Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 05.04.1977 - 3 C 38/76 = RdL 1977 S. 239= AgrarR 1977 S. 330

Aktenzeichen 3 C 38/76 Entscheidung Urteil Datum 05.04.1977
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen RdL 1977 S. 239 = AgrarR 1977 S. 330  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Hat die Flurbereinigungsbehörde geplante und durchgeführte Baumaßnahmen im Flurbereinigungsplan inhaltlich und gegenständlich nicht näher bestimmt, so ist dies für den Flurbereinigungsteilnehmer ein unvertretbares Hindernis mit der Folge, daß die nach Behebung des Hindernisses unverzüglich nachgeholte Beschwerde zugelassen werden muß.
2. Der Anspruch des Flurbereinigungsteilnehmers auf Grundausstattung richtet sich bei der Zuteilung von Weinbergsbesitz in Steillagen unabhängig von der Beschaffenheit seines Einlagebesitzes auch auf Grundstücksherrichtung dergestalt, daß Gefahren für Leib und Leben sowie Sachbeschädigung im Rahmen der bestimmungsgemäßen Weinbergsnutzung für den Bewirtschafter möglichst ausgeschlossen sind.

Aus den Gründen

1. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes waren die Kläger mit der Beschwerde gegen den Flurbereinigungsplan nicht ausgeschlossen. Unstreitig haben sie zwar gegen den Flurbereinigungsplan im Anhörungstermin nach § 59 FlurbG im Dezember 1971 keine Beschwerde erhoben. Ihre mit Schreiben vom 4.11.1975 an das Kulturamt und vom 26.1.1976 an die Bezirksregierung gerichtete Beschwerde mußte jedoch nach § 134 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 FlurbG trotz Verspätung zugelassen werden, da sie bei unverschuldeter Versäumung unverzüglich nach Behebung eines Hindernisses eingelegt worden ist. Die Kläger waren nämlich bei Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans nicht imstande festzustellen, wie ihr Abfindungsgrundstück Flur 24 Nr. 78 endgültig beschaffen sein würde. Es kann zwar davon ausgegangen werden, daß sie in diesem Zeitpunkt von den geplanten Meliorationsmaßnahmen durch die Teilnehmergemeinschaft bezüglich der Weinbergsgrundstücke Kenntnis hatten. Die Kenntnis über die Art und den Umfang der Planierungen und Rigolarbeiten im einzelnen war ihnen aber gar nicht möglich, weil die Flurbereinigungsbehörde entsprechende Festsetzungen nicht getroffen hat. Die Flurbereinigungsbehörde ist verpflichtet, die im Verfahrensgebiet vorgesehenen Maßnahmen - wie Schaffung von gemeinschaftlichen Anlagen und Bodenverbesserungen - gegenständlich und inhaltlich hinreichend zu bestimmen. Das bedeutet, daß der Flurbereinigungsplan Angaben darüber enthalten muß, welche baulichen Maßnahmen und Bodenverbesserungen im einzelnen durchgeführt werden sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.3.1973 - BVerwG V C 8.72 -, AgrarR 1973, 330 = RzF - 9 - zu § 18 Abs. 1 FlurbG). Geschieht dies wie im vorliegenden Falle nicht und kann sich der betroffene Verfahrensteilnehmer deshalb bei Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans keine genauen Vorstellungen über den endgültigen Zustand seiner Abfindung machen, so liegt darin ein Hindernis im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG an der rechtzeitigen Einlegung der Beschwerde. Im vorliegenden Falle hat das Kulturamt dieses Hindernis erst beseitigt, als es den Klägern gegenüber mit Schreiben vom 12.11.1975 nach ausgeführten Bauarbeiten unmißverständlich mitteilte, daß weitere Verbesserungsmaßnahmen im Abfindungsplan Flur 24 Nr. 78 grundsätzlich nicht mehr in Betracht kämen. Erst von diesem Zeitpunkt an stand für die Kläger fest, daß keine weiteren Bauarbeiten in ihrem Grundstück mehr durchgeführt werden würden. Das Kulturamt mag zwar seine Maßnahmen bereits im März 1975 als abgeschlossen angesehen haben. Eine Feststellung der Kläger dahin gehend, ob der in diesem Zeitpunkt durch die Teilnehmergemeinschaft geschaffene Grundstückszustand den Festsetzungen des Flurbereinigungsplans entspreche, war aber objektiv nicht möglich, weil solche Festsetzungen nicht getroffen worden sind. Im übrigen war aus dem von der Teilnehmergemeinschaft herbeigeführten Grundstückszustand auch ab März 1975 noch nicht ersichtlich, ob "die Bauarbeiten" bereits beendet waren. Denn noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Ortsbesichtigung - am 5.4.1977 - lagen im südwestlichen Teil des Abfindungsplans Reste der alten Trockenmauer umher, welche die Instandsetzung dieses Grundstücksteils und damit den Rebenwiederaufbau behindern. Diese Mauerreste rühren offensichtlich von Trockenmauern im Altbesitz der Kläger her, von wo aus sie nicht entfernt, sondern mit der Planierraupe in den unteren Grundstücksteil geschoben worden sind. Die Ungewißheit darüber, welche Bodenverbesserungen im einzelnen und in welchem Umfang durchgeführt und wann diese Arbeiten beendet sein würden, geht zu Lasten des beklagten Landes. Denn ihm obliegt es, eindeutige Regelungen zu treffen, welche die Anfechtung des Flurbereinigungsplans entweder ermöglichen oder aber bei getroffenen Festsetzungen den Beteiligten in die Lage versetzen, den Vollzug dieser Festsetzungen im Wege der Leistungsklage (sog. echte Ausbaubeschwerde) durchzusetzen.

