Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.01.1973 - V C 14.72 = AgrarR 1973 S. 227

Aktenzeichen V C 14.72 Entscheidung Urteil Datum 25.01.1973
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen AgrarR 1973 S. 227  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Für die gerichtliche Prüfung einer im Plannachtrag enthaltenen Festsetzung einer Geldentschädigung nach § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG ist nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten gegeben (Ergänzung zu BVerwG IV C 47.66 - Urteil vom 24.4.1970).
2. Die vermeintlich auf Nachsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 FlurbG beruhende Entscheidung über die Festsetzung einer Geldentschädigung kann eine flurbereinigungsgerichtliche Zuständigkeit nicht begründen.

Aus den Gründen

I.

In dem durch Beschluß des Landeskulturamts H. vom 10.12.1953 eingeleiteten Bundesautobahn-Flurbereinigungsverfahren N.-H. ist die Beigeladene zu 2) mit über 224 ha beteiligt, wovon über 5 ha für die Trasse der Autobahnstrecke G.-H. in Anspruch genommen wurden. Die Bewertung der Verfahrensflächen in den Jahren 1954/55, bei der nur der landwirtschaftliche Nutzungswert Berücksichtigung fand, ist unanfechtbar geworden. Die Berechnung der Geldabfindungen für die zur Anlage der Autobahn beanspruchten Flächen erfolgte nach einem Kapitalisierungsfaktor, der ebenfalls auf den landwirtschaftlichen Nutzungswert abgestellt war. Die im Verfahrensgebiet vorhandenen Kiesvorkommen wurden dabei nicht besonders geschätzt. Im Flurbereinigungsplan wurde dementsprechend für die Beigeladene zu 2) eine Landabfindung und eine Entschädigung in Geld ausgewiesen.

In einer Verhandlung vor dem beklagten Kulturamt am 16.1.1953 wurden die Vertreter der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) darauf hingewiesen, daß die Frage der Entschädigung für die in dieser Verhandlung näher bezeichneten Kiesausbeutungsflächen außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens geregelt werden sollte. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) kam jedoch eine Einigung hinsichtlich einer Geldentschädigung für die Kiesvorkommen im Trassengelände nicht zustande. Schließlich machte die Beigeladene zu 2) am 8.9.1961 beim Beklagten einen Entschädigungsanspruch zur Abgeltung des Mehrwerts an den für die Autobahntrasse und die Sicherungsstreifen in Anspruch genommenen Ländereien geltend. Daraufhin setzte der Beklagte im Nachtrag I zum Flurbereinigungsplan vom 26.4.1962 in § 8 Abs. 21 für die Beigeladene zu 2) eine Geldentschädigung in Höhe von 800 000 DM für nicht ausgebeutete Kiesvorkommen im Bereich der Autobahn für eine Trassenlänge von 1 600 m bei einem 10 m Schutzstreifen beiderseits, einem Böschungsverhältnis 1:3, einer Tiefe der Kiesausbeute von 15 m und einem Preis von 0.50 DM pro cbm Kies fest.

Gegen diese Festsetzung legte die Klägerin im Anhörungstermin über den Plannachtrag I Beschwerde ein, in der der Anspruch der Beigeladenen zu 2) nach Grund und Höhe bestritten wurde. Der Beklagte sei nicht befugt gewesen, die umstrittene Entschädigung nachträglich festzusetzen, weil die Beigeladene zu 2) weder gegen die Ergebnisse der Schätzung noch gegen den Flurbereinigungsplan ordnungsgemäß Beschwerde erhoben habe. Die Entschädigungsforderung sei verspätet erhoben und bestehe im übrigen schon dem Grunde nach nicht, weil die Möglichkeit der Kiesausbeute auf den Autobahn-Grundstücken nur eine nach Enteignungsrecht nicht entschädigungspflichtige Chance dargestellt habe.

