Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 15.10.2019 - 13 A 18.1023 (Lieferung 2021)

Aktenzeichen 13 A 18.1023 Entscheidung Urteil Datum 15.10.2019
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen Lieferung 2021

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Im Rahmen von § 50 Abs. 4 FlurbG ist die Frage der fortbestehenden tatsächlichen Nutzbarkeit unabhängig davon zu sehen, ob und ggf. inwieweit einer baulichen Anlage im Zuge der Berechnung der linearen Alterswertminderung noch ein relevanter Restverkehrswert zukommt. (Amtlicher Leitsatz) (Rn 42)

Aus den Gründen

39    c) Die Klägerin bzw. die EG hat auch keinen Anspruch aus § 50 Abs. 4 FlurbG auf eine gesonderte Abfindung für den Miteigentumsverlust an der Brücke über die Aurach.


40    Für andere nicht unter § 50 Abs. 1 FlurbG fallende wesentliche Bestandteile von Grundstücken - insbesondere für Gebäude - ist, soweit erforderlich, gemäß § 50 Abs. 4 FlurbG der bisherige Eigentümer oder der sonst Berechtigte gesondert abzufinden. Die nach dieser Bestimmung vorausgesetzte Erforderlichkeit der Abfindung ist gegeben, wenn der wesentliche Bestandteil einen nach § 28 und § 29 FlurbG zu ermittelnden Wert verkörpert, dessen Verlust der Teilnehmer nicht hinzunehmen braucht, weil andernfalls eine entschädigungslose Enteignung vorliegen würde. Der damit dem Grunde nach gegebene Ausgleichsanspruch richtet sich nicht auf eine (zusätzliche) Landabfindung im Sinn von § 44 FlurbG, sondern auf eine Abfindung in Geld. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 FlurbG muss die Geldabfindung angemessen sein. Der Anspruch hat inhaltlich den sich aus Art. 14 GG ergebenden Anforderungen zu entsprechen und ist bei baulichen Anlagen auf den Verkehrswert (vgl. §§ 29 Abs. 3 und 4 FlurbG) gerichtet. Das Flurbereinigungsgesetz lehnt sich insoweit in Ausdruck und Inhalt an das Baugesetzbuch an (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 28 Rn. 35). Der Verkehrswert (Marktwert) wird gemäß § 194 BauGB durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Bei der Ermittlung der Verkehrswerte (Marktwerte) von Grundstücken, ihrer Bestandteile sowie ihres Zubehörs und bei der Ableitung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten einschließlich der Bodenrichtwerte ist die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) anzuwenden, § 1 Abs. 1 ImmoWertV. Diese enthält anerkannte Grundsätze auch für die Gerichte (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 29 Rn. 1). Gemäß § 21 Abs. 2 ImmoWertV ist der Sachwert der baulichen Anlagen (ohne Außenanlagen) ausgehend von den Herstellungskosten (§ 22 ImmoWertV) unter Berücksichtigung der Alterswertminderung (§ 23 ImmoWertV) zu ermitteln. Die Alterswertminderung ist gemäß § 23 Satz 1 ImmoWertV unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Restnutzungsdauer (§ 6 Abs. 6 Satz 1 ImmoWertV) zur Gesamtnutzungsdauer (§ 23 Satz 3 ImmoWertV) der baulichen Anlagen zu ermitteln; dabei ist in der Regel eine gleichmäßige Wertminderung zugrunde zu legen (§ 23 Satz 2 ImmoWertV). Die nach § 50 Abs. 4 FlurbG zu treffende Entscheidung kann Bestandteil des Flurbereinigungsplans werden, ohne dass es einer gesonderten vorgängigen Wertermittlung im Rahmen des Verfahrens nach §§ 31 f. FlurbG bedarf (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 3.7.2007 - 13 A 06.2302 - RdL 2007, 316 - juris Rn. 15 <= RzF - 6 - zu § 28 Abs. 2 FlurbG>; Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 50 Rn. 17).


