Flurbereinigungsgericht Mannheim, Urteil vom 29.09.2015 - 7 S 85/13 (Lieferung 2017)

Aktenzeichen 7 S 85/13 Entscheidung Urteil Datum 29.09.2015
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen Lieferung 2017

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die vorläufige Anordnung ist ein Dauerverwaltungsakt, für dessen rechtliche Beurteilung die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist.
2. Der mit dem Vorausbau und der vorläufigen Anordnung verfolgte Gesetzeszweck bedeutet nicht, dass der Vorausbau einer gemeinschaftlichen Anlage in jedem Fall, gewissermaßen automatisch, zum Erlass einer Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG berechtigen würde.
3. Der Klagantrag, einen Dauerverwaltungsakt - wie hier die vorläufige Anordnung - für die Vergangenheit aufzuheben, setzt allerdings voraus, dass der Kläger von ihm insoweit noch beschwert ist.
4. Ein Dauerverwaltungsakt wird sich häufig bei fortschreitender Zeit für die jeweils vergangenen Zeiträume - gewissermaßen fortlaufend - erledigen. Hat sich der Verwaltungsakt insoweit auf diese Art erledigt, kann der Kläger auf den Antrag übergehen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO festzustellen.

Aus den Gründen

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine vorläufige Anordnung der Flurbereinigungsbehörde nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG.


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Der Senat - Flurbereinigungsgericht - hat die hiergegen von den Rechtsvorgängern des Klägers erhobenen und von diesem fortgeführten Klagen mit Urteil vom 09.12.2010 (- 7 S 2965/07 -) abgewiesen, nachdem es zuvor die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen hatte. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14.11.2012 (- 9 C 13.11 -) = <= RzF - 72 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG> das Urteil des Senats aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, der Senat habe zu Recht entschieden, dass die vorläufige Anordnung formell-rechtlich unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit nicht zu beanstanden sei. Zutreffend sei auch die Ansicht des Senats, dass der Wege- und Gewässerplan ohne vorherige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens durch eine Plangenehmigung der oberen Flurbereinigungsbehörde nach § 41 Abs. 4 Satz 1 FlurbG habe festgestellt werden können und die Genehmigungsvoraussetzungen vorgelegen hätten. Die Auffassung, der Vorausbau sei als dringlich und erforderlich im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG anzusehen, sei mit dieser Vorschrift allerdings insoweit nicht vereinbar, als keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen worden seien, ob die Durchführung des Vorausbaus bereits im Zeitpunkt seiner Anordnung nach dem damaligen Verfahrensstand des Flurbereinigungsverfahrens notwendig gewesen sei, um sicherzustellen, dass die mit der Neuordnung beabsichtigten Strukturverbesserungen nach Abschluss des Verfahrens greifen könnten.


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Entscheidungsgründe


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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, soweit sie darauf gerichtet ist, die vorläufige Anordnung für die Zukunft aufzuheben (dazu 1.). Sie ist unzulässig, soweit der Kläger der Sache nach mit ihr auch eine Aufhebung der vorläufigen Anordnung für die Vergangenheit (ex tunc) begehrt; im Übrigen ist sie insoweit auch unbegründet (dazu 1 1.).


1. Die vorläufige Anordnung ist ein Dauerverwaltungsakt, für dessen rechtliche Beurteilung die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.2014 - 9 B 32.14 - juris). Zum für eine Aufhebung ex nunc maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Flurbereinigungsgerichts ist die Klage gegen die vorläufige Anordnung zulässig.
Sie entfaltet nach wie vor Rechtswirkungen, da der Kläger durch sie verpflichtet wird, die Entziehung des Besitzes an seinen der Flurbereinigung unterliegenden Grundstücken zum Zwecke des Vorausbaus der neuen Wege im Flurbereinigungsgebiet zu dulden. Die vorläufige Besitzeinweisung ist nach den Angaben des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung für den 15.10.2015 vorgesehen, die endgültige Eigentumsübertragung erst für das Jahr 2018.


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Auch die nach § 36 Abs. 1 FlurbG vorausgesetzte Dringlichkeit und Erforderlichkeit der vorläufigen Anordnung liegt zur Überzeugung des Senats vor.


Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Revisionsurteil vom 14.11.2012 (Rn. 15 ff.) hat die vorläufige Anordnung - ebenso wie der vorgezogene Wegeausbau - das Ziel, sicherzustellen, dass der neue Zustand nach der Planausführung oder der vorläufigen Besitzeinweisung möglichst schnell greifen kann und den Teilnehmern keine Bewirtschaftungshindernisse entstehen, sondern sie die geplanten Strukturverbesserungen ohne Zeitverzug nutzen können. Für eine vorläufige Besitzeinweisung in die neuen Grundstücke ist der Vorausbau des Wegenetzes häufig sogar eine unverzichtbare Voraussetzung. Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 FlurbG verlangt im Falle des Vorausbaus des Wegenetzes dagegen nicht zwingend "weitere" Dringlichkeitsgründe. Ebenso wenig beschränkt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf atypische Fälle. Obwohl somit in vielen Fällen dringende Gründe in diesem Sinne vorliegen, bedarf es einer Prüfung im Einzelfall, ob sie tatsächlich vorhanden sind. Der mit dem Vorausbau und der vorläufigen Anordnung verfolgte Gesetzeszweck bedeutet nicht, dass der Vorausbau einer gemeinschaftlichen Anlage in jedem Fall, gewissermaßen automatisch, zum Erlass einer Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG berechtigen würde.


Nach diesen Grundsätzen liegen im vorliegenden Fall dringende Gründe im Sinne des § 36 Abs. 1 FlurbG vor. Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung anhand der Wege- und Gewässerkarte nachvollziehbar und überzeugend erläutert, weshalb der Vorausbau insgesamt erforderlich und es auch im Einzelnen dringend geboten war, Grundstücke des Klägers für den vorgezogenen Wegebau in Anspruch zu nehmen und die vorläufige Anordnung zu erlassen. Danach sollte die Flurbereinigung aufgrund der geringen Größe des Verfahrensgebiets "in einem Guss", ohne Abschnittsbildung und ohne Baulose durchgeführt werden. Die vorläufige Anordnung sei erlassen worden, nachdem der Wege- und Gewässerplan vorgelegen habe und auch die Zuschussmittel bewilligt gewesen seien, damit die neuen Grundstücke mit der seinerzeit für Oktober 2012 vorgesehenen vorläufigen Besitzeinweisung ohne Verzögerung und ohne Hindernisse bewirtschaftet werden könnten. Gegenüber dieser Vorgehensweise bestehen keine Bedenken.


Auch soweit der vorzeitige Wegeausbau zu einer Inanspruchnahme von Grundstücken des Klägers führt, ist die hierzu erlassene vorläufige Anordnung frei von Rechtsfehlern. Von den zahlreichen Grundstücken, die der Kläger in die Flurbereinigung einbringt, sind überhaupt nur fünf von Zerschneidungen in nennenswertem Umfang betroffen.


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Die Dringlichkeit und Erforderlichkeit wird auch durch die mit der vorläufigen Anordnung verbundenen Nachteile aufgrund des Besitzentzugs nicht in Frage gestellt. Die betroffenen Grundstücke werden überwiegend lediglich im Randbereich in Anspruch genommen. Auch soweit diese durchschnitten werden, können diese zum weitaus überwiegenden Teil weiterhin bewirtschaftet werden. Auch die Dauer der Beeinträchtigungen ist vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung dauert die materielle Beeinträchtigung der Altgrundstücke voraussichtlich nur noch wenige Tage, da die vorläufige Besitzeinweisung nach dem glaubhaften Vortrag des Vertreters des Beklagten bereits zum 15.10.2015 geplant ist. Die lediglich formale Beeinträchtigung bis zur Ausführung des Flurbereinigungsplans wiegt demgegenüber gering. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gleichwohl unverhältnismäßig belastet würde, lassen sich seinem Vorbringen nicht entnehmen.


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Soweit der von dem Kläger gestellte Aufhebungsantrag der Sache nach auch eine Aufhebung ex tunc umfasst, ist er unzulässig (1.). Er wäre im Übrigen jedoch auch unbegründet (2.).
1. Grundsätzlich entscheidet zwar der Kläger über den Umfang seines Klagantrags, und zwar auch in zeitlicher Hinsicht. Ein Anfechtungsantrag kann daher auch zurückliegende Zeiträume umfassen. Der Klagantrag, einen Dauerverwaltungsakt - wie hier die vorläufige Anordnung - für die Vergangenheit aufzuheben, setzt allerdings voraus, dass der Kläger von ihm insoweit noch beschwert ist. Ein Dauerverwaltungsakt wird sich häufig bei fortschreitender Zeit für die jeweils vergangenen Zeiträume - gewissermaßen fortlaufend - erledigen, auch wenn für die Annahme seiner Erledigung der bloße Zeitablauf nicht genügt, vielmehr erforderlich ist, dass von ihm auch für diese Vergangenheit keine dem Kläger nachteiligen Rechtswirkungen mehr ausgehen. Hat sich der Verwaltungsakt insoweit auf diese Art erledigt, kann der Kläger auf den Antrag übergehen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO festzustellen, falls er daran ein berechtigtes Interesse hat (BVerwG, Beschluss vom 05.01.2012 - 8 B 62.11 - Rn. 14, NVwZ 2012, 510).


