RzF - 27 - zu § 144 FlurbG

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.2016 - 9 B 70.15 = NVwZ-RR 2017, 174= AUR 2017, 185= RdL 2017, 190= LSK 2016, 55738 (Ls.) (Lieferung 2018)

Aktenzeichen 9 B 70.15 Entscheidung Beschluss Datum 26.10.2016
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen NVwZ-RR 2017, 174 = AUR 2017, 185 = RdL 2017, 190 = LSK 2016, 55738 (Ls.)  Lieferung 2018

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine Aufhebung des Flurbereinigungsplans kommt an Stelle der Aufhebung des Widerspruchsbescheids und der Zurückverweisung der Sache an die Widerspruchsbehörde nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG in der Regel nicht in Betracht.
2. Im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG hat die Widerspruchsbehörde nach § 144 Satz 2 FlurbG nur die Beurteilung des Flurbereinigungsgerichts, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Eine weitergehende Befugnis, die Widerspruchsbehörde zu binden, kommt dem Flurbereinigungsgericht nicht zu.
3. Von einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Flurbereinigungsgericht kann abgesehen werden, wenn der Verfahrensfehler bereits durch die Aufhebung des Urteils nach § 133 Abs. 6 VwGO beseitigt wird und es deshalb keiner weiteren Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts mehr bedarf.

Aus den Gründen

Soweit das Flurbereinigungsgericht die Klage gegen den Flurbereinigungsplan für begründet hält, kann es nach § 144 Satz 1 FlurbG den angefochtenen Verwaltungsakt durch Urteil ändern oder den Widerspruchsbescheid der Flurbereinigungsbehörde oder der oberen Flurbereinigungsbehörde ganz oder teilweise aufheben und die Sache, soweit der Widerspruchsbescheid aufgehoben wird, zur erneuten Verhandlung und Bescheidung an die Flurbereinigungsbehörde oder die obere Flurbereinigungsbehörde zurückverweisen. Hingegen fehlt es, wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist, an einer Ermächtigung des Flurbereinigungsgerichts, neben dem Widerspruchsbescheid auch den ihm zugrunde liegenden Flurbereinigungsplan aufzuheben (stRspr, BVerwG, Urteile vom 8. September 1988 - 5 C 8.85 - BVerwGE 80, 193 <200> <= RzF - 13 - zu § 86 Abs. 1 FlurbG>, vom 16. Dezember 1992 - 11 C 3.92 - Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 72 S. 41 <= RzF - 19 - zu § 144 FlurbG>, und vom 17. Dezember 1998 - 11 C 5.97 - BVerwGE 108, 202 <206> <= RzF - 1 - zu § 58 Abs. 2 LwAnpG>; vgl. auch bereits Urteil vom 30. September 1958 - 1 C 6.57 - Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 3 S. 2). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kommt eine Aufhebung des Flurbereinigungsplans auch dann nicht in Betracht, wenn das Flurbereinigungsgericht - wie hier - die Klage für begründet hält, weil ohne Rechtsgrundlage eine Wertermittlung nach den §§ 27 ff. FlurbG unterblieben ist und ohne eine solche Wertermittlung die Wertgleichheit der Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht festgestellt werden kann.


Auch der Sinn und Zweck des § 144 Satz 1 FlurbG rechtfertigen es nicht, im Falle der Rechtswidrigkeit des Flurbereinigungsplans wegen fehlender Wertermittlung anders als in sonstigen Fällen der Begründetheit der Klage die Aufhebungsbefugnis des Flurbereinigungsgerichts nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG auf den Flurbereinigungsplan zu erstrecken. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf den Zweck der Regelung, zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen, es ausnahmsweise als zulässig angesehen, den Flurbereinigungsplan selbst aufzuheben, wenn eine darin vorzunehmende Neuregelung nicht in Betracht kommt, sondern ein Streitpunkt vor dem Flurbereinigungsgericht bereits durch die Planaufhebung abschließend erledigt werden kann. Denn es liefe in einem solchen Fall dem Beschleunigungsziel des § 144 Satz 1 FlurbG zuwider, nur den Widerspruchsbescheid aus der Welt zu schaffen und die Sache zur Aufhebung des Plans an die Widerspruchsbehörde zurückzuverweisen (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1985 - 5 C 38.82 - Buchholz 424.01 § 41 FlurbG Nr. 4 S. 12 <= RzF - 43 - zu § 37 Abs. 1 FlurbG>). Ein Fall, in dem ein Streitpunkt durch die Aufhebung des Flurbereinigungsplans abschließend erledigt werden kann, liegt hier aber gerade nicht vor. Vielmehr kann der Streit über die Rechtmäßigkeit der Abfindung des Klägers nur dadurch erledigt werden, dass die erforderliche Wertermittlung nach den §§ 27 ff. FlurbG nachgeholt wird und auf ihrer Grundlage (§ 44 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gegebenenfalls eine Neuregelung der Abfindung des Klägers durch eine Änderung des Flurbereinigungsplans erfolgt.


