Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 02.07.2013 - 13 A 12.1659 = KommunalPraxis BY 2013, 425 (Leitsatz) (Lieferung 2015)

Aktenzeichen 13 A 12.1659 Entscheidung Urteil Datum 02.07.2013
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen = KommunalPraxis BY 2013, 425 (Leitsatz)  Lieferung 2015

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Umstand, dass ein Flurstück nach der Darstellung im Flächennutzungsplan ganz oder teilweise als Bauerwartungsland zu qualifizieren ist, ist ein wesentlicher planerischer Belang, der als solcher in die Ermessensabwägung bei der Einbeziehung in das Flurbereinigungsgebiet einzustellen ist.

Aus den Gründen

20    3. Allerdings ist die bei der Feststellung des Verfahrensgebiets vorgenommene Abgrenzung (§ 4 und § 7 FlurbG) hinsichtlich der Einbeziehung der zusammenhängenden Einlageflurstücke 429 und 430 fehlerhaft, weil die Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt, dass der westliche Teilbereich des am Rand der Ortschaft T. gelegenen Flurstücks 429 im geltenden Flächennutzungsplan der Gemeinde B. als Wohnbaufläche dargestellt ist.


21    a) Gemäß § 4 FlurbG bemessen sich die Verfahrensanordnung und die Feststellung des Flurbereinigungsgebiets nach der Erforderlichkeit und dem Interesse der Beteiligten. Das Flurbereinigungsgebiet ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG so zu begrenzen, dass der Zweck der Flurbereinigung möglichst vollkommen erreicht wird. Das Interesse der Beteiligten darf nur dann angenommen werden, wenn bei Berücksichtigung aller planungsrelevanter Umstände und objektiver Abwägung der sachlichen Gesichtspunkte der betriebswirtschaftliche Erfolg der Flurbereinigung nicht in Frage gestellt werden kann (BVerwG, B.v. 26.3.1974 – V B 14.72 – BVerwGE 45, 112 <= RzF -16 - zu § 4 FlurbG>). Das objektive Interesse ist stets ein wirtschaftliches Interesse (Wingerter, a.a.O. § 4 Rn. 5 m.w.N.). § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 8.11.1989 – 5 B 124.89 – Buchholz 427.01 § 7 FlurbG Nr. 2) keinen Ausschluss des behördlichen Gebietsbegrenzungsermessens, sondern die zwingende Vorgabe einer Ermessensrichtlinie, deren Einhaltung vom Flurbereinigungsgericht im Rahmen des gemäß § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG auch im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren geltenden § 114 VwGO zu überprüfen ist. Danach prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (BVerwG, B.v. 25.11.1988 – 5 B 164.88 – Buchholz 424.01 § 4 FlurbG Nr. 10; B.v. 20.2.1962 – I B 28.62 – RdL 1962, 215), der über den Flurbereinigungsbeschluss im Rahmen der § 1 und § 37 FlurbG näher definiert wird. Rechtswidrig ist nur eine Abgrenzung, die erkennbar nicht auf eine Abwägung aller für einen größtmöglichen Erfolg der Flurbereinigung im gesamten Planungsgebiet und für den einzelnen Beteiligten bedeutsamen Gesichtspunkte zurückgeht (BVerwG, B.v. 8.11.1989 – 5 B 124.89 – Buchholz 427.01 § 7 FlurbG Nr. 2; B.v. 26.10.1966 – IV B 291.65 – RdL 1967, 217 <= RzF - 7 - zu § 4 FlurbG>).


22    b) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt der angefochtene Anordnungsbeschluss nicht den genannten Anforderungen, weil das ALE O. seiner Ermessensentscheidung nicht alle bedeutsamen Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat. Bei der Ermessensausübung nach Art. 40 BayVwVfG sind alle für den Einzelfall wesentlichen Umstände in die Erwägung einzubeziehen (vgl. zur Geltung des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG: BVerwG, B.v. 25.11.1988 a.a.O). Ansonsten ist ein Ermessensdefizit und folglich ein Rechtsverstoß gegeben (Kopp/Schenke, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 40 Rn. 62 und 110; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 114 Rn. 178, 189 – jeweils mit Verweisen auf die BVerwG-Rechtsprechung). Übertragen auf das Planungsermessen – wie hier – bedarf es einer vollständigen und zutreffenden Ermittlung des abwägungserheblichen Sachverhalts (Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 114 Rn. 45). Eine Behörde kann ihren Entscheidungsspielraum nur dann sachgerecht nutzen, wenn sie den wesentlichen Sachverhalt kennt. Dies war hier nicht der Fall.