Im vorliegenden Fall ist eine solche Erledigung eingetreten, die der Aufhebung der vorläufigen Anordnung mit Wirkung für die Vergangenheit im Rahmen des vom Kläger gestellten Anfechtungsantrags entgegen steht. Die Rechtswirkung der vorläufigen Anordnung besteht darin, dass der Verpflichtete den Entzug von Besitz und Nutzung seines Grundstücks und deren Übertragung auf den Begünstigten dulden muss. Diese Rechtswirkung erledigt sich von Tag zu Tag. Die vorläufige Anordnung stellt auch nicht die Grundlage eines weiteren Vollstreckungsaktes dar, der bei ihrer Aufhebung rückgängig zu machen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.6.2013 - 8 C 42.12 -, Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 287 zu einer zwangsgeldbewehrten Verbotsverfügung). Ferner sind keine weiteren negativen Rechtsfolgen an den Bestand der vorläufigen Anordnung in der Vergangenheit geknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230 zu den Rechtsfolgen einer Ausweisung).
Einen in die Vergangenheit gerichteten Antrag, die Rechtswidrigkeit der vorläufigen Anordnung festzustellen, hat der Kläger nicht gestellt. Unabhängig davon sind weder den Akten noch dem Vortrag des Klägers Umstände zu entnehmen, die auf ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung schließen lassen könnten.


2. Selbst wenn man den der Sache nach auch auf den Erlasszeitpunkt gerichteten Anfechtungsantrag für zulässig erachten wollte, hätte er keinen Erfolg, da er unbegründet wäre. Dass darüber hinaus weitere Zeiträume in den Blick zu nehmen wären, lässt sich dem Antrag und dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Da sich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der vorläufigen Anordnung letztlich nicht anders darstellte als zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, lagen bereits damals dringende Gründe vor, die den vorzeitigen Wegeausbau und den Erlass der vorläufigen Anordnung rechtfertigten. Daher kann auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden.


Auch im Hinblick auf die Dauer des Besitzentzugs ist keine andere Beurteilung geboten. Nach dem vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag des Beklagten stand der zeitliche Ablauf des Flurbereinigungsverfahrens bei Erlass der vorläufigen Anordnung im Wesentlichen fest. Der Ausbau des Wegenetzes war danach für den Herbst 2008 und die vorläufige Besitzeinweisung für Oktober 2012 vorgesehen. Aufgrund der Größe des Verfahrensgebiets von 453 ha sei ein Wegebau "in einem Guss" beabsichtigt und die Kosten seien bewilligt gewesen. Der Zeitraum von ca. vier Jahren zwischen dem mit der vorläufigen Anordnung angeordneten Besitzentzug zum 01.09.2008 und der geplanten vorläufigen Besitzeinweisung hielt sich in angemessenen Grenzen. Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zwischen dem Besitzentzug und der vorläufigen Besitzeinweisung nicht nur der Wegeausbau durchgeführt werden muss, sondern eine ganze Reihe weiterer Verfahrensschritten erforderlich ist. So war und ist im vorliegenden Fall vorgesehen, den Ausbau des Plans nach § 41 FlurbG zu betreiben, die neuen Wege und anderen gemeinschaftlichen Anlagen aufzunehmen und abzumarken, die Grundrisse des neuen Bestandes zu erfassen, die Grundlagen der Zuteilung zu erarbeiten, den Wunschtermin und die Zuteilung durchzuführen und allen Teilnehmern zu eröffnen sowie die neuen Grundstücke abzumarken und anzufurchen. Da sämtliche dieser Verfahrensschritte eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, erscheint ein Zeitraum von vier Jahren, wie er hier geplant war, nicht unangemessen lang. Bezogen auf den Kläger gilt dies umso mehr, als für ihn damit eher geringe Beeinträchtigungen verbunden waren.

Anmerkung


Siehe zu Leitsatz 3 und 4 auch BVerwG 29.10.2014 - 9 B 32.14 = RzF - 75 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG