Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.03.1968 - IV C 104.65 = BVerwGE 29, 257= MDR 1968 S. 168= NJW 1968 S. 1737= RdL 1968 S. 164 - IK 1968 S. 413

Aktenzeichen IV C 104.65 Entscheidung Urteil Datum 29.03.1968
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen BVerwGE 29, 257 = MDR 1968 S. 168 = NJW 1968 S. 1737 = RdL 1968 S. 164 - IK 1968 S. 413  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Ein Flurbereinigungsverfahren kann auch dann eingeleitet werden, wenn die Mehrzahl der Beteiligten, gemessen an der Fläche des in Aussicht genommenen Verfahrensgebietes, der Einleitung widerspricht.

Aus den Gründen

Dem Flurb.Gericht ist darin beizutreten, daß die Durchführung der Flurb. selbst gegen den Willen der überwiegenden Anzahl der Teilnehmer, nach der Grundfläche gerechnet, zulässig sein kann. Nach § 4 FlurbG kann die obere Flurb.Behörde die Flurb. anordnen und das Flurb.Gebiet feststellen, wenn sie die Voraussetzungen für eine Flurb. und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält. Was unter den "Voraussetzungen für die Flurbereinigung" zu verstehen ist, ergibt sich aus § 1 FlurbG. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Flurb.Gerichts sind diese Voraussetzungen für den weitaus überwiegenden Teil des in Aussicht genommenen Verfahrensgebiets gegeben. Diese Feststellungen sind revisionsrichterlich nicht zu beanstanden und von den Kl. zu a) auch nicht angegriffen worden.

Im Ergebnis zutreffend hat das Flurb.Gericht auch das nach § 4 FlurbG erforderliche Interesse der Beteiligten bejaht.

Bedenken ergeben sich allerdings gegen das Urteil, soweit es ausführt, die angefochtene Entscheidung der Beklagten lasse keinen Ermessensfehler erkennen. Ein Ermessen ist der Flurb.Behörde insoweit nicht eingeräumt (Urt. vom 3.3.1959 - BVerwG I C 142.56 - in BVerwGE 8, 197 (199)). Ob das "Interesse der Beteiligten" vorliegt, ist vielmehr vom Gericht in vollem Umfang tatsächlich und rechtlich nachzuprüfen. Soweit das Flurb.Gericht dies verkannt haben sollte, beruhen die Entscheidungsgründe auf einer Verletzung des § 4 FlurbG. Jedoch ist diese etwaige Rechtsverletzung unerheblich, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Die Tatsachenfeststellungen des Flurb.Gerichts reichen aus, die angefochtene Behördenentscheidung in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Diese Nachprüfung ergibt, daß der Bekl. zu Recht das nach § 4 FlurbG erforderliche Interesse der Beteiligten an der Einleitung des Verfahrens als gegeben erachtet hat.

Nach gesicherter Rechtsprechung des BVerwG kommt es für die Feststellung dieses Interesses nicht auf die persönliche Meinung der Beteiligten, sondern auf ihr wohlverstandenes, auf sachlichen Erwägungen beruhendes Interesse an (vgl. das bereits angeführte Urt. vom 3.3.1959, Beschl. vom 28.12.1960 - BVerwG I B 159.60 - (RdL 1961, 80), Beschl. vom 4.7.1961 - BVerwG I B 56.61 -). Das Interesse der Beteiligten ist nicht gleichbedeutend mit ihrer Zustimmung. Auch ohne Zustimmung der Grundeigentümer kann die Flurb. im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten liegen. Wie der I. Senat in seinem Urt. vom 3.3.1959 (aaO) entschieden hat, kann das objektive Interesse der Beteiligten selbst dann vorliegen, wenn eine Vielzahl von Teilnehmern der Einleitung des Verfahrens widerspricht. In dem entschiedenen Falle ist dieser Grundsatz bei einer Sachlage ausgesprochen worden, bei der die Flurb. zwar gegen den Willen vieler Beteiligter, nicht aber der Mehrheit der Betroffenen, gemessen an der Fläche des Verfahrensgebiets, durchgeführt wurde. Nach der Fläche gerechnet lag sogar eine Zustimmung der überwiegenden Zahl der Teilnehmer vor.

Jedoch gilt nichts anderes, wenn selbst die überwiegende Anzahl der Grundeigentümer, gemessen an der Fläche des in Aussicht genommenen Verfahrensgebiets, der Einleitung der Flurb. widerspricht. Auch in einem solchen Falle ist an dem Grundsatz festzuhalten, daß sich die Zulässigkeit einer Flurb. für ein bestimmtes Gebiet grundsätzlich unabhängig von der persönlichen Einstellung der betroffenen Grundstückeigentümer zu dem Vorhaben beurteilt. Es muß bei o b j e k t i v e r Betrachtungsweise ein wirtschaftliches Interesse der Teilnehmer an der Neugestaltung des bestimmten Gebiets bestehen (vgl. Beschl. des erk. Senats vom 17.8.1967 - BVerwG IV B 139.66 -). Ist dieses - objektive - Interesse für die Teilnehmer als vorhanden anzunehmen, dann ist die Durchführung des Flurb.Verfahrens selbst gegen ihren Willen zulässig. Die subjektive - gegenteilige - Beurteilung der Teilnehmer über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Flurb. für ein bestimmtes Gebiet ist dann unerheblich, wenn sich die Maßnahme bei Anlegung eines objektiven Maßstabes als sachgerecht erweist.

