Flurbereinigungsgericht Greifswald, Beschluss vom 09.03.1995 - 9 K 20, 21, 24/94 = AgrarR 1996, 225= RdL 1996, 275= NuR 1997, 260 (Leitsätze)
Aktenzeichen | 9 K 20, 21, 24/94 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 09.03.1995 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Greifswald | Veröffentlichungen | = AgrarR 1996, 225 = RdL 1996, 275 = NuR 1997, 260 (Leitsätze) | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine vorläufige Besitzregelung kommt erst in Betracht, wenn ein Verfahren zur Bodenordnung nach § 56 LwAnpG angeordnet worden ist. |
2. | Anders als bei der vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG müssen bei der vorläufigen Besitzregelung gem. § 61 a LwAnpG nicht die endgültigen Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen. |
3. | Aus der vorläufigen Besitzregelung folgende Benachteiligungen sind analog § 67 Abs. 1 FlurbG im Bodenordnungsplan durch Ausgleichszahlungen zu berücksichtigen. |
4. | Der öffentlich bekannt zu machende entscheidende Teil des das Verfahren anordnenden Beschlusses umfasst auch die das Verfahrensgebiet darstellende Karte. |
5. | Auf eine etwaig fehlende oder fehlerhafte Bekanntgabe eines Verwaltungsakts kann sich nicht berufen, wer sichere Kenntnis von ihm und seinem Inhalt erlangt hat. |
6. | Eine im Eilverfahren unterbliebene oder fehlerhafte Anhörung kann analog § 45 Abs. 1 VwVfG in einem noch anhängigen Widerspruchsverfahren nachgeholt werden und rechtfertigt nicht die Stattgabe eines Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. |
7. | Aus der nach § 60 LwAnpG gebotenen entsprechenden Anwendung des § 146 Nr. 2 FlurbG folgt, dass das Flurbereinigungsgericht keine eigene Ermessensentscheidung in Hinblick auf die Zuweisungen der einzelnen Grundstücke im Rahmen der vorläufigen Besitzeinweisung treffen darf. |
Aus den Gründen
Eine unterbliebene oder fehlerhafte Anhörung allein kann nicht zur Stattgabe eines Antrags führen. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner unterbliebene oder fehlerhafte Anhörungen entsprechend § 45 Abs. 1 VwVfG in dem noch anhängigen Widerspruchsverfahren nachholen und damit diesen Fehler heilen wird. Voraussetzung ist hierfür allerdings, dass der Antragsgegner im Widerspruchsverfahren für das Vorbringen der Antragsteller offen ist und seine Entscheidung - ggf. unter erneuter Erörterung mit den übrigen Beteiligten - erneut überdenken wird (BVerwG aaO.). Ob die übrigen Beteiligten ordnungsgemäß angehört worden sind, ist unerheblich, da sich auf derartige Verfahrensfehler zu Lasten Dritter die Antragsteller nicht berufen könnten.
Materiell ist indes die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 61 a LwAnpG zutreffend angenommen und die gebotene Ermessensentscheidung fehlerfrei getroffen.
