Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 29.10.1981 - 9 C 19/80 = RdL 1982 S. 40= AS 17, 101

Aktenzeichen 9 C 19/80 Entscheidung Urteil Datum 29.10.1981
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen RdL 1982 S. 40 = AS 17, 101  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Klage zum Flurbereinigungsgericht kann auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts erhoben werden.
2. Unter "Verwaltungsgericht" im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist das Gericht des jeweils ersten Rechtszuges mit Ausnahme des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen.

Aus den Gründen

Die in dem Widerspruchsbescheid der Spruchstelle für Flurbereinigung enthaltene Rechtsmittelbelehrung ist insoweit unvollständig und damit unzutreffend erteilt worden, als sie - neben der Erwähnung der Klagefrist und des Gerichts, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist -, lediglich den Hinweis enthält, daß die Klage schriftlich zu erheben sei. Nicht erwähnt ist in ihr, daß sie nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts erhoben werden kann. Der bloße Wortlaut der genannten Bestimmung mag zwar für sich allein gesehen dafür sprechen, daß diese Form der Klageerhebung nur bei dem Verwaltungsgericht i. S. des § 2 VwGO zugelassen ist (so Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl., Rdnr. 4 zu § 81; Klinger, VwGO, 2. Aufl., Anm. A 3 zu § 81; Bad.-Württ. VGH RzF - 90 - zu § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Wird die Bestimmung jedoch in den Sachzusammenhang anderer Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung gestellt, so kann sich ihr Sinn nur dahin erschließen, daß unter "Verwaltungsgericht" im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO das Gericht des jeweils ersten Rechtszuges mit Ausnahme des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist (Kopp, VwGO, 5. Aufl., Rdnr. 12 zu § 81; Schunk-De Clerck, VwGO, 3. Aufl., Anm. 1 d) zu § 81).

