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von Anonymer Benutzer

RzF - 5 - zu § 9 Abs. 1 FlurbG

Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 19.02.1987 - F 2613/84

Aktenzeichen F 2613/84 Entscheidung Urteil Datum 19.02.1987
Gericht Flurbereinigungsgericht Kassel Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Weisung des Fachministers, die Flurbereinigung einzustellen, entbindet die obere Flurbereinigungsbehörde nicht von einer eigenverantwortlichen Ermessensentscheidung zu der Frage, ob die Flurbereinigung fortgeführt oder eingestellt wird.

Aus den Gründen

Die Ablehnung der Flurbereinigung durch die Gemeinde K. ist nach der Bestandskraft des die Flurbereinigung anordnenden Beschlusses der oberen Flurbereinigungsbehörde erfolgt, denn die nach § 142 Abs. 2 FlurbG bei nicht beschiedenem Widerspruch gegebene Klagefrist von insgesamt neun Monaten war bei Erlaß des Einstellungsbeschlusses am 19.03.1984 abgelaufen. Es handelt sich mithin um einen nachträglichen Umstand. Ob es sich bei der nachträglich aufgekommenen ablehnenden Haltung der einen der beiden Flurbereinigungsgemeinden um einen Umstand der in § 9 FlurbG genannten Art handelt, der die Einstellung des Flurbereinigungsverfahrens in das Ermessen der Behörde zu stellen vermag, erscheint dem Senat im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem o. g. Urteil vom 11.08.1983 - 5 C 30.82 (= RdL 1983 S. 306 = RzF - 4 - zu § 9 Abs. 1 FlurbG) fraglich. Denn § 9 Abs. 1 FlurbG setzt das nachträgliche Eintreten von Umständen voraus, die bewirken, daß der Zweck der Flurbereinigung nicht mehr oder nicht mehr hinreichend vollkommen erreicht werden kann (vgl. Quadflieg, Recht der Flurbereinigung § 9 Anm. II, 5).

Derartige Umstände sind in bezug auf das Flurbereinigungsverfahren K. jedoch nicht eingetreten. Zweck des Flurbereinigungsverfahrens K. war es, die im Verfahrensgebiet gegebenen wirtschaftlich ungünstigen Grundstücksformen, die mangelhafte Erschließung der Grundstücke durch Wege und die schlechte Wasserführung durch Maßnahmen der Flurbereinigung zu beseitigen, um dadurch die Arbeits- und Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft zu verbessern. Umstände, die die Verfolgung dieses Zweckes nicht mehr ratsam erscheinen lassen, etwa, weil sich ein anderer bereit erklärt hätte, wenigstens teilweise die mit der Flurbereinigung bezweckten Ziele (z.B. Verbesserung der Erschließung) zu verwirklichen, sind bezüglich des Flurbereinigungsverfahrens K. nach dessen bestandskräftiger Anordnung nicht eingetreten. Dies wäre jedoch gesetzliche Voraussetzung dafür, daß sich der oberen Flurbereinigungsbehörde ein Ermessen eröffnete, ob sie das einmal angeordnete Flurbereinigungsverfahren dennoch durchführen oder einstellen wollte.

Dies mußte der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden, denn selbst wenn man in dem die Flurbereinigung ablehnenden Beschluß der Gemeindevertretung von K. vom 28.10.1983 einen nachträglich eingetretenen Umstand sehen wollte, der die Flurbereinigung nicht mehr zweckmäßig erscheinen ließe, dann hätte es noch im Ermessen der oberen Flurbereinigungsbehörde gestanden, das Flurbereinigungsverfahren fortzusetzen oder einzustellen. Im Rahmen der dann von der Behörde anzustellenden Ermessensausübung hätte sie durchaus auch die Einstellung der politischen Gemeinde und der übrigen Beteiligten zur Durchführung einer Flurbereinigung in ihre Erwägungen einstellen können und müssen, weil der Erfolg einer Flurbereinigung nicht unwesentlich von der Mitarbeit der Beteiligten am Verfahren abhängt. Ebenso wäre aber auch der Umstand in die Erwägungen einzustellen gewesen, daß von zwei beteiligten politischen Gemeinden sich eine gegen die Flurbereinigung ausgesprochen hatte und dies deshalb, weil sich im Ergebnis nur 20,6 % der am Flurbereinigungsverfahren beteiligten Grundstückseigentümer, die noch nicht einmal auch 20 % Grundeigentums des Verfahrensgebietes ausmachen müssen, gegen die Durchführung der Flurbereinigung ausgesprochen hatten.

