Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.05.2019 - 9 B 20.18 = ZfIR 2019, 548 (Leitsatz)= NVwZ 2019, 1217 (Leitsatz)= UPR 2019, 358 (Leitsatz)= RdL 2019, 358 (Lieferung 2020)
Aktenzeichen | 9 B 20.18 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 08.05.2019 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = ZfIR 2019, 548 (Leitsatz) = NVwZ 2019, 1217 (Leitsatz) = UPR 2019, 358 (Leitsatz) = RdL 2019, 358 | Lieferung | 2020 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ob eine Flurbereinigung erforderlich und das Interesse der Beteiligten am Erlass des Flurbereinigungsbeschlusses gegeben ist (§ 4 FlurbG), unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Gericht. (Amtlicher Leitsatz) |
2. | Über die Begrenzung des Flurbereinigungsgebietes entscheidet die Behörde unter Beachtung des § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG nach Ermessen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse jedes einzelnen Teilnehmers an, sondern auf diejenigen im gesamten Verfahrensgebiet (im Anschluss an bisherige Rechtsprechung). (Amtlicher Leitsatz) |
3. | Der Streit darüber, ob es der Einbeziehung bestimmter Grundstücke bedarf, um den Gesamterfolg des Verfahrens zu sichern, ist grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage gegen den Flurbereinigungsbeschluss zu klären. (Amtlicher Leitsatz) |
4. | Beim Flurbereinigungsgericht gewährleistet die durch § 139 FlurbG vorgeschriebene besondere Besetzung regelmäßig eine sachverständige Würdigung der zu beurteilenden Sachverhalte. (Redaktioneller Leitsatz) |
Aus den Gründen
Nach § 4 FlurbG - hier in Verbindung mit § 86 Abs. 2 Nr. 1 FlurbG - kann die Behörde die Flurbereinigung anordnen und das Flurbereinigungsgebiet feststellen, wenn sie die Flurbereinigung für erforderlich und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält. Ob die Flurbereinigung erforderlich ist, richtet sich nach ihren Zielen (§§ 1, § 37 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 FlurbG, s. Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 4 Rn. 4). Insoweit gilt für die Behörde der Amtsermittlungsgrundsatz; sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen, ohne an das Vorbringen der Beteiligten gebunden zu sein (vgl. § 24 Abs. 1 VwVfG). Der notwendige Ermittlungsaufwand hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (s. auch BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 - 9 C 12.14 - Buchholz 424.02 § 57 LwAnpG Nr. 2 Rn. 19 f. <= RzF - 8 - zu § 57 LwAnpG>; Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 26 m.w.N.).
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Im Hinblick auf die Prüfungstiefe im Verwaltungsrechtsstreit ist seit langem anerkannt, dass das Gericht in vollem Umfang nachzuprüfen hat, ob die Voraussetzungen für die Flurbereinigung und das Interesse der Beteiligten vorliegen. Ein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum ist der Behörde insoweit nicht eingeräumt (BVerwG, Urteile vom 3. März 1959 - 1 C 142.56 - BVerwGE 8, 197 <199> <= RzF - 1 - zu § 4 FlurbG> und vom 29. März 1968 - 4 C 104.65 - BVerwGE 29, 257 <258> <= RzF - 8 - zu § 4 FlurbG>; Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 4 Rn. 3). ... Die Entscheidung darüber, ob die Flurbereinigung - bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen - nach § 4 FlurbG anzuordnen und wie das Flurbereinigungsgebiet zu begrenzen ist, steht dagegen im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde, die für die Einleitung des vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens zuständig ist (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 FlurbG). Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, wonach das Flurbereinigungsgebiet so zu begrenzen ist, dass der Zweck der Flurbereinigung möglichst vollkommen erreicht wird, gibt dabei eine bindende Ermessensrichtlinie vor. Ihre Anwendung ist vom Gericht darauf zu überprüfen, ob alle für einen größtmöglichen Erfolg der Flurbereinigung im gesamten Planungsraum und für den einzelnen Beteiligten bedeutsamen Gesichtspunkte in die Abwägung eingeflossen sind (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1989 - 5 B 124.89 - Buchholz 424.01 § 7 FlurbG Nr. 2 m.w.N.; vgl. auch Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 4 Rn. 3, § 7 Rn. 3).
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Schon im Flurbereinigungsbeschluss ist das Flurbereinigungsgebiet, wie erwähnt, so zu begrenzen, dass der Zweck der Flurbereinigung möglichst vollkommen erreicht wird (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Namentlich im Hinblick auf einen zersplitterten oder unwirtschaftlich geformten ländlichen Grundbesitz (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG), der eine Flurbereinigung erfordert, kommt es dabei nicht auf die Verhältnisse bei jedem einzelnen Teilnehmer an, sondern auf diejenigen im gesamten Verfahrensgebiet. Selbst wenn im Zeitpunkt der Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens festgestellt werden kann, dass einzelne Betriebe gut arrondiert sind, sodass bei ihnen ein betriebswirtschaftlicher Erfolg durch die Flurbereinigung nicht eintreten kann, gibt dies den Inhabern kein Recht, von dem Verfahren ausgeschlossen zu werden. Soweit für den Gesamterfolg der Verbesserung der Agrarstruktur erforderlich, muss auch solchen Eigentümern die Beteiligung am Verfahren zugemutet werden (BVerwG, Beschlüsse vom 26. März 1974 - 5 B 14.72 - Buchholz 424.01 § 1 FlurbG Nr. 4 <= RzF - 16 - zu § 4 FlurbG> und vom 22. Februar 1980 - 5 B 22.80 - Buchholz 424.01 § 1 FlurbG Nr. 7).
Daraus folgt, dass der Streit darüber, ob es der Einbeziehung bestimmter Grundstücke bedarf, um den Gesamterfolg des Verfahrens zu sichern, grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage gegen den Flurbereinigungsbeschluss zu klären ist. Die Annahme, der Kläger könne stattdessen nach Belieben mit einer auf § 8 FlurbG gestützten Verpflichtungsklage die Änderung des Flurbereinigungsgebietes erstreben, würde die Bestandskraft des Flurbereinigungsbeschlusses unterlaufen. Wie vom Oberverwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, kommt § 8 FlurbG insbesondere dann zur Anwendung, wenn Umstände geltend gemacht werden, die bei der ursprünglichen Feststellung des Flurbereinigungsgebietes nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie erst nach dem für die Beurteilung des Flurbereinigungsbeschlusses maßgeblichen Zeitpunkt - dem Erlass des Widerspruchsbescheides - eingetreten oder bekannt geworden sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - 5 C 2.77 - BVerwGE 56, 1 <3> <= RzF - 12 - zu § 8 Abs. 1 FlurbG>; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 9 B 58.15 - juris Rn. 4; Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 8 Rn. 1). Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich zugleich, dass bei unveränderten Umständen ein hilfsweise gestellter Antrag auf Verpflichtung der Flurbereinigungsbehörde zur Änderung des Flurbereinigungsgebietes regelmäßig keinen weitergehenden Rechtsschutz vermitteln kann als der Hauptantrag auf (vollständige oder teilweise) Aufhebung des Flurbereinigungsbeschlusses derselben Behörde (§ 4 in Verbindung mit § 86 Abs. 2 Nr. 1 FlurbG); denn schon in dessen Rahmen ist die Rechtmäßigkeit der Gebietsabgrenzung des vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens vollständig zu überprüfen.
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Anmerkung
Vorinstanz: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Bautzen - Flurbereinigungsgericht - 7 C 5/17.F = RzF - 7 - zu § 6 Abs. 2 FlurbG