41    Hiervon ausgehend hat die EG bzw. die Klägerin im vorliegenden Fall keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich der in einfacher Bauart in Form einer Betonplatte mit unbehandelter Oberfläche ausgeführten Brücke über die Aurach.


42    Die streitgegenständliche Brücke ist zwar als wesentlicher Grundstücksbestandteil i.S.v. § 94 BGB Eigentum jener Personen gewesen, auf deren Grundstücke sie errichtet worden ist. Aufgrund der nach dem streitgegenständlichen Flurbereinigungsplan Teil I angestrebten Überführung der Brücke in öffentliches Eigentum besteht somit grundsätzlich ein anteiliger Abfindungsanspruch der bisherigen Eigentümer nach § 50 Abs. 4 FlurbG in Höhe des Verkehrswerts ihres jeweiligen Miteigentumsanteils an der baulichen Anlage. Im vorliegenden Fall ist jedoch davon auszugehen, dass kein Restverkehrswert der streitgegenständlichen Brücke mehr und damit auch kein anteiliger Abfindungsanspruch der EG bzw. der Klägerin besteht. Entsprechend der in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2019 durch den Kläger übergebenen schriftlichen Vereinbarung vom 14. November 1978 ist davon auszugehen, dass die Brücke im Jahr 1978 durch den damaligen Pächter des Einlageflurstücks 282 errichtet worden ist, dem hierfür die Pacht für drei Jahre erlassen worden ist. Zugleich geht der sachverständig besetzte Senat davon aus, dass die lineare Alterswertminderung (vgl. § 23 Satz 2 ImmoWertV: Alter / Gesamtnutzungsdauer x 100) vorliegend bei 100 v.H. liegt. Hierbei wird das Alter der Brücke von etwa 40 Jahren zugrunde gelegt. Laut Nr. 2.2.1 der AfA-Tabelle des Bundesfinanzministeriums für die allgemein verwendbaren Anlagegüter (Fassung v. 15.12.2000; Az. IV D 2-S 1551-188/00, B/2-2-337/2000-S 1551 A, S 1551-88/00) ist bei Straßen- und Wegebrücken aus Stahl und Beton von einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 33 Jahren auszugehen. Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin bzw. der EG vorliegend von einer bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung üblichen wirtschaftlichen Nutzungsdauer (Gesamtnutzungsdauer) der Brücke von sogar 40 Jahren ausginge, ergebe sich kein Restverkehrswert mehr (40 Jahre Alter / 40 Jahre Gesamtnutzungsdauer x 100 -> 100 v.H.). Dem Fehlen eines Restverkehrswerts steht auch nicht etwa entgegen, dass der Brücke über die Aurach weiterhin - wie ausgeführt - eine Funktion bei der Erschließung u.a. der Abfindungsflurstücke 935 und 936 der Klägerin zukommt. Denn die Frage der fortbestehenden tatsächlichen Nutzbarkeit ist unabhängig davon zu sehen, ob und ggf. inwieweit einer baulichen Anlage im Zuge der Berechnung der linearen Alterswertminderung noch ein relevanter Restverkehrswert zukommt. Ferner ist insoweit zu bedenken, dass der EG bzw. der Klägerin vorliegend die Funktion der Brücke im Rahmen der Erschließung ihrer Abfindungsflurstücke 935 und 936 tatsächlich weiterhin zur Verfügung steht; der Nutzungsaspekt ist somit vorliegend für die Bemessung einer etwaigen Entschädigung für den Miteigentumsverlust nicht von Relevanz.

Anmerkung


Entgegen der Erkenntnis des Flurbereinigungsgerichts München in Rn 40 der Entscheidung, der Ausgleichsanspruch aus § 50 Abs. 4 FlurbG richte sich nicht auf eine (zusätzliche) Landabfindung im Sinn von § 44 FlurbG, sondern auf Abfindung in Geld, geht nach Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.12.1961 - I B 170.60 - = RzF - 1 - zu § 50 Abs. 4 FlurbG, der Anspruch auf Abfindung aus § 50 Abs. 4 FlurbG bei baulichen Anlagen "grundsätzlich auf Naturalleistungen. Geldabfindungen bilden die Ausnahme.".