Flurbereinigungsgericht Greifswald, Urteil vom 18.12.2002 - 9 K 34/01 (Lieferung 2005)

Aktenzeichen 9 K 34/01 Entscheidung Urteil Datum 18.12.2002
Gericht Flurbereinigungsgericht Greifswald Veröffentlichungen Lieferung 2005

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. § 64 LwAnpG ist nicht als eine Generalnorm zur Zusammenführung von getrenntem Gebäude- und Wohneigentum im ländlichen Raum anzusehen. Sinn und Zweck ist die Regelung von Sachverhalten, die in der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik wurzeln.
2. Der Rechtsgedanke der materiell-rechtlichen Verwirkung ist Ausdruck eines allgemeinen und auch im öffentlichen Recht geltenden Rechtsgedankens, wie er in § 242 BGB kodifiziert ist.
3. Die Antragsrücknahme stellt kein Verfahrenshindernis dar, wenn die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens bestandskräftig angeordnet worden war und mehrere Private beteiligt sind.

Aus den Gründen

A. Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 2002 ihren Antrag auf Durchführung des Bodenordnungsverfahrens unwiderruflich zurückgenommen. Sie macht dadurch deutlich, dass sie jedenfalls nunmehr kein Interesse mehr an der von ihr zunächst beantragten und durchgesetzten Bodenordnung hat. Dies führt dazu, dass den Überlegungen des Berichterstatters in der Hinweisverfügung vom 04.11.2002 zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses wegen des sogenannten Arglisteinwandes der Boden entzogen worden ist. Die Klägerin begehrt nunmehr mit der Klage nicht mehr etwas, was sie eigentlich gar nicht will, nämlich die Durchführung des Bodenordnungsverfahrens.

B. Die Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen im Bodenordnungsverfahren verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Die Argumentation der Klägerin, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 Satz 1 LwAnpG lägen nicht vor, ist allerdings bedenkenswert. § 64 Satz 1 LwAnpG verlangt unter anderem für die Durchführung des Bodenordnungsverfahrens, dass eine bauliche Anlage auf der Grundlage eines Nutzungsrechtes errichtet worden ist. Vieles spricht dafür, dass der Wortlaut der Norm abschließend gemeint ist und Fälle wie der vorliegende, in denen getrenntes Gebäudeeigentum durch einen Schenkungsvertrag entstanden ist - diese rechtliche Möglichkeit einmal unterstellt - nicht erfasst sind, weil sie nicht zu den Konstellationen gehören, die das Landwirtschaftsanpassungsgesetz regeln will. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber nach Erlass des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes die Notwendigkeit gesehen hat, detaillierte Regelungen über die Zusammenführung von getrenntem Gebäude- und Bodeneigentum auch im ländlichen Raum zu erlassen, z.B. das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, zeigt, dass § 64 Satz 1 LwAnpG nicht als eine Generalnorm zur Zusammenführung von getrenntem Gebäude- und Wohneigentum im ländlichen Raum anzusehen ist. Sinn und Zweck der Regelung ist es (nur), Sachverhalte zu regeln, die in der Kollektivierung der Landwirtschaft in der vormaligen DDR wurzeln. Darauf dürfte sich der Anwendungsbereich der Norm auch nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er im Wortlaut des § 64 Satz 1 LwAnpG eindeutig zum Ausdruck kommt, beschränken. Überzeugende Argumente für eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 64 Satz 1 LwAnpG sieht der Senat derzeit nicht.