Die Spruchstelle für Flurbereinigung beim Landeskulturamt H. wies die Beschwerde als unzulässig zurück mit folgender Begründung: Die Spruchstelle sei im Verfahren nach § 87 ff. FlurbG nur für Beschwerden über Landabfindungen zuständig. Wegen der Höhe der Geldentschädigung stehe nach § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte umfasse nicht nur den Streit über die Höhe der Entschädigung, sondern auch über den Grund des Anspruchs.

Auf die danach von der Klägerin beim Flurbereinigungsgericht erhobene Klage wurde durch Urteil vom 18.9.1968 der Beschluß der Spruchstelle vom 3.7.1963 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Bescheidung an die Spruchstelle zurückverwiesen. Zur Begründung ist in dem Urteil ausgeführt: In dem Zweck-Flurbereinigungsverfahren nach § 87 ff. FlurbG seien sowohl die Landabfindungen als auch die Geldentschädigungen im Flurbereinigungsplan auszuweisen. Daher seien Geldabfindungen wie Landabfindungen den verfahrensrechtlichen Vorschriften des § 59 FlurbG unterworfen. Der mit der Regelung der Geldentschädigung nach § 88 Nr. 4 FlurbG nicht einverstandene Teilnehmer müsse im Anhörungstermin über den Flurbereinigungsplan Beschwerde erheben, wenn er den Eintritt der Ausschlußwirkung nach dieser Vorschrift verhindern wolle. Versäume der mit der für ihn ausgewiesenen Geldentschädigung unzufriedene Teilnehmer, Beschwerde zu erheben, so könne er mit nachträglichen Erklärungen nur gehört werden, wenn ihm nach § 134 Abs. 2 FlurbG Nachsicht zu gewähren sei. Danach sei hier entscheidend, ob der Beigeladenen zu 2) wegen der nachträglichen Geltendmachung des streitigen Anspruchs nach § 134 Abs. 2 FlurbG Nachsicht zu gewähren sei. Über diese Frage habe nach der Nachsichtgewährung durch den Beklagten auf die Beschwerde der Klägerin die Spruchstelle zu befinden, die die Beschwerde nicht als unzulässig hätte behandeln dürfen. Die ordentlichen Gerichte könnten über die Ermessensentscheidung der Nachsichtgewährung nicht entscheiden. Die Spruchstelle habe, wenn sie die Nachsichtgewährung bejahe, in vollem Umfange über die (Plan-) Beschwerde der Klägerin zu entscheiden, ohne Rücksicht darauf, daß nach § 88 Nr. 7 FlurbG wegen der Höhe der Entschädigung im Gerichtsverfahren nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offenstehe. Das Flurbereinigungsgericht, das über die Frage der Nachsichtgewährung Beweis erhoben hat, hat gleichwohl die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Bescheidung an die Spruchstelle zurückverwiesen.

II.

Die Revision ist begründet, weil es allein Sache der ordentlichen Gerichte ist, darüber zu befinden, ob und inwieweit für den betroffenen Teilnehmer aus der Durchführung des Unternehmens Nachteile entstanden sind, für die Geldentschädigung zu leisten ist.

Die Unternehmens-Flurbereinigung nach § 87 ff. FlurbG hat zur Voraussetzung die Durchführung einer aus besonderem Anlaß erforderlichen Enteignung, durch die ländliche Grundstücke in großem Umfange in Anspruch genommen werden. Dadurch sollen die den Betroffenen entstehenden Landverluste auf einen größeren Teil von Eigentümern verteilt oder Nachteile für die allgemeine Landeskultur vermieden werden. Die Flurbereinigung zum Zwecke der Bereitstellung von Land, die Landbereitstellung selbst in dem erforderlichen Umfang und die Geldentschädigung wird in einem einheitlichen Verfahren durchgeführt, derart, daß sowohl die Landabfindung als auch die Geldentschädigung im Flurbereinigungsplan bzw. den ergänzenden Plannachträgen festgesetzt werden, sofern nicht für die Geldentschädigung eine besondere behördliche Festsetzungsentscheidung getroffen wird.

