstände verlangt werden kann, die im Widerspruchsverfahren gegen den Anordnungsbeschluss hätten vorgetragen werden können. Nur solche Umstände können zur Begründung eines Einstellungsbegehrens herangezogen werden, die nach Eintritt der Bestandskraft des Anordnungsbeschlusses eingetreten sind. Ist der Anordnungsbeschluss hingegen noch nicht bestandskräftig, kann die Einstellung des Bodenordnungsverfahrens noch nicht verlangt werden; in einem solchen Fall ist der Anordnungsbeschluss mit dem dagegen zulässigen Widerspruch und gegebenenfalls einer Anfechtungsklage zu bekämpfen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 28.08.1970 RdL 1971, 18 RzF - 1 - zu § 9 Abs. 1 FlurbG; Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Auflage 1997, § 9 Rdnr. 1). So liegt der Fall aber hier: Der Anordnungsbeschluss vom 28. April 1993 ist durch Bescheid vom 15. November 1999 geändert und erneut vollumfänglich bekanntgegeben worden. Dieser Anordnungsbeschluss ist Gegenstand des hier zu entscheidenden Verwaltungsstreitverfahrens und damit nicht bestandskräftig.
Die Klage des Klägers zu 1) auf Verpflichtung des Beklagten zur Einstellung des Bodenordnungsverfahrens ist selbst dann unbegründet, wenn die Rechtsauffassung vertreten wird, der Änderungsbeschluss vom 15. November 1999 erfasse den Anordnungsbeschluss vom 28. April 1993 nur insoweit, als das Verfahrensgebiet betroffen ist und deshalb sei der Anordnungsbeschluss vom 28. April 1993 in seinem das Verfahren anordnenden Teil bestandskräftig geworden. Der Kläger zu 1) hat keine nachträglich eingetretenen Umstände dargestellt, aus denen sich ergibt, dass die Bodenordnung unzweckmäßig erscheinen könnte. Auch der Senat vermag nicht entsprechendes zu erkennen.
2. Soweit der Kläger zu 1) die Aufhebung des Änderungsbeschlusses des Beklagten vom 5. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2000 begehrt, ist die Klage ebenfalls erfolglos.
Die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens, die durch den angegriffenen Änderungsbeschluss erneut erfolgte, setzt voraus, dass auf der Grundlage eines durch Rechtsvorschriften geregelten Nutzungsrechts Anlagen errichtet wurden, die in selbständigem Eigentum der LPG oder Dritter stehen und dass ein Antrag entweder des Grund- oder Gebäudeeigentümers auf Durchführung des Bodenordnungsverfahrens vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 2. September 1998 - 11 C 4.97 - RzF - 14 - zu § 64 LwAnpG die Anfechtungsklage des Klägers zu 1) gegen den Anordnungsbeschluss des Beklagten vom 28. April 1993, der in seinem bloßen Anordnungsteil vom streitbefangenen Änderungsbeschluss in der Sache nicht betroffen wird, unter anderem mit der Begründung abgewiesen, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Bodenordnungsverfahrens nach § 64 LwAnpG hätten vorgelegen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Begründung an der Rechtskraft des Urteils teilnimmt mit der Folge, dass zwischen den Beteiligten des hier zu entscheidenden Rechtsstreites feststeht, dass die Voraussetzungen des § 64 LwAnpG vorliegen. Jedenfalls kann der Senat auch bei Würdigung der vom Kläger zu 1) vorgetragenen Angriffe gegen die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erkennen, das der Kläger zu 1) Eigentümer der baulichen Anlagen auf dem Flurstück 127/5 der Flur 3 der Gemarkung P, den Oxidationsteichen, ist.
Die Behauptung des Klägers zu 1), es fehle an einem entsprechenden Zusammenführungsantrag, ist ausweislich der vorliegenden Verwaltungsvorgänge falsch. Die Beigeladene zu 2), die N-GmbH i.L., hat mit Schriftsatz vom 11. März 1993 Zusammenführung von Boden- und Gebäudeeigentum auf dem Flurstück 127/5 der Flur 3 der Gemarkung P beim damals zuständigen Amt für Landwirtschaft beantragt.
Das vom Kläger zu 1) zur Stützung seiner Rechtsauffassung herangezogene Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom 26. November 1985 (- 2 OZK 30/85 - = NJ 1985, 255) betrifft einen anderen Fall als den hier zu entscheidenden. Der vom Obersten Gericht entschiedene Sachverhalt betraf ein privates Grundstück, an dem ausweislich des mitgeteilten Sachverhaltes keinerlei vertragliches Nutzungsrecht eines Dritten bestand. Nur für diese Fallkonstellation hat das Oberste Gericht die Anwendbarkeit des § 295 Abs. 1 ZGB und damit konkludent die Unanwendbarkeit des § 295 Abs. 2 ZGB bejaht. Im hier zu entscheidenden Einzelfall bestand zugunsten einer LPG ein vertragliches Nutzungsrecht über das Flurstück, auf dem die baulichen Anlagen errichtet wurden. Auf einen solchen Sachverhalt ist - mit den Rechtsüberlegungen des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) § 459 ZGB nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift zwanglos anwendbar mit der in § 295 Abs. 2 ZGB geregelten Folge, dass an den baulichen Anlagen getrenntes Gebäudeeigentum des die baulichen Anlagen errichtenden Volkseigenen Betriebes entstehen könnte. Der erkennende Senat vermag § 459 Abs. 1 ZGB nicht zu entnehmen, dass die Norm voraussetzt, dass zwischen dem Volkseigenen Betrieb, der die baulichen Anlagen errichtet, und dem vertraglichen Nutzer des Grundstücks ein gesonderter Nutzungsvertrag bestehen muss, damit das selbständige Gebäudeeigentum entstehen kann. Der mit § 459 Abs. 1 Satz 1 ZGB verfolgte Zweck des besonderen Schutzes sozialistischen Eigentums (vgl. Ministerium der Justiz, Herausgeber, Kommentar zum ZGB, 1985, Vorbemerkung zu § 459 ZGB) verlangt eine weite Auslegung der Norm, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung (a.a.O.) im Vorprozess zugrundegelegt hat. Auf den Abschluss eines Nutzungsvertrages zwischen der LPG und den die baulichen Anlagen errichtenden Volkseigenen Betrieb kommt es für das Entstehen von selbständigem Gebäudeeigentum nicht an. Eventuelle Verstöße gegen das LPG-Recht, wie sie der Kläger zu 1) geltend macht, wirken sich nicht auf die Entstehung von selbständigen Gebäudeeigentum aus.