Aus § 61 a LwAnpG ergibt sich, dass eine vorläufige Besitzregelung erst dann in Betracht kommt, wenn ein Verfahren zur Bodenordnung nach § 56 LwAnpG eingeleitet worden ist. Denn nur so kann ein Verfahrensgebiet festgelegt werden, in dem ein Verfahren nach § 61 LwAnpG durchgeführt werden kann (so auch Dippoldt: Vorläufige Besitzregelung in der Flurneuordnung, RdL 1992 S. 171). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, da der Antragsgegner zugleich in dem Bescheid vom 15. August 1994 die Einleitung des Bodenordnungsverfahrens G., ebenfalls unter Anordnung des Sofortvollzugs, angeordnet hat. Diese Anordnung ist auch gegenüber den Antragstellern wirksam geworden, auch wenn Zweifel darüber bestehen könnten, ob sie wirksam öffentlich bekanntgemacht worden ist. Es dürfte nämlich - wie bei der Bekanntmachung eines Beschlusses nach § 110 FlurbG - zu verlangen sein, dass der entscheidende Teil eines solchen Beschlusses vollständig, d. h. mit der Gebietskarte öffentlich bekanntgemacht wird (so BVerwG vom 28.10.1982 - Buchholz 424.01 § 110 FlurbG Nr. 4 <= RzF - 3 - zu § 6 Abs. 2 FlurbG >; für die entsprechende Anwendung des § 110 FlurbG hinsichtlich der öffentlichen Bekanntmachung des Einleitungsbeschlusses eines Bodenordnungsverfahrens Schweizer: Das Recht der landwirtschaftlichen Betriebe nach dem LwAnpG, 2. Aufl. Rdn. 568). Da die Antragsteller aber trotz dieser möglicherweise unvollständigen öffentlichen Bekanntmachung des entscheidenden Teils des Beschlusses vom 15. August 1994 sichere Kenntnis von ihm und seinen Inhalt erlangt haben, können jedenfalls sie sich nicht auf eine etwaige fehlende oder fehlerhafte Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts berufen (vgl. BVerwG aaO.).
...
Weitere und vom Antragsgegner erfüllte Voraussetzung für die Entscheidung nach § 61 a Abs. 1 LwAnpG ist, dass Nachweise für das Verhältnis der Besitzstücke zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten vorliegen. Wer Beteiligter ist, ergibt sich gemäß § 57 LwAnpG aus dem Grundbuch. Allein dessen Eintragungen sind entscheidend. Der Antragsgegner hat ausweislich der Verwaltungsvorgänge die Beteiligten anhand der Grundbücher der betroffenen Gemarkungen ermittelt. Das Verhältnis der Besitzstücke zu dem jeweilig von den Beteiligten Eingebrachten hat er in der Weise ermittelt, dass er die Flächen, die der jeweilige Teilnehmer abzugeben hat, denjenigen, die ihm im Rahmen der vorläufigen Besitzeinweisung zugewiesen werden, gegenüber gestellt hat. Dabei hat der Antragsgegner auch den Wert der betroffenen Flächen ermittelt. Dieses Verfahren entspricht der Anforderung des Nachweises des von jedem Beteiligten Eingebrachten. Dabei ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner für die Wertermittlung die Ergebnisse der Reichsbodenschätzung herangezogen hat. Die Erwägungen des Antragsgegners, dieser Maßstab sei sachgerecht, weil über 90 % des ca. 600 ha umfassenden Verfahrensgebiets als Ackerland in einer Spanne von 35 bis 45 Bodenpunkten geschätzt werde und ca. 10 ha Dauergrünland vorhanden seien, und großflächige wesentliche Veränderungen der Bodenertragsfähigkeit aufgrund von Meliorationsmaßnahmen seien nicht feststellbar gewesen, ist nicht anfechtbar. Insbesondere in Hinblick auf den Zweck des Verfahrens nach § 61 a LwAnpG war es nicht möglich, eine neue Bodenbewertung durchzuführen. Im Übrigen hat der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht, die einzelnen Flurstücke seien unzutreffend bewertet worden. Er ist vielmehr der Ansicht, er habe rechtsfehlerhaft die weniger ertragreichen Böden im Süden zugewiesen erhalten.
Der Antragsgegner hat schließlich, wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt und die Antragsteller auch nicht in Frage gestellt haben, die Grenzen der Besitzstücke nach Art. und Umfang in der Örtlichkeit bezeichnet, soweit es im wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten notwendig ist (§ 61 a Abs. 2 LwAnpG). Daher kann dahinstehen, ob hierin eine Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 61 a LwAnpG zu sehen ist (so wohl Dippoldt aaO. S. 172) oder ob es sich hier, anders als bei der vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG, um ein Wirksamkeitserfordernis der vorläufigen Besitzregelung handelt, zumal hier, anders als im Verfahren nach § 65 Abs. 1 FlurbG, nicht die endgültigen Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen müssen, so dass diese Grundlagen hier nicht unumstößlich sind (dazu auch Dippoldt aaO.).
