Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 23.04.2015 - 13 A 14.2466 = BeckRS 2015, 47056= BayVBl 2015, 826 (Lieferung 2017)
Aktenzeichen | 13 A 14.2466 | Entscheidung | Urteil | Datum | 23.04.2015 |
---|---|---|---|---|---|
Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = BeckRS 2015, 47056 = BayVBl 2015, 826 | Lieferung | 2017 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Die Auflösung der Teilnehmergemeinschaft nach § 151 Abs. 1 Satz 2 FlurbG durch die Gemeindeaufsichtsbehörde kann nicht mit dem Widerspruch nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG, sondern nur nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung angefochten werden. In Bayern entfällt nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 AGVwGO das Vorverfahren. |
2. | Löst ein Landratsamt als Gemeindeaufsichtsbehörde i.S.d. § 153 Abs. 1 Satz 2 FlurbG rechtswidrig eine Teilnehmergemeinschaft auf, kann es die Auflösungsverfügung nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG zurücknehmen. |
Aus den Gründen
14 Die Klage ist nur hinsichtlich des Widerspruchsbescheids begründet (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig, weil der Widerspruch unrichtigerweise nicht wegen Unzulässigkeit, sondern wegen Unbegründetheit zurückgewiesen wurde. Die Richtigkeit der Begründung nach § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist eine Frage der Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheids (Dolde/Posch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2014, § 73 Rn. 53). Die Regierung von O. hätte nicht über die Begründetheit befinden dürfen, weil der Widerspruch unzulässig war. Gegenstand des Widerspruchs war der durch das Landratsamt H. ergangene Aufhebungsbescheid zu der von ihm zuvor verfügten Auflösung der Teilnehmergemeinschaft Q.
15 In der vorliegenden Fallkonstellation ist ein Widerspruch nicht statthaft. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG können Verwaltungsakte der (oberen) Flurbereinigungsbehörde bei der oberen Flurbereinigungsbehörde mit Widerspruch angefochten werden. Die Gemeindeaufsichtsbehörde - das Landratsamt nach Art. 37 Abs. 1 LKrO - ist in dieser Vorschrift im Unterschied zu § 153 Abs. 1 FlurbG nicht genannt.
16 Fraglich ist demnach, ob die Vorschrift des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG auch auf die von der Gemeindeaufsichtsbehörde im Rahmen des § 153 Abs. 1 Satz 2 FlurbG erlassenen Verwaltungsakte angewendet werden kann. Dabei geht der Beklagte zutreffend davon aus, dass die Aufhebung eines derartigen Verwaltungsakts als actus contrarius ebenso zu behandeln ist. Nach dessen Auffassung ist der Begriff Flurbereinigungsbehörde jedoch so auszulegen, dass hierunter nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch die Gemeindeaufsichtsbehörde als Flurbereinigungsbehörde zu verstehen ist, da sie mit ihren Aufgaben und Befugnissen an deren Stelle getreten sei. Hiergegen spricht allerdings bereits der Gesetzeswortlaut, der die Grenze der Gesetzesauslegung bildet (BVerfG, B.v. 7.3.1995 - 1 BvR 790/91 - BVerfGE 92, 158/183). Ausdrücklich unterscheiden sowohl § 151 Satz 2 Halbs. 2 als auch § 153 Abs. 1 FlurbG zwischen Flurbereinigungsbehörde und Gemeindeaufsichtsbehörde. Letztere wird auch in § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG genannt. Dabei ist nach § 2 Abs. 2 Satz 2 FlurbG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Satz 1 AGFlurbG obere Flurbereinigungsbehörde das jeweilige Amt für Ländliche Entwicklung, dem nach Art. 1 Abs. 3 AGFlurbG auch sämtliche Aufgaben und Befugnisse übertragen werden, die nach dem Flurbereinigungsgesetz der Flurbereinigungsbehörde zustehen, soweit sie nicht der Teilnehmergemeinschaft übertragen werden.
17 Die Subsumtion des Begriffs Gemeindeaufsichtsbehörde unter § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG käme deshalb allenfalls im Wege der analogen Anwendung dieser Vorschrift in Betracht. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BVerfG, B.v. 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6/11; BVerwG, U.v. 17.2.2005 - 7 C 14.04 - BVerwGE 123, 7/11; BGH, U.v. 13.3.2003 - I ZR 290/00 - NJW 2003, 1932 f.). Gegen die Annahme einer Gesetzeslücke spricht hier, dass auch ohne eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift angemessener Rechtsschutz gewahrt ist. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Satz 1 AGFlurbG sind die Ämter für Ländliche Entwicklung für die Entscheidung über Widersprüche zuständig. Hierbei handelt es sich um interdisziplinär besetzte Fachbehörden mit vermessungs- und flurbereinigungstechnischer Ausrichtung (Linke in Linke/Mayr, Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes, 2012, Art. 1 Rn. 5 f.). Deren umfassenden Fachkenntnisse und praktische Erfahrungen sind zur Überprüfung einer Auflösungsverfügung allerdings nicht erforderlich. In den Fällen des Fortbestands einer Teilnehmergemeinschaft nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens (§ 149 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 151 FlurbG) sind nur noch unerledigte Restaufgaben zu erfüllen. Hierzu gehören insbesondere Verbindlichkeiten aus Darlehensverträgen (§ 151 Satz 1 FlurbG) und die Unterhaltung von Feld- und Waldwegen bis zur Eigentumsübertragung auf die jeweilige Gemeinde (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 151 Rn. 1, 3). Die Überprüfung der Feststellung, dass die wenigen restlichen Aufgaben erfüllt sind (§ 151 Abs. 1 Satz 1 FlurbG), kann ohne weiteres auch eine Behörde der allgemeinen Staatsverwaltung vornehmen. Im Abschlussbericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 28. Mai 1953 über die Beratungen zum Entwurf eines Flurbereinigungsgesetzes (BT-Drs. 4396; abgedruckt in Weiß, Quellen zur Entstehungsgeschichte des Flurbereinigungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1953, 2000, S. 517/535) heißt es daher auch, dass mit der Schlussfeststellung die Zuständigkeit der Flurbereinigungsbehörde erlischt. Durch die Gesetzesnovelle vom 16. März 1976 (BGBl I S. 546) hat sich hieran nur insoweit etwas geändert, als den Flurbereinigungsbehörden nunmehr die Aufsichtsbefugnisse über die durch ihren Vorstand vertretenen, bestehengebliebenen Teilnehmergemeinschaften zustehen (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 153 Rn. 2).