...


§ 144 Satz 2 FlurbG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu entnehmen, dass die obere Flurbereinigungsbehörde nur an die Beurteilung durch das Flurbereinigungsgericht gebunden ist, die der Aufhebung des Widerspruchsbescheids zugrunde liegt. Eine weitergehende Befugnis, die Flurbereinigungsbehörde zu binden, kommt dem Gericht nicht zu. Hält es eine Aufhebung des Widerspruchsbescheids und eine Zurückverweisung der Sache an die obere Flurbereinigungsbehörde nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG für erforderlich, so darf es der Ermessensausübung der dann für die gegebenenfalls vorzunehmenden Planänderungen zuständigen Behörde nicht vorgreifen (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Juli 1991 - 5 B 58.91 - Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 14 S. 3 f. und vom 19. Februar 1998 - 11 B 10.98 - juris Rn. 9).


...


c) Jedoch greift die Verfahrensrüge des Klägers durch, soweit das Oberverwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids verpflichtet hat, die im Flurbereinigungsplan verfügte Abfindung des Klägers unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts neu festzusetzen. Denn insoweit verletzt das Urteil § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG und § 144 Satz 2 FlurbG. Es beruht auch auf diesem Mangel.


aa) Sieht das Flurbereinigungsgericht wie hier davon ab, den angefochtenen Flurbereinigungsplan nach § 144 Satz 1 Alt. 1 FlurbG durch Urteil zu ändern, bleibt ihm nur die Möglichkeit, nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG den Widerspruchsbescheid der oberen Flurbereinigungsbehörde ganz oder teilweise aufzuheben und die Sache, soweit der Widerspruchsbescheid aufgehoben wird, zur erneuten Verhandlung und Bescheidung an die obere Flurbereinigungsbehörde zurückzuverweisen. Diese hat nach § 144 Satz 2 FlurbG die Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Eine weitergehende Befugnis, die Flurbereinigungsbehörde zu binden, kommt dem Flurbereinigungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie dargelegt (oben 1. b), nicht zu. Hält es eine Aufhebung des Widerspruchsbescheids und eine Zurückverweisung der Sache an die obere Flurbereinigungsbehörde nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG für erforderlich, so darf es der Ermessensausübung der dann für die gegebenenfalls vorzunehmenden Planänderungen zuständigen Behörde nicht vorgreifen (BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 1991 - 5 B 58.91 - Buchholz 424.01 § 144 FlurbG Nr. 14 S. 3 f.). Dagegen hat das Oberverwaltungsgericht mit der auf § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG gestützten Verpflichtung des Beklagten verstoßen, die Abfindung des Klägers unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts neu festzusetzen. Denn die danach von der oberen Flurbereinigungsbehörde zu beachtende Rechtsauffassung des Flurbereinigungsgerichts betrifft nicht nur die Beurteilung, die der Aufhebung des Widerspruchsbescheids zugrunde gelegt ist.


Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid mit der Begründung aufgehoben, der Flurbereinigungsplan sei schon deshalb rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil ohne Rechtsgrundlage auf eine Wertermittlung nach den §§ 27 ff. FlurbG verzichtet worden sei und ohne eine solche Wertermittlung die Wertgleichheit der Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht festgestellt werden könne. Die auf § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG gestützte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verpflichtet den Beklagten aber nicht nur, diese der Aufhebung des Widerspruchsbescheids zugrunde liegende Beurteilung zu beachten. Ausweislich der Entscheidungsgründe wird der Beklagte vielmehr darüber hinaus ausdrücklich verpflichtet, bei der nachzuholenden Wertermittlung und der darauf aufbauenden Ermittlung der Abfindung des Klägers weitere Rechtsansichten des Gerichts zu beachten, die nicht zur Begründung der Aufhebung herangezogen worden sind. Insbesondere soll ein Einlagegrundstück des Klägers nicht wegen seiner vom Kläger geltend gemachten Eignung zur Errichtung von Windenergieanlagen als begünstigtes Agrarland höher als nach seinem Nutzwert gemäß § 28 FlurbG bewertet werden. Außerdem soll geprüft werden, ob stattdessen ein nicht zu den Einlage-, sondern zu den Abfindungsflächen des Klägers gehörendes Flurstück, das im Hinblick auf eine Änderung des Flächennutzungsplans als Standort für eine Windenergieanlage in Betracht komme, höher zu bewerten sei. Schließlich soll beachtet werden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Teilabfindung in der alten Lage seines seiner Ansicht nach als Windenergieanlagenstandort geeigneten Flurstücks hat und dass das diesbezügliche Zuteilungsbegehren keinen abwägungserheblichen qualifizierten Planwunsch darstelle.


bb) Auf der Verletzung von § 144 Satz 1 Alt. 2 und § 144 Satz 2 FlurbG beruht das Urteil auch, weil das Oberverwaltungsgericht bei Beachtung dieser Regelungen den Beklagten nicht unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids hätte verpflichten dürfen, die im Flurbereinigungsplan verfügte Abfindung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen. Vielmehr hätte es sich darauf beschränken müssen, den Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Sache an die obere Flurbereinigungsbehörde zurückzuverweisen.


4. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Da weder die Grundsatz- noch die Divergenzrügen des Klägers durchgreifen, macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch, soweit der Verfahrensmangel reicht, und weist die Beschwerde im Übrigen zurück. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberverwaltungsgericht bedarf es dabei nicht. Denn aus Gründen der Verfahrensökonomie kann von einer Zurückverweisung abgesehen werden, wenn diese ihren Sinn verliert, weil der Verfahrensfehler durch die Aufhebung des Urteils bereits beseitigt wird und daher für eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kein Raum ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall angenommen, dass das Oberverwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 88 VwGO über den Klageantrag hinausgegangen ist und der Verfahrensmangel durch die Aufhebung des den Klageantrag überschießenden Teils der Urteilsformel entfällt (BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - 7 B 265.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 28 S. 17). Für eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist auch dann kein Raum, wenn das Oberverwaltungsgericht wie hier unter Berufung auf § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG den Widerspruchsbescheid aufgehoben und die Widerspruchsbehörde verpflichtet hat, die Abfindung des Klägers unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts neu festzusetzen, obwohl es zu einer solchen Verpflichtung im Hinblick auf § 144 Satz 2 FlurbG nicht befugt war. Denn der Verfahrensmangel ist in einem solchen Fall beseitigt, wenn die verfahrensfehlerhafte Verpflichtung aufgehoben wird, während die § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG entsprechende Aufhebung des Widerspruchsbescheids bestehen bleibt. Im Falle einer Zurückverweisung könnte das Oberverwaltungsgericht nur noch die Sache nach § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG zur erneuten Verhandlung und Bescheidung an die Widerspruchsbehörde zurückverweisen. Da der verbleibende Urteilstenor die Aufhebung des Widerspruchsbescheids bereits ausspricht und bereits diese Aufhebung zur Folge hat, dass ein neuer Widerspruchsbescheid ergehen muss, entspricht er der Sache nach der Regelung des § 144 Satz 1 Alt. 2 FlurbG. Es bedarf daher zur Beseitigung des Verfahrensmangels keiner erneuten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, sondern nur einer die Rechtsfolge klarstellenden Maßgabe im Tenor der vorliegenden Beschwerdeentscheidung.