Liegen somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine vorläufige Besitzregelung vor, so hat der Senat die Entscheidung des Antragsgegners im Rahmen der Würdigung der Sach- und Rechtslage nach § 80 Abs. 5 VwGO darauf zu überprüfen, ob die hier getroffene Entscheidung im Widerspruchsverfahren auch unter Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung (vgl. § 68 VwGO) nach Maßgabe der der Behörde auferlegten Bindungen einer sachgerechten Ermessensentscheidung (vgl. § 40 VwVfG) voraussichtlich aufrechterhalten werden kann. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es somit auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 15. August 1994 an. Eine eigene Ermessensentscheidung darf hingegen der Senat in Hinblick auf die Zuweisungen der einzelnen Grundstücke im Rahmen der vorläufigen Besitzeinweisung nicht treffen. Dies folgt aus der nach § 60 LwAnpG gebotenen entsprechenden Anwendung des § 146 Nr. 2 FlurbG. Danach gelten für die Fälle der §§ 32, 59 Abs. 2 LwAnpG folgende Sondervorschriften: Das Flurbereinigungsgericht ist an Anträge der Beteiligten nicht gebunden; es hat auch zu prüfen, ob die Flurbereinigungsbehörde oder die Oberflurbereinigungsbehörde in zweckmäßiger Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Damit ist diese Befugnis ausdrücklich nicht auf eine Entscheidung über die vorläufige Besitzeinweisung im Flurbereinigungsverfahren, die in § 65 FlurbG geregelt ist, erstreckt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG vom 24.01.1959 - Buchholz 424.01 § 65 Nr. 1) gilt die Ermessensfreiheit des Flurbereinigungsgerichtes daher für die Überprüfung von Entscheidungen über die vorläufige Besitzeinweisung im Flurbereinigungsverfahren nicht.
Bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung wird grundsätzlich nicht näher untersucht, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf (vgl. BVerwG vom 30.10.1979, BVerwGE 59, S. 79/85 <= RzF - 33 - zu § 51 Abs. 1 FlurbG >). Doch schließt dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Flurbereinigungsrecht nicht aus, auch die vorläufige Besitzeinweisung selbst mit der Begründung anzufechten, dass zwischen Einlage und Abfindung entgegen § 44 Abs. 1 FlurbG offensichtlich ein grobes Missverhältnis bestehe oder die vorläufige Einweisung entgegen § 44 Abs. 4 FlurbG offensichtlich zu einem unzumutbaren Eingriff in die bisherige Struktur des betroffenen Betriebes führe (BVerwG vom 04.07.1985, BVerwGE 71, S. 369/372 mwN. <= RzF - 27 - zu § 65 FlurbG >). Ob diese Rechtsprechung in vollem Umfang auf die vorläufige Besitzeinweisung nach § 61 a LwAnpG übertragbar ist oder ob der zuständigen Behörde in dem Verfahren nach § 61 a LwAnpG ein größerer Spielraum zusteht, kann dahinstehen, da der Antragsgegner diesen Anforderungen entsprochen hat.
Eine solche Unzumutbarkeit der Wertausgleichungen ist nämlich jedenfalls im Falle der Antragsteller nicht festzustellen. Ausweislich der zitierten Vermerke des Antragsgegners sind den Antragstellern in den Gemarkungen G. bzw. K. Abfindungen unter Berücksichtigung des Bodenwertes zugeteilt worden, die Beeinträchtigungen nicht erkennen lassen.
