Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 23.05.2011 - 13 A 10.1835 = KommunalPraxis BY 2011, 315 (Leitsatz)= RdL 2012, 45-46 (Leitsatz und Gründe)= BayVBl 2012, 152-153 (Leitsatz und Gründe) (Lieferung 2012)
Aktenzeichen | 13 A 10.1835 | Entscheidung | Urteil | Datum | 23.05.2011 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = KommunalPraxis BY 2011, 315 (Leitsatz) = RdL 2012, 45-46 (Leitsatz und Gründe) = BayVBl 2012, 152-153 (Leitsatz und Gründe) | Lieferung | 2012 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ein schuldhaftes Verhalten bei Versäumung der Widerspruchsfrist ist anzunehmen, wenn ein Teilnehmer ohne Hindernis die ihm gewährte Möglichkeit zur Information und zur Überlegung innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht nutzt. Er wahrt damit nicht die Sorgfalt, die von einem verantwortungsbewussten Teilnehmer bei der Durchsetzung seiner eigenen Belange erwartet werden muss. |
2. | Die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Nachsicht sechs Jahre nach Bekanntgabe der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung ist nicht ermessensfehlerhaft. |
Aus den Gründen
13 Die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung wurde vom 2. August 2004 bis einschließlich 31. August 2004 mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekanntgemacht. Ein Widerspruch der Kläger innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat (§ 141, § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 70 VwGO) hiergegen ist nicht erfolgt. Auch ist im späteren Widerspruch vom 30. November 2007 gegen den Flurbereinigungsplan kein solcher gegen die Wertermittlung zu sehen. Der während des Klageverfahrens mit Schreiben vom 10. September 2010 erhobene Wertermittlungswiderspruch ist verspätet.
14 Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf nachträgliche Zulassung des mit Schreiben vom 10. September 2010 gegen die Wertermittlungsergebnisse erhobenen Widerspruchs (§ 134 Abs. 2, Abs. 3 FlurbG). Besondere Umstände, die eine Zulassung des Widerspruchs trotz Versäumung der gesetzlichen Frist begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
15 Eine unverschuldete Fristversäumung, die bei unverzüglicher Nachholung einen Anspruch auf Zulassung begründet, liegt nicht vor. Ein schuldhaftes Verhalten ist anzunehmen, wenn ein Teilnehmer ohne Hindernis die ihm gewährte Möglichkeit zur Information und zur Überlegung innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht nutzt. Er wahrt damit nicht die Sorgfalt, die von einem verantwortungsbewussten Teilnehmer bei der Durchsetzung seiner eigenen Belange erwartet werden muss (Wingerter in Schwantag/ Wingerter, FlurbG, 8. Aufl. 2008, RdNr. 5 zu § 134 mit Bezug auf BVerwG vom 12.2.1963 BVerwGE 15, 271 <= RzF - 3 - zu § 134 Abs. 2 FlurbG>). Die Kläger tragen vor, sie hätten unverschuldet nicht Widerspruch einlegen können, weil ihnen von Seiten der dazu gesetzlich verpflichteten Teilnehmergemeinschaft nicht mitgeteilt worden sei, dass nachteilige Auswirkungen durch die Unternehmensflurbereinigung infolge der Veränderung der Lage des Einlageflurstücks 170, durch die Veränderung des Hochwasserverhaltens der Waldnaab und durch die Einengung des früher vorhandenen Hochwasserabflussgebiets auftreten würden. Dem kann nicht gefolgt werden. Am 3. Dezember 2002 wurden die Wertermittlungsergebnisse gemäß § 32 Satz 2 FlurbG erläutert. Die Niederschrift über die Grundsätze der Wertermittlung und die Wertermittlungskarte waren zur Einsicht ausgelegt worden. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft P. hat die in der Wertermittlungskarte dargestellten Ergebnisse der Wertermittlung am 29. Juli 2003 nach § 32 Satz 3 FlurbG festgestellt; diese war mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekannt gemacht worden. Die Kläger hatten somit vor der Feststellung Gelegenheit, sich über die Einzelheiten der Wertermittlung und ihre Grundlagen zu informieren. Damit waren den Klägern sämtliche Grundlagen der Wertermittlung bekannt bzw. wurde ihnen die Gelegenheit zur Einsichtnahme eröffnet. Gemessen an den dargestellten Grundsätzen handeln sie schuldhaft im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG, wenn sie die ihnen gewährten Möglichkeiten nicht wahrnehmen (BVerwG vom 12.2.1963 BVerwGE 15, 271 <= RzF - 3 - zu § 134 Abs. 2 FlurbG>).
16 Der Vortrag der Kläger, sie hätten keinen Widerspruch eingelegt, weil ihnen nicht mitgeteilt worden sei, dass nachteilige Auswirkungen durch die Unternehmensflurbereinigung auftreten würden, stellt keinen Entschuldigungsgrund dar. Die vorläufige Besitzeinweisung fand bereits zum 1. November 2003 statt, während die öffentliche Bekanntmachung der festgestellten Wertermittlungsergebnisse erst im August 2004 erfolgte. Der tatsächliche Zustand der betroffenen Grundstücksflächen war den Klägern somit schon fast ein Jahr lang bekannt, so dass sie bereits zu dem Zeitpunkt, als der Widerspruch einzulegen war, eine Beurteilung treffen konnten. Dass ihre Einschätzung nunmehr von der ursprünglichen abweicht, vermag nicht zu einer unverschuldeten Fristversäumung zu führen. Die Kläger waren im Besitz der maßgeblichen Grundstücke; sie wussten, auf welcher Basis die Wertermittlung erfolgt ist und dass die Ergebnisse der Wertermittlung festgestellt sind. Sie wussten auch, dass sie – sollten sie sich dagegen wegen einer Hochwassergefährdung zur Wehr setzen wollen – gemäß der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb eines Monats Widerspruch erheben müssen. Es bestehen keine Anhaltspunkte und wurde auch nicht vorgetragen, dass die Kläger hierüber unverschuldet in Unkenntnis gewesen wären.
17 Zu Recht hat die Beklagte auch abgelehnt, im Ermessenswege Nachsicht zu gewähren.
18 Der Widerspruchseinlegung erst im Jahr 2010 stehen zeitliche Grenzen entgegen. Bereits wenn sich ein Teilnehmer erst zwei Jahre nach Bekanntgabe des für ihn unanfechtbar gewordenen Flurbereinigungsplans beschwert hat, liegt sein Begehren um Nachsicht jenseits der Grenzen des der Flurbereinigungsbehörde eingeräumten Ermessens für die Zulassung verspäteter Beschwerden (Wingerter, a.a.O., RdNr. 7 zu § 134 unter Verweis auf BVerwG vom 7.5.1965 BVerwGE 21, 93). Gleiches gilt für die Wertermittlung. Zehn Jahre nach der unanfechtbar gewordenen Wertermittlung kann der Teilnehmer nicht mehr mit Einwendungen gehört werden (BVerwG vom 29.11.1978= RzF - 28 - zu § 134 Abs. 2 FlurbG). Vorliegend gilt nichts anderes. Die Kläger haben erst sechs Jahre nach Bekanntgabe der Feststellung der Wertermittlungsergebnisse Widerspruch eingelegt und Gewährung von Nachsicht beantragt. Die Ablehnung in einem solchen Fall ist nicht ermessensfehlerhaft.
19 Im Übrigen käme die Gewährung von Nachsicht nur dann in Betracht, wenn eine Behandlung des Rechtsbehelfs als verspätet beim Betroffenen wegen Fehler der Flurbereinigungsbehörde eine offenbare Härte zur Folge hätte (BVerwG vom 18.2.2004 BVerwG 9 B 8.04 RdNr. 8 <juris>; vom 7.5.1965 BVerwGE 21, 93/94; vom 12.2.1963 BVerwGE 15, 271/276 <= RzF - 3 - zu § 134 Abs. 2 FlurbG>; Wingerter, a.a.O., RdNr. 6 zu § 134). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Bei der Entscheidung darüber, ob bei verschuldeter Versäumung einer gesetzlichen Frist die Gewährung von Nachsicht in Betracht kommt, ist eine Gewichtung und Bewertung der betroffenen Interessen geboten. Die Interessenabwägung hat zum einen die Erfordernisse der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit zu beachten, die eine zeitliche Begrenzung des Widerpruchsrechts verlangen. Zum anderen ist aber auch der sachlich-rechtliche Anspruch des Teilnehmers auf eine gesetzeskonforme Entscheidung zu berücksichtigen. Nur wenn der vom Betroffenen infolge eigenen Verschuldens nicht mehr durchsetzbare Anspruch derart berührt wird, dass für ihn offenkundig eine unbillige Härte eintritt, ist eine nachträgliche Zulassung des Rechtsbehelfs gerechtfertigt. Dies schließt es aus, die Nachsichtgewährung einseitig von der rechtlichen Beurteilung der mit einem verspäteten Rechtsbehelf angegriffenen Entscheidung abhängig zu machen. Ob dem Begehren einer rechtlichen Überprüfung der getroffenen Sachentscheidung entsprochen werden soll, lässt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung auch der erwähnten gegenläufigen Belange nach Lage des einzelnen Falles entscheiden. Erst im Anschluss an die gewährte Nachsicht ist Raum für die eigentliche rechtliche Überprüfung des angegriffenen behördlichen Akts, die dann so zu erfolgen hat, als läge ein fristgerechter Rechtsbehelf vor (BVerwG vom 18.2.2004 a.a.O.).
20 Hier ergibt die Abwägung der genannten Interessen, dass der aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Anspruch des Teilnehmers auf eine mit dem materiellen Recht in Einklang stehende gesetzeskonforme Entscheidung hinter den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit zurückzutreten hat und somit keine Nachsicht zu gewähren wäre. Der Anspruch der Kläger auf eine rechtsfehlerfreie Wertermittlung ist nicht derart offenkundig verletzt, dass für sie bei einer Ablehnung der nachträglichen Zulassung des Widerspruchs eine mit dem in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentumsrecht nicht vereinbare unbillige Härte eintreten würde.