All diese Erwägungen hat die Behörde jedoch nicht angestellt. Sie ist sich vielmehr überhaupt nicht bewußt gewesen, daß ihr ein Ermessensspielraum bezüglich ihrer Entscheidung über Einstellung oder Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens K. zustand. Die obere Flurbereinigungsbehörde hat nämlich ohne jegliche weitere Erwägungen allein in Befolgung der Weisung des Ministers in seinem Erlaß vom 23.11.1983, wonach der Flurbereinigungsbeschluß vom 22.11.1982 "aufzuheben" war, das Einstellungsverfahren bezüglich der Flurbereinigung K. betrieben und den Einstellungsbeschluß vom 19.03.1984 erlassen.

Dies ergibt sich unzweideutig aus dem Vermerk über eine Besprechung bei der oberen Flurbereinigungsbehörde zwischen ihr und Vertretern des Ministeriums am 14.12.1983, der Verfügung der oberen Flurbereinigungsbehörde vom 15.12.1983 an die Flurbereinigungsbehörde, dem Vermerk über die Aufklärung bezüglich der Verfahrenseinstellung vom 29.02.1984, der Begründung des Einstellungsbeschlusses vom 19.03.1984 selbst sowie dem angefochtenen Widerspruchsbescheid. In der Besprechung bei der oberen Flurbereinigungsbehörde am 14.12.1983 ist klar zum Ausdruck gebracht worden, daß der Präsident der oberen Flurbereinigungsbehörde die Auffassung vertreten hat, daß "der Weisung des Fachministers uneingeschränkt Folge zu leisten" sei. In der Verfügung der oberen Flurbereinigungsbehörde an die Flurbereinigungsbehörde kommt ebenfalls zum Ausdruck, daß der Fachminister die Aufhebung des Flurbereinigungsbeschlusses von K. angeordnet hat und deshalb die "Rückgängigmachung durch einen Einstellungsbeschluß nach § 9 FlurbG vorgenommen werde." In der Aufklärungsversammlung am 29.02.1984 ist sodann als Begründung für die beabsichtigte Verfahrenseinstellung gleichfalls die aufgrund des Gemeindevertreterbeschlusses (der Gemeinde K.) vom 28.10.1983 ergangene Anordnung des Ministers vom 23.11.1983 als alleiniger Grund für die Verfahrenseinstellung genannt worden. In den angefochtenen Widerspruchsbescheiden der oberen Flurbereinigungsbehörde wird die Einstellung der Flurbereinigung von K. mit der Weisung des Ministers vom 23.11.1983, die aufgrund des Gemeindevertreterbeschlusses vom 28.10.1983 und der generellen Anordnung des Fachministers, wonach in Hessen eine Flurbereinigung nicht gegen den Willen der Gemeinde durchgeführt werde, begründet. Der Einstellungsbeschluß vom 19.03.1984 selbst enthält ohne sonstige Erwägungen die Begründung, daß aufgrund einer Umfrage die Gemeindevertretung am 28.10.1983 die Durchführung eines Flurbereinigungsverfahrens abgelehnt habe. Auf Grund dieses Beschlusses der Gemeindevertretung erscheine die Flurbereinigung nicht mehr zweckmäßig, so daß die Einstellung des Verfahrens gemäß § 9 Abs. 1 FlurbG anzuordnen gewesen sei.

Bei alledem ist vom Senat nicht zu erkennen, daß die obere Flurbereinigungsbehörde von einer hier zu treffenden Ermessensentscheidung ausgegangen ist und dementsprechend Ermessenserwägungen angestellt hat. Davon war die entscheidungsbefugte Behörde auch nicht aufgrund der ministeriellen Weisung, das Flurbereinigungsverfahren K. einzustellen, enthoben. Trotz der ergangenen Weisung war die obere Flurbereinigungsbehörde zu einer eigenverantwortlichen Ermessensentscheidung unter sachlicher Abwägung aller einschlägigen Gesichtspunkte des konkreten Falles verpflichtet. Ministerielle Weisungen und Richtlinien können nur im Innenverhältnis zum Weisungs- bzw. Richtliniengeber Anhaltspunkte für die gegenüber dem Einzelnen zu treffende Entscheidungen geben (vgl. Kopp, VwGO, Anm. 10, 14 zu § 114 m. w. Nachw.). Die zur Entscheidung berufene Behörde wird dabei nicht von der Verpflichtung zu fehlerfreier Ermessensausübung freigestellt, weil Dritte allein von ihrer Entscheidung betroffen werden und deren Rechtmäßigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen ist (Bayer. VGH, Urteil vom 14.02.1982 - Nr. 13 A 81 A 1141 = AgrarR 1982 S. 190).