Flurbereinigungsgericht Magdeburg, Beschluss vom 08.11.2000 - 8 K 5/00 (Lieferung 2013)
Aktenzeichen | 8 K 5/00 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 08.11.2000 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Magdeburg | Veröffentlichungen | Lieferung | 2013 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ein besonderes Interesse am sofortigen Vollzug einer vorläufigen Anordnung nach § 36 Abs. 1 i. V. m. § 88 Nr. 3 FlurbG, durch die Eigentümern und Nutzern landwirtschaftliche Flächen für landschaftspflegerische Maßnahmen entzogen werden, ergibt sich nicht ohne weiteres aus einem vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss für ein Schnellbahnvorhaben nach § 41 BBahnG. Es folgt auch nicht ohne weiteres aus der Verpflichtung nach § 8 Abs. 2 BNatSchG, unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft innerhalb einer bestimmten Frist durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen und einem Zeitablauf von mehr als 7 Jahren zwischen Planfeststellungsbeschluss und vorläufiger Anordnung. |
Aus den Gründen
Die nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaften Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Vorläufigen Anordnung vom 5. Juli 2000 sind zulässig und begründet. Der Antragsgegner durfte diese Vorläufige Anordnung nicht für sofort vollziehbar erklären und hat dadurch Rechte der Antragsteller verletzt.
1. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widersprüche gegen Verwaltungsakte aufschiebende Wirkung, so dass diese grundsätzlich nicht sofort vollziehbar sind. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung allerdings u.a. dann, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse besonders anordnet. Dieses öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ist ein besonderes öffentliches Interesse, das über das Interesse hinausreicht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerfGE 35, 382 <402>; 69, 220 <228>). Ein derartiges besonderes öffentliches Vollzugsinteresse ist weder vom Antragsgegner dargelegt worden noch sonst ersichtlich.
2. In der Vorläufigen Anordnung vom 5. Juli 2000 wird das besondere Vollzugsinteresse im wesentlichen mit denselben Erwägungen begründet, die auch die Vorläufige Anordnung rechtfertigen sollen: Die für landschaftspflegerische Maßnahmen benötigten Flächen müssten entsprechend den Vorgaben im Planfeststellungsbeschluss und im Bundesnaturschutzgesetz umgehend bereitgestellt werden; die Schaffung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sei dringend, um eine erhebliche Beeinträchtigung des Naturhaushalts zu vermeiden. Damit ist ein besonderes Vollzugsinteresse, bereits die Vorläufige Anordnung vor deren Bestandskraft vollziehen zu dürfen, nicht dargetan. Die weitere Erwägung, eine langwierige anderweitige Besitzregelung auf freiwilliger Basis verhindere den zeitnahen Ausgleich bzw. Ersatz durch landschaftspflegerische Maßnahmen, passt überhaupt nicht als Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil die Vorläufige Anordnung nach § 88 Nr. 3 i.V.m. § 36 Abs. 1 FlurbG selbst eine Eilmaßnahme darstellt und nach deren Bestandskraft zeitnah umgesetzt werden kann. Im Übrigen steht sie im Widerspruch zu den Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 2. November 2000, wonach nach Abschluss der Verhandlungen im Jahre 1999 ein weiterer freihändiger Erwerb sowie Baueinwilligungen nicht mehr zu erzielen seien.
3. Es ist auch sonst nicht erkennbar, warum nicht mit der sofortigen Vollziehung der Vorläufigen Anordnung bis nach deren Bestandskraft abgewartet werden kann.
3.1. Der Antragsgegner kann das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nicht bereits daraus ableiten, dass der zugrundeliegende Planfeststellungsbeschluss vom 20. Oktober 1993 bestandskräftig und für sofort vollziehbar erklärt worden ist.
Grundsätzlich muss zwar die Flurbereinigungsbehörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Vorläufigen Anordnung nach § 88 Nr. 3 FlurbG i.V.m. § 36 FlurbG vom Vorliegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ausgehen, wenn der dem Unternehmen zugrundeliegende Planfeststellungsbeschluss im öffentlichen Interesse durch Gesetz oder aufgrund behördlicher Anordnung für sofort vollziehbar erklärt wurde - (VGH BW B. v. 7.7.1986 - 7 S 1592/86 <= RzF - 54 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG>; Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl., § 88 RN. 11a). Dies gilt jedoch nur, soweit der Planfeststellungsbeschluss eine sofort vollziehbare Regelung getroffen hat. Davon kann bezüglich der hier in Rede stehenden Maßnahmen nicht ausgegangen werden.
