Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 23.02.1966 - 152, 155 VII 65 = RdL 1966 S. 194= IK 1968 S. 23
Aktenzeichen | 152, 155 VII 65 | Entscheidung | Urteil | Datum | 23.02.1966 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = RdL 1966 S. 194 = IK 1968 S. 23 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Bei der Überprüfung der Vorstandswahl finden die Art. 37 Abs. 1, 38 Abs. 1 des Gemeindewahlgesetzes entsprechende Anwendung. |
2. | Bei der Vorstandswahl hat jeder Abstimmungsberechtigte nur eine Stimme gleichgültig, wieviel (eigene oder fremde) Besitzstände er vertritt. |
3. | Ein mißverständlicher Hinweis auf das Verbot der Stimmenhäufung in der Bekanntmachung zur Vorstandswahl begründet die Ungültigkeit der Wahl. |
4. | Zur Wahl der Stellvertreter. |
Aus den Gründen
Bei dem Streit geht es zunächst darum, ob sich Teilnehmer bei der Vorstandswahl vertreten lassen können. Über die Vertretung im Flurbereinigungsverfahren heißt es allgemein in § 120 Abs. 1 FlurbG: "Beteiligte können sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen ...". Zur Vorstandswahl der Teilnehmergemeinschaft einer Flurbereinigung ist in § 21 Abs. 2 FlurbG bestimmt: "...."
Das Nähere des Wahlverfahrens kann in einer Satzung festgelegt werden. § 23 Abs. 3 FlurbG bestimmt hierüber: "....". Da in den § 21 und § 23 nur von den in der Versammlung anwesenden Teilnehmern die Rede ist, schließen daraus das Flurbereinigungsamt und die Staatsanwaltschaft, daß nur die persönlich anwesenden Teilnehmer stimmberechtigt seien, daß also eine Vertretung nicht möglich sei; § 120 Abs. 1 FlurbG sei hier nicht anwendbar. Das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat in seiner Entschließung vom 1.3.1961 Nr. I R 8 - 5701/116 die gegenteilige Auffassung vertreten. Das Flurbereinigungsamt meint sogar, das Wahlrecht nach § 21 Abs. 2 sei höchstpersönlich und müsse entsprechend § 47 der Gemeindewahlordnung auch persönlich ausgeübt werden. Diese letztere Auffassung kann schon deswegen nicht richtig sein, weil die in die Flurbereinigung einbezogenen Grundstücke vielfach im Eigentum juristischer Personen (Gemeinde, Stiftungen, Körperschaften usw.) stehen, die niemals höchstpersönlich, sondern nur durch Vertreter in Erscheinung treten können. Aus keiner gesetzlichen Bestimmung läßt sich der Schluß ziehen, daß solche Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens in der Wahlversammlung kein Stimmrecht hätten. Aber nicht nur gesetzliche Vertreter, sondern auch bevollmächtigte Vertreter erfüllen die Bedingung, daß die Teilnehmer anwesend sein müssen, so wie bei der Auflassung eines Grundstücks nach § 925 BGB dem Erfordernis "gleichzeitiger Anwesenheit" von Veräußerer und Erwerber auch durch die Anwesenheit Bevollmächtigter Rechnung getragen werden kann. Aus dem Gesetzeswortlaut läßt sich somit nicht der Schluß ziehen, daß im Wahltermin die Beteiligten nicht vertreten werden können.
Die Zulassung von Vertretern bei der Wahlversammlung der Teilnehmer entspricht auch der herkömmlichen Übung. Es ist bisher nach Kenntnis des Gerichts nie beanstandet worden, daß sich etwa alte oder kranke Eltern durch einen erwachsenen Sohn haben vertreten lassen oder daß ein Gutspächter oder Gutsverwalter für seinen auswärtigen Gutsherrn abgestimmt hat. Wenn solche Vertreter durch den Wahlausschuß, der die örtlichen Verhältnisse kennt, zur Stimmabgabe zugelassen werden, so werden die Beteiligten kaum auf den Gedanken kommen, deswegen die Wahl zu beanstanden. Wenn keine Zweifel bestehen, daß die Eigentümer mit der Vertretung einverstanden sind, kann auch die Prüfung unterbleiben, ob der Eigentümer eine schriftliche Vollmacht ausgestellt hat, zumal amtliche Unterlagen hinsichtlich des Eigentums in diesem Zeitpunkt der Flurbereinigungsbehörde in der Regel noch nicht vorliegen. Der Kläger hat sich, da er selbst an der Versammlung nicht teilnehmen konnte, durch seinen Vater vertreten lassen. Obwohl dieser keine schriftliche Vollmacht seines Sohnes vorwies, wurde er zur Abstimmung zugelassen. Dagegen ist von keiner Seite ein Einwand erhoben worden.
