Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.1994 - 11 C 7.93 = RdL 1995 S. 27= AgrarR 1995 S. 270

Aktenzeichen 11 C 7.93 Entscheidung Urteil Datum 19.10.1994
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1995 S. 27 = AgrarR 1995 S. 270  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine im Flurbereinigungsverfahren angeordnete vorläufige Besitzeinweisung schafft - im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht - keine Zwangspunkte für eine spätere Straßenplanung und ihre Realisierung.
2. § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG ist eine Schutzvorschrift für die Teilnehmer des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens. Der Schutz erstreckt sich jedoch nicht auf Teilnehmer des Verfahrens, die durch die vorläufige Besitzeinweisung in keiner Weise betroffen sind. Ebensowenig können Teilnehmer, deren Grundeigentum durch die angegriffene Maßnahme nicht berührt wird, dadurch in ihrem Eigentumsrecht verletzt sein.

Aus den Gründen

Der Senat faßt das angefochtene Urteil dahin auf, daß es die Klage mangels einer Verletzung subjektiver Rechte der Kläger unabhängig von der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung als unbegründet abweist. Daß die Vorinstanz dabei offenläßt, ob die Sachurteilsvoraussetzung der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) vorliegt, ist nicht verfahrensfehlerhaft (vgl. BVerwG, Beschluß vom 21.11.1967 - BVerwG 1 B 91.67 - (DÖV 1968, S. 214); BVerwG, Urteil vom 03.06.1982 - BVerwG 7 C 9.80 - (Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 12)). Die Ausnahme des Flurbereinigungsgerichts, daß im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO jedenfalls eine Verletzung von Rechten der Kläger nicht festgestellt werden kann, verstößt nicht gegen Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Die Kläger sind mit ihren Besitzständen durch die vorläufige Besitzeinweisung in der Form, die dieser Maßnahme im Widerspruchsbescheid gegeben worden ist, nicht unmittelbar betroffen; denn die Beschränkung des Anwendungsbereichs der vorläufigen Besitzeinweisung ist wirksam, ein Nichtigkeitsgrund ist nicht ersichtlich. Darüber besteht kein Streit. Soweit im Widerspruchsverfahren die vorläufige Besitzeinweisung für die Besitzstände derjenigen Flurbereinigungsteilnehmer aufrechterhalten worden ist, die sich gegen die genannte Maßnahme nicht gewendet haben, liegt darin auch mittelbar keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte oder rechtlich geschützter Interessen der Kläger.

Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG können im Regelflurbereinigungsverfahren die Beteiligten in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig eingewiesen werden, wenn deren Grenzen in die Örtlichkeit übertragen worden sind und endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen sowie das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht. Für das Unternehmensflurbereinigungsverfahren knüpft § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG die vorläufige Besitzeinweisung an die zusätzliche Voraussetzung, daß die Planfeststellung für das Unternehmen oder der entsprechende Verwaltungsakt unanfechtbar geworden oder für vollziehbar erklärt worden ist. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1992 war für das maßgebliche Gebiet ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluß nicht vorhanden, so daß das genannte Erfordernis nicht erfüllt war. Zwar unterliegt keinem Zweifel, daß § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG eine Schutzvorschrift für die Teilnehmer des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens ist (vgl. Seehusen/Schwede, FlurbG, 6. Aufl. 1992, § 87 Rn. 21), doch erstreckt sich dieser Schutz nicht auf Teilnehmer des Verfahrens, die durch die vorläufige Besitzeinweisung in keiner Weise betroffen sind. Ebensowenig können Teilnehmer, deren Grundeigentum durch die angegriffene Maßnahme nicht berührt wird, dadurch in ihrem Eigentumsrecht verletzt sein. So verhält es sich im Falle der Kläger.

Sie machen allerdings geltend, die - die Grundstücke anderer Teilnehmer betreffende - vorläufige Besitzeinweisung entfalte unzulässige Vorwirkungen in bezug auf ihre Einlageflurstücke; trotz deren Ausklammerung würden mit der vorläufigen Besitzeinweisung im Flurbereinigungsgebiet Zwangspunkte für die spätere Straßenplanung und ihre Realisierung geschaffen. Dies trifft jedoch nicht zu. Eine Rechtsverletzung aus diesem Gesichtspunkt kann ein Grundeigentümer nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Falle der abschnittsweisen Verwirklichung eines Straßenbauvorhabens für sich geltend machen, wenn er den Planfeststellungsbeschluß für einen vorangehenden, sein Grundeigentum noch nicht erfassenden Straßenabschnitt anfechten will. Er muß dann darlegen und nachweisen, daß sein Grundstück im weiteren Planungsverlauf zwangsläufig betroffen sein wird (vgl. BVerwGE 62, 342; BVerwG, Beschluß vom 02.11.1992 - BVerwG 4 B 205.92 - (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 92)). Auch wenn dieser Gedanke auf die hier angefochtene vorläufige Besitzeinweisung übertragen wird, ergibt dies keine Rechtsverletzung für die Kläger; denn die vorläufige Besitzeinweisung im Flurbereinigungsgebiet hat für die Straßenplanung nicht zur Folge, daß das Grundeigentum der Kläger im weiteren Verlauf zwangsläufig beeinträchtigt werden wird. Daß Maßnahmen im flurbereinigungsrechtlichen Verfahren im Falle gleichzeitiger Durchführung von Planfeststellungs- und Unternehmensflurbereinigungsverfahren für die Planfeststellung keine präjudizielle Wirkung entfalten, ergibt sich unmittelbar aus § 87 FlurbG. Zwar darf nach § 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG ein Flurbereinigungsverfahren bereits eingeleitet werden, wenn das Planfeststellungsverfahren in Gang gesetzt ist; doch legt § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG den Vorrang des Planfeststellungsverfahrens fest. Dieser Grundsatz, den auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 18.12.1987 - BVerwG 4 C 32.84 und BVerwG 4 C 49.83 - (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nrn. 70 und 71); Beschluß vom 20.01.1993 - BVerwG 7 B 139.92 -) stets hervorgehoben hat, schließt es aus, daß durch eine § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG zuwiderlaufende vorläufige Besitzeinweisung Zwangspunkte für die künftige Straßenplanung geschaffen werden.

Die Kläger haben auch nicht zu befürchten, daß die für die große Mehrzahl der Flurbereinigungsteilnehmer aufrechterhaltene vorläufige Besitzeinweisung bereits den noch nicht bekanntgegebenen Flurbereinigungsplan vorwegnimmt. Eine solche Wirkung kommt der von den Klägern angefochtenen Maßnahme nicht zu. Vielmehr werden durch die vorläufige Besitzeinweisung regelmäßig gerade keine Tatsachen geschaffen, die im weiteren Verlauf des Flurbereinigungsverfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfG, Beschluß vom 07.10.1980 - 2 BvR 1068/80 -, RzF - 20 - zu § 65 FlurbG; BVerwG, Urteil vom 23.06.1988 - BVerwG 5 C 1.86 - (Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 4 S. 5 = RzF - 33 - zu § 65 FlurbG)).

Demnach kann dahinstehen, ob eine Verletzung von Rechten der Kläger auch deswegen ausscheidet, weil im laufenden Verfahren der ursprünglich bestehende Mangel eines vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses geheilt worden ist. Kommt es darauf nicht an, so kann das Verfahren nicht gemäß dem Hilfsantrag der Kläger nach § 94 VwGO mit Rücksicht darauf ausgesetzt werden, daß sie gegen den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.07.1994 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht beantragt haben.