Allerdings scheint die Bestimmung des § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO ihrem Wortlaut nach dem Begriff des "Verwaltungsgerichts" eindeutig im Sinne der Gerichtsverfassung zu verwenden, wie er in den §§ 1 ff. VwGO im einzelnen umschrieben ist. Damit verbietet sich jedoch nicht schon, ihren Sinngehalt näher zu ermitteln. Denn eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen klar erscheinenden Wortlaut ist dann nicht ausgeschlossen, wenn ein vom Gesetzestext abweichender Wille des Gesetzgebers im Gesetz selbst zum Ausdruck gekommen ist. In solchen Fällen ist das Gesetz nur scheinbar klar, in Wirklichkeit jedoch auslegungsbedürftig. Die gesetzliche Norm ist nämlich nur dann klar, wenn sich der zweifelsfreie Wortlaut des Gesetzes mit dem wirklichen Willen des Gesetzgebers, das heißt mit dem objektiven Willen des Gesetzes, deckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.1968 - VI C 14.66 - in RiA 69, 36, 37). Zweifel daran, daß die besondere Form der Klageerhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur für Klagen bei dem Verwaltungsgericht im Sinne des § 2 VwGO in Betracht kommen soll, ergeben sich bereits aus der Überschrift des 9. Abschnitts des Teils II der Verwaltungsgerichtsordnung, die "Verfahren im ersten Rechtszug" lautet. Denn Verfahren im ersten Rechtszuge finden nicht nur bei dem Verwaltungsgericht, sondern auch bei dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof statt, wie sich aus den §§ 47, 48 VwGO sowie aus den § 138 ff. FlurbG ergibt. Entscheidend für die Auslegungsbedürftigkeit des § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO - und zwar im Sinne einer Abweichung vom Wortlaut - spricht ferner, daß die Berufung nach § 124 Abs. 2 Satz 1 VwGO sowohl schriftlich als auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Erstgerichts eingelegt werden kann. Nach der im Schrifttum vertretenen Meinung, gegen die keine Bedenken bestehen und der sich der Senat daher anschließt, kann die Berufung weiterhin auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Berufungsgerichtes eingelegt werden, da diese Form der Rechtsmitteleinlegung von dem - weitergehenden - Begriff des "Eingangs der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht" im Sinne des § 124 Abs. 2 Satz 2 VwGO mit umfaßt wird (vgl. Eyermann/Fröhler, aaO, Rdnr. 22 zu § 124; Kopp, aaO Rdnr. 4 zu § 124; Klinger, aaO, Anm. D 3 a zu § 124; Schunck-De Clerck, aaO). Sind somit die Klageerhebung bei dem Verwaltungsgericht wie auch die Berufungseinlegung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts zugelassen, so ist kein Grund ersichtlich, der eine Ausnahme lediglich für die Klageerhebung im ersten Rechtszuge vor dem Oberverwaltungsgericht bzw. dem Verwaltungsgerichtshof rechtfertigen könnte. Der Umstand, daß diese Form der Klageerhebung oder der Rechtsmitteleinlegung für das Bundesverwaltungsgericht, das gemäß § 50 VwGO - ebenso wie das Oberverwaltungsgericht - als Gericht des ersten Rechtszuges tätig werden kann, nicht vorgesehen ist, erklärt sich aus der Bestimmung des § 67 Abs. 1 VwGO, nach der sich bei diesem Gericht jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen muß. Der Sinn und Zweck der in den §§ 81 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 2 VwGO zugelassenen besonderen Form der Klageerhebung bzw. Rechtsmitteleinlegung in Gestalt der Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist es offensichtlich, den notwendigen Rechtsschutz auch dann zu gewährleisten, wenn sich ein betroffener Staatsbürger schriftlich nicht oder nur unzureichend artikulieren kann oder aus sonstigen Gründen davon abgehalten werden könnte, das Rechtsmittelverfahren durch die Fertigung und Einreichung eines eigenen Schriftsatzes in Gang zu setzen. Dieser aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gewonnene maßgebliche Gesichtspunkt trifft in gleicher Weise auch auf Klagen bei dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof als dem Gericht des ersten Rechtszuges zu. Die Vorschrift des § 81 Abs. 1 Satz 2 läßt sich daher nur dahin verstehen, daß die Klage sowohl bei dem Verwaltungsgericht wie auch bei dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Dieses aus dem Zusammenhang mit den übrigen einschlägigen Gesetzesbestimmungen ermittelte Auslegungsergebnis wird im übrigen durch die Entstehungsgeschichte des § 81 Abs. 1 VwGO bestätigt. Die Beschränkung der Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf Klagen bei dem Verwaltungsgericht war ursprünglich in dem Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung nur deshalb vorgesehen, weil - neben dem Bundesverwaltungsgericht - auch bei dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof der Anwaltszwang eingeführt werden sollte. Daher erübrigte sich eine Vorschrift, daß die Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts erhoben werden könne. Auch nachdem aufgrund des Ergebnisses der dritten Lesung des Gesetzesentwurfes im Bundestag an dem Anwaltszwang für das Oberverwaltungsgericht bzw. den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr festgehalten wurde, ist der § 81 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung in seiner ursprünglichen Fassung mit verabschiedet worden (Vgl. hierzu Koehler, VwGO, 1960, Anm. I 1 zu § 81, Anm. I zu § 67). Angesichts des oben dargestellten Prinzips erleichterten Rechtsschutzes, das den Regeln über die Form der Klageerhebung sowie der Einlegung von Rechtsmitteln allgemein zugrunde liegt, spricht dies aber dafür, daß es der Gesetzgeber nur unbewußt unterlassen hat, den Wortlaut der Vorschrift nach Wegfall des vorgesehenen Anwaltszwanges bei dem Oberverwaltungsgericht der geänderten Situation entsprechend neu zu fassen. Hingegen kann nicht angenommen werden, er habe durch eine bewußte Beibehaltung dieses Wortlautes trotz Fehlens eines zureichenden Grundes eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in den Fällen erstinstanzlicher Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts ausschließen wollen. Sind die Kläger hiernach über die Form der Klageerhebung unrichtig belehrt worden, so ist ihre Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Spruchstelle für Flurbereinigung auch nicht verspätet erhoben worden. Die von ihnen begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher wegen Fehlens eines Rechtsschutzinteresses gegenstandslos.

Anmerkung

A. A. Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 18.01.1980 - VII 1924/79 RzF - 90 - zu § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG.