Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.08.1995 - 11 C 2.95 = RdL 1995 S. 332= DVBl. 1996 S. 105
Aktenzeichen | 11 C 2.95 | Entscheidung | Urteil | Datum | 16.08.1995 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1995 S. 332 = DVBl. 1996 S. 105 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Rücknahme eines Widerspruchs unter aufschiebenden Bedingungen ist unwirksam. |
2. | Der Lauf der Klagefrist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG hängt nicht von einer Rechtsbehelfsbelehrung ab. |
Aus den Gründen
Nach § 61 FlurbG ordnet die Flurbereinigungsbehörde die Ausführung des Flurbereinigungsplans an, wenn dieser unanfechtbar geworden ist. Dem Flurbereinigungsgericht ist darin zuzustimmen, daß diese Voraussetzung - die Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans - entgegen der Ansicht des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt erfüllt war.
Allerdings sind die Erwägungen, mit denen das Flurbereinigungsgericht dies begründet hat, nicht frei von Rechtsfehlern. Mit dem revisiblen Recht unvereinbar ist das angefochtene Urteil jedenfalls insoweit, als darin die Auffassung vertreten wird, der Widerspruch (§ 141 FlurbG) gegen einen Flurbereinigungsplan könne unter einer außerprozessualen aufschiebenden Bedingung zurückgenommen werden.
Für das Prozeßrecht ist allgemein anerkannt, daß Parteihandlungen wie die Erhebung eines Anspruchs durch Klage oder Eilantrag, die Einlegung eines Rechtsmittels, die Rücknahme einer Klage oder eines Antrags grundsätzlich nicht an den Eintritt einer Bedingung geknüpft werden dürfen. Dies gilt uneingeschränkt, soweit die Verknüpfung sich auf ein außerprozessuales künftiges Ereignis bezieht. Die Abhängigkeit einer Parteihandlung von einem solchen Ereignis würde sich nicht mit der Bedeutung vertragen, die diese Handlung für den Gegner, aber auch für das Gericht hat. Ihre Folgen dürfen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ins Ungewisse gestellt werden (so bereits RGZ 144, 71 ff.; vgl. auch BVerfGE 40, 272 <275>; 68, 132 <142>; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 53. Aufl. 1995, Grdz 54 vor § 128).
Diese Grundsätze haben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 57, 342 <346 f.>) auch für das Widerspruchsverfahren als förmlich ausgestaltetes Rechtsbehelfsverfahren Gültigkeit: Einlegung und Rücknahme des Widerspruchs sind im Interesse der Rechtssicherheit einer Bedingung oder einer Anfechtung wegen Willensmängeln nicht zugänglich, gleichgültig, ob das Widerspruchsverfahren insgesamt dem Verwaltungsstreitverfahren oder dem Verwaltungsverfahren zuzurechnen ist oder ob ihm der Charakter eines Verwaltungsverfahrens zukommt, das zugleich dem Verwaltungsprozeßrecht angehört. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest.
Für das flurbereinigungsrechtliche Widerspruchsverfahren sind die genannten Regeln ebenso maßgebend. Die Sonderbestimmungen des § 141 FlurbG lassen nicht den Schluß zu, der Rechtssicherheit und Verfahrensklarheit sei hier geringere Bedeutung beizumessen als im Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung. Soweit die Länder von der in § 141 Abs. 2 FlurbG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, sogenannte Spruchstellen zu bilden, drängt es sich erst recht auf, Verfahrenshandlungen im Widerspruchsverfahren den Grundsätzen für Parteihandlungen im Prozeß zu unterwerfen (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 30.01.1973 - III F 76/69 - <RzF - 13 - zu § 141 Abs. 4 FlurbG>). Deshalb ist die Rücknahme des Widerspruchs gegen einen Flurbereinigungsplan unwirksam, wenn sie unter der aufschiebenden Bedingung erfolgt, daß künftig bestimmte Entwässerungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Möglicherweise lassen sich die Erklärungen, die der Kläger und die übrigen Beteiligten in der Verhandlung am 24.01.1989 abgegeben haben, allerdings auch anders auslegen als im Sinne einer bedingten Rücknahme des Widerspruchs; die Erklärungen selbst und auch deren Interpretation im angefochtenen Urteil sind nicht eindeutig. Dem braucht aber nicht weiter nachgegangen zu werden. Das angefochtene Urteil erweist sich nämlich selbst dann im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, die am 24.01.1989 abgegebenen Erklärungen seien in jeder denkbaren Deutung ungeeignet gewesen, das Widerspruchsverfahren zu beenden: Der Flurbereinigungsplan ist zumindest deswegen vor dem - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausführungsanordnung maßgeblichen - Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 02.09.1991 unanfechtbar geworden, weil der Kläger innerhalb der Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG keine Klage gegen den Flurbereinigungsplan erhoben hat.
