Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 16.10.2015 - 15 MF 18/14 = Entscheidungsdatenbank der Niedersächsischen Rechtsprechung: www.rechtsprechung.niedersachsen.de (Lieferung 2017)

Aktenzeichen 15 MF 18/14 Entscheidung Beschluss Datum 16.10.2015
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen = Entscheidungsdatenbank der Niedersächsischen Rechtsprechung: www.rechtsprechung.niedersachsen.de  Lieferung 2017

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Es unterliegt keinen rechtlichen Bedenken, wenn die für den Erlass einer vorläufigen Anordnung nach §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 88 Nr. 3 Satz 1 FlurbG vorgetragenen Gründe der Dringlichkeit mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO rechtfertigen sollen, im Wesentlichen übereinstimmen. Hinsichtlich der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist es in derartigen Fällen ausreichend, wenn die Flurbereinigungsbehörde maßgeblich darauf abstellt, dass die Baumaßnahme des Unternehmensträgers zeitnah bevorsteht.
2. Im Hinblick auf die Angaben im Rahmen der vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG ist den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes gem. § 37 Abs. 1 VwVfG Genüge getan, wenn die Grundstücksflächen flurstücksgenau bezeichnet werden und sich die metergenauen Angaben über Längen und Breiten einer Ausbaukarte oder den textlichen Beschreibungen mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen.
3. Der Erlass einer vorläufigen Anordnung gem. §§ 36 Abs. 1, § 88 Nr. 3 FlurbG ist nicht auf die für das Unternehmen im engeren Sinne notwendigen Flächen (etwa Straßenanlagen) beschränkt, sondern auch für Flächen möglich, die für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft oder vorübergehend als Arbeitsstreifen vorgesehen sind.

Aus den Gründen

Der Funktionsvorgänger des Antragsgegners hat die sofortige Vollziehung der vorläufigen Anordnung besonders angeordnet (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung in ausreichendem Maße und nachvollziehbarer Weise schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).


...


Dass hier die angeführten Gründe der Dringlichkeit, die den Erlass einer vorläufigen Anordnung nach §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 88 Nr. 3 Satz 1 FlurbG geboten erscheinen lassen, mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO rechtfertigen sollen, im Wesentlichen übereinstimmen, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Ein Unternehmensflurbereinigungsverfahren zielt maßgeblich darauf ab, die mit der Realisierung des Unternehmens verbundenen Nachteile möglichst zu beseitigen oder gering zu halten (§ 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Dies bedingt zugleich eine beschleunigte Durchführung der Flurbereinigung. Deshalb kann die besondere Dringlichkeit, die zur Erreichung dieses Gesetzeszwecks erforderlich ist und die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigt, durch die baldige Umsetzung des zugrunde liegenden Vorhabens - etwa durch den bevorstehenden Baubeginn - begründet sein. Hinsichtlich der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung erachtet es der Senat deshalb in Fällen einer Flurbereinigung nach §§ 87 ff. FlurbG für ausreichend, wenn die Flurbereinigungsbehörde - wie hier - maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die Baumaßnahme des Vorhabenträgers zeitnah bevorsteht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26.2.2009 - 15 MF 6/09 - RdL 2009, 157 = AUR 2009, 255 und vom 7.3.2008 - 15 MF 22/07 - RdL 2008, 208 = AUR 2008, 383, jeweils m. w. Nw). <= RzF - 67 - zu § 36 Abs. 1 FlurbG>


Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der vorläufigen Anordnung vom 4. Oktober 2012 ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.


...


Rechtsgrundlage für die vorläufige Anordnung vom 4. Oktober 2012 ist § 88 Nr. 3 Satz 1 i. V. m. § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Danach kann die Flurbereinigungsbehörde auf Antrag der für das Unternehmen zuständigen Behörde eine vorläufige Anordnung erlassen, wenn es aus dringenden Gründen erforderlich ist, bereits vor der Ausführung des Flurbereinigungsplans den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken zu regeln.


Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der vorläufigen Anhörung bestehen nicht. Insbesondere hat die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr unter dem 6. Januar 2012 den erforderlichen Antrag für die Bundesrepublik Deutschland als Unternehmensträgerin gestellt. Etwaige Mängel bei der Anhörung der Antragstellerin gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Nds. VwVfG vor dem Erlass der vorläufigen Anhörung sind entsprechend § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG geheilt worden, weil die Antragstellerin im parallel laufenden Widerspruchsverfahren umfassend Gelegenheit hatte, ihre Einwände gegenüber dem Antragsgegner vorzutragen (vgl. zur Heilung von Anhörungsmängeln den Senatsbeschluss vom 7.3.2008 - 15 MF 22/07 - a. a. O.).