Die Anfechtung der einzelnen Ansätze im Flurbereinigungsplan ist hinsichtlich der Landabfindung mit den in den § 140 ff. FlurbG eröffneten Rechtsmitteln zulässig; insoweit ist der Rechtsweg zu den Flurbereinigungsgerichten gegeben.

Dagegen ist wegen der Ansprüche auf Geldentschädigung für die von einem Teilnehmer aufgebrachten Flächen nach § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG nur der ordentliche Rechtsweg eröffnet mit der Besonderheit, daß die gerichtliche Geltendmachung erst möglich ist, wenn die Landabfindungen aller Teilnehmer feststehen, weil die Landabfindungen im Laufe der Rechtsmittelverfahren eine Änderung erfahren können.

Die im Plannachtrag I in § 8 Abs. 21 festgesetzte Geldentschädigung zugunsten der Beigeladenen zu 2) ist eine Entscheidung des Beklagten nach § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG über eine von der Klägerin der Beigeladenen zu 2) zu leistende Geldentschädigung für die aus der entzogenen Nutzungsfähigkeit der für das Unternehmen aufgebrachten Fläche sich ergebenden Nachteile. Für die Überprüfung einer Entscheidung über eine Geldentschädigung nach § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG - gleich, ob ein Anspruch abgelehnt, zugesprochen oder nur teilweise festgestellt wird - ist nur der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Nur das ordentliche Gericht hat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 Nr. 7 Satz 2 FlurbG (Rechtskraft der Landzuteilung aller Teilnehmer) darüber zu befinden, ob einem Beteiligten Nachteile durch das Unternehmen entstanden sind und inwieweit dafür eine Geldentschädigung zu gewähren ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 24.4.1970 - BVerwG IV C 47.66 - (RdL 1970, 211 = Rechtsprechung zur Flurbereinigung - RzF - 14 - zu § 68 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) ausgeführt, daß es keinen Unterschied machen kann, ob allein wegen der Höhe gestritten wird oder ob eine Geldentschädigung abgelehnt worden ist. Unter Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung in BVerwGE 1, 42 (44) und BVerwGE 8, 226, (Urteil vom 25.3.1959 - BVerwG V C 93.57/V C 94.57 - zum Reichsleistungsgesetz) hat das Bundesverwaltungsgericht in der o.a. Entscheidung - entgegen der hiergegen vorgebrachten Kritik - daran festgehalten, daß bei Enteignung auch für den Streit über den Grund des Entschädigungsanspruchs nur der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten gegeben ist, weil von dem Streit über die Höhe des Anspruchs die Frage nach dem Grunde nicht getrennt werden kann. Die Doppelgleisigkeit der Verfahren, die in § 88 Nr. 4 und Nr. 7 FlurbG niedergelegt ist, ergibt sich zwangsläufig aus Art. 14 GG und muß deshalb Beachtung finden.

Da die im Plannachtrag I zum Flurbereinigungsplan vom 26.4.1962 in § 8 Abs. 21 getroffene Entscheidung substantiell die Festsetzung einer Geldentschädigung nach § 88 Nr. 4 FlurbG enthält, über die im Streitfalle das zuständige ordentliche Gericht zu befinden hat, kann nach § 140 FlurbG der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sein.

Demgegenüber können die vom Flurbereinigungsgericht herangezogenen Gründe eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit für den vorliegenden Fall nicht begründen. Auszugehen ist davon, daß der Grund des Entschädigungsanspruchs - der nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von dem Streit über die Höhe des Anspruchs nicht zu trennen ist - hier gar nicht mehr in Frage gestellt werden kann, nachdem im Flurbereinigungsplan für die Beigeladene zu 2) neben der Landabfindung bereits eine Geldentschädigung ausgewiesen wurde, die die Klägerin nicht beanstandete.

