Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.06.1988 - 5 C 1.86 = DÖV 1989 S. 318 (LS)

Aktenzeichen 5 C 1.86 Entscheidung Urteil Datum 23.06.1988
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen DÖV 1989 S. 318 (LS)  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Wirksamkeit einer vorläufigen Besitzeinweisung ist nicht davon abhängig, daß innerhalb eines Jahres der Flurbereinigungsplan bekanntgegeben und ein Anhörungstermin nach § 59 Abs. 2 FlurbG abgehalten wird.

Aus den Gründen

Der vom Kläger unter Berufung auf Hoecht (AgrarR 1985, 273 <284>) vorgetragenen Rechtsansicht, daß eine Frist von über einem Jahr zwischen der vorläufigen Besitzeinweisung und dem Termin zur Anhörung der Teilnehmer über den Flurbereinigungsplan nach § 59 Abs. 2 FlurbG die vorläufige Besitzeinweisung rechtswidrig werden lasse, weil die Effektivität des Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG in Frage gestellt sei, kann nicht beigepflichtet werden. Dem Flurbereinigungsgesetz ist eine dahin gehende Zeitspanne zwischen vorläufiger Besitzeinweisung und Anhörungstermin nicht zu entnehmen.

Die Einhaltung der angesprochenen Jahresfrist ist weder Vorbedingung für die Wirksamkeit der vorläufigen Besitzeinweisung noch ist der Ablauf dieser Zeitspanne, ohne das bis dahin ein Anhörungstermin nach § 59 Abs. 2 FlurbG stattgefunden hat, ein die Wirksamkeit auflösendes Ereignis. Wie das Flurbereinigungsgericht bereits angeführt hat, ist zwar auch im Gesetzgebungsverfahren von einer Jahresfrist die Rede gewesen (vgl. BT-Drucks. I/3385, S. 40/41, zu §§ 65 bis 67 des Entwurfs eines Flurbereinigungsgesetzes). Dabei wurde bei der Gegenüberstellung der gesetzgeberischen Möglichkeiten für den beschleunigten Besitzübergang auf den Zeitgewinn von einem Jahr abgestellt, der mit der vorläufigen Besitzeinweisung erreicht werde, wenn davon abgesehen werde, daß der Flurbereinigungsplan (Plantext mit der Beschreibung der rechtlichen Regelung) zu diesem Zeitpunkt schon fertiggestellt sein müsse. Hieraus kann jedoch nicht auf eine zwingende Einhaltung der angesprochenen Jahresfrist geschlossen werden. Die damit verbundene Vorstellung, daß der mit der vorbezeichneten Verfahrensweise angestrebte Besitzübergang ein volles Jahr früher erfolgen könne und damit ein volkswirtschaftlich wertvoller Zeitgewinn erreicht werde, trug dem Gesichtspunkt Rechnung, daß bei Verzicht auf die Fertigstellung des Flurbereinigungsplanes im Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung der Besitzübergang der Fruchtfolge angepaßt werden könne, so daß den Teilnehmern bei der Bewirtschaftung der neuen Grundstücke der Vorteil eines unter Umständen vollen Wirtschaftsjahres zugute komme. Im Gesetzgebungsverfahren hat dieser Aspekt jedoch weder zu einer dahin gehenden begrenzten Dauer der Wirksamkeit der vorläufigen Besitzeinweisung noch zu einer Ermessenseinschränkung bei deren Anordnung geführt. Auch bei der späteren Novellierung aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 15.03.1976 (BGBl. I S. 533) hat der Gesetzgeber keine Veranlassung zu einer dahin gehenden Fristsetzung gesehen.

Nach § 66 Abs. 3 FlurbG enden die mit der vorläufigen Besitzeinweisung verbundenen rechtlichen Wirkungen erst mit der Ausführung des Flurbereinigungsplanes (§ 61 und § 63 FlurbG). Die zeitlich davor liegende Bekanntgabe des Flurbereinigungsplanes und die sich daran anschließende Anhörung der Beteiligten (§ 59 Abs. 1 und 2 FlurbG) haben für die Wirksamkeit der vorläufigen Besitzeinweisung, die bis zur Planausführung (§ 66 Abs. 3 FlurbG) bestehen bleibt, keine Bedeutung. Eine andere Auffassung würde zu einer erheblichen Einschränkung des Entschließungsermessens der Flurbereinigungsbehörde führen, die im Flurbereinigungsgesetz jedoch keinen Niederschlag gefunden hat. Die Voraussetzungen für eine Ermessensbetätigung zur Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung ergeben sich aus § 65 Abs. 1 FlurbG. Sind diese Voraussetzungen gegeben, dann obliegt es der Flurbereinigungsbehörde, darüber zu befinden, ob und wann sie von der Möglichkeit der vorläufigen Besitzeinweisung Gebrauch macht. Diese Gestaltungsermächtigung ist nicht davon abhängig, daß es ihr (voraussichtlich) gelingt, innerhalb eines Jahres auch den Flurbereinigungsplan fertigzustellen und den Beteiligten bekanntzumachen. Ein dahin gehender "Perspektiv-Plan" ist z. B. schon dann nicht einzuhalten, wenn einige Teilnehmer die ihnen mit der vorläufigen Besitzeinweisung zugewiesene neue Feldeinteilung erfolgreich anfechten, was unter Umständen eine zeitraubende Korrektur des Plankonzepts bedingen kann (von anderen, die Planaufstellung beeinflussenden oder berührenden tatsächlichen Ereignissen oder Ergebnissen zuvor angestrengter Rechtsbehelfe ganz abgesehen).