2. Die Klage hat auch aus sachlichen Gründen Erfolg. Mit dem Weinbergsgrundstück Flur 24 Nr. 78 haben die Kläger einen Abfindungsplan erhalten, der den Abfindungsgrundsätzen des § 44 FlurbG nicht gerecht wird. Die teilweise in Lage des Neubesitzes gelegenen Altparzellen Flur 18 Nrn. 443 a und 443 mit je 5,15 a, zusammen 10,3 a, sind ausschließlich als Weinbergsflächen eingestuft worden. Sie bilden zusammen eine wirtschaftliche Einheit. Dagegen wird der Abfindungsplan Flur 24 Nr. 78 durch eine in ihm enthaltene Unlandfläche in Größe von 1,3 a mit nachteiligen Folgen für die Flächenbewirtschaftung in zwei Grundstücksteile aufgeteilt. Der talwärts gelegene Flächenteil umfaßt nach den Abfindungsnachweisen des Beklagten 1,7 a, der oberhalb der Unlandfläche gelegene Grundstücksteil hat eine Größe von 6,91 a. Die als Unland eingestufte Grundstücksfläche in Größe von 1,3 a besteht im wesentlichen aus einer abschüssigen Felsrippe, wegen der eine durchgehende Bewirtschaftung des Abfindungsplans nicht möglich ist. Hinzu kommt, daß sich die Hangneigung im Neubesitz ungünstiger als im Altbesitz gestaltet. Der alte Zustand der Einlageparzellen Flur 18 Nrn. 443 a und 443 kann zwar nicht mehr in der Örtlichkeit festgestellt werden, nachdem dort Planierungsarbeiten durch die Teilnehmergemeinschaft durchgeführt worden sind. Letztlich kommt es aber nach Auffassung des Senats für den hier festgestellten Abfindungsmangel auf eine vergleichende Wertung zwischen Alt- und Neubesitz nicht an. Denn der Abfindungsanspruch richtet sich unabhängig von der Qualität des Altbesitzes auch darauf, daß die neuzugeteilten Nutzflächen in Weinbergssteillagen einen Zustand aufweisen, der Gefahren für Leib und Leben der Bewirtschafter ausschließt.

Grundsätzlich bestimmt sich zwar die Landabfindung nach der Beschaffenheit und dem Wert des Altbesitzes. Die Abfindungsgrundsätze des § 44 FlurbG erschöpfen sich aber nicht in dieser Wertzuordnung. Wie sich aus § 44 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 FlurbG ergibt, umfassen sie auch Postulate auf Wertverbesserung, die sich nicht aus der Qualität des Altbesitzes, sondern aus dem Verfahrenszweck herleiten. Dem Anspruch auf Zuwegung und Vorflutschaffung gemäß § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG liegt erkennbar der allgemeine Gedanke zugrunde, die Abfindungsgrundstücke über die am Altbesitz orientierte Wertbemessung hinaus mit einer Grundausstattung zu versehen, um ihre bestimmungsgemäße Nutzung zu sichern. Dieser in § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG enthaltene Grundgedanke ist einer analogen Anwendung fähig, da die Grundausstattung in einer ebenso notwendigen und unerläßlichen Maßnahme bestehen kann wie die ausdrücklich im Gesetz genannte Wegeerschließung oder Vorflutschaffung.

