Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.05.1998 - 11 C 7.97 = RdL 1998 S. 236 f.
Aktenzeichen | 11 C 7.97 | Entscheidung | Urteil | Datum | 20.05.1998 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1998 S. 236 f. | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ein einzelnes Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft ist nach § 2039 Satz 1 BGB grundsätzlich prozeßführungsbefugt, durch eine im eigenen Namen erhobene Verpflichtungsklage einen zum Nachlaß gehörenden Anspruch der Gesamthandsgemeinschaft auf wertgleiche Abfindung (§ 44 FlurbG) geltend zu machen. |
2. | Da sich grundsätzlich nach jeder Änderung des Flurbereinigungsplans die Frage der Wertgleichheit der (geänderten) Abfindung erneut stellt, ist das Rügerecht eines Teilnehmers nach § 134 FlurbG nicht deshalb verbraucht, weil er gegen den ursprünglichen Flurbereinigungsplan keinen Widerspruch eingelegt hat. |
Aus den Gründen
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Sache muß, weil eine abschließende Entscheidung nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts nicht möglich ist, an die Vorinstanz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1.
Die Auffassung des Flurbereinigungsgerichts, der Klägerin fehle die Prozeßführungsbefugnis - die entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine Frage der "Aktivlegitimation", sondern eine von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung ist -, steht mit Bundesrecht nicht in Einklang.
Zwar sind Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft nach Maßgabe der §§ 2032 ff. BGB in Bezug auf den Nachlaß grundsätzlich nur zu gemeinschaftlichem Handeln berechtigt bzw. verpflichtet. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und § 2039 Satz 1 BGB enthalten aber Ausnahmen von diesem Grundsatz und berechtigen einen Miterben unter den dort genannten Voraussetzungen, in eigenem Namen und aus eigenem Recht ohne Mitwirkung der anderen Miterben zugunsten der Gesamthandsgemeinschaft zum Nachlaß gehörende, auch öffentlich-rechtliche Ansprüche - hier: auf wertgleiche Abfindung (§ 44 FlurbG) - geltend zu machen und zu diesem Zweck grundsätzlich auch Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen (vgl. etwa BVerwGE 21, 91 RzF - 4 - zu § 110 FlurbG; Beschluß vom 9. Juni 1986 - BVerwG 5 B 147.83 - Buchholz 424.01 § 149 FlurbG Nr. 5; Urteil vom 28. Oktober 1993 - BVerwG 4 C 15.93 - Buchholz 406.33 § 1 LBG Nr. 7, S. 3 f.; Beschluß vom 9. Oktober 1995 - BVerwG 7 AV 8.95 - Buchholz 112 § 2 a VermG Nr. 1, jeweils m.w.N.).
Nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB kann jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen Miterben die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln allein treffen. Da dieses sogenannte Notverwaltungsrecht das Mitwirkungsrecht der anderen Miterben durchbricht, ist die Notwendigkeit einer Widerspruchs- und Klageerhebung jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Zustimmung der anderen Miterben nicht mehr rechtzeitig erlangt werden kann (BVerwGE 21, 91; BGHZ 6, 76 <83>). Wann dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist aus der Sicht eines verständigen Betrachters zu beurteilen (BVerwG und BGH, jeweils a.a.O.). Ob im vorliegenden Fall der Rechtsmittelgebrauch der Klägerin nach Abschluß des von anderen Miterben anhängig gemachten Vorprozesses im Sinne von § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB noch eine - von der Vorinstanz verneinte - "notwendige Maßregel" war, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung.