Für die vorliegende Streitsache bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob in den Fällen, in denen die angegriffene Festsetzung der Geldentschädigung durch die Flurbereinigungsbehörde nach § 88 Nr. 4 FlurbG auf der Anerkennung einer unverschuldeten Fristversäumnis im Sinne des § 134 Abs. 2 FlurbG beruht, die Prüfung und Entscheidung dieser verfahrensrechtlichen Frage so eng mit der Frage des materiellen Anspruchs verbunden ist, daß sie in Bezug auf die Zuständigkeit und den Rechtsweg als ein zum Anspruch gehörender Teil anzusehen sein wird. Wenn es daneben nicht gänzlich auszuschließen sein dürfte, daß es Fälle geben könnte, in denen die Frage der Nachsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 FlurbG als einer flurbereinigungsrechtlichen Ermessensentscheidung einer flurbereinigungsgerichtlichen Nachprüfung vorzubehalten wäre, so kann im vorliegenden Falle auch dieser Gesichtspunkt nicht für eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit herangezogen werden, weil es hier keiner Nachsichtgewährung bedurfte. Unter den Beteiligten ist unstreitig, daß im Flurbereinigungsplan bei der Landabfindung und der Geldabfindung der für die Anlage der Autobahn beanspruchten Flächen nur der landwirtschaftliche Nutzungswert bzw. der darauf abgestellte Kapitalisierungsfaktor Berücksichtigung gefunden hat. Unstreitig ist ferner, daß zumindest gegenüber den Vertretern der Beigeladenen zu 2) darauf hingewiesen wurde, daß die Frage der Entschädigung für die näher bezeichneten Kiesausbeutungsflächen außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens durch Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) geregelt werden sollte. Eine in den Flurbereinigungsplan bewußt nicht aufgenommene Geldentschädigung in der ausdrücklich geäußerten Erwartung, daß dahin gehende Ansprüche unter den betroffenen Beteiligten selbst geregelt werden sollen, kann selbst dann keine Ausschlußwirkung entfalten, wenn Geldentschädigungsansprüche im Sinne von § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG der Ausschlußwirkung des § 59 Abs. 2 FlurbG unterfallen. Sie kann im Wege der Ergänzung des Flurbereinigungsplans durch einen Nachtrag festgestellt werden.

Konnte aber der Beigeladenen zu 2) wegen der nicht abgelehnten, sondern bewußt unterlassenen Ausweisung einer Geldentschädigung für die nicht ausgebeuteten Kiesvorkommen im Flurbereinigungsplan eine Ausschlußwirkung nicht entgegengehalten werden, selbst dann nicht, wenn Geldentschädigungen nach § 88 Nr. 4 Satz 4 FlurbG von dem in § 59 Abs. 2 FlurbG niedergelegten gesetzlichen Ausschluß erfaßt werden sollten, dann bedurfte es keiner Nachsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 FlurbG für die Festsetzung und Aufnahme der von der Beigeladenen zu 2) beanspruchten Entschädigung in den Plannachtrag I, nachdem die vom Beklagten erwartete Einigung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) nicht zustande kam. Es oblag danach dem Beklagten, die mit Bedacht ausgeklammerte Entscheidung über die Entschädigungsansprüche der Beigeladenen zu 2) hinsichtlich der abbaufähigen Kiesvorkommen nachzuholen und im Plannachtrag kundzutun. Da die zunächst unterlassene Entscheidung darüber eine Aufnahme in den Flurbereinigungsplan ausschloß, konnte eine Planbeschwerde insoweit nicht erhoben, ein einzuhaltender Termin auch nicht versäumt werden. Mangels Versäumung eines Termins bedurfte es auch keiner Nachsichtgewährung im Sinne von § 134 Abs. 2 FlurbG, um eine Entscheidung des Beklagten über die streitbefangenen Entschädigungsansprüche der Beigeladenen zu 2) in den Plannachtrag I aufzunehmen.