Der Planfeststellungsbeschluss hatte primär das Bauvorhaben Schnellbahnverbindung Hannover-Berlin und die Verlegung der Bundesstraße 188 zum Gegenstand und ist insoweit auch bereits vollzogen worden. Der Landschaftspflegerische Begleitplan im Planfeststellungsbeschluss sieht zwar die Bereitstellung von Kompensationsflächen vor, die "so frühzeitig wie möglich, d.h. noch im Jahre 1993 begonnen" werden sollte (vgl. PFB S. 53 f. unter Nr. 3). Abgesehen davon, dass im Planfeststellungsbeschluss die Flächen im Einzelnen nicht dargestellt werden konnten und eine Planung bis ins Detail wegen fehlenden Kartenmaterials daher noch nicht möglich war (PFB S. 90 und 93 jeweils unter Nr. 2.3.), sieht der Beschluss vor allem die Sicherung der Kompensationsflächen "durch Erwerb oder durch Belastung mit einer entsprechenden Grunddienstbarkeit" (PFB S. 53 unter Nr. 3), nicht aber durch einseitigen Entzug der Flächen vor, so dass sich schon aus diesem Grunde die sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht quasi automatisch für die Vorläufige Anordnung fortsetzt. Anderenfalls hätte es im übrigen nicht der besonderen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bedurft.
3.2. Auch die Anordnung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens am 30. Juni 1994 sowie die in Abstimmung mit der Teilnehmergemeinschaft und mit Genehmigung des Regierungspräsidiums erfolgte Aufstellung eines Plans über landschaftsgestaltende Anlagen nach § 41 Abs. 1 FlurbG enthalten keine Vorgaben über den Entzug von Besitz oder Nutzung bestimmter Flächen, so dass die Unanfechtbarkeit oder Vollziehbarkeit dieser Anordnungen nicht vorgreiflich für das vorliegende Verfahren sein kann. Aus § 8 Abs. 2 BNatSchG mag sich zwar die Verpflichtung der Beigeladenen ergeben, unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft innerhalb einer bestimmten Frist durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen, nicht jedoch die Notwendigkeit der sofortigen Vollziehung der hier getroffenen Maßnahmen gegenüber Dritten.
3.3. Ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse ergibt sich schließlich nicht daraus, dass seit dem Planfeststellungsbeschluss mehr als 7 Jahre vergangen sind, ohne dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zum Abschluss gebracht werden konnten. Vielmehr ist gerade nach einem derartigen Zeitablauf nicht nachvollziehbar, warum mit der Besitz- und Nutzungsentziehung nicht bis zur Bestandskraft der Vorläufigen Anordnung abgewartet werden kann, zumal zwischen deren Erlass und deren öffentlicher Bekanntmachung im Amtsblatt für den Altmarkkreis immerhin eine Zeitspanne von zwei Monaten in Kauf genommen wurde. Waren, wie der Antragsgegner geltend macht, bereits im Jahre 1999 ernsthafte Bemühungen um einen freihändigen Erwerb der Flächen oder um Baueinwilligungen fehlgeschlagen, so hätte es nahe gelegen, bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vorläufige Anordnung zu erlassen und parallel dazu das Enteignungsverfahren einzuleiten und Abfindungsansprüche zu konkretisieren. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass ein freihändiger Erwerb oder die Erteilung von Baubewilligungen gerade bei den Antragstellern gescheitert sind. Die Antragstellerin zu 2) hat vielmehr unwidersprochen geltend gemacht, dass bezüglich des in ihrem Eigentum stehenden Flurstücks ....... der Flur 5 M......... vor der Vorläufigen Anordnung der Antragsgegner keine Initiative zum Abschluss einer Bauerlaubnisvereinbarung ergriffen habe. Auch zu den Abfindungswünschen der Antragsteller zu 1) bezüglich des Flurstücks .... der Flur 4 W......... hat sich der Antragsgegner nicht geäußert. Sollte der Antragsgegner der Auffassung sein, dass mit Rücksicht auf die allgemein komplizierte Rechtslage die sofortige Vollziehung der Vorläufigen Anordnung ohne Rücksicht auf die Rechtslage bei einzelnen Betroffenen angeordnet werden darf, so kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr lassen sich die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen wie in der Vergangenheit sehr wohl sukzessiv realisieren, ohne dass der Naturhaushalt unwiederbringlich verloren gehen muss. Nach allem ist ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung der Vorläufigen Anordnung zu verneinen.