Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 5.84 = BVerwGE 79, 9= RdL 1988 S. 127= AgrarR 1988 S. 324= NVwZ 1989 S. 458 (LS)= NVwZ - RR 1989 S. 165= DÖV 1988 S. 1060

Aktenzeichen 5 C 5.84 Entscheidung Urteil Datum 21.01.1988
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen BVerwGE 79, 9 = RdL 1988 S. 127 = AgrarR 1988 S. 324 = NVwZ 1989 S. 458 (LS) = NVwZ - RR 1989 S. 165 = DÖV 1988 S. 1060  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Sachlicher Inhalt einer auf § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG gestützten vorläufigen Anordnung kann nur sein, was nach den flurbereinigungsrechtlichen Vorschriften konstitutiv durch den Flurbereinigungsplan geregelt werden kann.
2. In Gebieten, in denen die leitungsgebundene Stromversorgung Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen ist, erfordert es der Zweck der Flurbereinigung nicht, eine Stromversorgungsanlage als gemeinschaftliche Anlage im flurbereinigungsrechtlichen Sinne zu schaffen.
3. Sonstige Maßnahmen im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG müssen in unmittelbarem Zusammenhang mit den klassischen Flurbereinigungsmaßnahmen stehen und durch diese veranlaßt und ausgelöst werden.
4. Förderung der Landentwicklung im Sinne von § 1 FlurbG erlaubt der Flurbereinigungsbehörde keine isolierte Planungstätigkeit.
5. Die im öffentlichen Interesse liegende Versorgung einer Gemeinde mit Strom ist keine eigenständige Aufgabe der Flurbereinigung, sondern als zum Bereich der Daseinsvorsorge gehörende Aufgabe den öffentlich-rechtlich tätigen oder privatrechtlich organisierten Energieversorgungsunternehmen zugewiesen.
6. Die Ordnung der rechtlichen Verhältnisse ist auch nach der Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 16.03.1976 nur zulässig, soweit es sich um Maßnahmen handelt, zu denen die Flurbereinigungsbehörde aufgrund anderer Bestimmungen des FlurbG befugt ist.

Aus den Gründen

Das Flurbereinigungsgericht hat die vorläufige Anordnung der Beklagten vom 26.07.1982 in der Gestalt des sie bestätigenden Widerspruchsbescheids zu Recht aufgehoben.

Wie das angefochtene Urteil zutreffend angenommen hat, kann sachlicher Inhalt einer auf § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG gestützten vorläufigen Anordnung nur sein, was nach den flurbereinigungsrechtlichen Vorschriften durch den Flurbereinigungsplan gestaltet und festgestellt, also konstitutiv geregelt werden kann, aber vor dessen Ausführung oder zur Vorbereitung und zur Durchführung von Änderungen einer dringenden Regelung bedarf. Die Grenzen der Ermächtigung zu Anordnungen, Regelungen und Festsetzungen im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens ergeben sich im wesentlichen aus den § 1, § 37 FlurbG, wobei in § 1 FlurbG der Zweck der Flurbereinigung für eine umweltverträgliche Land- und Forstwirtschaft festgelegt und in § 37 FlurbG der Handlungsrahmen für die Neugestaltungsmaßnahmen abgesteckt ist. Die nach § 37 Abs. 1 FlurbG zulässigen und zweckerforderlichen Maßnahmen müssen sich jeweils aus dem konkret angeordneten Flurbereinigungsverfahren ergeben oder darauf beziehen, also ausschließlich dessen Verwirklichung dienen.