23    Die Darstellung als Wohnbaufläche im geltenden Flächennutzungsplan hat das ALE O. bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Nach den im Augenschein gewonnenen Erkenntnissen hat die betreffende Fläche die Qualität von Bauerwartungsland i.S.v. § 5 Abs. 2 ImmoWertV. Da sie zwar an die bebaute Ortslage grenzt, aber außerhalb des geradlinig abgegrenzten Bebauungszusammenhangs liegt (vgl. BVerwG, B.v. 9.11.2005 – 4 B 67.05 – BauR 2006, 492), ist dieser Bereich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als Baulücke i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB zu qualifizieren. Eine bauliche Nutzung ist auf Grund konkreter Tatsachen aber mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, da die Fläche in der Bauleitplanung als Wohnbaufläche dargestellt ist und an eine den Ortsrand markierende, bisher nur einseitig bebaute Erschließungsstraße grenzt (vgl. OLG München, U.v. 29.11.1979 – U 3/79 – BayVBl 1981, 188). Dies war im Verfahren vom ALE O. übersehen worden (vgl. Klagerwiderung vom 3.8.2012 u. 8.2.2013). Auch ein Hinweis nach § 5 Abs. 3 FlurbG seitens der Gemeinde B. an das ALE O., dass abweichend von der üblichen Darstellung als Fläche für die Landwirtschaft oder Wald die Bauleitplanung für den betreffenden Ortsrandbereich eine bauliche Nutzung vorsieht, ist nicht erfolgt. Ersichtlich ist die Darstellung aber in der vom Landratsamt B. mit Schreiben vom 20. Februar 2012 übersandten "Übersichtskarte RIS M = 1:10.000 Bauleitplanung", wenngleich das Landratsamt B. ebenfalls nicht ausdrücklich auf die betreffende Darstellung im Flächennutzungsplan hingewiesen hatte. Dieser Umstand ist in der Begründung des angefochtenen Flurbereinigungsbeschlusses nicht erwähnt. Auch aus dem Protokoll der Aufklärungsversammlung nach § 5 Abs. 1 FlurbG ergibt sich nicht, dass dieser Umstand angesprochen wurde.


24    c) Grundsätzlich begegnet die Einbeziehung von Bauerwartungsland in ein Flurbereinigungsgebiet (§ 2 Abs. 1 FlurbG) gemäß den o.g. Grundsätzen zwar keinen Bedenken. Der Flurbereinigung unterliegen nämlich nicht nur land- oder forstwirtschaftliche genutzte Flächen. Dies ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 FlurbG, wonach (selbst) die Zuziehung der Ortslage zur Flurbereinigung nicht ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es zulässig, auch Flächen einzubeziehen, die nach dem Flächennutzungsplan für Wohnzwecke Verwendung finden sollen (BVerwG, B.v. 28.12.1960 – I B 159.60 – = RzF - 2 - zu § 1 FlurbG = RdL 1961, 89). Allerdings hat das ALE O. seine Abwägungsentscheidung nicht unter diesem besonderen Gesichtspunkt getroffen. Bei der Darstellung als Wohnbaufläche handelt es sich um einen wesentlichen Umstand, der beim Flurbereinigungsbeschluss zu würdigen gewesen wäre. Das ergibt sich aus Folgendem: § 1 FlurbG lässt die Flurbereinigung zum Zweck der Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie zur Förderung der allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung zu. Auch wenn die Interessen der allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung mit denen der Land- und Forstwirtschaft gleichrangig sind und jeder der drei in § 1 FlurbG genannten Zwecke für sich allein oder in beliebiger Verbindung eine Flurbereinigung rechtfertigen kann (Wingerter a.a.O., § 1 Rn. 2 mit Verweis auf BT-Drs. 7/3020 S. 17), dürfen anderweitig vorhandene und möglicherweise entgegenstehende Aspekte nicht gänzlich außer Betracht bleiben. "Landentwicklung" ist die Verwirklichung der von der Raumplanung für den ländlichen Raum vorgesehenen Ziele. Grundlage der Landentwicklung sind alle Gesetze mit dem Ziel, die Lebensverhältnisse im ländlichen Raum zu fördern und dauerhaft zu verbessern, wie z.B. das Baugesetzbuch (Wingerter a.a.O., § 1 Rn. 5 f.). Der Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan (§ 1 Abs. 2 BauGB) stellt eine "bereits feststehende Planung" i.S.v. § 5 Abs. 3 Halbs. 2 FlurbG dar. Nach dieser Vorschrift sind Gemeinden verpflichtet, der Flurbereinigungsbehörde mitzuteilen, ob und welche das voraussichtliche Flurbereinigungsgebiet berührenden Planungen beabsichtigt sind oder bereits feststehen. Hieraus ergibt sich, dass das Flurbereinigungsgesetz Bauleitplänen ein beträchtliches Gewicht beimisst. Indem somit ein wesentlicher Belang übersehen wurde, blieb die hier denkbare Entscheidungsalternative außer Betracht. Es ist nicht auszuschließen, dass das ALE O. bei genauerer Kenntnis der Bauleitplanung eine andere Abgrenzung getroffen hätte, zumal die Abfindung in Land bei derartigen Flächen erfahrungsgemäß gewisse Probleme aufwirft und sich die teilweise als Wohnbauflächen dargestellten drei Flurstücke in derselben Gewanne (Klägerin und zwei weitere Teilnehmer) trotz der gebogenen Grenzverläufe noch sinnvoll bewirtschaften lassen.


25    d) Die Ermessenserwägungen wurden auch nicht nach § 114 Satz 2 VwGO ergänzt, da die Behörde auf dem Standpunkt steht, dass das Merkmal "Bauerwartungsland" kein wesentlicher Umstand sei und deshalb nicht in die Abwägung einzustellen gewesen sei.


26    e) Bei der durch Urteilsformel verfügten Teilaufhebung des Flurbereinigungsbeschlusses war zu berücksichtigen, dass bei einer Änderung des Flurbereinigungsgebiets keine Teilflächen, sondern nur ganze Flurstücke hinzugenommen und folglich auch nur solche herausgenommen werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1971 – 4 C 36.68 – Buchholz 424.01 § 8 FlurbG Nr. 3). Die Befugnis, noch eine Änderung des Flurbereinigungsgebiets anzuordnen, bleibt von dieser Entscheidung unberührt.