Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.08.2021 - BVerwG 9 B 49.20 OVG Bautzen 7 C 9 / 19 = BeckRS 2021, 27820= LKV 2021, 564 (Ls.)= LSK 2021, 27820= NVwZ-RR 2022, 133 (Ls.) (Lieferung 2022)

Aktenzeichen BVerwG 9 B 49.20 OVG Bautzen 7 C 9 / 19 Entscheidung Beschluss Datum 03.08.2021
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen = BeckRS 2021, 27820 = LKV 2021, 564 (Ls.) = LSK 2021, 27820 = NVwZ-RR 2022, 133 (Ls.)  Lieferung 2022

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Im Bodenordnungsverfahren nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz ist der Grundeigentümer hinsichtlich der an den Gebäudeeigentümer erteilten Genehmigungen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FlurbG klagebefugt. (Rn. 8) (Amtlicher Leitsatz)
2. Zwar muss der planmäßige Vorsitzende eines Flurbereinigungsgerichts nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein statusrechtlicher Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht sein. Für Vertretungsfälle lässt das BVerwG jedoch ausdrücklich eine Abweichung zu. (Rn. 19) (Redaktioneller Leitsatz)
3. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen sind nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angreifbar und unterliegen deshalb - wie oben bereits ausgeführt wurde - grundsätzlich nicht der Überprüfung im Revisionsverfahren, es sei denn, die fehlerhafte Entscheidung über die Ablehnung beinhaltet zugleich eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (Recht auf den gesetzlichen Richter). Eine auf diese Weise verursachte fehlerhafte Besetzung der Richterbank setzt voraus, dass die Ablehnungsentscheidung auf Willkür oder einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht, der in der Sache die Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts rechtfertigt. (Rn. 21) (Redaktioneller Leitsatz)

Aus den Gründen

In bestimmten Fallgruppen ist Drittschutz jedoch anerkannt worden, beispielsweise dann, wenn Grundstücke nur unter den Voraussetzungen des § 45 FlurbG verändert oder einem anderen zugeteilt werden dürfen oder wenn durch ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 2 FlurbG der Wert der Einlage eines anderen Teilnehmers in flurbereinigungsrechtlich beachtlicher Weise beeinträchtigt würde.


Somit wird die Rechtsposition des Bodeneigentümers berührt, wenn dem Gebäudeeigentümer Veränderungen an den Gebäuden erlaubt werden, die Auswirkungen auf die Restnutzungsdauer haben können. Der Bodeneigentümer muss in einem solchen Fall überprüfen können, ob seine rechtlichen Interessen bei der Genehmigungsentscheidung nach § 63 Abs. 2 LwAnpG, § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FlurbG, die im Ermessen der Bodenordnungsbehörde steht (Wingerter/ Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 6), Berücksichtigung gefunden haben.


Zwar muss der planmäßige Vorsitzende eines Flurbereinigungsgerichts ein statusrechtlicher Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht sein für Vertretungsfälle - wie hier - lässt diese Entscheidung jedoch ausdrücklich eine Abweichung zu.


2. Kein absoluter Verfahrensmangel liegt auch darin, dass das Flurbereinigungsgericht über die beiden ersten Befangenheitsanträge ohne die drei ehrenamtlichen Richter entschieden hat.


Eine derart willkürliche Fehldeutung der die Besetzung des Flurbereinigungsgerichts regelnden Normen liegt hier nach Auffassung des Senats nicht vor; vielmehr handelt es sich um eine in Rechtsprechung und Literatur noch nicht geklärte Frage, die in der Praxis der Flurbereinigungsgerichte unterschiedlich gehandhabt wird.


Eine solche abweichende Regelung enthält § 139 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, wonach das Flurbereinigungsgericht in der Besetzung von zwei Richtern und drei ehrenamtlichen Richtern verhandelt und entscheidet, von denen nach § 139 Abs. 2 Satz 2 FlurbG ein ehrenamtlicher Richter zum höheren Dienst der Flurbereinigungsbehörden befähigt sein muss und mindestens drei Jahre in Flurbereinigungsangelegenheiten tätig gewesen sein soll. Diese besondere Besetzung des Flurbereinigungsgerichts dient der sachgerechten Würdigung der im Rahmen der Flurbereinigung zu beurteilenden besonderen Sachverhalte.