Soweit der Antragsteller zu 1. darauf hingewiesen hat, ihm seien minderwertigere Flächen bzw. reines Grünland zugewiesen worden, während die dem Betrieb R. zugeteilten Flächen im Norden ertragreicher seien, so begründet dies keinen Ermessensfehler. Denn der Antragsgegner hatte die Qualität der Böden - wie ausgeführt - nach einem sachgerechten Maßstab bewertet und der Tatsache, dass dem Antragsteller zu 1. geringwertigere Böden zugewiesen worden sind, durch die Zuteilung einer größeren Fläche auszugleichen versucht.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass eine exakte Ermittlung der Bodenwerte mit dem Zweck der vorläufigen Besitzregelung nicht vereinbar wäre. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber gerade eingeführt mit dem Ziel, die auf dem Privateigentum an Grund und Boden beruhende Bewirtschaftung in einem geordneten Bodenordnungsverfahren möglichst rasch herbeizuführen. Während des Laufs des Bodenordnungsverfahrens soll eine geordnete Bewirtschaftung der Böden sichergestellt werden. Deshalb muss die Besitzregelung vorläufig sein, um eine rasche Lösung zu erzielen, die den Teilnehmerrechten zwar so weit wie möglich entspricht, deren volle Wahrung aber einer abschließenden Festlegung im Bodenordnungsverfahren vorbehalten bleibt (BTag-Drs. 12/161, S. 11). Das bedeutet aber andererseits, dass nicht diejenigen Anforderungen an die Ermittlung der Bodenwerte und die Zuordnungsentscheidungen gestellt werden können, wie sie für das Bodenordnungsverfahren selbst zu gelten haben. Hinzu kommt, dass erst durch die Bewirtschaftung der Flächen deren tatsächlicher Bodenwert erkennbar wird und zugleich die Böden einer sinnvollen landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden, bevor endgültig im Rahmen des Bodenordnungsverfahrens über die Zuteilung der Grundstücke entschieden wird.
Sollten sich gleichwohl weitergehende Benachteiligungen des Antragstellers zu 1. ergeben, so sind sie im eigentlichen Bodenordnungsverfahren, gegebenenfalls durch Ausgleichszahlungen, zu berücksichtigen, da vorübergehende Benutzungsbeeinträchtigungen, die durch eine vorläufige Besitzregelung eintreten können, nach § 63 LwAnpG iVm. § 67 Abs. 1 FlurbG auszugleichen sind. Wird nämlich die Notwendigkeit einer vorläufigen Besitzregelung bejaht, dann ist im Interesse der Beteiligten eine möglichst anschließende Ausgleichung der hierdurch eintretenden vorübergehenden Beeinträchtigungen auf den neuen Grundstücken der in der neuen Feldeinteilung genannten Empfänger vorzunehmen. Damit können möglicherweise auch Folgeschäden der vorläufigen Besitzregelung ausgeglichen werden, die sich zugleich als Vorwirkungen der späteren Planausführung ansehen lassen, gerade weil sie durch die Landabfindung nicht erfasst werden, andererseits aber, durch die vorläufige Besitzregelung nicht unausgeglichen hingenommen werden müssen. Denn auch bei der vorläufigen Besitzeinweisung hat die zuständige Behörde für die Herbeiführung des der neuen Feldeinteilung entsprechenden Zustandes zu sorgen und damit die dem neuen (vorläufigen) Zustand zugedachte Nutzungsmöglichkeit zu gewährleisten. Sie trägt danach die Verantwortung für den Zustand, die Beschaffenheit und die Nutzungsmöglichkeit der von vorläufigen Besitzregelungen erfassten Grundstücke. Damit verbundene Nutzungseinbußen müssen deshalb unabhängig von der herzustellenden Wertgleichheit der Landabfindung anderweitig ausgeglichen werden (vgl. zum Flurbereinigungsrecht BVerwG vom 24.06.1982 - BVerwGE 66, S. 47/50 <= RzF - 18 - zu § 34 Abs. 1 FlurbG >).Anmerkung
Vgl. zu Leitsatz 4.: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.10.1982 - 5 C 46.81 = RdL 1983 S. 69 = RzF - 3 - zu § 6 Abs. 2 FlurbG