Nach den von der Beigeladenen zu 2) zu den Gerichtsakten eingereichten Unterlagen und ihren in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen hat der erkennende Senat keine Zweifel daran, dass die Beigeladene zu 2) im Bodenordnungsverfahren nach § 64 LwAnpG antragsbefugt ist (so auch BVerwG, a.a.O., S. 16 UA).
Der Kläger zu 1) hat gegen die Änderung des Verfahrensgebietes durch den Änderungsbeschluss in der Fassung des Widerspruchsbescheides keine Einwendungen erhoben. Auch der Senat hat unter Beachtung des auch im Bodenordnungsverfahrens geltenden § 7 Abs. 1 FlurbG keine Veranlassung, an der Rechtmäßigkeit der Änderung des Verfahrensgebiets zu zweifeln.
3. Die Klage des Klägers zu 1) ist unzulässig, soweit er die Feststellungen des Beklagten anficht, durch die die Beigeladenen zu 1) und 2) als Teilnehmer im Bodenordnungsverfahren benannt werden. Selbst wenn die Feststellung des Kreises der Teilnehmer durch den Beklagten und der stillschweigende Austausch der Ordnungsnummer 3 im Bodenordnungsverfahren durch die Widerspruchsbehörde objektiv rechtswidrig sein sollten, wird der Kläger zu 1) dadurch nicht in seinen Rechten verletzt. Die von Amts wegen erfolgende Feststellung des Kreises der Teilnehmer am Bodenordnungsverfahren (§§ 164 Satz 1, 163 Abs. 2 LwAnpG < Anmerkung der Schriftleitung: gemeint § 64 Satz 1, § 63 Abs. 2 >, § 11 FlurbG) liegt allein im öffentlichen Interesse und entwickelt keine drittschützende Wirkung.
4. ...
5. Auf die Klage des Klägers zu 1) ist der Widerspruchsbescheid aufzuheben, soweit er den Bodenordnungsplan im engeren Sinne als Gesamtheit der Neugestaltungsmaßnahmen umfasst.
Die im Widerspruchsbescheid - entsprechend dem Ausgangsbescheid - vorgenommene Neugestaltung der Eigentumsrechte an dem Grundstück Flurstück 127/5 Flur 3 Gemarkung P führt dazu, dass das Flurstück nur in Ausübung eines - gerichtlich erst noch durchzusetzenden - Notwegerechts zu erreichen ist. Damit ist die Erschließung im Sinne des Flurbereinigungsrechts nicht gesichert (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.09.1992 - RdL 1993, 71 < Anmerkung der Schriftleitung: gemeint RdL 1993, 13 > = RzF - 28 - zu § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG unter Hinweis auf den zwingenden Charakter des § 44 Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz FlurbG). Das im Bodenordnungsplan im engeren Sinne vorgesehene Notwegerecht ist in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufgehoben worden. Ein Bodenordnungsplan, der im wesentlichen die Zusammenführung von getrenntem Boden- und Gebäudeeigentum regelt und die dadurch entstandene neue Eigentumssituation an einem Flurstück mit der Folge bewirkt, dass dieses Flurstück nicht mehr ausreichend an das öffentliche Wegenetz angeschlossen ist, kann keinen Bestand haben. Der Senat hat sich an einer eigenen Entscheidung in der Sache gehindert gesehen, weil das Flurstück 127/3 der Flur 3 der Gemarkung P, über das eine dinglich gesicherte Erschließung des Flurstücks 157/5 der Flur 3 der Gemarkung P nach Kartenlage möglich erscheint, noch nicht in das aktuelle Bodenordnungsverfahren einbezogen worden ist.
6. Die Klage der Klägerin zu 2) auf Aufhebung des Bodenordnungsplanes ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt. Die Neuregelung von Eigentumsverhältnissen an Grundstücken mit der Folge der Begründung eines zivilrechtlichen Anspruchs zur Duldung eines Notwegerechts stellt einen Eingriff in die Eigentumsposition des zur Duldung verpflichteten Grundeigentümers, hier der Klägerin zu 2), dar und ist kein bloßer Rechtsreflex der Verpflichtung der Flurbereinigungsbehörde aus § 44 Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz FlurbG.
Die Anfechtungsklage gegen den Bodenordnungsplan im engeren Sinne ist auch begründet. Die Klägerin hat, solange ihr Grundstück nicht zum Verfahrensgebiet des Bodenordnungsverfahrens gehört, einen Anspruch darauf, dass die Bodenordnung nicht zu einer rechtlichen Belastung ihres Grundstücks führt. Hat ein Bodenordnungsplan im engeren Sinne wie hier durch die Entstehung eines gesetzlichen Notwegerechts - diese Rechtsfolge, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrem echt, hier dem Recht auf Eigentum.Anmerkung
Vorprozess: BVerwG, Urteil vom 02.09.1998 - 11 C 4.97 - RzF - 14 - zu § 64 LwAnpG.