Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 09.12.1992 - BVerwG 11 B 5.92 = RdL 1993 S. 95

Aktenzeichen BVerwG 11 B 5.92 Entscheidung Beschluß Datum 09.12.1992
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1993 S. 95  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn zu einer der Wahrung des § 5 Abs. 1 FlurbG dienenden Aufklärungsversammlung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung geladen und auf eine Verständigung jedes einzelnen voraussichtlichen Teilnehmers verzichtet wird.
2. Für eine Anwendung des Art. 28 und des Art. 24 BayVwVfG ist neben § 5 Abs. 1 FlurbG kein Raum.

Aus den Gründen

Soweit die Klägerinnen rügen, daß sie vor Anordnung der Flurbereinigung F. nicht angehört worden seien, und in diesem Zusammenhang das Verhältnis des Art. 28 BayVwVfG zu § 5 FlurbG sowie Anwendung und Reichweite des Art. 24 BayVwVfG im Blick auf Aufklärungsversammlungen zur Wahrung des § 5 FlurbG für klärungsbedürftig halten, verkennen sie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der zuletzt angeführten Vorschrift. Nach dieser Rechtsprechung ist es der Flurbereinigungsbehörde durch § 5 Abs. 1 FlurbG - auch in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.03.1976 (BGBl. I S. 546) - freigestellt, in welcher Form sie die in dieser Regelung vorgeschriebene Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer vornehmen will; die gewählte Form muß nur geeignet sein, den Zweck zu erfüllen. Auch ist die Form der Aufforderung (Einladung) an die voraussichtlich Beteiligten nicht gesetzlich festgelegt. Es muß lediglich gewährleistet sein, daß die in Betracht kommenden (voraussichtlichen) Teilnehmer davon Kenntnis erhalten können und, wenn die Aufklärung in der Form einer Aufklärungsversammlung durchgeführt werden soll, die Möglichkeit haben, an dieser Versammlung teilzunehmen (BVerwG, Beschluß vom 28.12.1959 - BverwG 1 CB 170.59 - <RdL 1960,166/167, RzF - 2 - zu § 4 FlurbG>; BVerwGE 68, 290 <292 f.>). Dies ist der Fall, wenn die Einladung zu der Aufklärungsversammlung, wie dies nach den Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts (auf S. 11 seines Urteils) vorliegend geschehen ist, in der Form der öffentlichen Bekanntmachung ergeht (vgl. BVerwGE 68, 290 <293, 294>). Daß diese jedem potentiell Betroffenen auch tatsächlich bekannt wird, ist nicht erforderlich. Denn eine persönliche Verständigung jedes einzelnen voraussichtlichen Teilnehmers ist nach dem vorerörterten Inhalt des § 5 Abs. 1 FlurbG nicht vorgeschrieben (BVerwG, Beschluß vom 28.12.1959 <a.a.O.>; BVerwGE 68, 290 <293>).

Verfassungsrecht gebietet keine andere Beurteilung. Selbst Regelungen, die wie Art. 74 Abs. 5 BayVwVfG die individuelle Zustellung von Verwaltungsakten durch deren öffentliche Bekanntmachung ersetzen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verfassungsrechtlich zulässig. Zwar kann durch sie im Einzelfall der Rechtsschutz von - auch in ihren Grundrechten - Betroffenen verkürzt werden. Doch ist dies bei Großvorhaben - mit im Fall des Art. 74 Abs. 5 BayVwVfG mehr als 300 Betroffenen - durch Belange einer effektiven Verwaltung und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit gerechtfertigt (BVerwGE 67, 206 <209 ff.>). Erst recht begegnet es vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn zu einer der Wahrung des § 5 Abs. 1 FlurbG dienenden Aufklärungsversammlung - wie dies hier geschehen ist - im Wege der öffentlichen Bekanntmachung geladen und auf eine Verständigung jedes einzelnen voraussichtlichen Teilnehmers verzichtet wird. Auch für dieses Vorgehen sprechen in dem vom Beschleunigungsgrundsatz beherrschten Flurbereinigungsverfahren (vgl. dazu z. B. BVerwGE 42, 92 <96>) Gesichtspunkte der Verwaltungseffektivität. Andererseits sind Rechtsschutzinteressen des einzelnen hier, weil der Eintritt der Bestandskraft eines Verwaltungsakts nicht zu besorgen ist, nicht in gleicher Weise berührt. Auch kann ein etwaiges Anhörungsdefizit gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr.3 BayVwVfG nach Anordnung der Flurbereinigung im Rahmen der nachträglichen Anhörung ausgeglichen werden. Verfassungsrechtlichen Anforderungen ist damit in ausreichendem Maße genügt.