18 Auch die Erwägung, dass die Gemeindeaufsichtsbehörde in die Aufsichtsbefugnisse der Flurbereinigungsbehörde getreten sei und deshalb die flurbereinigungsspezifischen Rechtsbehelfsvorschriften auf ihre Verfügungen anwendbar sein sollten, vermag das Erfordernis einer entsprechenden Anwendung nicht zu rechtfertigen. Der Übergang der Aufsichtsbefugnisse der Flurbereinigungsbehörde auf die Gemeindeaufsichtsbehörde (§ 17 Abs. 1, § 151 Satz 2 Halbs. 2 FlurbG) hat zur Folge, dass diese zwar an die Stelle der Flurbereinigungsbehörde tritt, ihr aber etwaige Maßnahmen im Fall der Anfechtung als Beklagter zuzurechnen sind (vgl. BVerwG, U.v. 17.5.1973 - V C 24.72 - a.a.O.[zu § 151 Satz 3 FlurbG a.F./§ 151 Satz 2 Halbs. 2 n.F.]). Damit gelten auch die für sie maßgeblichen Rechtsregeln.
19 Dass der Gesetzgeber Gemeindeaufsichtsbehörde und Flurbereinigungsbehörde nicht gleichsetzen wollte, ergibt sich auch aus § 140 Satz 1 FlurbG. Die dort geregelte Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts hängt nicht davon ab, ob eine Flurbereinigungsbehörde gehandelt hat. Vielmehr entscheidet das Flurbereinigungsgericht über die Anfechtung von Verwaltungsakten, "die im Vollzug diese Gesetzes ergehen". Das sind nicht nur Verwaltungsakte der Flurbereinigungsbehörde, sondern auch solche z.B. der Teilnehmergemeinschaft oder der Gemeindeaufsichtsbehörde (so ausdrücklich Steuer, FlurbG, 2. Aufl. 1967, § 140 Anm. 8; vgl. auch Lurz, Flurbereinigungsrecht, 1955, § 140 Anm. 1). Im Übrigen entspricht es der im Schrifttum übereinstimmend vertretenen Auffassung, dass die Anfechtung der Auflösungsverfügung im Fall des § 153 Abs. 1 Satz 2 FlurbG nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung stattfindet (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 153 Rn. 3; Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, Stand April 1989, § 153 Rn. 10; Steuer, a.a.O., § 153 Rn. 1). Auch der Beklagte geht davon aus, dass für die Frage, wer den Widerspruchsbescheid erlässt, die Verwaltungsgerichtsordnung, nämlich § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, einschlägig ist. Wäre § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG anwendbar, käme nach dieser Vorschrift als Widerspruchsbehörde nur die obere Flurbereinigungsbehörde in Betracht, die wiederum in Art. 1 Abs. 2 Satz 1 AGFlurbG definiert ist (vgl. Linke in Linke/Mayr, a.a.O., Art. 1 Rn. 3).
20 Der Widerspruch ist auch nicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft. Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO - BayRS 34-1-I) entfällt das Vorverfahren, soweit in Absatz 1 nichts Abweichendes geregelt ist. Gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO kann der Betroffene gegen einen (nur an ihn gerichteten) Verwaltungsakt im Bereich des Landwirtschaftsrechts einschließlich des Rechts landwirtschaftlicher Subventionen sowie im Bereich des Rechts forstlicher Subventionen und jagdrechtlicher Abschlussplanverfahren Widerspruch einlegen. Das Recht der Flurbereinigung ist aber nicht dem Landwirtschaftsrecht zuzuordnen. Dies ergibt sich aus der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG im Zuge der Föderalismusreform 2006 (Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 120; Wingerter in Wingerter/Mayr, a.a.O., Einl. Rn. 1). Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich demnach auf "die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung)". Auch in dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (LT-Drs. 15/7252 v. 30.1.2007) wird zwischen Landwirtschaftsrecht und Flurbereinigungsrecht unterschieden (Begründung C § 1 zu Nr. 2: 1. Buchst. b bzw. zu Nr. 2: 2.). Hiervon geht im Übrigen auch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr aus. In der das Widerspruchsverfahren betreffenden "Auflistung der für den Bereich des StMELF wichtigsten Rechtsbereiche und deren Einordnung" (Stand 27.5.2013) wird u.a. die Marktordnung, die Ernährungswirtschaft und das Recht landwirtschaftlicher Subventionen zum Landwirtschaftsrecht gezählt und die Flurbereinigung eigens erwähnt (www.stmi.bayern.de/assets/stmi/verwaltungsservice).
21 Die Klägerin ist in ihren Rechten verletzt, weil jeder Rechtsverstoß des Verwaltungsakts zugleich eine subjektive Rechtsverletzung für den Adressaten darstellt, die einen Aufhebungsanspruch begründet (Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 36).