Der Sinn und Zweck der speziellen Besetzungsvorgaben in § 139 Abs. 1 Satz 2 FlurbG spricht jedoch eher für ein weites Verständnis, sodass hiervon nicht nur Urteile, sondern auch Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung erfasst werden und bundesweit sämtliche Entscheidungen des Flurbereinigungsgerichts grundsätzlich in voller Besetzung ergehen müssten.


Die Änderung der Besetzung (Erhöhung auf zwei Richter und drei Beisitzer) geht auf den Vorschlag des Bundesrates zurück; angesichts der Bedeutung und Tragweite der vom Flurbereinigungsgericht zu treffenden Entscheidungen sei eine stärkere Besetzung geboten. Es sei erforderlich, den Vorsitzenden im Interesse der Rechtsfindung und zum Zwecke seiner Entlastung durch einen zweiten Berufsrichter zu unterstützen. Außerdem erscheine es aus agrarpolitischen Gründen notwendig, die Zahl der bäuerlichen Beisitzer zu verstärken.


Dies zugrunde gelegt erscheint die Verfahrensweise des Flurbereinigungsgerichts jedenfalls nicht durch eine willkürliche Entfernung von den gesetzlichen Vorgaben geprägt.


3. Nach Maßgabe der oben genannten Grundsätze liegt ein durchgreifender Verfahrensmangel aber darin, dass der am Verhandlungstag gestellte Befangenheitsantrag gegen die beiden Berufsrichter unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als rechtsmissbräuchlich verworfen worden ist, da er „offensichtlich der Verhinderung der Durchführung der mündlichen Verhandlung“ diene. Mangels objektiver Anhaltspunkte für diese Einschätzung hält der Senat diesen Verfahrensfehler für derart schwer, dass er in der Sache die Rüge einer nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts rechtfertigt.


Offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts wenn geeignete Befangenheitsgründe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht werden, vielmehr das Vorbringen des Antragstellers von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Das ist unter anderem der Fall, wenn das Gesuch rechtsmissbräuchlich ist, weil es offenbar grundlos ist oder nur der Verschleppung dient.


An den Voraussetzungen für eine Ablehnung des Befangenheitsantrags als missbräuchlich fehlte es hier. Für die vom Flurbereinigungsgericht angenommene Verschleppungsabsicht bestanden keinerlei Anhaltspunkte, insbesondere handelte es sich nicht um eine bloße Wiederholung der Gründe für die früheren Richterablehnungen.


5. Das Flurbereinigungsgericht hat zudem verfahrensfehlerhaft die Anforderungen an die Klagebefugnis überspannt. Es hätte über die Klage nicht (überwiegend) durch Prozessurteil entscheiden dürfen.


Anders stellt sich die Rechtslage aber dar, wenn die Vorinstanz die Voraussetzungen gerade der Prozessrechtsnorm unzutreffend beurteilt, etwa bei einer Verkennung der prozessualen Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO, weil ein zu strenger Maßstab an die notwendige Geltendmachung einer Rechtsverletzung angelegt wird. In diesem Falle missachtet das Gericht eine den äußeren Verfahrensgang regelnde Vorschrift. Insbesondere wenn das Vorgericht die prozessualen Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO überspannt und infolgedessen vom Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung ausgeht, kann nicht mehr lediglich von einer fehlerhaften Subsumtion des Sachverhalts ausgegangen werden.


Das Flurbereinigungsgericht hat hier deutlich überzogene Anforderungen an die Geltendmachung einer möglichen Rechtsverletzung im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO gestellt. Die Kläger haben diese Anforderungen bereits dadurch erfüllt, dass sie sich als Bodeneigentümer gegen eine an den Gebäudeeigentümer erteilte Genehmigung nach § 63 Abs. 2 LwAnpG, § 34 Abs. 1 FlurbG wenden. Der Rechtsschutz kommt in diesem Stadium zu spät, weil eine durch Baumaßnahmen an den Gebäuden veränderte Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach den oben dargestellten Maßgaben bei der Wertermittlung zu berücksichtigen ist, wenn nicht durch entsprechende Maßgaben in der Genehmigungsentscheidung etwas Anderes festgelegt wird.