Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.04.1970 - IV C 47.66 = Buchholz BVerwG 424.01, § 88 FlurbG Nr. 1= RdL 1970 S. 211

Aktenzeichen IV C 47.66 Entscheidung Urteil Datum 24.04.1970
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Buchholz BVerwG 424.01, § 88 FlurbG Nr. 1 = RdL 1970 S. 211  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Sind Nachteile im Sinne von § 88 Nr. 5 FlurbG nicht zu beheben, so handelt es sich um eine "Enteignung", die nach dem Gesetz zu entschädigen ist.
2. Die Beteiligten an einem Flurbereinigungsverfahren unter Anwendung der Sonderbestimmungen in § 87 bis § 89 FlurbG haben im Hinblick auf § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG keinen Anspruch auf wertgleiche Abfindung.
3. Die ordentlichen Gerichte haben darüber zu entscheiden, ob dem Beteiligten Nachteile durch das Unternehmen entstanden sind sowie ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er in Geld zu entschädigen ist. Denn es kann keinen Unterschied machen, ob allein wegen der Höhe gestritten wird oder eine Geldentschädigung überhaupt abgelehnt worden ist.
4. Die Flurbereinigungsgerichte haben darüber zu befinden, ob die Neuzuteilung eines Teilnehmers ohne Berücksichtigung der durch das Unternehmen entstandenen Nachteile dem Grundsatz des § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG entspricht.

Aus den Gründen

Der Kläger macht mit der Klage einmal geltend, daß er seiner Ansicht nach nicht wertgleich abgefunden worden sei, weil der geometrische Zuschnitt seiner Abfindung nicht die gleiche bauliche Ausnutzbarkeit zulasse wie seine Einlage, und auch deswegen nicht, weil die Abfindung zu einem erheblich größeren Teil an der B 55 liege als seine Einlage. Für eine solche Klage ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten - hier den Flurbereinigungsgerichten - gegeben, denn § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG bestimmt ausdrücklich, daß der Anspruch auf die Geldentschädigung für die von einem Teilnehmer aufgebrachten Flächen erst gerichtlich (vor den ordentlichen Gerichten gemäß § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG) geltend gemacht werden kann, wenn die Landabfindungen aller Teilnehmer rechtskräftig feststehen. Daraus folgt durch Umkehrschluß, daß die Landabfindung ihrerseits nur vor dem Flurbereinigungsgericht angefochten werden kann. In dessen findet sich im Flurbereinigungsgesetz kein Anhaltspunkt dafür, daß ein Teilnehmer die wertgleiche Abfindung entsprechend § 44 FlurbG zu fordern berechtigt wäre, wenn es sich um eine Unternehmensflurbereinigung nach den § 87 ff. FlurbG handelt. Vielmehr ergibt sich aus § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG, daß die für das Unternehmen benötigten Flächen von den Teilnehmern nach dem Verhältnis des Wertes ihrer alten Grundstücke zu dem Wert aller Grundstücke des Flurbereinigungsgebiets aufzubringen sind. Die einzelnen Teilnehmer haben mithin nur einen dahingehenden im Flurbereinigungsverfahren und schließlich vor dem Flurbereinigungsgericht verfolgbaren Anspruch. Daß dieser Anspruch des Klägers durch den Flurbereinigungsplan oder auch nur durch den Beschwerdebescheid verletzt worden sei, hat der Kläger nicht einmal behauptet. Seine Klagebehauptung geht vielmehr dahin, daß er durch die infolge des Unternehmens erforderlich gewordene Veränderung seines früheren Besitzes eine wertmäßige Einbuße erlitten habe. Daß die baulichen Ausnutzungsmöglichkeiten bei dem Abfindungsgrundstück nicht geringer sind als bei der Einlage, hat das Flurbereinigungsgericht für das Revisionsverfahren ebenso bindend festgestellt wie die Tatsachen, daß weder die geometrisch schlechtere Grenzführung der Abfindung noch die längere Angrenzung an die B 55 sich im Ergebnis wertmindernd auswirkten. Dagegen hat die Revision Einwendungen nicht erhoben, konnte es auch nicht, weil die Revisionsführer durch die entsprechende Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts nicht beschwert sind. Allerdings kann jeder Teilnehmer seine Landabfindung auch insofern bemängeln, als er etwa behauptet, das von ihm eingeworfene Land sei "Bauland" oder "Bauerwartungsland" gewesen und seine Abfindung bestehe nur in Ackerland. Damit kann er geltend machen, daß seine Abfindung, mag sie auch etwa flächenmäßig dem in § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG vorgeschriebenen Verhältnis entsprechen, wegen dieses Minderwertes zu beanstanden sei. Dies macht der Kläger auch geltend, kann damit aber ebenfalls keinen Erfolg haben.