Bei der hier angegriffenen vorläufigen Anordnung, die die Kläger zur (zwischenzeitlichen) Duldung der Überspannung ihres Grundstücks 216 verpflichtet und die abschließende rechtliche Behandlung dem Flurbereinigungsplan Teil II (Regelung der Rechtsverhältnisse) vorbehält, fehlt es an einem solchen Zusammenhang. Sie dient unbeschadet des Umstandes, daß die Stromleitung der Beigeladenen nachträglich als "gemeinschaftliche Anlage" in den Wege- und Gewässerplan nach § 41 FlurbG aufgenommen worden ist, nicht der Sicherung einer gemeinschaftlichen Anlage i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 39 Abs. 1 und § 1 FlurbG. Denn die leitungsgebundene Stromversorgung im Verfahrensgebiet ist grundsätzlich Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen, für die eine allgemeine, gegenüber "jedermann" bestehende Anschluß- und Versorgungspflicht gesetzlich festgelegt ist (§ 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13.12.1935 - Energiewirtschaftsgesetz <RGBl. I S. 1451 - BGBl. III S. 752-1> - EnWG; vgl. hierzu BVerfGE 66, 248 <258>) und die auch die für die Stromversorgung nötigen Anlagen und Energieleitungen selbst planen und - erforderlichenfalls unter Inanspruchnahme der in § 11 Abs. 1 und 2 EnWG eingeräumten Rechte zur Ausführung von Vorarbeiten und zur Beschränkung von Grundeigentum - errichten.

Da die Beigeladene im Ortsbereich U. "öffentliche Energieversorgung" betreibt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 EnWG) und sich auch hinsichtlich des Anschlußnehmers L. nicht auf eine Befreiung von der Anschluß- und Versorgungspflicht nach § 6 Abs. 2 EnWG beruft, erfordert der Zweck der Flurbereinigung hier nicht, eine leitungsgebundene Stromversorgungsanlage als gemeinschaftliche Anlage im flurbereinigungsrechtlichen Sinne durch die Teilnehmergemeinschaft zu schaffen. Liegen danach mangels flurbereinigungsrechtlicher Zweckerforderlichkeit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer gemeinschaftlichen Anlage nicht vor, dann kommt der Aufnahme der Projektvariante 3 der Beigeladenen in den Plan nach § 41 FlurbG keine konstitutive Bedeutung mit der Folge zu, daß hierfür ein Vorausbau zulässig wäre und insoweit eine Regelung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG getroffen werden dürfte. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, daß vorgesehen sei, die von der Beigeladenen geplante und hergestellte Stromleitung gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 FlurbG der Teilnehmergemeinschaft zu Eigentum zuzuteilen. Um diese Stromleitung der Beigeladenen als gemeinschaftliche Anlage behandeln zu können, müßte die Flurbereinigungsbehörde die Benutzung dieser Anlage durch die Teilnehmer durch entsprechende Festsetzungen im Flurbereinigungsplan nach § 58 Abs. 4 FlurbG sichern (vgl. Hegele in Seehusen-Schwede, Flurbereinigungsgesetz, 4. Aufl. 1985, § 42 RdNr. 6). Etwas derartiges ist nicht beabsichtigt und in der Regel auch nicht erforderlich, weil öffentliche Stromversorgung mit allgemeiner Anschluß- und Versorgungspflicht für den Verfahrensbereich ausreicht.

Die Stromversorgung mittels der streitgegenständlichen Stromleitung rechnet auch nicht zu den sonstigen Maßnahmen, zu deren Vornahme die Flurbereinigungsbehörde nach § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG ermächtigt ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts anderes herleiten. Zwar trifft es zu, daß im Urteil vom 10.02.1967 (BVerwGE 26, 173 = Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 2 = RzF - 3 - zu § 37 Abs. 1 FlurbG = RdL 1967, 186) ausgeführt ist, zur Ordnung der rechtlichen Verhältnisse i. S. d. § 37 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 FlurbG (F. 1953) könne auch die Begründung eines öffentlich-rechtlichen Wasserbezugsrechts und dessen privatrechtliche Sicherung durch eine Grunddienstbarkeit gehören. Im Urteil vom 19.08.1970 - BVerwG IV C 61.67 (RdL 1971, 43 <45> = Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 5 = RzF - 15 - zu § 37 Abs. 2 FlurbG) wurde an dieser Auffassung festgehalten und entschieden, § 37 Abs. 1 Satz 2 bilde i. V. m. § 1 FlurbG (F. 1953) die Grundlage dafür, das im Flurbereinigungsverfahren auch durch Flurbereinigungsmaßnahmen jeder Art die etwa notwendig werdenden dinglichen Rechte neu geschaffen werden können. Aus diesen Entscheidungen ergibt sich aber außerdem, das den "sonstigen Maßnahmen" i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG insoweit Grenzen gesetzt sind, als sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den klassischen Flurbereinigungsmaßnahmen stehen müssen, die in § 1 FlurbG beschrieben sind (vgl. Urteil vom 10.02.1967 a.a.O. S. 175 ff.). Ferner, daß die abschließende Ermächtigung, "alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, durch welche die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert werden, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert wird", auch die Begründung von dinglichen Rechten nur ermöglicht, wenn die in der vorgenannten Formulierung erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteil vom 19.08.1970 a.a.O.). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Denn die Betriebszweigaussiedlung des L. war bereits vor Anordnung des vorliegenden Flurbereinigungsverfahrens U. in die Wege geleitet und durch die im Zuge der Flurbereinigung U. erfolgte Zuteilung des Flurstücks 228 bewerkstelligt worden. Sie war deshalb, durch das Verfahren U. weder veranlaßt noch ausgelöst, zur Neugestaltung im Rahmen dieses Verfahrens nicht (mehr) erforderlich. Infolgedessen kann in der Versorgung des Aussiedlerhofes mit Strom und in der dafür erforderlichen Leitungsführung auch keine sonstige flurbereinigungsrechtliche Maßnahme des Verfahrens U. gesehen werden.