Die Klägerin hat allerdings ihren auf diese Argumentation gestützten Abwehranspruch materiell-rechtlich verwirkt. Der Rechtsgedanke der materiell-rechtlichen Verwirkung ist nicht auf Falle des baurechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses begrenzt, sondern Ausdruck eines allgemeinen und auch im öffentlichen Recht geltenden Rechtsgedankens, wie er in § 242 BGB kodifiziert worden ist. Dieser Rechtsgedanke kann hier Anwendung finden. Voraussetzungen einer materiell-rechtlichen Verwirkung ist, dass derjenige, dessen Recht als verwirkt anzusehen ist, durch eigenes Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg bei einem Dritten einen berechtigten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, auf den sich dieser erkennbar in der eigenen Rechtsausübung gestützt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Klägerin hat in Kenntnis und gestützt auf ihre Rechtsauffassung, es läge Gebäudesondereigentum vor, das Bodenordnungsverfahren nicht nur im November 1997 beantragt, sondern hat dieses Bodenordnungsverfahren auch fortgeführt, obwohl sie zwischenzeitlich zu der Überzeugung gekommen war, das Gebäudeeigentum der Beigeladenen existiere nicht uns es genüge ein formloser Antrag beim Grundbuchamt, um es zu beseitigen. Dieser formlose Antrag beim Grundbuchamt wurde von der Klägerin nach Beantragung des Bodenordnungsverfahrens gestellt und hat die Klägerin nicht veranlasst, auf das Bodenordnungsverfahren zu verzichten. Die Klägerin hat noch nicht einmal die Aussetzung des Bodenordnungsverfahrens beantragt, bis die zwischen ihr und der Beigeladenen streitige Frage der Entstehung von Gebäudeeigentum geklärt war. Die Klägerin hat, nachdem der Antrag beim Grundbuchamt ohne nähere Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolglos blieb, nicht etwa den zivilrechtlichen Weg einer Grundbuchberichtigungsklage bestritten, sondern sich allein auf das Bodenordnungsverfahren gestützt und damit deutlich gemacht, dass sie weiterhin vom Gebäudeeigentum der Beigeladenen ausgeht. Die Klägerin hat im Jahre 1999 die zunächst vom zuständigen Amt verfügte Aufhebung des Anordnungsbeschlusses mit Widerspruch angegriffen und auf diese Weise die Fortführung des Bodenordnungsverfahrens durchgesetzt. Durch diese Vorgehensweise hat die Klägerin der Beigeladenen, die im übrigen auch über den "Gebäudeeigentumlöschungsantrag" vom Grundbuchamt in Kenntnis gesetzt worden war, deutlich gemacht, dass sie, die Klägerin vom Bestehen des Gebäudeeigentums ausging. Die Beigeladene hat sich darauf eingerichtet und nicht nur während des Bodenordnungsverfahrens selbst erst das Gebäudeeigentum erworben, sondern auch das Bodenordnungsverfahren als Verfahrensbeteiligte mit betrieben. Die Beigeladene hat ersichtlich ihre rechtlichen und tatsächlichen Aktivitäten hinsichtlich des Gutshauses darauf ausgerichtet, dass sie auch nach Auffassung der Klägerin Gebäudeeigentümerin ist. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist es treuwidrig, wenn die Klägerin nach für sie ungünstigem Ausgang des von ihr eingeleiteten und durchgesetzten Bodenordnungsverfahrens nunmehr die Auffassung vertritt, die Voraussetzungen des Bodenordnungsverfahrens lägen nicht vor. Sie kann sich auf diese Überlegungen nicht mehr berufen. Dem Senat ist es verwehrt, gestützt auf diese Überlegungen eine Rechtsverletzung der Klägerin festzustellen.
2. Der Senat hat überlegt, ob durch die unwiderrufliche Antragsrücknahme der Klägerin ein Verfahrenshindernis mit der Folge eingetreten sein könnte, dass das Bodenordnungsverfahren einzustellen ist. Der Senat ist zu der Auffassung gelangt, dass jedenfalls dann, wenn am Bodenordnungsverfahren mehr Personen als nur der Antragsteller und die Behörde beteiligt ist, eine Antragsrücknahme kein Verfahrenshindernis begründet. Das Bodenordnungsverfahren ist in solchen Situationen als mehrpoliges Rechtsverhältnis ausgestaltet. Die weiteren Beteiligten des Bodenordnungsverfahrens haben sich auf dessen Durchführung eingerichtet und durften auch auf die Durchführung vertrauen, jedenfalls in dem Moment, in dem eine bestandskräftige Anordnung des Bodenordnungsverfahrens ergangen war. Im Übrigen wäre eine Antragsrücknahme durch den ursprünglichen Antragsteller in solchen Rechtsverhältnissen auch wenig sinnvoll, da wegen der unbefristet möglichen Antragstellung, ein anderer Verfahrensbeteiligter sofort einen eigenen Bodenordnungsantrag stellen könnte, mit der Folge, dass das Bodenordnungsverfahren erneut aufgenommen werden müsste. Dies ist weder rechtlich noch praktisch sinnvoll.