Von der Frage, ob Vertreter von Teilnehmern in der Wahlversammlung abstimmen dürfen, ist die Frage zu unterscheiden, ob sie ein mehrfaches Stimmrecht haben, wenn sie für mehr als einen Besitzstand auftreten. Diese Frage läßt sich nur durch Auslegung des § 21 Abs. 2 Satz 2 FlurbG: "Jeder Teilnehmer hat eine Stimme" beantworten. Dieser Satz besagt, daß es nicht auf die Größe der Fläche ankommt, mit der der Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren beteiligt ist. Die Stimme des Eigentümers eines großen Gutshofes zählt nicht mehr als die Stimme eines Teilnehmers, der im Bereinigungsgebiet nur eine kleine Gartenfläche liegen hat. Daraus ergibt sich aber auch, daß es gleichgültig ist, ob ein Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren sowohl als Eigentümer als auch als Miteigentümer beteiligt ist. Ein Landwirt, dessen Hof Gesamtgut der Ehegatten ist, kann nur eine Stimme abgeben, auch wenn einzelne Grundstücke sein Alleineigentum sind, oder wenn er gleichzeitig Mitglied einer Erbengemeinschaft ist und ihm die Miterben die Vertretung überlassen. Daß sein Alleineigentum, das Gesamtgut und der Grundbesitz der Erbengemeinschaft im Flurbereinigungsverfahren als gesonderte Besitzstände behandelt werden müssen, ist in der Wahlversammlung ohne Bedeutung. Obwohl hier der Landwirt für verschiedene Besitzstände auftritt, hat er doch nur eine Stimme. Gleiches muß vernünftigerweise für den Vertreter fremder Besitzstände gelten. Eine Person, die für einen oder mehrere fremde Besitzstände Vertretungsvollmacht hat, hat immer nur eine Stimme. Ebenso hat ein selbst am Flurbereinigungsverfahren Beteiligter, wenn er zugleich nichteigenen Besitz vertritt, sei es als Bevollmächtigter oder als gesetzlicher Vertreter, nur eine Stimme. So wenig es in der Wahlversammlung auf die Größe des Besitzstandes ankommt, so wenig kann es darauf ankommen, ob sich der vertretene Besitz auf mehrere Eigentümer verteilt.
Hiernach wäre die Handhabung der Wahl der Vorstandsmitglieder nicht zu beanstanden. Die zur Wahlversammlung von dem Kläger beigebrachten Vollmachten waren tatsächlich bei der Abstimmung wirkungslos.
Auch konnte der Vater des Klägers, da er bereits den Besitzstand seines Sohnes vertrat, nicht noch eine zweite Stimme für einen fremden Besitzstand abgeben. Niemand kann sein Stimmrecht dadurch vervielfältigen, daß er sich von anderen Teilnehmern bevollmächtigen läßt. Trotzdem sind die Klagen begründet. Die Kläger haben mit Recht geltend gemacht, daß sie und andere Teilnehmer auf Grund der Bekanntmachung vom 2.4.1965, mit der zur Wahlversammlung geladen wurde, annehmen konnten, daß jeder Teilnehmer sein Stimmrecht auf einen anderen Teilnehmer übertragen dürfe. Zwar enthielt die Bekanntmachung nach ihrem Wortlaut, wie aus obigen Ausführungen hervorgeht, keine Unrichtigkeit. Sie war aber mißverständlich und hat auch tatsächlich bei vielen Teilnehmern zu einem Mißverständnis geführt. Die in der Bekanntmachung wiedergegebenen gesetzlichen Bestimmungen sind, wie sich in diesem Prozeß gezeigt hat, selbst von den Behörden verschieden ausgelegt worden. Die Ladung zur Wahlversammlung muß demnach als mangelhaft bezeichnet werden. Das Vorbringen der Kläger, daß durch sie manche Teilnehmer veranlaßt wurden, nicht selbst zur Versammlung zu kommen, ist glaubhaft. Es besteht daher die Möglichkeit, daß die Vorstandswahl ein anderes Ergebnis gehabt hätte, wenn schon aus der Bekanntmachung ersichtlich gewesen wäre, daß jeder Abstimmende nur eine Stimme hat, gleichgültig wieviel Besitzstände er vertritt. Das Gericht hat deswegen die Vorstandswahl für ungültig erklärt.
Für die notwendige Wiederholung der Wahl wird noch auf folgendes hingewiesen: Die Wahl nach der vorgenommenen Methode hat dazu geführt, daß die Ortschaften im südlichen Teil der Gemeinde unverhältnismäßig stärker im Vorstand vertreten sind als die im Nordteil der Gemeinde, was begreiflicherweise den Unmut vieler Beteiligter hervorgerufen hat. Dies hätte sich vermeiden lassen, wenn vor der Wahl eine Satzung beschlossen worden wäre, in der die Verteilung der Vorstandssitze auf die verschiedenen Sektoren des Gemeindegebietes festgelegt worden wäre. Der Einwand der Staatsanwaltschaft, daß der Beschluß einer Satzung in der Teilnehmerversammlung die Wahl der Vorstandschaft dann erst in einer zweiten Versammlung ermöglichte, weil die Satzung durch das Flurbereinigungsamt genehmigt werden müsse, ist nicht durchschlagend, wenn der die Versammlung leitende Beamte des Flurbereinigungsamtes von seinem Amtsvorstand ermächtigt ist, die Satzung zu genehmigen. (Eine Mustersatzung hat das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit LME vom 24. April 1968 Nr. 6034 a 99, veröffentlicht mit Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1958 Seite 54, berichtigt im LMBl. 1958 S. 61 erlassen).
In der Satzung kann dann auch eine vernünftige Regelung der Wahl der Stellvertreter vorgenommen werden. Die Wahl der Stellvertreter müßte nämlich auch dann wiederholt werden, wenn das Gericht die Wahl der Vorstandsmitglieder nicht für ungültig erklärt hätte. Nach Art. 7 Abs. 3 AGFlurbG ist für jedes Mitglied des Vorstands ein Stellvertreter zu wählen. Das ist nicht so aufzufassen, daß nur die gleiche Zahl von Stellvertretern zu wählen wäre (vgl. Urteil des VGH vom 6.7.1962, Nr. 90 VII 60 VGH n.F. 15,80), sondern es muß jedes einzelne Mitglied einen bestimmten Stellvertreter haben. Um dieser Bestimmung Rechnung zu tragen, hat allerdings die Wahlversammlung laut Niederschrift folgendes beschlossen:
"Die Vertretung der Vorstandsmitglieder durch ihren Stellvertreter richtet sich nach der Reihenfolge ihrer Stimmenzahl bei der Wahl, so daß der Stellvertreter mit der höchsten Stimmenzahl das erste Mitglied, der mit der nächsthöheren Stimmenzahl das zweite Mitglied, usw. vertritt." Trotzdem ist nunmehr nicht festzustellen, welches Vorstandsmitglied und welcher Stellvertreter zusammen gehören. Nach dem Wahlergebnis gibt es nämlich 3 Vorstandsmitglieder, die mit je 45 Stimmen gewählt sind (das sind die in der Niederschrift aufgeführten ersten drei), ferner gibt es 3 Vorstandsmitglieder, die mit je 35 Stimmen gewählt sind (die in der Niederschrift aufgeführten letzten drei). Die Einreihung der mit gleicher Stimmenzahl gewählten in die Niederschrift ist willkürlich und kann keine Rolle spielen. Aber auch unter den Stellvertretern gibt es je 2 Mitglieder mit gleicher Stimmenzahl. Der genannte Beschluß, daß sich die Stellvertretung nach der Reihenfolge der Stimmenzahl richten soll, hat somit sein Ziel nicht erreicht. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob dieser überhaupt dem gesetzlichen Auftrag: "Für jedes Vorstandsmitglied ist ein Stellvertreter zu wählen" entspricht. Die Wahl mit einer einzigen Abstimmung und nur einem Stimmzettel kürzt zwar den Wahlgang sehr ab, kann aber kaum zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Die Stellvertreter sollten im Gebiet einer Flurbereinigung, das sich wie im vorliegenden Fall aus vielen Ortschaften zusammensetzt, aus dem gleichen Gebietsteil genommen werden, und zwar nicht nur damit dieser jederzeit im Vorstand vertreten ist, sondern auch aus dem praktischen Grund, daß ein Vorstandsmitglied, wenn es verhindert ist, an einer Vorstandssitzung teilzunehmen, seinen Stellvertreter leicht verständigen kann.Anmerkung
Das Flurbereinigungsgericht München verneint - entgegen seiner bisherigen Auffassung - nunmehr die Anwendbarkeit des Gemeindewahlgesetzes vom 3.8.1965 (GVBl. S. 221, ber. S.324). Das entsprechende Urteil vom 26.3.1971 - 210 VII 69 - ist auszugsweise abgedruckt unter RzF - 2 - zu § 21 Abs. 2 FlurbG.