Nach § 142 Abs. 2 Satz 1 FlurbG ist die Klage ohne Vorverfahren zulässig, wenn über den Widerspruch gegen einen Flurbereinigungsplan (§ 59 Abs. 2 FlurbG) innerhalb eines Jahres sachlich nicht entschieden worden ist; nach § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG ist die Erhebung der Klage in diesen Fällen nur bis zum Ablauf von weiteren drei Monaten seit Ablauf der Jahresfrist zulässig. Im vorliegenden Fall hat die Behörde über den Widerspruch des Klägers vom 20.12.1988 gegen den Flurbereinigungsplan nicht entschieden, da sie diesen Widerspruch - gleichgültig, ob zu Recht oder zu Unrecht - aufgrund der Verhandlung vom 24.01.1989 und der Verlegung der Dränstränge im Laufe des Jahres 1989 als erledigt ansah. Wegen des Ausbleibens der Widerspruchsentscheidung hätte der Kläger, wollte er die Klagemöglichkeit nicht verlieren, spätestens im März 1990 Klage gegen den Flurbereinigungsplan erheben müssen. Dies ist weder damals noch später geschehen, so daß der Flurbereinigungsplan unanfechtbar geworden ist (vgl. Seehusen/Schwede, FlurbG, 6. Aufl. 1992, § 142 RdNr. 11; ferner - zum früheren § 76 VwGO - BVerwGE 28, 305 <307>).
Der Lauf der Fristen des § 142 Abs. 2 Satz 1 und 2 FlurbG ist nicht etwa deshalb aufgehalten worden, weil der Kläger darüber nicht belehrt worden ist; denn die Vorschrift des § 58 VwGO über die Rechtsbehelfsbelehrung betrifft die Klagefrist des § 142 Abs. 2 FlurbG ebensowenig, wie sie für die gleichartige Jahresfrist des früheren (durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 24.08.1976 <BGBl. I S. 2437> aufgehobenen) § 76 VwGO galt. Die Erwägungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu § 76 VwGO im Urteil vom 20.01.1967 - BVerwG 7 C 4.66 - (BVerwGE 26, 54 <56 f.>) angestellt hat, treffen auch auf § 142 Abs. 2 FlurbG zu; auf sie wird verwiesen. Davon abgesehen könnte eine analoge Anwendung des § 58 VwGO hier allenfalls dazu führen, daß sich die Klagefrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO um ein Jahr verlängern würde; auch dieses weitere Jahr wäre aber vor dem entscheidenden Datum der Widerspruchsentscheidung vom 02.09.1991 abgelaufen gewesen.
Der Kläger kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO beanspruchen. Dabei mag offenbleiben, ob die Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 VwGO überhaupt als Frist im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO zu werten ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war § 60 VwGO auf die Ausschlußfrist des früheren § 76 VwGO nicht anwendbar (vgl. Beschluß vom 05.01.1970 - BVerwG 5 B 42.69 - Buchholz 310 § 76 VwGO Nr. 7); das Bundesverwaltungsgericht hat dies allerdings unter anderem damit begründet, daß § 76 VwGO - anders als § 142 Abs. 2 FlurbG - eine Ausnahmeregelung für "besondere Verhältnisse des Einzelfalles" enthielt. Im Falle des Klägers scheitert eine Wiedereinsetzung aber zumindest am fehlenden Antrag und an § 60 Abs. 3 VwGO, nämlich daran, daß kein Fall der höheren Gewalt vorlag und daß der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbunden mit der versäumten Rechtshandlung, also der Klage (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO), nur binnen eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist hätte gestellt werden können.
Obwohl § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG seinem Wortlaut nach keine Ausnahme kennt, hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluß vom 13.07.1981 - BVerwG 5 B 50.81 - (Buchholz 424.01 § 142 FlurbG Nr. 3) erwogen und offengelassen, ob dann etwas anderes gilt, wenn der Teilnehmer durch das Verhalten der Behörde davon abgehalten wurde, fristgerecht Klage zu erheben. Auch im vorliegenden Fall bedarf diese Rechtsfrage keiner Entscheidung. Hätten besondere Umstände der genannten Art vorgelegen, so wäre daran zu denken, daß - entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht zu § 76 VwGO entwickelten Grundsätzen (vgl. Urteil vom 20.09.1974 - BVerwG 4 C 4.74 - Buchholz 310 § 76 VwGO Nr. 16) - die Klage erst nach Wegfall dieser besonderen Umstände binnen der üblichen Klagefrist (§ 74 Abs. 1 VwGO, § 142 Abs. 1 FlurbG a. F.) hätte erhoben werden müssen; bis dahin wäre der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans hinausgeschoben worden. Es ist aber nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, daß der Kläger gerade durch das Verhalten der Behörde von einer fristgerechten Klageerhebung (bis März 1990) abgehalten worden wäre, insbesondere nichts dafür, daß die Behörde beim Kläger etwa den Eindruck erweckt hätte, er dürfe selbst über das Jahr 1990 hinaus noch mit einem Widerspruchsbescheid rechnen und folglich mit einer Klage zuwarten, ohne die Klagemöglichkeit zu verlieren (vgl. dazu Urteil vom 21.03.1979 - BVerwG 6 C 10.78 - Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 60 S. 9).