Da gegen die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung als eines im Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes ergehenden Verwaltungsaktes uneingeschränkt Rechtsschutz gewährt wird (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 140 FlurbG), wovon der Kläger auch Gebrauch gemacht hat, könnte ein Überschreiten der nach Auffassung des Klägers einzuhaltenden Zeitspanne nur dann die Fehlerhaftigkeit/Rechtswidrigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung nach sich ziehen oder nachträglich bewirken, wenn dadurch der wirksame Rechtsschutz gegen den Flurbereinigungsplan vereitelt oder beeinträchtigt würde. Das ist weder grundsätzlich noch bei Nichteinhaltung der vom Kläger für notwendig gehaltenen Zeitspanne der Fall.

In einem Flurbereinigungsverfahren, das in mehrere Verfahrensabschnitte gegliedert ist, in deren Rahmen in stufenweiser Aufeinanderfolge mehrere selbständige Verwaltungsakte ergehen, wird durch die vorläufige Besitzeinweisung der Flurbereinigungsplan zwar in gewisser Weise vorgeprägt, aber dennoch nicht vorweggenommen und auch nicht vorverwirklicht. Deshalb können hier auch die vom Bundesverwaltungsgericht angestellten Erwägungen zur Rechtsschutzgewährung gegen einen mit einem Planfeststellungsbeschluß verbundenen Besitzeinweisungsbeschluß im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens nach landesrechtlichen Enteignungsgesetzen (siehe Urteil vom 06.07.1973 - BVerwG IV C 79.69 <RdL 1974, 70>) nicht eingreifen.

Dabei wird nicht verkannt, daß es um so schwieriger sein wird, eine aufgrund der vorläufigen Besitzeinweisung zugewiesene, sich als fehlerhaft erweisende Abfindung nachträglich wieder zu ändern, je größer der Zeitraum ist, der zwischen der vorläufigen Besitzeinweisung und der späteren Ausführung liegt, insbesondere weil die zufriedenen Teilnehmer sich inzwischen auf den durch die vorläufige Besitzeinweisung hergestellten Zustand eingestellt haben. Eine rechtlich notwendige Änderung einer fehlerhaften Zuweisung kann jedoch an praktischen Schwierigkeiten nicht scheitern, zumal sie - mit oder ohne vorhergehende vorläufige Besitzeinweisung - nicht nur bis zur Anordnung der Ausführung des Flurbereinigungsplanes, sondern auch noch danach, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, vorgenommen werden darf (§ 60 Abs. 1 Satz 1, § 64 Satz 1 FlurbG).

Nach dem Regelungsgefüge des Flurbereinigungsgesetzes ist nach allem nicht zu besorgen, daß durch die (fachgerichtlich überprüfbare) vorläufige Besitzeinweisung der Rechtsschutz gegen den Flurbereinigungsplan vereitelt oder beeinträchtigt werden könnte oder vollendete Tatsachen geschaffen würden (BVerwGE 71, 369 <371 f.>).

Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht begegnet es deshalb keinen Bedenken, daß der Gesetzgeber in § 65 FlurbG die Möglichkeit vorgesehen hat, die Beteiligten eines Flurbereinigungsverfahrens unter den gesetzlichen Voraussetzungen bereits vor der Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplanes in den Besitz neuer Grundstücke vorläufig einzuweisen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 07.10.1980 - 2 BvR 1068/80 RzF - 20 - zu § 65 FlurbG). Mit Recht wird hierfür in der vorzitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angeführt, daß durch die vorläufige Besitzeinweisung regelmäßig keine Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, und daß die vorläufige Besitzeinweisung erst erfolgen kann, wenn das Flurbereinigungsverfahren sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Auch sei es im Hinblick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Teilnehmer mit seinen Einwendungen gegen die Zuweisung der für ihn vorgesehenen Grundstücke auf die gegen den Flurbereinigungsplan bestehenden Rechtsbehelfe verwiesen werde.