Die vorläufige Anordnung ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die Angabe der dauernd in Anspruch genommenen und der Antragstellerin entzogenen Teilflächen des Flurstücks B. ( 3.330 qm sowie 2.360 qm = 5.690 qm von der Gesamtfläche von insgesamt 6.038 qm) unter Bezugnahme auf die zum Bestandteil der vorläufigen Anordnung erklärten Karte nach den Gesamtumständen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entsprechend § 37 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Nds. VwVfG. Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass der Adressat in die Lage versetzt wird, zu erkennen, was von ihm gefordert wird; zudem muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Im Hinblick auf die Anforderungen an die Angabe, welche Flurstücke oder welche Teilflächen von Flurstücken für welche Maßnahme und in welchem Umfang durch eine vorläufige Anordnung nach § 36 FlurbG in Anspruch genommen werden, ist den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes Genüge getan, wenn die Grundstücksflächen flurstücksgenau bezeichnet werden und sich die metergenauen Angaben - etwa über die jeweilige Länge von Wegen und Angaben über die Breite - einer Ausbaukarte oder den textlichen Beschreibungen im späteren Widerspruchsbescheid mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen. Dies gilt selbst dann, wenn die Ausbaukarte dem Verwaltungsakt nicht beigefügt war, sie aber dem Teilnehmer bekannt war oder ihm eine Abschrift angeboten wurde (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14.11.2012 - 9 C 13.11 - BVerwGE 145, 87 = juris Rn. 11; Wingerter in Mayr/Wingerter, Flurbg, 9. Auflage 2013, § 88, Rn. 7).


...


Die vorläufige Anordnung ist voraussichtlich auch materiell-rechtlich rechtmäßig. Gemäß §§ 88 Nr. 3 Satz 1, § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde auf Antrag der für das Unternehmen zuständigen Behörde eine vorläufige Anordnung erlassen, wenn es aus dringenden Gründen erforderlich ist, bereits vor der Ausführung des Flurbereinigungsplans den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken zu regeln. Diese Voraussetzungen liegen vor.


Von einer erforderlichen Dringlichkeit im Hinblick auf die Verwirklichung des Unternehmens ist dann auszugehen, wenn die Maßnahme nicht bis zum Erlass des Flurbereinigungsplans und seiner Ausführung warten kann. Die vorläufige Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG ist eine den Flurbereinigungsplan und dessen Ausführung vorbereitende Maßnahme. Sie dient dazu, den Übergang in den durch die Flurbereinigung angestrebten neuen Zustand vorzubereiten und zu sichern sowie die Aufstellung des Plans und die Durchführung des Verfahrens zu erleichtern und zu beschleunigen; insoweit muss mit der Realisierung von Maßnahmen nicht bis zur Aufstellung des Flurbereinigungsplans und seiner Ausführung gewartet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.2012, a. a. O.). Dabei wird es bei einer Unternehmensflurbereinigung oft sowohl im Interesse des Trägers des Unternehmens als auch in dem der Gesamtheit der Teilnehmer der Flurbereinigung liegen, dass mit der Umsetzung des Unternehmens bereits vor Erlass und Ausführung des Flurbereinigungsplans begonnen wird, damit die mit dem Unternehmen verbundenen Eingriffe im Flurbereinigungsplan sachgerecht bewältigt werden können. Diese Notwendigkeit macht es regelmäßig erforderlich, die Ausführung des Unternehmens vorzuziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 7.3.2008, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9.4.1986 - 7 S 3361/85 - NVwZ 1986, 490; SächsOVG, Beschluss vom 23.5.2013 - F 7 B 315/13 - zitiert nach juris). Dabei ist der Erlass der vorläufigen Anordnung nicht auf die für das Unternehmen im engeren Sinne notwendigen Flächen (etwa der Straßenanlagen) beschränkt, sondern auch für Flächen möglich, die für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft oder vorübergehend als Arbeitsstreifen vorgesehen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 22.7.1996 - 15 M 3533/96 - RdL 1996, 305; Wingerter in Mayr/ Wingerter, FlurbG, a. a. O., § 88 Rd. 11). Die von der Antragstellerin herangezogenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dem Urteil vom 14. November 2012 (a. a. O.) stehen dem nicht entgegen, denn sie betreffen im Einzelnen die Prüfung der erforderlichen Dringlichkeit in Fällen des Vorausbaus des Wegenetzes nach § 42 FlurbG und nicht im Fall einer Unternehmensflurbereinigung aus Anlass einer zulässigen Enteignung nach §§ 87 ff. FlurbG.