Denn jedenfalls steht der Klägerin eine Prozeßführungsbefugnis nach § 2039 Satz 1 BGB zu. Danach ist jeder Miterbe - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB - berechtigt, einen zum Nachlaß gehörenden Anspruch in eigenem Namen geltend zu machen und Leistung an die Gesamthandsgemeinschaft aller Miterben zu verlangen. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch das Recht des einzelnen Mitglieds einer ungeteilten Erbengemeinschaft, in eigenem Namen durch Verpflichtungsklage einen zum Nachlaß gehörenden Anspruch der Erbengemeinschaft - hier auf wertgleiche Abfindung - gerichtlich geltend zu machen (vgl. Beschlüsse vom 9. Juni 1986 und 9. Oktober 1995, jeweils a.a.O.). Die Rechte der übrigen Miterben werden von dieser dem einzelnen Miterben in seinem Interesse gewährten gesetzlichen Prozeßstandschaft grundsätzlich nicht berührt (vgl. BVerwG a.a.O.; BGHZ 44, 367 <372>).
Die Prozeßführungsbefugnis des einzelnen Mitglieds einer ungeteilten Erbengemeinschaft ist allerdings nicht schlechthin unbegrenzt. Macht ein Miterbe allein einen solchen Anspruch gerichtlich geltend, widersprechen andere Miterben aber einer (erneuten) Klageerhebung, so kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein Mißbrauch der Prozeßführungsbefugnis in Betracht kommen, der zur Abweisung der Klage als unzulässig führen kann (BGHZ 44, 367 <372>). Ein solcher (ausdrücklicher) Widerspruch der übrigen Miterben gegen die Prozeßführung der Klägerin nach Abschluß des Vorprozesses, in dem die nicht mitklagenden anderen Miterben die Rechtsstellung von einfachen Beigeladenen hatten (vgl. Beschluß vom 20. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 248/97 - NJW 1998, 552), ist hier von der Vorinstanz weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Daß sich die übrigen Miterben der Klage der Klägerin nicht angeschlossen haben und sich nach Beendigung des Vorprozesses im Ergebnis mit der im Flurbereinigungsplan vom 3. August 1994 getroffenen Regelung letztlich zufriedengegeben bzw. abgefunden haben, reicht für sich allein ohne Hinzutreten weiterer Umstände für eine rechtsmißbräuchliche Prozeßführung der Klägerin nicht aus.
Eine unzulässige Rechtsausübung ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, daß die Klägerin im Vorprozeß als Beigeladene in der am 17. November 1994 fortgesetzten mündlichen Verhandlung durch ihren Schwager als Prozeßbevollmächtigten vertreten war, dort aber ausweislich der Sitzungsniederschrift weder Anträge gestellt (§ 66 VwGO) noch Erklärungen abgegeben hat. Denn selbst wenn angenommen wird, die Klägerin hätte dort auf ihren bereits eingelegten "Widerspruch" gegen den Flurbereinigungsplan vom 3. August 1994 hinweisen bzw. der Hauptsachenerledigungserklärung der beiden klagenden Miterben widersprechen müssen, steht dies der (erneuten) Prozeßführung der Klägerin jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Beigeladener einer übereinstimmenden Erledigungserklärung (§ 161 Abs. 2 VwGO) der Hauptbeteiligten nicht widersprechen und damit eine Beendigung der Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht verhindern kann (vgl. BVerwGE 30, 27; Urteil vom 15. November 1991 - BVerwG 4 C 27.90 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 92). Wegen der Einstellung des Verfahrens nach der übereinstimmenden Hauptsachenerledigungserklärung der damaligen Hauptbeteiligten im Vorprozeß greifen hier auch die von einem rechtskräftigen Urteil ausgehenden Bindungswirkungen des § 121 VwGO, mit der eine erneute Sachentscheidung und Wiederholung von Prozessen durch ehemalige Beigeladene in derselben Sache verhindert werden kann, nicht ein.
2.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist das Rügerecht der Klägerin nach § 134 FlurbG nicht deshalb verbraucht, weil sie gegen den ursprünglichen Flurbereinigungsplan vom 13. Dezember 1990 keinen Widerspruch eingelegt hatte, die jetzt von ihr angefochtene Fassung aber hinsichtlich der Abfindung der Erbengemeinschaft den ursprünglichen Planstand wiederherstellt.
