Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 27.06.1975 - IX G 22/74

Aktenzeichen IX G 22/74 Entscheidung Urteil Datum 27.06.1975
Gericht Flurbereinigungsgericht Münster Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Anwendung des § 64 FlurbG muß eine sachlich und rechtlich eng begrenzte Ausnahme bleiben.
2. Unter den Voraussetzungen des § 64 FlurbG ist die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte stets zulässig.
3. Nach Eintritt des neuen Rechtszustandes kann nur § 64 FlurbG materielle Grundlage für die Änderung einer Abfindung sein.
4. In einem Verfahren nach § 1 FlurbG rechtfertigt die Notwendigkeit der Landbeschaffung für eine Trinkwassertalsperre die Änderung des Flurbereinigungsplanes hinsichtlich der Rücknahme der Zuteilung eines Reserveplanes nicht.

Aus den Gründen

Der Plannachtrag VII ist, soweit darin die Zuteilung des Reservegrundstücks Flur 1 Nr. 99 in Größe von 139,65 a mit 1.052 Werteinheiten (WE) an den Kläger aufgehoben worden ist, rechtswidrig.

Denn es fehlt an der Rechtsgrundlage für diese nachträgliche Änderung.

Bei der Änderung des Flurbereinigungsplanes sind die allgemeinen Grundsätze über den Widerruf und die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nicht anzuwenden. Wohl aber ist unter den Voraussetzungen des § 64 FlurbG die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte stets zulässig (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 25. 8. 1966 - 3 C 97/65, Recht der Landwirtschaft (RdL) 1967, 81 = Rechtsprechung zur Flurbereinigung (RzF - 4 - zu § 37 Abs. 2 FlurbG).

Die Anwendung des § 64 FlurbG muß eine sachlich und rechtlich eng begrenzte Ausnahme bleiben, weil andernfalls die gesetzlich angestrebte Rechtssicherheit gegenüber allen Teilnehmern und die damit verbundene Befriedung innerhalb der Flurbereinigungsgemeinde erheblich erschüttert würde (vgl. Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 9.10.1968 - 3 C 46/68, RdL 1969, 80 = Innere Kolonisation (IK) 1969, 231 = Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (ZMR) 1969, 157 = Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 1969, 756 (Leitsatz) unter Hinweis auf Urteil vom 29.8.1963 - 3 C 53/62, RdL 1964, 131 = ZMR 1966, 118).

Als Rechtsgrundlage für die nachträgliche Änderung kommt hier lediglich die Sonderbestimmung des § 64 FlurbG in Betracht. Denn im Flurbereinigungsverfahren M. war im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Plannachtrags VII bereits mit der vorzeitigen Ausführungsanordnung der Flurbereinigungsbehörde vom 27.10.1972 der Eintritt des neuen Rechtszustandes auf den 15.12.1972 festgesetzt worden. Nach dieser Sondervorschrift kann die Flurbereinigungsbehörde den Flurbereinigungsplan nur ändern oder ergänzen, wenn öffentliche Interessen oder wichtige, nicht vorherzusehende wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten es erfordern oder wenn ihr eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird. Zwar gelten für das Verfahren die § 59 bis § 63 FlurbG sinngemäß, nicht aber als materielle Grundlage für die Änderung. Danach ist es der Flurbereinigungsbehörde in diesem fortgeschrittenen Stand des Verfahrens ebenso wie im Beschwerdeverfahren der Oberen Flurbereinigungsbehörde (Spruchstelle) nach § 141 Abs. 2 FlurbG grundsätzlich verwehrt, außerhalb der Abhilfe begründeter Beschwerden Änderungen des Flurbereinigungsplans vorzunehmen, die sie für erforderlich hält, wie dies der Flurbereinigungsbehörde vor dem Eintritt des neuen Rechtszustands nach § 60 Abs. 1 Satz 2 a.a.O. noch möglich ist. Ausgenommen sind lediglich Änderungen auf Grund der vorgenannten in § 64 FlurbG aufgeführten besonderen Tatbestandsvoraussetzungen.

Die Behauptung der Beklagten, es sei nicht vorherzusehen gewesen, daß sie nach der Weisung des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 22.12.1972 mit der Beschaffung von Land für den A.-Verband zum geplanten Bau der Trinkwassertalsperre im N.-Tal beauftragt werde, erfüllt nicht diese Tatbestandsvoraussetzungen. Dieser ministerielle Auftrag, mit dem die Flurbereinigungsbehörde im übrigen lediglich gebeten wurde, dem A.-Verband bei der Beschaffung der für die Talsperre benötigten Grundstücke im Rahmen der im Bereich des Amtes für Agrarordnung in S. laufenden Flurbereinigungsverfahren behilflich zu sein, zwingt nicht zu der Aufhebung der Zuteilung des Flurstücks Flur 1 Nr. 99 an den Kläger. Zwar könnte unter den Voraussetzungen des § 40 FlurbG für öffentliche Anlagen wie Wasserversorgungsanlagen (§ 37 Abs. 2 FlurbG) Land in verhältnismäßig geringem Umfang im Flurbereinigungsverfahren zu Lasten der Teilnehmer bereitgestellt und dem Baulastträger zur Verfügung gestellt werden. Nach dem Eintritt des neuen Rechtszustandes ist eine Änderung des Flurbereinigungsplans aber nur noch zulässig, wenn solche öffentlichen Interessen es erfordern. Das ist hier nicht der Fall. Mangels entsprechender Zielsetzungen bei Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens M. und einer Planfeststellung nach § 31 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27.7.1957, BGBl. I 1110, ber. 1386, geändert durch Gesetz vom 15.8.1967, BGBl. I 909 und nach § 67 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.5.1962, GV NW 235, ber. 542/SGV NW 77, kann sich die Landbereitstellung für die N.-Talsperre im Rahmen der Flurbereinigung jetzt nur noch auf die Entgegennahme entsprechender Landverzichtserklärungen nach § 52 FlurbG beschränken, nicht aber Änderungen des Flurbereinigungsplanes durch Eingriffe in Abfindungen oder Zuteilungen der Teilnehmer rechtfertigen. Die Flurbereinigungsbehörde hat nach ihren eigenen glaubhaften Angaben in der Flurbereinigung M. bisher lediglich durch Aufhebung der gem. § 54 Abs. 2 FlurbG dem Kläger rechtmäßig zugeteilten Aufstockungsfläche eine Landzuteilung für den A.-Verband zur Errichtung der N.-Talsperre vorgesehen, aber selbst noch nicht die Zuteilung an den A.-Verband für erforderlich gehalten, sondern durch denselben Nachtrag VII noch bei der beigeladenen Teilnehmergemeinschaft ausgewiesen. Da mit den Bauarbeiten der Talsperre erst im Jahre 1982 begonnen werden soll, ist auch aus diesem Grunde - vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens - eine Änderung des Flurbereinigungsplanes im öffentlichen Interesse nicht als erforderlich anzusehen. Vielmehr wird zu gegebener Zeit, soweit das für die Talsperre benötigte Land nicht freihändig erworben werden kann, dafür ohnehin ein Planfeststellungs- und Enteignungsverfahren oder die Anordnung eines besonderen Unternehmensverfahrens notwendig werden.