Zu ermitteln ist das wohlverstandene Interesse der Beteiligten unter Würdigung der Gesamtumstände im betroffenen Gebiet. Widerspricht, wie im vorliegenden Falle, eine besonders hohe Zahl von Beteiligten der Einleitung des Verfahrens, so werden die Flurb.Behörden und die Gerichte Anlaß haben, besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Durchführung des Verfahrens im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten liegt, also sachgerecht ist. Mit dieser Einschränkung kommt der subjektiven Einstellung der Beteiligten im Sinne des § 10 FlurbG doch eine gewisse Bedeutung zu.

Das Flurb.Gericht hat sich seiner Aufgabe, die Zulässigkeit einer Flurb. zu prüfen, sorgfältig gewidmet. Es hat eine Ortsbesichtigung stattgefunden. Das gesamte zur Bereinigung in Aussicht genommene Gebiet wurde in Augenschein genommen; das Gericht hat sich an Hand von Besitzstandskarten ein genaues Bild über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Flurb.Gebiet verschafft. Wenn es dann auf Grund der mit großer Sorgfalt getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangte, eine objektive Betrachtungsweise lasse ein wohlverstandenes Interesse der Beteiligten an einer Flurb. erkennen, dann mußte der Widerspruch gegen die Einleitung des Verfahrens außer Betracht bleiben, auch wenn er von der Mehrzahl der Betroffenen ausging.

Bei dieser Betrachtungsweise geht die Ansicht fehl, das in § 4 FlurbG vorausgesetzte Interesse der Beteiligten sei - folge man der Ansicht des Flurb.Gerichts - praktisch gegenstandslos. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen das Interesse zur Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung und der allgemeinen Landeskultur nach § 1 FlurbG zu bejahen wäre, dieses Interesse aber in einem unlösbaren Widerspruch zu den Interessen der Beteiligten (§ 4 aaO) stünde. - So hat der I. Sen. des BVerwG in seinem Beschl. vom 28.12.1960 (aaO) ausgesprochen, daß das Kosteninteresse des einzelnen Beteiligten bei der Durchführung des Verfahrens zu berücksichtigen ist. Inwieweit es zu berücksichtigen wäre, hinge von der Lage des Einzelfalls ab. In der Regel wird es nicht den Ausschlag geben, in Anbetracht der Tatsache, daß die Flurb. in erheblichem Umfange mit öffentlichen Mitteln durchgeführt wird. Zudem sieht § 19 Abs. 3 FlurbG vor, daß einzelne Teilnehmer zur Vermeidung offensichtlicher und unbilliger Härten von der Aufbringung der auf sie entfallenden Beiträge ganz oder teilweise befreit werden können. Grundsätzlich kann also davon ausgegangen werden, daß sich die finanzielle Belastung der Beteiligten in vertretbaren Grenzen halten wird. - Das trifft nach den Feststellungen des Flurb.Gerichts auch für den vorliegenden Fall zu.

Es widerspricht auch nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, eine Flurb. gegen den Willen der Mehrheit der Teilnehmer durchzuführen. Das Flurb.Verfahren sieht eine Abstimmung der Beteiligten nicht vor. Wie der I. Sen. des BVerwG in seinem bereits angeführten Beschl. vom 4.7.1961 dargelegt hat, kann darin ein Verstoß gegen demokratische Grundsätze nicht gesehen werden. Zunächst haben die Kl. im Rahmen der Teilnehmergemeinschaft (§ 16 ff. FlurbG) die Möglichkeit, auf die Durchführung und die Gestaltung des Verfahrens persönlich Einfluß zu nehmen. Entscheidend aber ist, daß die Flurb. das Eigentum der Betroffenen nicht beeinträchtigt, weil durch die Gesamtabfindung in Höhe des zu ermittelnden Gesamttauschwerts gewährleistet ist, daß die Teilnehmer Land von gleichem Wert erhalten. Hinzu kommt, daß die Flurb. eine Maßnahme ist, die eine wirtschaftliche Betriebsführung nach neuzeitlichen Grundsätzen zu ermöglichen bzw. zu fördern geeignet ist (vgl. Beschl. vom 9.11.1954 - BVerwG I B 145.53 - in BVerwGE 1, 225 (228) und Urt. vom 6.10.1960 - BVerwG I C 64.60 - in BVerwGE 12, 1 (6)).