Das bei Terminsversäumnis oder Nichterklärung nach § 134 Abs. 1 FlurbG gesetzlich unterstellte Einverständnis mit dem "Verhandlungsgegenstand" und der daraus folgende Rügeverlust für die betroffenen Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens beziehen sich auf den jeweils erlassenen Flurbereinigungsplan mit den darin enthaltenen konkreten Festsetzungen. Wird ein solcher Plan, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Allgemeinverfügung darstellt (Urteil vom 3. Februar 1960 - BVerwG 1 CB 135.59 - RdL 1960, 189 = RzF - 5 - zu § 44 Abs. 4 FlurbG), in der Folgezeit nach § 60 i.V.m. § 59 FlurbG geändert, so tritt der geänderte Flurbereinigungsplan als neuer Verwaltungsakt an die Stelle des zuvor erlassenen Plans. Auch er muß den Geboten der wertgleichen Abfindung (§ 44 FlurbG) entsprechen und unterliegt insoweit einer (erneuten) Überprüfung der davon betroffenen Teilnehmer. Da grundsätzlich kein Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens einen Anspruch auf bestimmte Abfindungsgrundstücke hat und jede Abfindung unter dem Vorbehalt möglicher Änderungen nach Maßgabe von § 60 FlurbG steht, solange nicht alle den Flurbereinigungsplan betreffenden Festsetzungen bestandskräftig geworden sind, kann sich kein Teilnehmer auf die Unabänderlichkeit der im jeweiligen Flurbereinigungsplan ausgewiesenen Abfindung berufen, soweit und solange er keine im förmlichen Rechtsmittelverfahren oder durch verbindliche (einseitige) Zusicherung oder (zweiseitige) Vereinbarung geschützte Rechtsposition erlangt hat (vgl. etwa Beschluß vom 3. Juni 1987 - BVerwG 5 B 74.86 - Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 18 m.w.N.). Insoweit korrespondiert das Recht der Flurbereinigungsbehörde zur Änderung eines Flurbereinigungsplans nach Maßgabe der § 60, § 59 FlurbG mit dem Recht der Teilnehmer, gegen den geänderten Plan den (erneuten) Einwand einer nicht wertgleichen Abfindung vorzubringen. Da bei einer auf einen Planwiderspruch erforderlich werdenden Planänderung eine Überprüfung der Wertgleichheit der Abfindung (§ 44 FlurbG) anderer davon betroffener Teilnehmer erforderlich werden kann, müssen bestandsrechtliche Erwägungen weitgehend außer Betracht bleiben, so daß sich grundsätzlich nach jeder Änderung des Flurbereinigungsplans die Frage der Wertgleichheit der (geänderten) Abfindung erneut stellt; sie muß daher von den betroffenen Teilnehmern in einem erneuten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren mit Aussicht auf eine Sachentscheidung aufgeworfen werden können (Urteil vom 8. November 1973 - BVerwG 5 C 17.72 - und Beschluß vom 20. August 1986 - BVerwG 5 B 121.84 Buchholz 424.01 § 60 FlurbG Nr. 1 und Nr. 6). Daher steht § 134 Abs. 1 FlurbG bei nachträglichen Planänderungen auch der erneuten Rüge einer nicht (mehr) wertgleichen Abfindung für die Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens nicht von vornherein entgegen.
Im vorliegenden Fall war der Flurbereinigungsplan in der ursprünglichen Fassung vom 13. Dezember 1990 jedenfalls hinsichtlich der Abfindung der Erbengemeinschaft infolge der - insoweit einschneidenden - Änderungen vom 13. August 1991 und 26. November 1992 rechtlich nicht mehr existent. Deshalb besteht auch dessen "Ausschlußwirkung" im Sinne des § 134 Abs. 1 FlurbG gegenüber der Klägerin nicht mehr, so daß ihr das Rügerecht gegen die letzte Planänderung vom 3. August 1994 nicht abgesprochen werden kann. Die Frage einer Nachsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 FlurbG stellt sich unter diesen Umständen nicht, weil die Klägerin gegen die letzte Änderung des Flurbereinigungsplans rechtzeitig Widerspruch erhoben hat.