Bei dieser Sachlage bedarf es hier keiner Entscheidung darüber, ob bei einer im Rahmen der Neugestaltung des Verfahrensgebietes allein vom Zweck der Flurbereinigung her erforderlichen Aussiedlung eines Teilnehmers die Flurbereinigungsbehörde verpflichtet wäre, die Betriebsfortführung zu gewährleisten, und welche flurbereinigungsrechtlichen Maßnahmen von gegebenenfalls ihr zur Sicherung notwendiger Versorgungseinrichtungen ergriffen werden dürften.

Die von der Beklagten hervorgehobene Erweiterung der Flurbereinigungszwecke durch das Gesetz zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 15.03.1976 (BGBl. I S. 533) ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts.

§ 1 FlurbG i. d. F. dieses Gesetzes hat entgegen der Auffassung der Revision keine Grundlage dafür geschaffen, durch geeignete Maßnahmen der Stromversorgung zur Landentwicklung beizutragen. "Förderung der Landentwicklung" erlaubt der Flurbereinigungsbehörde keine isolierte Planungstätigkeit. Sie darf die in Betracht kommenden Raumordnungsvorhaben nicht selbst übernehmen und eigenverantwortlich verwirklichen. Denn die Flurbereinigungsbehörde ist dabei nicht selbständige örtliche und/oder überörtliche Trägerin integrierender Planungen wie die Gemeinde mit der Bauleitplanung oder die für die Landesplanung oder die Fachplanungen zuständigen Planungsträger. Ihre Aufgabe ist vielmehr darauf beschränkt, durch Bodenordnung die Durchführung der außerhalb des konkreten Flurbereinigungsverfahrens erfolgenden Fremdplanungen zu erleichtern, hierzu beizutragen (vgl. BVerwGE 71, 108 <113 ff.>). Um einen solchen Beitrag geht es bei der der Beigeladenen gestatteten Überspannung des Flurstücks 216 und der Verpflichtung der Kläger zur Duldung dieser Leitungsführung nicht, weil es sich dabei nicht, wie in § 1 FlurbG ausdrücklich vorausgesetzt wird, um Bodenordnung "durch Maßnahmen nach diesem Gesetz" handelt.

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Sicherung der Stromleitung der Beigeladenen ergab sich auch nicht etwa daraus, daß die Flurbereinigungsbehörde der Projektvariante 3 zugestimmt hat. Mit der Zustimmung gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 FlurbG hat diese zu erkennen gegeben, daß der Zweck der Flurbereinigung der Ausführung der vorgesehenen Energieleitung nicht entgegensteht. Damit war jedoch flurbereinigungsrechtlich keine weitere Verpflichtung verbunden, weder die Errichtung dieser Energieleitung auch nur teilweise zu übernehmen noch den Leitungsbau durch die Beigeladene tatsächlich oder rechtlich zu ermöglichen noch den Bestand der Energieanlage zu sichern.