Es wird nicht verkannt, daß der erweiterten Anwendung des in § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens Grenzen gesetzt sind. Diese ergeben sich aus der Systematik des FlurbG. Sie unterscheidet zwischen dem subjektiven, durchsetzbaren Abfindungsanspruch des Teilnehmers (§ 44 FlurbG) und dem - sachlich weiterreichenden - gesetzlichen Handlungsrahmen der Flurbereinigungsbehörde (§ 37 FlurbG). Aus dieser Unterscheidung folgt, daß der subjektive Abfindungsanspruch, soweit er sich unabhängig vom Einlagebesitz auf eine Funktionsverbesserung der Abfindungsgrundstücke richtet, ersichtlich eingegrenzt werden sollte. Der Senat hält gleichwohl die analoge und damit ausdehnende Anwendung des in § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG enthaltenen Rechtsgedankens auf Fälle der vorliegenden Art für geboten und gerechtfertigt, da solche Sachverhalte im Zeitpunkt der Gesetzesformulierung nicht akut und regelungsbedürftig waren. Von einer geringfügigen redaktionellen Veränderung abgesehen entspricht die Fassung des § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG der Bestimmung des § 48 Abs. 2 der Reichsumlegungsordnung vom 16.6.1937 (RGBl. I S. 629) - RUO -. In dieser Zeit bestand die Flurbereinigung fast ausschließlich in der Zusammenlegung landwirtschaftlicher Nutzflächen (Feldbereinigung). Die Weinbergsflurbereinigung in Steillagen spielte damals noch keine bedeutende Rolle (vgl. Eis, Flurbereinigung im Weinbau, 1955, S. 21). Erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie an Bedeutung gewonnen. Sie kennzeichnet sich vor allem dadurch, daß bei ihr besondere Bewirtschaftungsbedürfnisse und Baumaßnahmen im Vordergrund stehen, die der herkömmlichen Feldbereinigung fremd sind und die der Gesetzgeber somit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Anspruchs auf Grundausstattung nicht vorausgesehen hat. Der vorliegende Fall nötigt nicht dazu, den durch analoge Anwendung gewonnenen Anspruch auf Grundausstattung für Weinbergsverfahren im einzelnen abschließend festzulegen. Jedenfalls sieht es der Senat als ein anzuerkennendes, elementares Bedürfnis des Teilnehmers an, in flurbereinigten Weinbergssteillagen ohne Gefahr für Leib und Leben arbeiten zu können. Die Flurbereinigungsbehörde hat daher die neuen Weinbergsgrundstücke entsprechend dem Anspruch des Teilnehmers auf Grundausstattung so zu gestalten und herzurichten, daß Gefahren solcher Art ausgeschlossen sind. Dieser Verpflichtung kann sich die Behörde nicht dadurch entziehen, daß sie den betreffenden Grundstückseigentümer gemäß § 19 Abs. 3 FlurbG von den Flurbereinigungsbeiträgen ganz oder teilweise befreit. Denn die nach § 19 Abs. 3 FlurbG mögliche Beitragsbefreiung ist nicht der gesetzliche Ausgleich für etwaige Abfindungsmängel, sondern der Ausgleich dafür, daß der Teilnehmer - bei wertgleicher Grundstücksabfindung - keine oder nur geringe Zusammenlegungs- oder Ausbauvorteile erlangt hat.

Der Senat sieht davon ab, dem Anspruch der Kläger auf Grundausstattung durch Anordnung von Baumaßnahmen im Abfindungsgrundstück Flur 24 Nr. 78 Rechnung zu tragen. In Betracht käme eine 50 cm bis 1 m hohe Schutzmauer mit einem Geländer oberhalb der Felsböschung. Mit dieser Maßnahme wären jedoch die weiteren festgestellten Abfindungsmängel nicht ausgeräumt. Das zugeteilte Weinberggrundstück kann auch nicht in der Weise verbessert werden, daß die genannte Maßnahme durchgeführt und der untere Grundstücksteil von der Felsböschung an bis zu dem unteren Wirtschaftsweg abgetrennt wird. Damit bliebe ein Wertanspruch mit 14,36 WE (rd. 1,7 a) unabgefunden. Dieser Teilanspruch kann nicht ohne Einverständnis der Kläger nach § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG in Geld abgefunden werden, da er rund 14 % des gesamten Wertanspruchs der Kläger ausmacht. Den Klägern ist daher anstelle des Grundstücks Flur 24 Nr. 78 ein wertgleicher Weinbergsabfindungsplan mit rund 40 WE zuzuteilen, wobei die Steigungsverhältnisse des Altbesitzes um 60 % zu berücksichtigen sind.