Soweit sich das Klageziel auf eine Geldentschädigung richtet, mußte der Rechtsstreit auf den Hilfsantrag des Klägers an das zuständige Landgericht K. verwiesen werden, weil insoweit der Rechtsweg nicht zu den Verwaltungsgerichten, sondern ausschließlich zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist.

Auszugehen ist davon, daß der Kläger insoweit bereits im Beschwerdeverfahren eine Geldentschädigung für die ihm durch den Flurbereinigungsplan auferlegten Belastungen erstrebt hat. Dort hat er sich insbesondere auf die sich aus der Nähe des K. Randkanals ergehenden wertmindernden Auswirkungen bezogen. Wenn die Beklagte die Beschwerde des Klägers u.a. mit der Begründung zurückgewiesen hat, der Kläger sei wertgleich abgefunden und daher sei für einen weiteren vom Kläger verlangten Geldausgleich kein Raum, so hat die Beklagte damit den geltend gemachten Anspruch auf Geldentschädigung abgelehnt. Dabei war es im Ergebnis unerheblich, wie die Beklagte diese Ablehnung begründete, insbesondere ob sie etwa der Meinung, war, daß eine Geldentschädigung deswegen nicht in Betracht käme, weil Wertgleichheit zwischen Alt und Neu in landwirtschaftlicher Hinsicht vorlag und weil für die verhältnismäßig großen landwirtschaftlichen Erschwernisse im vorliegenden Fall die Mehrzuteilung an Fläche und Werteinheiten erfolgt war. Die Entscheidung, daß eine Geldentschädigung für Nachteile, die dem Kläger seiner Meinung nach durch das Unternehmen entstanden waren, nicht zu leisten sei, war eine Entscheidung im Sinne von § 88 Nr. 5 Satz 1 FlurbG, daß Nachteile im Sinne dieser Vorschrift nicht vorlagen, die in Geld abzugelten gewesen wären. Aus dem Wortlaut des § 88 Nr. 5 Satz 1 FlurbG ergibt sich eindeutig, daß nur eine Behebung der Nachteile einerseits durch Handeln oder Unterlassen in Betracht kommt und andererseits, falls hierdurch eine Behebung nicht möglich sein sollte, eine Entschädigung in Geld. Eine Entschädigung in Land für solche Nachteile ist daher in aller Regel ausgeschlossen. Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Flurbereinigungsverfahren nach § 87 ff. FlurbG und dem normalen Flurbereinigungsverfahren, dessen oberstes Ziel es ist, nach Möglichkeit Gleichwertigkeit zwischen Einlage und Abfindung herzustellen. Sofern Nachteile im Sinne von § 88 Nr. 5 FlurbG nicht zu beheben sind, handelt es sich daher um eine "Enteignung", die nach dem Gesetz zu entschädigen ist. Sicherlich steht dem nicht entgegen, wenn die Flurbereinigungsbehörde versucht, Nachteile für einen Teilnehmer dadurch auszugleichen, daß sie ihm mehr Land zuteilt. Dies wird aber in aller Regel schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil gerade auf Grund des Zweckes des Unternehmens mehr Land gebraucht wird, als vorhanden ist, Nachteile folglich kaum durch vermehrte Landzuteilung ausgeglichen werden können, und weil der durch das Unternehmen entstandene Landverlust nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auf einen größeren Kreis von Eigentümern verteilt werden soll. Unter diesen Umständen ist der Ausgangspunkt des Flurbereinigungsgerichts unzutreffend, die ordentlichen Gerichte könnten eine Klage auf Leistung einer Geldentschädigung allein mit der Begründung abweisen, der Teilnehmer sei bereits wertgleich abgefunden, wie durch den Flurbereinigungsplan feststehe, an den die ordentlichen Gerichte gebunden seien. Vielmehr haben die ordentlichen Gerichte, ohne selbst den flurbereinigungsrechtlichen Abfindungsanspruch (§ 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG) berücksichtigen zu können, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 Nr. 7 Satz 2 FlurbG (Rechtskraft der Landzuteilungen aller Teilnehmer) darüber zu entscheiden, ob dem Kläger Nachteile durch das Unternehmen entstanden sind und in welcher Höhe er gegebenenfalls in Geld zu entschädigen ist, während die Flurbereinigungsgerichte darüber zu befinden haben, ob die Neuzuteilung des Teilnehmers ohne Berücksichtigung der ihm durch das Unternehmen entstandenen Nachteile dem Grundsatz des § 88 Nr. 4 Satz 1 FlurbG entspricht. Daß der Rechtsweg für den zuletzt genannten Anspruch zu den Flurbereinigungsgerichten führt, ist oben bereits dargelegt. Im übrigen ist aber der Rechtsweg durch § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG wegen der Höhe der Geldentschädigung zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Es kann keinen Unterschied machen, ob allein wegen der Höhe gestritten wird oder ob, wie im vorliegenden Falle, eine Geldentschädigung abgelehnt worden ist. Bereits in BVerwGE 1, 42 (44) hat der I. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ausgesprochen, daß bei Enteignung auch für den Streit über den Grund des Entschädigungsanspruchs (nur) der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten gegeben sei, weil von dem Streit über die Höhe des Anspruchs die Frage nach dem Grunde nicht zu trennen sei. Diese Auffassung ist in dem hier fraglichen Punkt zu Unrecht kritisiert worden (vgl. W. Weber, Die Grundrechte II, S. 395; Kimminich, Bonner Kommentar, RdNr. 151 zu Art. 14 GG). Auch der V. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 25. März 1959 - BVerwG V C 93.57/V C 94.57 - (BVerwGE 8, 226) unter Hinweis auf die erwähnte Entscheidung des I. Senats daran festgehalten, daß bei einem Streit über eine Enteignungsentschädigung - hier nach dem Reichsleistungsgesetz - nicht nur wegen der Höhe, sondern auch bei Ablehnung jeglicher Entschädigung der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offensteht, und zwar unter Ausschluß des Verwaltungsrechtsweges. Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 4, 266 (272)), daß der ordentliche Rechtsweg gegeben ist, wenn die Entschädigung abgelehnt wird, weil streitig ist, ob überhaupt eine Enteignung (dort ebenfalls nach dem Reichsleistungsgesetz) vorliegt. An dieser gefestigten Rechtsprechung ist festzuhalten und die Ansicht des Flurbereinigungsgerichts abzulehnen, daß die Flurbereinigungsbehörde und daher auch das Flurbereinigungsgericht "unverbindlich" über die Gewährung einer Geldentschädigung zu entscheiden hätten, weil sonst Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans oder des Beschwerdebescheides einer Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg entgegenstünde. Zwar kann bereits die Flurbereinigungsbehörde gemäß § 88 Nr. 6 FlurbG einen Betrag festsetzen, den der Träger des Unternehmens als Vorschuß zu leisten hat. Damit ist indessen nicht gesagt, daß beim Fehlen einer derartigen Entscheidung auch ein Anspruch des betroffenen Teilnehmers entfallen würde. Daß eine Entscheidung nach § 88 Nr. 6 FlurbG ihrem Wesen nach unverbindlich sein muß, ergibt sich aus der Tatsache, daß es sich hierbei nur um die Gewährung von Vorschüssen handelt.