Existenz und Zielsetzung des § 5 Abs. 1 FlurbG, die Beteiligten für das geplante Verfahren zu gewinnen und durch Erörterung mit ihnen die notwendigen Unterlagen für die Beurteilung ihres Interesses zu erhalten (BVerwGE 8, 197 <198>; 68, 290 <293>), lassen ohne weiteres erkennen, daß neben dieser Regelung für eine Anwendung des Art. 28 BayVwVfG kein Raum ist. Zwar ist die Geltung dieser Vorschrift auch im Flurbereinigungsverfahren nicht schlechthin ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.1988 - BVerwG 5 C 1.86 <Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 4 S. 6>). Im Verhältnis zu § 5 Abs. 1 FlurbG muß Art. 28 BayVwVfG jedoch zurücktreten (wie hier mit Bezug auf § 28 VwVfG Hegele in Seehusen/Schwede, FlurbG, 6. Aufl. 1992, § 5 RdNr. 1; Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, 1978/1989, Einl. RdNr. 258), weil das Flurbereinigungsgesetz sich dem Anliegen der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelung im vorliegenden Zusammenhang in einer auf die Besonderheiten des flurbereinigungsrechtlichen Verfahrens zugeschnittenen Weise annimmt und damit die Beteiligung der voraussichtlichen Flurbereinigungsteilnehmer im Verfahrensabschnitt vor dem Erlaß des Flurbereinigungsbeschlusses für diesen Abschnitt eigenständig und abschließend regelt. § 5 Abs. 1 FlurbG enthält also im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz VwVfG entgegenstehendes Recht, das auch den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder vorgeht (in letzterer Hinsicht s. die Nachweise in BVerwGE 71, 369 <376>).

Im Ergebnis nichts anderes gilt für das Verhältnis des § 5 Abs. 1 FlurbG zu Art. 24 BayVwVfG. Wenn sich die Flurbereinigungsbehörde, wie oben bereits dargelegt, damit begnügen kann, die Einladung zu einer der Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer dienenden Aufklärungsversammlung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung auszusprechen, und wenn es deshalb, wie ebenfalls schon erwähnt, keiner persönlichen Verständigung jedes einzelnen voraussichtlichen Teilnehmers bedarf, kann eine Verpflichtung aus Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG, eben diese Teilnehmer zum Zwecke der Einladung individuell zu ermitteln, nicht in Betracht kommen.

Unbegründet ist schließlich die Rüge, das Flurbereinigungsgericht habe den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Dies ergibt sich, soweit die Beschwerde beanstandet, daß das angegriffene Urteil mit keinem Wort auf die mit der Klage geltend gemachte Verletzung des Art. 24 BayVwVfG eingegangen sei, schon daraus, daß es auf die Anwendung dieser Vorschrift nicht mehr ankommen konnte, nachdem die Vorinstanz aus § 5 Abs. 1 FlurbG hergeleitet hatte, daß es nach dieser Vorschrift nicht erforderlich sei, jeden einzelnen voraussichtlich betroffenen Grundstückseigentümer zu der von der Flurbereinigungsbehörde ins Auge gefaßten Aufklärungsversammlung persönlich zu laden (vgl. auch oben die Ausführungen zu § 5 Abs. 1 FlurbG und Art. 24 BayVwVfG im Hinblick auf die Grundsatzrüge der Beschwerde). Abgesehen davon ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, wenn gleichwohl eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, daß das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 65, 293 <295 f.> mit weiteren Nachweisen). Ausführungen, die die Rüge der Klägerinnen in diesem Sinne konkretisierten, sind der Beschwerde nicht zu entnehmen.

Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs folgt schließlich nicht daraus, daß nach dem Beschwerdevorbringen einer der landwirtschaftlichen Beisitzer des Flurbereinigungsgerichts "ernsthafte Ermüdungserscheinungen über weite Bereiche der mündlichen Verhandlung" gezeigt haben soll. Daß der genannte Beisitzer die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung nicht hat wahrnehmen können, ist damit nicht schlüssig dargetan (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.01.1986 - BVerwG 6 C 141.82 - <Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 63 S. 44>). Auch eine Verletzung des Rechts der Klägerinnen auf rechtliches Gehör kann deshalb nicht angenommen werden.