Die vorläufige Anordnung der Beklagten läßt sich auch nicht als eine Maßnahme zur Sicherung der Dorferneuerung i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 3 FlurbG aufrechterhalten. Da die Anordnung der Flurbereinigung U. von den Klägern nicht angegriffen ist, braucht hier nicht darauf eingegangen zu werden, ob eine "Dorfflurbereinigung" zur Neugestaltung der Ortslage selbständiger Anordnungszweck i. S. d. § 1 FlurbG sein kann. Die Frage, inwieweit die Errichtung einer (gemeinschaftlichen) Versorgungsanlage durch den Gesichtspunkt der Dorferneuerung gerechtfertigt sein könnte, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung. Da hinsichtlich der leitungsgebundenen Energieversorgung im hier erfaßten Verfahrensbereich, insbesondere in der "zum Verfahrensgebiet beigezogenen Ortslage mit Umgriff" gesetzlich die allgemeine Anschluß- und Versorgungspflicht des Energieversorgungsunternehmens eingreift, die von der Beigeladenen auch in bezug auf den bereits zuvor ausgesiedelten Teilnehmer L. gewährleistet wird, erfordert der Zweck der Flurbereinigung von der Beklagten keine Maßnahme zur Installierung einer Versorgungsleitung aus Gründen der Dorferneuerung; demzufolge fehlt ihr auch die Befugnis, zur Sicherung einer solchen Maßnahme eine vorläufige Anordnung zu erlassen.

Auch das gemeindliche Interesse an der Stromversorgung des durch die Erweiterung des Baugebiets zu erschließenden Ortsteils ermächtigt die Beklagte nicht zu dem beanstandeten Vorgehen, weil die im öffentlichen Interesse liegende Versorgung der Gemeinde mit Strom keine eigenständige Aufgabe der Flurbereinigung ist, die die Beigeladene zu erledigen hätte, sondern als zum Bereich der Daseinsvorsorge gehörende Aufgabe den öffentlich-rechtlich tätigen oder privatrechtlich organisierten Energieversorgungsunternehmen durch das Energiewirtschaftsgesetz zugewiesen worden ist (vgl. BVerfGE 66, 248 <258>). Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung immer wieder ausgesprochen hat, gehört nicht jegliche Maßnahme, "die wegen ihres öffentlichen Interesses dem Wohl der Allgemeinheit förderlich" ist und für deren Durchführung die Flurbereinigung eine "einmalige Gelegenheit bietet", zum Zwecke der Flurbereinigung (vgl. BVerwGE 15, 72 <75>; 40, 143 <147>). Die Flurbereinigungsbehörden müssen deshalb auf die Wahrnehmung der ihnen durch das Flurbereinigungsgesetz ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben beschränkt bleiben (vgl. BVerwGE 41, 170 <172>). Daran hat sich durch den Funktionswandel in der Landwirtschaft und die Zweckerweiterung in § 1 FlurbG nichts geändert.

Die angefochtene vorläufige Anordnung läßt sich auch nicht als eine Maßnahme zur Ordnung der rechtlichen Verhältnisse i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 4 FlurbG rechtfertigen. Wie das Bundesverwaltungsgericht zu der entsprechenden Regelung in § 37 Abs. 2 Halbsatz 1 FlurbG (F. 1953) klargestellt hat, stellte diese Regelung keine selbständige Ermächtigung zu Eingriffen in das Eigentum anderer dar. Die Vorschrift gab vielmehr eine Ermächtigung zur Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse im Flurbereinigungsgebiet nur insoweit, als es sich um Maßnahmen handelte, zu denen die Flurbereinigungsbehörde aufgrund anderer Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes befugt war (BVerwG, Urteil vom 19.08.1970, a.a.O.). An dieser Bedeutung hat sich nichts dadurch geändert, daß die genannte Regelung durch das schon erwähnte Gesetz zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 15.03.1976 als Satz 4 in § 37 Abs. 1 FlurbG aufgenommen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 25.04.1985 - BVerwG 5 C 49.82 <Buchholz 424.01 § 37 FlurbG Nr. 17> und 14.05.1985 - BVerwG 5 C 38.82 <Buchholz 424.01 § 41 FlurbG Nr. 4>). Die Ordnung der rechtlichen Verhältnisse ist deshalb weiterhin nur zulässig, wenn sie der Erfüllung von anderweitig geregelten Aufgaben der Flurbereinigung dient. Daran fehlt es hier.