Die Doppelgleisigkeit der Verfahren ist vom Gesetzgeber gewollt und muß in Kauf genommen werden. Der Ansicht des Flurbereinigungsgerichts, daß über die an sich schon vorhandene Doppelgleisigkeit der Verfahren wegen der Landabfindung nach § 88 Nr. 4 FlurbG einerseits und der Geldentschädigung gemäß § 88 Nr. 7 FlurbG andererseits auch noch eine weitere Doppelgleisigkeit vorhanden sein soll, wenn über die beantragte Geldentschädigung wegen angeblicher Wertgleichheit ablehnend oder überhaupt nicht entschieden worden ist, kann daher nicht gefolgt werden. Danach ist das angefochtene Urteil insoweit nicht haltbar, als es sich zu der Frage der Geldentschädigung geäußert hat, weil es allein Sache der ordentlichen Gerichte ist festzustellen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Nachteile für den betroffenen Teilnehmer aus der Durchführung des Unternehmens entstanden sind, für die Geldentschädigung zu leisten ist. Die Feststellung des Flurbereinigungsgerichts, der Kläger sei insoweit nicht wertgleich abgefunden, verkennt, daß es hier nicht um Wertgleichheit geht, sondern allein darum, ob dem Kläger durch das Unternehmen Nachteile entstanden sind, die nicht haben behoben werden können und daher in Geld zu entschädigen sind. Ebensowenig gehört es zu den Aufgaben des Flurbereinigungsgerichts, sich darüber zu äußern, ob ein anspruchsgemäßer Ausgleich in Land dafür möglich ist oder nicht.